"Wir sind leider nur mit Regenwasser gesegnet", Interview de fin d'année du Vice-Premier ministre et ministre des Affaires étrangères Jean Asselborn.

Lëtzebuerger Journal: Herr Vizepremier, als Außenminister sind Sie von Berufs wegen ja viel auf Reisen. Wissen Sie zufälligerweise, wie viele Flugmeilen sich in diesem Jahr bei Ihnen angesammelt haben?

Jean Asselborn (denkt nach): Keine Ahnung. Ich habe sie nicht gezählt, aber es waren wohl eine ganze Menge. Man sollte einen Außenminister aber nicht an der Zahl seiner Flugmeilen messen.

"Ich bewerte mich nicht selbst"

Lëtzebuerger Journal: Jetzt eine Frage, die vor einigen Wochen auch Ihrem neuen deutschen Amtskollegen Guido Westerwelle gestellt wurde. Angenommen, Sie wären immer noch Oppositionsführer, wie würden Sie dann die ersten Monate der neuen Regierung bewerten?

Jean Asselborn: Hierzu möchte ich erst einmal festhalten, dass ich mit der Aussage des ehemaligen deutschen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering, Opposition sei Mist, absolut nicht einverstanden bin, könnte man dann nämlich genau so gut sagen, Demokratie sei Mist. Vielmehr hat die Opposition - und ich spreche hier von den drei Parteien DP, déi Greng und déi Lenk - eine ganz wichtige Rolle zu spielen. Allerdings habe ich während den Budgetdebatten von Seiten der Oppositionsparteien keine einzige annehmbare Alternative zum Etatentwurf dieser Regierung gehört.

Lëtzebuerger Journal: Kommen wir zu meiner Frage zurück. Auf einer Skala von 1 bis 10 - 1 für sehr schlecht, und 10 für sehr gut -, mit welcher Note würden Sie die Regierungsarbeit bewerten?

Jean Asselborn: Ich bin Mitglied dieser Regierung, ich bewerte mich nicht selbst.

Lëtzebuerger Journal: Dafür habe ich Verständnis. Sind Sie nicht enttäuscht, dass Sie nicht Premier geworden sind, hatten Sie bei unserem letztjährigen Jahresendgesprach doch angekündigt, dass die Luxemburger Sozialisten nach mehr als hundert Jahren endlich den Regierungschef stellen müssten.

Jean Asselborn: Nein, da bin ich nicht enttäuscht. Ich bin nicht mit der Zielsetzung auf die Welt gekommen oder in die Politik gegangen, einmal Premierminister zu werden. Allerdings ist es eine Ungerechtigkeit, dass meine Partei in ihrer langen Geschichte noch nie den Premierminister stellen durfte, im Gegensatz zur DP, die diese Chance ja bereits hatte. Der Tag, wo wir den Premier haben, wird aber ganz bestimmt kommen...

Lëtzebuerger Journal: Was erwarten Sie sich denn von mindestens zweieinhalb weiteren Jahren (so lange dauert das Mandat des ersten ständigen EU-Ratsvorsitzenden) Jean-Claude Juncker, und wie bewerten Sie das Verhältnis unseres Regierungschefs mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy? Schadet das nicht auch unserem Land?

Jean Asselborn: Hierzu sei allgemein gesagt, dass man sich nicht allzu sehr auf Personen fokussieren sollte - auch nicht in Luxemburg. In Sachen Juncker/Sarkozy kann ich allerdings verstehen, dass unser Premier nicht nur enttäuscht, sondern in gewissem Maße auch angeschlagen war, in Brüssel leer ausgegangen zu sein. So hat ihm keiner von Angesicht zu Angesicht gesagt, dass er nicht der richtige Mann für diesen Posten ist, und das gilt nicht nur für Frankreich, sondern auch noch für ein zweites Land...

Lëtzebuerger Journal:: ... also England...

Jean Asselborn: Das will ich nicht kommentieren... Hätte man Jean-Claude Juncker klar und deutlich gesagt, dass er mit seiner Politik und seinem Streben für ein integriertes Europa nicht das darstellt, was man sich vom ersten Amtsträger dieses Postens erwartete, dann hätte er das auch akzeptiert. Nun ist aber genau das Gegenteil geschehen, und von verschiedenen Ländern wurden ihm während Monaten sogar noch Avancen und indirekte Versprechen gemacht. Wenn man dann im letzten Moment vor Beton steht, dann kann man verstehen, dass dies nicht einfach wegzustecken ist.

Auch wird Juncker in Frankreich in seiner Eigenschaft als Präsident der Euro-Gruppe vorgeworfen, zu Beginn der Finanzkrise allzu lethargisch gewesen zu sein und nicht genug auf die von Frankreich geforderte "gouvemance économique" gesetzt zu haben. Als Vorsitzender der Euro-Gruppe hat Juncker aber keine andere Möglichkeit gehabt, als sich eher die deutsche Haltung eigen zu machen, was die Deutschen aber nicht genug unterstrichen haben. Auch wollte sich die Bundeskanzlerin nicht öffentlich auf einen Namen festlegen, um keine Risiken einzugehen, den Falschen zu unterstützen.

Das ist jetzt aber Geschichte. Im übrigen möchte ich daraufhinweisen, dass jeder Politiker, der einmal durch das Fegefeuer gegangen ist, hierdurch gestärkt wurde.

Lëtzebuerger Journal: Das heißt, Sie erwarten sich, dass Jean-Claude Juncker in zweieinhalb Jahren noch einmal antritt?

Jean Asselborn: Das müssen sie ihn selbst fragen.

Lëtzebuerger Journal: Kommen wir, Herr Vizepremier, zu Ihrer Partei, der LSAP, die in den vergangenen Wochen seit langer Zeit mal wieder kräftig den OGBL raushängen ließ und die Sozialpolitik wiederentdeckt zu haben scheint. Wie ist das zu erklären?

Jean Asselborn: Ich bin zwar oft mit ihnen einverstanden, aber wenn sie in ihrer Frage behaupten, die LSAP habe jetzt die Sozialpolitik entdeckt, dann kann ich nicht ihrer Meinung sein, haben wir in unserer mehr als 100-jährigen Geschichte doch zu keinem Moment die Sozialpolitik aus den Augen verloren. Ich bin nun 40 Jahre in dieser Partei, und mir fällt kein einziges Beispiel ein, wo wir die Sozialpolitik vernachlässigt haben. Wir wissen als Partei aber auch, dass wir eine dynamische Wirtschaftspolitik brauchen, um eine von Fortschritt gekennzeichnete Sozialpolitik machen zu können. Auch hat der Staat in diesen schwierigen Zeiten die Aufgabe, denjenigen zu helfen, die es am meisten nötig haben, macht doch gerade das die Sozialpolitik aus.

"Däumchen drehen ist jetzt nicht angebracht"

Lëtzebuerger Journal: Ist denn nicht zu befürchten - und Aussagen von Finanzminister Luc Frieden lassen daraufschließen - dass die CSV hier anderes im Sinne hat?

Jean Asselborn: Das Allerschlimmste, was uns passieren könnte, ist zu glauben, wir könnten jedes Jahr zwei Milliarden ausleihen. Das geht nicht! Wir müssen reagieren, den Haushalt wieder ins Gleichgewicht zu bringen, und, das ist die Aufgabe, der wir uns im Frühjahr stellen müssen. Die vier, fünf Monate, die jetzt kommen, sind nicht nur entscheidend für diese Koalition, sondern auch was die richtige Weichenstellung für die Zukunft anbelangt. Einfach sitzen bleiben und Däumchen drehen, ist jetzt nicht angebracht - und das wissen auch die Gewerkschaften und das Patronat...

Lëtzebuerger Journal: Trotzdem macht sich in der Bevölkerung immer mehr der Eindruck breit, dass die Regierung mangels Lösungsvorschläge die Verantwortung auf die Tripartitc abzuschieben versucht, oder?

Jean Asselborn: Nein! Das ist die Sache allzu sehr vereinfachen. Wir haben in diesem Land nun einmal eine Kultur, dass die Regierung nicht von oben herab diktiert, sondern das Gespräch mit den Sozialpartnern sucht, um anschließend zu einem Konsens zu finden. Das macht das Modell Luxemburg aus, und...

Lëtzebuerger Journal: Ehe Sie jetzt zu einem langen Monolog ausholen, kommen wir lieber zu einem anderen Thema, das derzeit arg in ist, nämlich die Klimapolitik. Ist die Situation wirklich so düster?

Jean Asselborn: Ich nehme den Klimawandel jedenfalls sehr ernst, hatte ich im September in New York bei der UNO-Vollversammlung doch das Glück, von namhaften Experten aufgeklärt zu werden. Ich bin keiner, der Katastrophismus betreibt, aber ich neige auch nicht dazu, hierzu banalisieren. Leider wurde in Kopenhagen nicht das Resultat erreicht, das sich manche erhofft haben.

Lëtzebuerger Journal: Widmen wir uns nun Ihrer eigentlichen Arbeit, der Außenpolitik. Als Sie vor einigen Wochen den von einem Bundeswehroffizier angeordneten Luftangriff in Afghanistan kritisierten und diesbezüglich festhielten, dass es auch in der Nato Regeln geben müsse, wurden Sie in Deutschland scharf angegriffen. Nun scheinen Sie nachträglich doch noch Recht zu bekommen. Tut das gut?

Jean Asselborn: Nein, aber ich möchte ihnen hierzu sagen, dass ein Politiker, ehe er als Politiker reagiert, manchmal auch eine ganz spontane, menschliche Reaktion hat, und das war hier der Fall. "Auch in der Nato gibt es Regeln, und diese Regeln müssen eingehalten werden", sagte ich Anfang September. Heute sagt Bundeskanzlerin Merkel: "Die (Internationale Afghanistan-Schutztruppe) Isaf hat Regeln, die müssen eingehalten werden".

Lëtzebuerger Journal: Und die Luxemburger Soldaten bleiben in Afghanistan?

Jean Asselborn: Natürlich.

Lëtzebuerger Journal: Haben Sie noch Kontakt mit Ihrem ehemaligen deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier, den Sie ja sehr mochten?

Jean Asselborn: Ja, wir haben immer noch steten Kontakt, aber so ist das ja nun einmal normal unter Kollegen...

Lëtzebuerger Journal: Also gibt es sie doch, die richtigen Freunde in der Politik...

Jean Asselborn: Die gibt es sehr wohl. Sogar bei der eigenen Blutgruppe. . .

Lëtzebuerger Journal: Was hat Sie im jetzt zu Ende gehenden Jahr am meisten geprägt, und was erwarten Sie sich von 2010?

Jean Asselborn: Geprägt hat mich auf internationaler Ebene am meisten die schreckliche Situation in Nahost, wo alles blockiert ist. Ich würde mir innerlich wünschen, dass Israelis und Palästinenser endlich wieder den Dialog aufnehmen, hängt der Weltfrieden doch zu einem Großteil vom Nahen Osten ab.

Was nun die Zahlen in Luxemburg anbelangt, so muss ich hier erst einmal feststellen, dass es diesmal keiner Oppositionspartei gelungen ist, zuzulegen, was es in dieser Form schon seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat. Die DP hat nicht gewonnen, die Grünen haben nicht gewonnen, die adr hat nicht gewonnen...

Lëtzebuerger Journal: ... die LSAP aber auch nicht...

Jean Asselborn:..die ja zusammen mit der CSV eine Koalition bildet. Die LSAP hat einen Sitz verloren - knapp. . .

Lëtzebuerger Journal: ... und die CSVist jetzt doppelt so stark...

Jean Asselborn: Das stimmt, aber das ist nun einmal das Spiel der Demokratie, wobei die CSV bei den letzten Wahlen mit Weihwasser gesegnet war und wir wahrscheinlich nur mit Regenwasser.

Ich bin jedoch kein Fatalist; ich glaube an die Demokratie. Die Leute bewerten eine Regierung, die beiden Regierungsparteien, aber auch die Opposition nach ihren Taten - nach den nächsten Wahlen wissen wir mehr.

Wir befinden uns nichtsdestotrotz in einer Situation, wo es schwierig ist, gegen die CSV zu regieren, was aber nicht heißt, dass wir Sozialisten jeden Morgen beim Aufstehen eine große CSV vor Uns sehen und wir nur kleine Männchen sind, die der CSV hinterherlaufen. Dass die CSV doppelt so stark ist im Parlament, zeigt sich ebenfalls nicht in der Ressortaufteilung innerhalb der Regierung. Deshalb der Aufruf an die Sozialisten, auch an das zu glauben, was wir tun, und nicht zu sagen, jetzt haben wir das Arbeits- und das Agrarministerium, und das ist nur, um Stimmen zu verlieren. Wissen sie, wir Sozialisten haben etwas in unseren Genen, dass wir uns selber permanent in Frage stellen und diese Infragestellung geht manchmal so weit, dass. wir nicht mehr an uns glauben. Fakt ist, dass wir eine Mission haben in diesem Land, die wir ernst nehmen müssen und nicht nur negativ angehen sollen. Viele zählen auf uns.

Lëtzebuerger Journal: Und Ihre persönlichen Wünsche für 2010?

Jean Asselborn: Ich wäre froh, wenn der Schnee weg wäre, dass ich endlich wieder Fahrrad fahren kann,. Wenn ich ein, zwei Wochen nicht radeln kann, dann werde ich nervös. Für meine Partei wünsche ich mir; dass wir einsehen, dass es gut und wichtig ist, das Land mitzuregieren.

Lëtzebuerger Journal: Herr Vizepremier, wir danken Ihnen für das interessante Gespräch.

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