Jean-Claude Juncker au sujet du Conseil européen et de la réforme du pacte de stabilité

Luxemburger Wort: Herr Staatsminister, wird es mit Ihnen auf dem Brüsseler Gipfel die von Deutschland und Frankreich in Deauville geforderte EU-Vertragsänderung in Sachen Stabilitätspakt geben?

Jean-Claude Juncker: Wir haben als Luxemburg grundsätzlich ein überragendes Interesse daran, dass der Euro so stabil wie nur irgend möglich bleibt. Ich hätte mir deshalb bei der Reform des Stabilitätspakts, die von der Van-Rompuy-Taskforce vorbereitet worden ist, nicht nur zusätzliche Beißzähne, sondern ein richtiges Stabilitätsgebiss gewünscht. Dies hätte allerdings ein Mehr an Automatismus bei den jeweiligen Maßnahmen erfordert. Und zwar nicht dergestalt, dass die Europäische Kommission alleine zuständig gewesen wäre, um Verfehlungsprozeduren einzuleiten, sondern dass der politische Ermessensspielraum kleiner gehalten wäre. Dieser Ermessensspielraum ist jetzt relativ groß, weil der Rat mit qualifizierter Mehrheit einen Verstoß gegen die Regeln des Stabilitätspakts feststellen muss. Ich hätte mir gewünscht, wir würden dies mit umgedrehter qualifizierter Mehrheit feststellen.

Luxemburger Wort: Das heißt...

Jean-Claude Juncker: Das heißt, dass man bei einem Vorschlag der Kommission in Sachen Regelverstoß eines Mitgliedstaats eine qualifizierte Mehrheit im Rat gebraucht hätte, um diesen Vorschlag abzulehnen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist eine qualifizierte Mehrheit für den Kommissionsvorschlag erforderlich.

Luxemburger Wort: Gibt es denn noch Spielraum?

Jean-Claude Juncker: Mir scheint es relativ unrealistisch, diesen Teil des Van-Rompuy-Pakets wieder zu öffnen. Aber wir müssen dennoch in Brüssel die Frage aufwerfen, ob es nicht doch einer strammeren politischen Bewertung bedarf. Eine solche Bewertung darf nicht auf politischen Opportunitäten, sondern sie muss auf sachlichen Erwägungen beruhen.

Luxemburger Wort: Und wie ist Ihre Position in Sachen dauerhafter Krisenmechanismus?

Jean-Claude Juncker: Wir brauchen einen solch dauerhaften oder permanenten Krisenmechanismus. Wir können nämlich den von uns errichteten Mechanismus für Griechenland nicht über das Jahr 2013 hinaus aufrechterhalten. Sollte ein solcher Mechanismus eine Vertragsänderung benötigen, dann befürwortet Luxemburg eine solche. Aber eine solche Abänderung des Vertrags von Lissabon muss sich exklusiv auf die Eurozone beziehen. Und sie muss so light wie möglich sein, damit wir so wenig Ratifizierungsprobleme wie möglich bekommen.

Luxemburger Wort: Und was halten Sie vom deutsch-französischen Vorschlag eines Stimmentzugs bei Nichteinhaltung des Stabilitätspakts?

Jean-Claude Juncker: Wir lehnen einen Entzug von Stimmrechten bei anhaltenden Verfehlungen gegen den Stabilitätspakt strikt ab! Der von Deutschland und Frankreich eingebrachte Vorschlag ist keine zielführende Idee. Ich finde diesen Gedanken übrigens relativ abstrus. Zurzeit können Stimmrechte nur nach Artikel 7 des Vertrags entzogen werden. Hier kann der Rat Stimmrechte entziehen, wenn ein Land in gröbster Weise gegen Menschenrechte verstößt. Würden wir jetzt hinzufügen, dass auch ein Land Stimmrechte verliert, wenn es gegen Regeln eines Stabilitätspakts verstößt, so wäre dies politisch und auch moralisch nicht nachzuvollziehen.

Luxemburger Wort: Wie sehen Sie denn die Automatismusfrage beim Stabilitätspakt? Und wieso war die von Ihnen geforderte umgedrehte qualifizierte Mehrheit nicht erreichbar?

Jean-Claude Juncker: Hier herrscht große Konfusion. Der Automatismus des Stabilitätspakts gehört in die Reform des Pakts selbst. Wir haben bereits schnellere und automatischere Sanktionen erreicht Aber wie gesagt: Der politische Ermessensspielraum bleibt zu groß. Leider war die umgedrehte qualifizierte Mehrheit aber, bedingt durch unüberwindbare Schwierigkeiten zwischen Deutschland und Frankreich, nicht zu erreichen. Die Einrichtung eines dauerhaften Krisenmechanismus steht in keinem direkten Zusammenhang zu den Fragen nach Automatismus und Sanktionen. Einen solchen Krisenmechanismus brauchen wir dringend, wenn ein Staat wieder in die Nähe der Insolvenz kommt.

Luxemburger Wort: Wie könnte ein solcher Mechanismus denn konkret aussehen?

Jean-Claude Juncker: Er soll von der Kommission erdacht und vorgeschlagen werden. Und noch einmal: Sollten wir hierfür eine Vertragsänderung benötigen, müssen wir diese vornehmen. Zwei Artikel stehen hierfür zur Verfügung: Artikel 125 über die sogenannte "No Bailout Clause". Also dass kein Staat einen anderen Staat herauskaufen kann. Ich würde diesen Artikel eher unverändert belassen. Sonst besteht die Gefahr eines sorglosen budgetären Verhaltens. Artikel 122 des Vertrags ist deshalb besser geeignet für die von mir angedachte Vertragsänderung light.

Luxemburger Wort:Wie wäre eine solche Vertragsänderung light vorzunehmen?

Jean-Claude Juncker: Sie könnte an den Beitragsvertrag mit Kroatien angehängt werdea Und noch einmal: Der Krisenmechanismus muss sich auf die Eurozone beschränken. Nicht dass etwa die Briten noch andere Vertragsabänderungswünsche anhängen wollen.

Luxemburger Wort: Was haben Sie eigentlich nach dem Deal von Deauville zwischen Deutschland und Frankreich gedacht?

Jean-Claude Juncker: Absprachen zwischen Deutschland und Frankreich sind nicht ungewöhnlich. Europa hat oft davon profitiert. Aber dass Berlin und Paris durch Zuruf aus Deauville Debatten zwischen 27 Ländern einseitig beeinflussen wollen, halte ich für ein Vorgehen, das Stilfragen aufwirft.

Luxemburger Wort: Ist über Stilfragen hinaus auf dem Gipfel heute und morgen in Brüssel mit Streit in der Sache zu rechnen?

Jean-Claude Juncker: Es ist mit kontroversen punktuellen Debatten zu rechen. Ich denke, dass wir eine Lösung finden werden. Und dass die Reichweite der Vertragsabänderungs-Wunschliste sich auf einen dauerhaften Krisenmechanismus beschränkt. Ich denke, dass die Idee des Stimmentzugs nicht weiterverfolgt wird. Und sollte sie aus optischen Gründen dennoch weiterverfolgt werden, so wird sie zu keinem Resultat führen.

Luxemburger Wort: Haben Sie sich eigentlich von Merkel und Sarkozy übergangen gefühlt? Dies war ja die Leseart einiger Beobachter...

Jean-Claude Juncker: Ich denke, dass Frau Merkel und Herr Sarkozy andere Sorgen haben. Und ich habe ganz andere Sorgen.

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