"Renaissance der Gemeinschaftsmethode". Le Premier ministre, Jean-Claude Juncker au sujet de la gouvernance économique européenne

LW: Herr Staatsminister, als Sie zuletzt mit den Staats- und Regierungschefs der Eurozone in Brüssel zusammentrafen, galt es, über Nacht ein Hilfspaket für Griechenland zu schnüren. Werden Sie heute Spanien retten müssen?

Jean-Claude Juncker: Die Staats- und Regierungschefs der Eurozone sowie die EU-Finanzminister haben Anfang Mai einen Rettungsschirm für die gesamte Eurozone gespannt, und ich gehe davon aus, dass diese Beschlüsse ausreichen für alle Probleme, die sich stellen werden. Spanien mag sich in Schwierigkeiten befinden. Allerdings ist nicht geplant, dass wir uns heute gesondert mit diesem Fall befassen werden. Spanien und Portugal haben beide Sparpakete beschlossen, die in die richtige Richtung weisen. Allerdings müssen sie Strukturreformen in die Wege leiten, die über das Jahr 2011 hinausgehen. Dessen sind sich beide Staaten bewusst. Ich bin übrigens der Meinung, dass die EU nicht auf alle Regungen der Ratingagenturen eingehen soll. Für die erneute Herabstufung Griechenlands habe ich kein Verständnis.

LW: Die EU spannt einen Euro-Rettungsschirm in Milliardenhöhe, doch die Märkte spekulieren weiter. Ist die Politik machtlos?

Jean-Claude Juncker: Die Politik ist kein Willensvollstrecker der Finanzmärkte und der Ratingagenturen. Dass der Euroraum derzeit von den Finanzmärkten kritisch bewertet wird, erklärt sich nicht durch die mangelnde Entschlossenheit der Regierungen, die alle gewillt sind, ihre öffentlichen Finanzen ins Reine zu bringen. Allerdings gibt es in der Eurozone keine einheitliche Regierung, die in der Wirtschafts- und Finanzpolitik die Richtung vorgibt. Die USA und Japan, deren konjunkturelle Eckdaten wesentlich schlechter sind als jene der Eurozone, verfügen über eine solche Zentralregierung, was ihnen die Märkte wiederum zugute halten. Die Folge der Euro- und der Wirtschaftskrise darf daher kein Abdriften in die zwischenstaatliche Zusammenarbeit sein, sondern eine Renaissance der Gemeinschaftsmethode. Dass die Vorsitzenden der vier großen Fraktionen im Europaparlament der gleichen Ansicht sind, stimmt mich zuversichtlich.

LW: Wie soll die Gemeinschaftsmethode denn wiederbelebt werden, wo doch derzeit scheinbar alles vom guten Willen der Deutschen und Franzosen abhängt?

Jean-Claude Juncker: Erstaunlich ist doch, dass es die vergangenen zwei Wochen noch hieß, Frankreich und Deutschland seien fundamental zerstritten über das Konzept der europäischen Wirtschaftsregierung. Nun haben sich die Bundeskanzlerin und der Staatspräsident auf eine Koordinierung der Wirtschaftspolitik auf Ebene der 27 Mitgliedstaaten geeinigt sowie auf eine engere Koordinierung der Euroländer. Gerade das haben wir in der Eurogruppe bereits längst beschlossen, genau diese Prozedur haben wir längst in die Wege geleitet. Nun wird das längst Beschlossene als Renaissance des deutsch-französischen Motors gefeiert: Erlauben Sie, dass ich darüber lache.

LW: Viel wurde die letzten Wochen über die Form der Wirtschaftsregierung gesprochen, aber wenig über deren Inhalt. Wie sollte dieser Ihrer Meinung nach denn ausfallen?

Jean-Claude Juncker: Meine Vorstellungen habe ich am Dienstag in Oslo erläutert. Unabdingbar ist meiner Meinung nach eine haushaltspolitische Koordinierung der 16 Mitgliedstaaten, noch ehe die Budgetentwürfe den jeweiligen Parlamenten zur Begutachtung vorgelegt werden. Ziel ist nicht eine Entmachtung der Volkskammern, sondern eine einheitliche Haushaltsgestaltung im Euroraum. Die Euroländer müssen ihre Budgetplanung an die ihrer Partnerländer anpassen. Außerdem muss das Thema Wettbewerbsfähigkeit, das in den vergangenen Jahren unterbewertet wurde, wieder in den Mittelpunkt gestellt werden. Dass Griechenland in den vergangenen Monaten in Bedrängnis geriet, ist vor allem darauf zurückzuführen, dass es seit seinem Beitritt zur Eurogruppe 25 Prozent an Wettbewerbsvorteilen eingebüßt hat. In der Eurogruppe wollen wir daher künftig bei jeder Sitzung die Wettbewerbssituation in den einzelnen Mitgliedsländern unter die Lupe nehmen, angefangen mit Spanien und Finnland. In der übernächsten Sitzung ist dann Luxemburg dran. Notwendig ist des Weiteren eine engere Abstimmung über die Lohnpolitik im öffentlichen Dienst und über die Frage, welche Strukturreformen wann in welchen Mitgliedsländern Sinn machen.

LW: Was alles tiefgreifende Einschnitte in die nationalen Zuständigkeitsbereiche sind. Werden die Mitgliedstaaten dem zustimmen?

Jean-Claude Juncker: Viele Länder sind in der Tat der Ansicht, dass sie allein das Sagen über ihre Haushaltspolitik und die Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit haben. Eine gemeinsame Wirtschaftspolitik bedeutet aber, dass nicht das eine Land Steuererleichterungen und ein anderes Steuererhöhungen beschließen kann, ohne die Euro-Partner vorab zu informieren. Wer für eine gemeinsame Wirtschaftspolitik eintritt, muss sich bewusst sein, dass damit die übrigen Euroländer ein Mitspracherecht bei der nationalen Wirtschaftsgestaltung erhalten. Ich bin mir nicht sicher, ob sich die Befürworter einer Wirtschaftsregierung aller Konsequenzen bewusst sind.

LW: Wer gegen die Vorgaben dieser Wirtschaftsregierung oder gegen den Stabilitätspakt verstößt, dem soll das Stimmrecht in den EU-Gremien entzogen werden, schlagen Angela Merkel und Nicolas Sarkozy vor. Eine gute Idee?

Jean-Claude Juncker: Grundsätzlich habe ich nichts gegen diesen Vorschlag einzuwenden. Allerdings müsste dafür der Lissabon-Vertrag abgeändert werden, und das ist meiner Ansicht nach kurz- und mittelfristig kein gangbarer Weg. Mir wäre es lieber, der Stabilitätspakt würde präventiv gestärkt. So sollte man etwa Strafverfahren gegen jene Staaten in Erwägung ziehen können, die die Defizitgrenze noch nicht überschritten haben, sich dieser aber annähern.

LW: In Brüssel wollen Sie und Ihre 26 Kollegen die Wachstumsstrategie EU2020 verabschieden. Wieso soll der neue Zehnjahresplan erfolgreicher sein als die Lissabon-Strategie?

Jean-Claude Juncker: Die Lissabon-Strategie war besser als ihr Ruf. Die Neuerung von EU2020 besteht darin, dass die gro-ßen Zielvorgaben national ausgestaltet werden können. Dies hatte Luxemburg bereits während seiner EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 2005 gefordert. Mit den Vorgaben an sich wie der Anhebung der Beschäftigungsquote und den zusätzlichen Investitionen in Forschung und Entwicklung können wir uns einverstanden erklären - auch wenn es für Luxemburg nicht einfach wird, diese Ziele zu erreichen.

LW: Zum 1. Juli übernimmt Belgien den EU-Ratsvorsitz von Spanien. Nun ist die politische Lage in unserem Nachbarland nicht gerade einfach. Ist es nicht zum Teil der Regionalpolitik der EU geschuldet, dass eine Regionalpartei wie die N-VA große Erfolge feiert?

Jean-Claude Juncker: Dass die EU die Regionen stärkt und die regionalen Unterschiede fördert, ist durchaus richtig. Ohnehin werden in Zukunft nicht länger die Nationalstaaten, sondern die Regionen miteinander in Wettbewerb treten. Dass diese Wiederbelebung der Regionen die regionalen Parteien stärkt, scheint mir eine gewagte These. Was Belgien angeht, so ist es nicht unbedingt von Vorteil, dass eine geschäftsführende Regierung den Ratsvorsitz wahrnimmt. Im Übrigen bin ich dieser Tage froh, dass wir statt der belgisch-luxemburgischen Währungsunion den Euro haben.

LW: Zu einem anderen Thema: Wer wird Füßball-Weltmeister?

Jean-Claude Juncker: Für die portugiesische Gemeinschaft im Lande würde ich mich freuen, wenn ihre Mannschaft den Titel holen würde. Deswegen wäre Portugal mein Lieblingsweltmeister. Doch nachdem ich die letzten Minuten des Spiels gegen die Elfenbeinküste gesehen habe, halte ich mich mit meinen Aussagen zum WM-Favoriten etwas zurück.

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