Jean Asselborn au sujet de son parcours politique, de l'intégration européenne et de l'adhésion de la Turquie à l'UE

Aachner Zeitung: Herr Minister, Sie sind führender Repräsentant der Letzebürger Sozialistischen Arbeiterpartei: Sind Sie Sozialist? Oder Sozialdemokrat?

Jean Asselborn: Unser Sozialismus kommt von der französischen Seite. Wir sind Sozialisten. Eine lange Zeit war aber sogar "Sozialdemokrat" ein Schimpfwort bei uns.

Aachner Zeitung: Hier im Großherzogtum!

Jean Asselborn: Ja, hier in Luxemburg bis in die 70er und 80er Jahre. Dann hat man letztlich doch festgestellt, dass es Sozialdemokraten auch in Deutschland und Österreich gibt. Der Begriff ist heute "salonfähig".

Aachner Zeitung: Was ist im Jahr 2010 eine Arbeiterpartei?

Jean Asselborn: Das ist für mich ein sehr wichtiger historischer Bezug. Mein Großvater war Arbeiter, mein Vater war Arbeiter, ich war Arbeiter. Arbeiter ist ein Symbol für mich. Die Würde des Menschen wird angesprochen.

Aachner Zeitung: Und die Gewerkschaften, sind sie heute schwächer als früher?

Jean Asselborn: Die Gewerkschaft spielt heute noch eine fundamentale Rolle, sie hat aber wie die Sozialdemokratie in dieser Krise Probleme, den richtigen Tritt zu finden, die Balance zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die Daseinsberechtigung der Gewerkschaften ist in der globalisierten Welt noch wichtiger als früher, das ist meine persönliche Überzeugung.

Aachner Zeitung: Warum sehen Sie das so?

Jean Asselborn: Am Ende des vergangenen Jahrhunderts glaubte man, diese wilde Form von Kapitalismus besiegt zu haben. Heute ist dieser namenlose Kapitalismus, bei dem nur die Rendite zahlt, wieder obenauf. Es kann aber nicht sinnvoll sein, nur Profit zu machen und die menschliche Komponente zu verdrängen.

Aachner Zeitung: Wo bleibt unter diesem Aspekt das soziale Europa, die soziale EU?

Jean Asselborn: Ich finde und meine das sehr ernst, dass ein Europa, das nicht in der Lage ist, Mindestlöhne einzuführen und Rechte für Arbeiter zu garantieren, nicht die Sozialkultur hat, die man Europa in die Wiege gelegt hat. Da bleibt noch viel zu tun. Es gibt heute in der EU ein wirtschatspolitisches Konkurrenzdenken auf Kosten sozialpolitischer Errungenschaften.

Aachner Zeitung: Was ist Europa für Sie persönlich? Vor allem diese soziale Komponente?

Jean Asselborn: Nicht nur. Wir müssen insgesamt mehr positiven Einfluss bekommen, wenn es um die europäischen Werte geht. Ich meine damit Demokratie, Menschenrechte, soziale Rechte, Respekt des internationalen Rechts, Klimaschutz. Das sind globale Herausforderungen. Diese europäischen Werte werden weltweit, egal wohin Sie als europäischer Außenminister reisen, gewünscht. Da müssen wir mehr Gemeinsamkeiten erreichen, so wie sie im Lissabon-Vertrag vorgesehen waren.

Aachner Zeitung: Wo sind konkrete Defizite?

Jean Asselborn: Nehmen Sie das Beispiel Türkei. Die Briten sagen, dass die Türkei strategisch und politisch zu Europa gehört. Die Debatte in Deutschland und Frankreich, auch in Luxemburg, ist dagegen völlig anders mit ihren zwei Marschrichtungen, einmal die amerikanisch-britische, dann die zögerliche. Auch in meinem Land herrscht keine klare Linie.

Aachner Zeitung: Sind Sie für den Beitritt?

Jean Asselborn: Wir können doch nicht wie Horst Seehofer sagen, wir im Westen müssen den Bau von Moscheen akzeptieren und in der 'Türkei darf man keine christlichen Kirchen bauen. Wenn wir solche Vergleiche ziehen, machen wir den kapitalen Fehler, dass wir unsere Werte der Toleranz und des gegenseitigen Respekts nicht höher stellen, das ist für mich das Problem. Wenn wir in diese Falle tappen, ist Europa mit seinen Werten verloren.

Aachner Zeitung: Verfolgen Sie die aktuelle deutsche Debatte, Stichwort Sarrazin?

Jean Asselborn: Ich kann mich gut daran erinnern, dass in Deutschland nach Türken gerufen wurde, um die Autoindustrie aufzubauen und zu entwickeln. Ohne die 500.000 Türken würde das nicht funktionieren. Diese Gemeinschaft ist selbstverständlich Teil Deutschlands. Und es ist gut, dass der türkische Staatspräsident Gül jetzt sagt: Lernt Deutsch, integriert euch! Der Aufruf war gut, und dann kommt Seehofer und sagt, Multikult ist tot. Das ist nicht gut, ein solches Verhalten gehört nicht zu den europäischen Werten, weil es ausschließlich populistische Züge hat.

Aachner Zeitung: Die Türkei hat aber noch eine Menge an Hausaufgaben zu erledigen.

Jean Asselborn: Richtig, ich sage ja nicht, dass sie morgen EU-Mitglied sein sollte. Aber ich will für meine Kinder und Kindeskinder und für das 21. Jahrhundert eine europäische Türkei, eine Türkei, die nicht mit dem Rücken gegen Europa steht. Das 21. Jahrhundert wird eine ganz wesentliche Frage beantworten müssen: Wie geht die westliche Kultur mit dem Islam um? Die Türkei ist der Punkt, an dem man da ansetzen kann. Ohne die Verhandlungen mit der EU seit 2004 und 2005 wäre die Türkei noch lange nicht so weit wie heute. Also warten wir einmal ab, wo wir 2015 stellen. Dann werden wir sehen, ob es geht oder nicht.

Aachner Zeitung: War es richtig, Länder wie Bulgarien und Rumänien in die EU aufzunehmen?

Jean Asselborn: Und wo wären diese Länder, wenn wir sie nicht aufgenommen hätten? Was würde passieren, wenn wir die EU-Türen für solche Länder schließen würden? Das gilt auch für den Balkan. Es ist schwieriger, die Länder des Balkans in die EU zu führen, als den Euro einzuführen, ganz gewiss. Das wird auch mindestens noch zehn Jahre dauern, aber eine Alternative dazu gibt es nicht.

Aachner Zeitung: Sie waren viele Jahre Bürgermeister Ihres Heimatortes Steinfort mit 4000 Einwohnern.

Jean Asselborn: 23 Jahre.

Aachner Zeitung: Was haben Sie davon auf die große internationale Bühne mitgenommen?

Jean Asselborn: Vor allem den Respekt vor einer demokratischen Wahl. Als ich die Bürgermeister-Wahl gewann, stand ich vor der Entscheidung, diese Wahl anzunehmen oder eine höhere Stelle im Gesundheitswesen anzutreten. Und meine Mutter hat gesagt: Du hast dich den Wählern gestellt, respektiere das und bleibe der, der du bist, setze dich nie über andere, wir sind eine Arbeiterfamilie. Du bist da, um das Volk zu vertreten, das Volk ist nicht für dich da.

Aachner Zeitung: Sie waren bis 2004 ehrenamtlicher Bürgermeister und wurden 2004 Außenminister, ohne Zweifel eine ungewöhnliche Karriere, obwohl Sie schon im Parlament waren. Außenminister kann man nicht lernen. Sie sind ein exzellentes Beispiel dafür.

Jean Asselborn: Nein, lernen wie einen Beruf kann man das nicht. Aber ohne das Jura-Studium hätte ich das nicht bewältigt. Ich sage Ihnen, wie das funktioniert hat: Ich war Bürgermeister, ich war Fraktionspräsident und Parteipräsident. Dann kam ich am 1. August ins Außenministerium und schon wenige Monate später, im Januar, hatte Luxemburg die EU-Präsidentschaft.

Aachner Zeitung: Der Sprung ins kalte Wasser!

Jean Asselborn: Das kann man so sagen. Am 3. August 2004 klingelte das Telefon und der amerikanische Außenminister Collin Powell war am Apparat, abends um sechs Uhr. Er wusste, dass ich der Mann war, der in den kommenden sechs Monaten ab Januar außenpolitisch in der EU die Sache zu koordinieren hatte. Das war für mich natürlich ein Tapetenwechsel. Zwei Frauen haben mich hier geprägt, die eine ist heute Botschafterin in New York, die andere in Berlin, beide waren politische Direktorinnen. Die haben zu mir gesagt: Jetzt gehst du nach New York zur UNO-Generalversammlung, und da siehst du 30 Außenminister, und bei jedem von ihnen musst du lernen, was du ihm zu sagen hast. Und da haben sie mir ein paar Dossiers gegeben, und dann habe ich angefangen. Ich habe mich intensiv eingearbeitet. Einer der ersten Außenminister, die ich getroffen habe, war Joschka Fischer.

Aachner Zeitung: Wie war Ihr spontaner Eindruck?

Jean Asselborn: Der hat auf mich nicht den arroganten Eindruck gemacht, der ihm nachgesagt wurde. Ich habe bis heute ein ausgezeichnetes Verhältnis zu ihm. Nun denn: Wenn man 23 Jahre Bürgermeister und 20 Jahre im Parlament und jeweils sieben Jahre Parteipräsident und Fraktionsvorsitzender war, dann tut es gut, wenn man etwas Anderes machen kann. Und das hat den Anreiz gegeben, mich da hinein zu knien. Im Juli 2005 nach der EU-Präsidentschaft kannte ich über 100 Außenminister der Welt persönlich. Ich bin heute der dienstälteste EU-Außenminister, nachdem mein Freund Miguel Angel Moratinos nicht mehr im Amt ist.

Aachner Zeitung: Hat ein Kollege Sie besonders geprägt, beeindruckt?

Jean Asselborn: Mit geprägt haben mich am Anfang Joschka Fischer und der britische Außenminister Jack Straw. Wir haben dann ab 2005 einen Qualilätssprung gemacht mit Frank-Walter Steinmeier. Ich schätze ihn sehr als Politiker, Mensch und Freund.

Aachner Zeitung: Sie haben das Theatralische auf der EU-Bühne erwähnt. Ist das nicht das Normale?

Jean Asselborn: Auf keinen Fall. Es gibt viele fleißige, bescheidene Persönlichkeiten. Natürlich gibt es das Theatralische, die Showeffekte.

Aachner Zeitung: Zum Beispiel?

Jean Asselborn: Manchmal hat man das Gefühl, dass Frankreich und Deutschland ein Problem schaffen, sich dann in Brüssel küssen und erklären: Wenn wir dieses Problem gelöst haben, haben wir Europa weiter gebracht. Diese Verzerrung kann einein schon auf den Wecker gehen.

Aachner Zeitung: Was sagen Sie zu Belgien?

Jean Asselborn: Das Gefährliche an der Situation in Belgien ist, dass Neuwahlen die Zersplitterung des Landes noch fördern würden. Eine Teilung des Landes ist kaum auszudenken: Was macht man mit Brüssel? Wo siedelt man die europäische Hauptstadt an? In einer Zeit, in der von Brüssel aus jeden Tag Integration propagiert wird, würde ausgerechnet in Brüssel genau das Gegenteil realisiert.

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