Jean Asselborn au sujet de la réforme du pacte de stabilité et d'une éventuelle modification du traité de l'Union européenne

Dirk Müller: Herr Asselborn, hat die Kanzlerin sich von Nicolas Sarkozy über den Tisch ziehen lassen?

Jean Asselborn: Wissen Sie, das Gehabe in Deauville hat die ganze Sache schon ein wenig vergiftet, denn anstatt von der Substanz zu reden, reden wir über Verfassungsänderung, reden wir über Entzug des Stimmrechts. Ich glaube nicht, dass der Bürger sich da noch zurückfindet.

Dirk Müller: Aber Vertragsänderungen, hat das nichts mit Substanz zu tun?

Jean Asselborn: Doch! Aber wir müssen vielleicht, Herr Müller, schauen, um den Durchblick zu behalten und zu wissen was auf dem Tisch liegt, auch für den Europäischen Rat. Es sind ja die 27, diese Task Force von Herman van Rompuy, die gearbeitet haben von Mai bis Oktober, in fünf Monaten, und haben einen Text vorgelegt, der von 27 getragen wird. Auch wenn es stimmt, was Jean-Claude Juncker gesagt hat, dass der Teufel im Detail liegt. Dann haben wir von der Kommission auch einen Vorschlag. Das ist eine legislative Basis mit sechs Vorlagen. Und dann eben dieses Deauville, wo man vor allem ja gehört hat, eine Verfassungsänderung müsse kommen, Stimmrechtsentzug müsse kommen und – davon wird nicht viel geredet, aber das stimmt – der Europäische Rat soll zu einer Super-Eurogruppe werden. Davon hat Herr Präsident Sarkozy schon zwei Jahre geträumt, das soll er bekommen. Darum ist die Debatte – das ist meine größte Kritik – verzerrt, weil man als Ziel auf jeden Fall eine Vertragsveränderung hat. Und warum braucht man die? … weil Deutschland, auch Frankreich zusammen das brauchen. Stimmrechtsentzug braucht man auch, das ist psychologisch wichtig, und dann soll das laufen.

Dirk Müller: Das habe ich jetzt ehrlich gesagt noch nicht ganz verstanden, Herr Asselborn. Ihre Kritik richtet sich an diese Basta-Attitüde, die es gegeben hat, von Deauville. Das sagen Sie zumindest, aber im Grunde unterminiert es die Konsenssuche der Europäischen Union. Habe ich das so richtig verstanden?

Jean Asselborn: Ja. Noch einmal: Die Kritik, meine Kritik ist, dass es ja nicht sein kann, dass Vertragsänderung, dass das das eigentliche Ziel sein soll. Die Deutschen und die Franzosen verbünden sich und sagen ganz klar: "Wissen Sie, wir beiden Länder garantieren 50 Prozent dieses 750-Milliarden-Paketes…"

Dirk Müller: Was ja auch stimmt!

Jean Asselborn: Was stimmt, okay. – "Wenn ihr den Vertrag nicht ändern wollt, wie wir das wollen, werden wir nach 2013 nicht mehr zur Verfügung stehen, um den Euro zu stützen, mit allen Konsequenzen für die Europäische Union". Wenn man mit dieser Keule vorgeht – das ist, glaube ich, auch im Geist der Europäischen Union für mich jedenfalls das Problem – dann sind alle Länder, die Probleme haben, wie Portugal, Griechenland, Irland und so weiter, sehr, sehr stark unter Druck. Und was den Stimmrechtsentzug angeht, gut, da sind wir ja wieder im Zensus-Wahlrecht des 19. Jahrhunderts. Da straft man ja Staaten, da straft man Völker, da erniedrigt man sie. Dass man das durchpeitschen soll – und das ist ja der Punkt – ohne vorher auch irgendwie festgehalten zu haben, ob man das überhaupt braucht! Dann soll man die Verträge noch ändern, muss man auf den Weg der Sanktionen gehen, diese Debatte wurde überhaupt nicht geführt.

Dirk Müller: Herr Asselborn, um Sie hier noch mal zu unterbrechen. Man kann dann aus Ihrer Sicht sagen, unter Gerhard Schröder war es einfacher als unter Angela Merkel?

Jean Asselborn: Wissen Sie, so reduzieren kann man das Ganze nicht. Aber um zur Sache zurückzukommen: Wissen Sie, gestern Abend hat Herman van Rompuy, der sich wirklich viel Mühe gegeben hat, die 27 um einen Tisch zu bekommen, sowie sogar Barroso, der Kommissionspräsident, haben gesagt, dass der Lösungsansatz ja sein könnte, erstens mal zu fragen: Man braucht einen ständigen Mechanismus. Man muss diesen verankern nach 2013. Damit ist jeder einverstanden. Ob man die Verträge ändern muss, um eine stabile Basis zu haben, dies ist nicht ausgearbeitet worden. Das versteht der Bürger ja nicht, dass man jetzt die Verträge wieder ändern soll. Wenn man sich noch erinnert, an all das, was alles im letzten Jahrzehnt damit in Europa los war! Und jetzt wird die Debatte wieder losgetreten, nur weil ein oder zwei Länder das wollen. Wenn man dann zur Schlussfolgerung kommt, ja, man muss minimal in den Vertrag etwas einbringen, gut, dann muss man auch vorerst mit dem Europäischen Parlament in die Debatte hineinkommen. Man könnte vielleicht, Herr Müller, dann mit einer vereinfachten Prozedur, nachdem man das herausgeschält hat, die Sache lösen.

Dirk Müller: Jetzt wollen wir doch noch mal auf den Punkt kommen, Herr Asselborn. Sie fühlen sich von Berlin und Paris überrumpelt?

Jean Asselborn: Ja. Ich glaube, der europäische Geist, der funktioniert ja nicht, wenn man das so sagen darf, mit einem Zweitaktmotor. Ich bin noch immer überzeugt, dass das, was in Deauville verkündet wurde – es ist ja manchmal, oder oft, so, dass wenn Deutschland und Frankreich auf einer Linie sind, dass das der ganzen Europäischen Union hilft.

Dirk Müller: Aber jetzt hat der Außenminister, wenn ich Sie noch mal unterbrechen darf, Herr Asselborn, Guido Westerwelle, ja gesagt, das ist alles viel zu wenig, was Sarkozy und Merkel in Deauville beschlossen haben. Er will ja noch härtere Mechanismen.

Jean Asselborn: Ich glaube, das hat sich bezogen auf die Automatizität.

Dirk Müller: Auf die Automatizität, genau!

Jean Asselborn: Ja. Ich glaube, hier sind wir darüber hinaus, und ich habe auch gestern Guido Westerwelle klar meine Meinung gesagt. Ich habe ihm ganz klar gesagt, dass man diese Debatte wirklich vergiftet in der Europäischen Union. Weil man sagt, okay, Frankreich, was braucht Frankreich? Frankreich will die Automatizität verhindern. In den letzten zehn Jahren hat Frankreich immer um drei Prozent Defizite gemacht und sie wollen in Zukunft das auch beibehalten. Die qualifizierte Mehrheit? Wissen Sie, große Länder wie die Franzosen können besser damit umgehen als kleinere Länder. Und Deutschland sagt, innenpolitisch brauche ich, weil ich das Verfassungsgericht im Nacken habe, diese Verfassungsänderung. Ja wissen Sie, die Holländer haben den Binnenhof, die Briten haben eine Königin, jedes Land hat Hürden zu nehmen. Deutschland exportiert – das muss man immer wissen – 800 Milliarden im Jahr. Davon gehen 50 Prozent in die Europäische Union. Das wäre nie möglich ohne Europäische Union, ohne Euro, ohne Binnenmarkt. Man muss ja wissen, dass man in dieser Union, glaube ich jedenfalls, nicht mit der Keule vorgehen kann und sagen kann, gut, wir sind jetzt so stark, das ist jetzt unsere Meinung und diese Meinung müssen wir durchsetzen. Ich sage Ihnen nur, dass wir eine sehr, sehr schwierige Debatte in Europa bekommen, wenn wir ohne wirklichen Grund und das explizit auch mit dem Europaparlament – ich sage es noch einmal – geklärt zu haben. Wenn wir uns wieder in eine Vertragsdebatte steigern und dann auch vor allem mit diesem Stimmrechtsentzug, ist das erniedrigend. Das zeigt sich gegen Europa und das wird sich auch gegen die zeigen, die das verlangen.

Dirk Müller: Herr Asselborn, Sie sind ja mächtig verärgert. Werden Sie jetzt und viele andere kleine Länder auch am Donnerstag blockieren gegenüber Angela Merkel und Nicolas Sarkozy?

Jean Asselborn: Nein! Ich bin eigentlich nicht verärgert. Das ist eine sehr interessante Debatte und ich glaube, man muss jetzt zu diesem Zeitpunkt vor dem Europäischen Rat seine Meinung sagen können. Wir sind gestern im allgemeinen Rat zusammen gewesen mit Herman van Rompuy. Ich hätte unterschreiben können, was er gesagt hat. Er hat auch ganz klar zum Ausdruck gebracht, dass er überrascht war von dieser theatralischen Aufführung in Deauville. Das ist etwas, was eigentlich die Ruhe genommen hat, die Unaufgeregtheit, mit der die 27 Finanzminister diese Task Force präpariert haben und wo auch um den Tisch zu 27 ein Konsens herauskam. Und die Debatte lief nicht in Richtung "Verfassungsänderung auf jeden Fall" und auch nicht in Richtung "Entzug des Stimmrechts", das war nicht der Hauptpunkt davon.

Dirk Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

Jean Asselborn: Bitte, Herr Müller.

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