Jean-Claude Juncker, invité de l'émission "Unter den Linden spezial"

Christoph Minhoff: Herzlich Willkommen liebe Zuschauer zu einer "Unter den Linden" Spezialsendung.

Michael Hirz: Ja, und wenn Sie hinter uns den Blick durch das Brandenburger Tor vermissen, dann liegt das daran, dass wir heute in Luxemburg sind, genauer gesagt, im Amtssitz des luxemburgischen Premierministers Jean-Claude Juncker.

Christoph Minhoff: Ja, und damit herzlich Willkommen, Herr Premierminister.

Jean-Claude Juncker: Hallo.

Christoph Minhoff: Danke, dass Sie so kurz vor Weihnachten uns noch die Möglichkeit geben mit Ihnen zu sprechen.

Jean-Claude Juncker: Das wundert mich selbst.

Michael Hirz: Sie sind ja Chef der Eurogruppe, also der Gruppe der Finanzminister der Euro-Länder innerhalb der EU. In der vergangenen Woche hat ein Gipfel stattgefunden, eine Art Euro-Rettungsgipfel. Ist der Euro jetzt über den Berg, also haben Sie den Eindruck, das ist jetzt gelaufen für den Euro, im positiven Sinne?

Jean-Claude Juncker: Also, ich möchte nicht unser Gespräch anfangen, indem ich sofort widerspreche. Der Euro ist ja nicht in Krise, und der Euro ist auch nicht gefährdet, und ich halte auch das Gerede darüber, ob der Euro jetzt in seiner Existenz bedroht wäre, für wissenschaftlich nicht unterlegtes Geschwätz. Wir haben es mit einer Schuldenkrise in einigen Euro-Ländern und -Staaten zu tun. Darum kümmern wir uns, darum kümmern wir uns auch intensiv.

Und ich denke, dass die Beschlüsse, die wir letzte Woche in Brüssel, anlässlich des von Ihnen als Euro-Gipfel eingestuften Treffens, getroffen haben, in die richtige Richtung gehen. Und ich hoffe sehr, dass die Finanzmärkte sehr wohl zur Kenntnis nehmen, dass die Staats- und Regierungschefs vornehmlich der Eurozone, sehr deutlich zum Ausdruck gebracht haben, dass alles getan werden wird, um uns aus dieser Euroschuldenkrise zu befreien.

Christoph Minhoff: Könnten Sie kurz erklären, was, oder welche Massnahmen jetzt tatsächlich beschlossen wurden, dass man eine Vorstellung hat?

Jean-Claude Juncker: Wir haben einen Euro-Krisenmechanismus beschlossen, der permanenten, andauernden Charakter haben soll. Eigentlich hat der Gipfel dies nicht beschlossen, weil die Finanzminister in der Eurogruppe dies schon am 28. November beschlossen haben. Aber der Gipfel hat sich zu dem, was wir in der Eurogruppe als Grundprinzipien festgelegt haben, nicht durchgerungen, aber diese Beschlusslage übernommen. Damit wird deutlich gemacht, dass wir auch in Zukunft, wenn derartige krisenhafte Ereignisse stattfinden, bereit sind, und einen Instrumentenkasten zur Verfügung haben um derartigen Krisen zu begegnen.

Christoph Minhoff: Und das heisst, ich habe Sie richtig verstanden, Sie sagen, wir haben im Grunde keine Eurokrise, wir haben eine Schuldenkrise. Das würde bedeuten, dass die Massnahmen, die jetzt getroffen sind, eigentlich dann aus Ihrer Sicht auch zunächst einmal ausreichen, auf europäischer Ebene, um den Euro zu stabilisieren?

Jean-Claude Juncker: Also, ich würde mich zu derartigen Behauptungen nie versteigen wollen, würde aber auch nicht gerade das Gegenteil hier zu Protokoll geben. Wir sind so aufgestellt, dass wir, falls es mehr bräuchte, gerüstet sind um mehr zu leisten. Eigentlich gibt es aber keine Ursache, dass wir mehr tun, weil die hochverschuldeten Staaten, die schwächelnden Staaten, Portugal, Irland, Griechenland, dabei sind, sehr zünftige Haushaltskonsolidierungsmassnahmen durchzuführen, mit anhaltendem Effekt; Spanien und Portugal und Griechenland auf dem Weg sind, sehr ernsthaft sich in Sachen Strukturreformen auf den Weg zu machen, um ihr Wachstumspotenzial zu steigern. Man muss ja sehen, dass man durch diese enormen Haushaltskonsolidierungsanstrengungen das Wachstum eher entschleunigt, als beschleunigt in diesen Ländern. Und diese Länder brauchen eine Perspektive, und die Menschen dort auch.

Und deshalb ist Sorge dafür zu tragen, dass wieder Wachstumspotenzial entsteht. Dies erreicht man, a) durch Haushaltskonsolidierung. Wer seinen Haushalt nicht in Ordnung hat, wird nie mehr anständig wachsen. Und b) durch Strukturreformen, die Wachstumskräfte, die jetzt schlummern, die es in diesen Volkswirtschaften gibt, zu dynamisieren.

Michael Hirz: Nun ist es ja so, dass dieser Rettungsschirm, den wir brauchen, und den es ja auch dann nach 2013 noch geben wird, in erster Linie finanziert werden wird durch die grossen Länder, durch die Staatenländer, die leihen einen Teil ihres Vertrauens den schwächeren Ländern, den von Ihnen gerade angesprochenen Ländern wie Griechenland, oder Portugal. Aber ist es nicht ein erster Schritt hin zu dem, was eigentlich im Maastrichtvertrag eben nicht gewollt war, nämlich einem europäischen Finanzausgleich?

Jean-Claude Juncker: Erstens, es sind nicht nur die grossen Länder, die hier [wird unterbrochen]

Michael Hirz: Ja, Luxemburg steht natürlich wunderbar da.

Jean-Claude Juncker: Ja unser Grossherzogtum, wie ich immer wieder unterstreichen muss [wird unterbrochen]

Michael Hirz: Durch den Namen Grossherzogtum, von daher waren Sie automatisch mit bei den Grossen.

Jean-Claude Juncker: Ja, das haben Sie jetzt programatisch angelegt. Nein, alle machen mit, weil es geht ja hier auch um europäische Solidarität, und um Solidität. Man muss dies immer wieder betonen. Manchmal habe ich, auch beim Hineinhören in die deutsche Befindlichkeit, den Eindruck als ginge es hier darum Geld über die Theke, ohne Gegenleistung, zu schieben. Genau das passiert nicht. Solidität ist die Voraussetzung dafür, dass Solidarität geübt werden kann. Und eine Transferunion gibt die aktuelle Beschlusslage nicht her.

Der Vertrag von Maastricht schreibt nirgendwo vor, dass man nicht Garantien und Kredite geben kann. Genau dies tun wir. Ich wäre in allen Fällen gegen eine breit angelegte Transferunion, weil die ginge ja auf Kosten der Solidität derer die eine Sparbringpflicht haben. Und deshalb geht es hier um die adäquate Schnittmenge zwischen Solidarität und Solidität.

Michael Hirz: Aber es wirkt trotzdem auf viele ja so, als sei es so eine Art politisches Soufflé was da präsentiert worden ist, jetzt auch bei dem Gipfel in der vergangenen Woche, also schön anzusehen, vielleicht auch schmackhaft, aber wenig gehaltvoll. Was entgegnen Sie diesem Einwand?

Jean-Claude Juncker: Ich entgegne zuerst, dass ich mir große Sorgen mache über Ihre kulinarischen Kenntnisse, weil zu denken ein Soufflé, nur weil er schön aussieht, würde durch mangelnden Inhalt auffallen, dies ist doch eine kulinarische Beschreibung eines komplizierten Vorganges, der zu simpel ist, um dem Vorgang als solchem gerecht zu werden. Nein, das was wir in Brüssel auf die Wege [wird unterbrochen]

Michael Hirz: Aber die Intention des Bildes haben Sie schon aufgenommen?

Jean-Claude Juncker: Ja, aber wenn mir der Inhalt, der durch ein Bild vermittelt werden soll, nicht passt, dann zerstöre ich bevor ich zum Inhalt komme zuerst einmal das Bild, um mir eine günstige Ausgangslage zu verschaffen.

Nein, was wir beschlossen haben, ist ja zweierlei. Wir haben zuerst eine Vertragsänderung beschlossen, um deutlich zu machen, dass dieser permanente Krisenmechanismus, der ein Stabilitätsmechanismus werden soll, auf einer festen vertraglichen Grundlage fusst. Dies tun wir auch wegen verfassungsrechtlicher Bedenken, die es gäbe, falls es diese juristisch belastbare Basis in den europäischen Verträgen nicht gäbe.

Und dann haben wir den Krisenmechanismus beschrieben in der Gestalt, dass wir auch eine Beteiligung, wenn es um die Lösung der Problemfälle geht, der privaten Investoren anstreben, Privatgläubiger. Aber nicht wie manchmal angedacht, auch wie manchmal in Deutschland angedacht, als ein ex-ante und a priori Prinzip, dergestalt, dass jedes Mal, wenn es um die Lösung einer Schuldenkrise ginge, die Privatinvestoren und Privatanleger mit an Bord sein müssen. Ich bin sehr damit einverstanden, dass Privatgläubiger auch in Pflicht genommen werden. Bei irrationaler Risikoübernahme muss dies, wie ich finde, sein. Aber wenn man dies prinzipiell so formulierte, dann würde dies Investoren eher abhalten in Krisenländern, in hochverschuldeten Ländern zu investieren, als dass es Kapital in diese Länder treiben würde.

Und an diesem Krisenmechanismus werden die Finanzminister der Eurogruppe bis März arbeiten müssen, und bis Juni werden wir den reformierten Stabilitätspakt vorlegen, der ja etwas strenger gefasst werden soll.

Und aus der Kombination von Krisenmechanismusüberlegungen in Richtung Detailfestlegung, und verstärktem Stabilitätspakt ergibt sich eigentlich die Stabilitätsgrundlage für die nächsten Jahre.

Christoph Minhoff: Wir reden viel über Rettungsschirme für Staaten, wir reden viel über Eurokrise. Haben wir nicht in Wirklichkeit das alles einer Bankenkrise zu verdanken? Irland ist ja das beste Beispiel, es ist ja nicht so, als wenn der irische Staat über Jahre über seine Verhältnisse gelebt hätte, sondern er muss in eine Verantwortung mit eintreten, die eigentlich andere eingegangen sind. Wäre es nicht an der Zeit vielleicht eher bei den Banken deutlicher anzusetzen, anstatt immer wieder zu versuchen im Nachhinein defensiv das auszubügeln, was andere angerichten?

Jean-Claude Juncker: Wer davon spricht, dass es je nach Fall zu einer Beteiligung der Privatgläubiger an der Behebung der Probleme kommen muss, der nimmt ja implizit in Kauf, dass Investoren, also auch Banken, Versicherungen und andere mit an Bord sein müssen, wenn es um Endlösungen finanzieller und wirtschaftlicher Natur geht.

Ich bin eigentlich auch, wie Sie, ein bisschen überrascht darüber, dass man so tut, als ob alle Probleme in den Ländern Griechenland, Irland, Spanien, Portugal und andere, dieselbe Ursache hätten. Haben sie nicht. In Irland haben wir es mit dem Platzen einer Immobilienblase zu tun, worauf wir die Irländer auch aufmerksam gemacht hatten in den vergangenen Jahren. In Griechenland haben wir es mit einem Haushaltsproblem zu tun, zurückzuführen auf mangelhaftes Konsolidierungsverhalten, und zurückzuführen auf die Tatsache, dass seit dem Griechenlandbeitritt zur Währungszone, zum Euroraum, die griechische Wettbewerbsfähigkeit sich um 25% abgesenkt hat. Also zwei völlig verschiedenartig gelagerte Problemfälle.

Hinzu kommt, ich behaupte dies, man kann es aber nicht beweisen, aber das Gegenteil kann man mir auch nicht beweisen, also gilt bis auf den Beweis des Gegenteils, das was ich jetzt sage. Hätte es die Finanzkrise in den USA nicht gegeben, zurückzuführen auf das permanente Verletzen der Kardinaltugenden der sozialen Marktwirtschaft, und hätte es nicht das Überspringen dieser Finanzkrise auf die Realökonomie, sowohl in den USA, als auch diesseits des Atlantiks, gegeben, würden wir nicht in dieser Krise stecken, in der wir jetzt stecken. Weil Defizite hatten wir immer in der europäischen Währungszone, zu breite nach meinem Geschmack, hohe Schuldenstände hatten wir immer, zu hohe nach meinem Geschmack. Aber was wir jetzt erleben ist ja, dass diese Defizite, und diese sich nach oben schraubenden Schuldenstände entstehen wegen der Notwendigkeit, die es gab, vor einem Jahr in etwa, das Wegfallen der privaten Nachfrage durch ein Aufstocken der von öffentlichen Haushalten bedienten Nachfrage zu ersetzen.

Was war denn das Stimmungsbild über die letzten anderthalb Jahre betrachtet? Es hat die Finanzkrise gegeben, und das Taumeln der Realökonomie diesseits und jenseits des Atlantiks. Was hat man uns dann gesagt? Man hat uns gesagt, jetzt müsst ihr Konjunkturprogramme machen, damit unser Wirtschaftssystem nicht gänzlich zusammenklappt. Dann haben wir diese Programme auf den Weg gebracht, mussten uns zu dem Zweck – alle Eurostaaten – verschulden, mussten breitere Defizite, Haushaltslücken in Kauf nehmen. Dann hat man uns erklärt, die Auguren dieser Welt: „Achtung, auf Dauer sind diese Schuldenstände, und diese Defizite nicht zu schultern. Das muss in Ordnung gebracht werden. Ihr müsst jetzt konsolidieren.“ Ich teile diese Ansicht im Übrigen. Jetzt sagt man uns: „Achtung, wenn ihr jetzt so toll konsolidiert, dann werdet ihr erleben, dass die Konjunktur, die sich jetzt langsam erholt, sofort wieder zusammenbricht.“

Die Ratingagenturen, die jetzt die Bonität einzelner Eurostaaten nach unten zurückstufen, machen ja darauf aufmerksam, dass es in Irland, dass es in Spanien, dass es in Portugal, dass es in Griechenland nicht Wachstumskräfte genug [wird unterbrochen]

Christoph Minhoff: Dann muss man da doch ansetzen bei diesen Banken, bei diesen Ratingagenturen, bei diesem Verfahren [wird unterbrochen]

Jean-Claude Juncker: Das haben wir ja. Es geht nicht darum, dass wir da ansetzen, wir haben da schon angesetzt, weil wir ja eine europäische Regelung über den Umgang mit Ratingagenturen verabschiedet haben, dadurch dass wir viele Finanzmarktregularien jetzt in Europa auf den Weg gebracht haben. Ich sehe also schon das energische Durchgreifen europäischer Politik in Sachen Finanzmarktregulierung, bis hin zu gemeinsamen Bankenaufsichtsregelungen, teilweise Bankenaufsichtsinstitutionen. Das geht alles in die richtige Richtung. Ich wollte nur das Dilemma der Politik einmal beschreiben.

Man tut das, was eigentlich von der Wissenschaft, von der Publizistik und von der akademischen Welt, von IMF und allen andern empfohlen wird. Und kaum hat man das getan, wird wieder eine neue Wirtschaftstheorie eingeführt, als ob wir vorher nicht gewusst hätten, dass wer Konjunkturprogramme macht auch Schulden macht, als ob wir vorher nicht gewusst hätten, dass diese Schulden auch wieder zurückgeführt werden müssen, als ob wir vorher nicht gewusst hätten, dass die Rückführung der Schulden natürlich wachstumsdämpfende, aber vorübergehend wachstumsdämpfende Gesamteffekte in einigen Ländern der Eurozone zur Folge haben würden.

Michael Hirz: Nun ist es ja so, dass die Eurostaaten ihre Wirtschaftspolitik koordinieren wollen, es soll irgendwie wenn nicht eine einheitliche europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik, aber dann wenigstens eine koordinierte, eine besser koordinierte geben. Ist das denn überhaupt vorstellbar, wenn man die Akteure betrachtet, also mit den sehr unterschiedlichen Interessen von eben Griechenland, Portugal, Spanien bis hin zu Ländern wie Luxemburg, oder Deutschland, oder Frankreich?

Jean-Claude Juncker: Ja, ob das das Bohren dicker Bretter sein wird, weil es nämlich schon das Bohren dicker Bretter ist, das steht außer Frage. Aber wir müssen uns der Grundarchitektur der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion immer wieder neu bewusst werden, um die richtige Antwort auf die von Ihnen gestellte Frage formulieren zu können.

Die Geldpolitik ist einheitlich zentral auf Ebene der unabhängigen Europäischen Zentralbank in Frankfurt organisiert. Die Wirtschaftspolitik aber, das war der deutsche Wunsch bei der Endfassung des Maastrichter Vertrages, bleibt national, sollte nicht infiziert werden durch falsche Wirtschaftspolitiken die in anderen Ländern der Europäischen Union zur Anwendung gelangen.

Und der Kompromiss bestand darin, dass man gesagt hat, wenn es eine einheitliche Geldpolitik gibt, dann müssen wir zumindest die Wirtschaftspolitiken der einzelnen Mitgliedsstaaten der Eurozone koordinieren. Darum bemühen wir uns. Nur mit dem Bemühen allein reicht es nicht, weil die Ergebnisfindung ist mangelhaft, und die ist nicht mangelhaft, weil die Methoden schlecht wären, sondern weil der Wille derer, die jetzt auch sehr lauthals Wirtschaftsregierungsbenehmen anmahnen, so ist, dass sie sich dem eigentlich sehr oft verweigern, wenn man dies in der Eurogruppe versucht. Da gibt es Beispiele zuhauf in allen Amtsprachen der Europäischen Union ausdruckbar. Das hat sich jetzt gewandelt, weil die Regierungen, die Finanzminister vornehmlich, jetzt besser begreifen, wieso es diese Koordinierung braucht, dass jetzt auch inmitten der Krise, oder nahe am Ausgang dieser Krisenperiode, es nicht sein kann, dass die Länder der Eurozone in völlig konträre Richtungen ihre Wirtschaftspolitik sich entwickeln lassen.

Dies heisst nicht, dass überall dieselbe Wirtschaftspolitik gemacht werden muss. Dies heisst nicht, dass jetzt überall genau dieselbe Haushaltspolitik praktiziert werden muss. Aber das was Franzosen, was Deutsche, was Spanier, was Niederländer, was andere tun, muss zusammen passen, es muss ein Gesamtbild, ein Gesamtkunstwerk werden. Und das setzt voraus, dass wir begreifen, stärker als bislang, dass das was das Land A innenpolitisch bewirkt, und auf die Wege bringt, das Land B selbstverständlich impaktiert.

Und bei der Haushaltsvorbereitung für das Jahr 2012 beispielsweise müssen früh im Jahr 2011, in der ersten Jahreshälfte, alle wissen was alle anderen tun, damit man seine eigene nationale Haushalts- und Wirtschaftspolitik so ajustieren kann, dass sie in dieses Gesamtkonzept, zu dem es kommen muss, passen wird. Dies hat nichts damit zu tun, dass die nationalen Parlamente jetzt ihrer Haushaltsrechte beraubt würden. Dies hat einfach damit zu tun [wird unterbrochen]

Christoph Minhoff: Was ja auch aus Verfassungsgründen gar nicht ginge.

Jean-Claude Juncker: Was auch nicht ginge, was auch nicht wünschenswert wäre. Haushaltsrecht ist das erste Recht der Parlamente, und dabei muss es bleiben. Aber die Regierungen müssen ihre Haushaltspolitik im Kreise der Euro-Finanzminister begründen, erklären, und auch in ihren Weiterungen für die nächsten Jahre darstellen können.

Michael Hirz: Aber wenn das funktionieren soll mit einer irgendwie besser koordinierten Politik im Bereich der Haushalte, der Finanzen, dann setzt das ja voraus, dass gerade die Länder des Südens, die mit ihrem Euro da etwas in die Bredouille geraten sind, den Gürtel doch sehr, sehr viel enger schnallen müssen. Man weiss, dass das politisch immer schwer durchsetzbar ist, es hat schon gewaltsame Demonstrationen dagegen gegeben. Glauben Sie daran, dass so ein rigider Haushaltskurs, ein Konsolidierungskurs, dass der eben auch in den Ländern, die besonders betroffen sind, durchhaltbar ist?

Also zum Beispiel Griechenland, nur um auch noch einmal eine Zahl zu nennen, da soll es einen Schuldenstand geben, trotz eben dieses sehr harten Konsolidierungskurses, im Jahre 2013 von 160% des Bruttoinlandprodukts. Selbst wenn eben dieser harte Kurs durchgehalten wird, glauben Sie, das ist überhaupt vermittelbar, und das kann funktionieren?

Jean-Claude Juncker: Wem das vermittelbar sein soll, ist mir nicht ganz klar.

Michael Hirz: Der Bevölkerung.

Jean-Claude Juncker: Der Bevölkerung in Griechenland, oder der Bevölkerung in Deutschland?

Michael Hirz: Möglicherweise beiden.

Jean-Claude Juncker: Denn man muss ja auch den Griechen erklären, dass es eine relativ hohe Schuldenlast für einen, wie es scheint, perfekt funktionierenden deutschen Staat inzwischen gibt. Es nicht ja nicht so, dass die Bundesrepublik schuldenfrei wäre, er erklärt sich allerdings, der hohe Schuldenstand, auch durch die deutsche Wiedervereinigung [wird unterbrochen]

Michael Hirz: Ja, 2 Billionen ist heute der Schuldenstand im Haushalt von Deutschland [wird unterbrochen]

Jean-Claude Juncker: Ja, jeder Deutsche der einen vorsichtigen Blick aus der Wiege wagt, der sieht sich mit einer relativ hohen Schuldenlast konfrontiert, aber noch interkontinental weit von der griechischen Schuldenlast, die auf die Säuglinge im Peloponnes wartet, entfernt.

Es gibt zu dieser Haushaltskonsolidierung, zum Schuldenabbau auf breitester Front keine Alternative. Dies ist mit rigorosen Opfern verbunden, die vor allem, um das einmal salopp zu formulieren, die kleinen Leute trifft. Aber es gibt nun einmal viele kleine Leute in Europa, deshalb muss man auch von denen manchmal reden.

Unabhängig jetzt von der Impaktbildung die durch die Ausläufer der Finanzkrise im griechischen, und anderen Haushalten, beobachtet werden kann, ist hier in Erinnerung zu rufen, dass wer nicht rechtzeitig spart, das Geld das er in der Krise braucht, nicht zur Verfügung hat. Deshalb ist es so unwahrscheinlich wichtig, dass man den präventiven Teil des Stabilitätspaktes stärkt, nämlich dass die Eurogruppe, die Kommission, eingreifen kann, wenn sich die Haushaltslage eines Mitgliedlandes, in dem sie immer noch die Maastricht-Kriterien respektiert, auf Abwegen befindet. Deshalb braucht es auch im präventiven Teil des Paktes automatisch wirkende Sanktionen. Und mir wäre es sehr lieb, wenn alle Regierungen der Eurozone, auch die deutsche und die französische, dies stärker auf ihre Fahne schreiben würden, als dies bislang geschehen ist.

Weil nur wenn wir präventiv wirken, wird es uns auf lange Sicht erspart bleiben, dass wir relativ substantielle Opfer von Menschen in einigen Staaten der Eurozone abverlangen, die nicht viel abzugeben haben, weil sie nämlich nicht viel haben. Aber zu dieser Politik, Politik gibt es keine Alternative. Nur wer konsolidiert, nur wer reformiert, wird die Wachstumskräfte, die es gibt, entsprechend dynamisieren können.

Nun stellt sich die Frage, werden diese Länder diese hohe Schuldenlast – auch durch die Euro-Rettungsschirme abgestützt – jemals wieder zurückbezahlen können? Ich bin da zuversichtlich, dass sie dies schaffen werden, weil die Anstrengungen, die in diesen Staaten unternommen werden, sind ja immens, riesengroß, können wir uns in unseren beruhigten Breitengraden überhaupt nicht vorstellen, dort werden Beamtengehälter gekürzt bis zu 25%, dort wird Mehrwertsteuer, der Normalsatz der Mehrwertsteuer nach oben korrigiert.

Alles Massnahmen also die wachstumsdämpfende Effekte haben, die aber notwendig sind aus Konsolidierungsgründen. Konsolidierung, ich wiederhole mich zum zehnten Mal, ist notwendig, damit überhaupt Wachstum wieder stattfinden kann.

Es gibt ja auch Vorschläge, die gemacht worden sind, wie man die Schuldenlast der hochverschuldeten Staaten nach unten absenken könnte, ohne in eine maximale Transferunion einzutreten, und ohne dass es zu einem einheitlichen Zinssatz in der gesamten Eurozone käme. Und ich hätte gerne, dass diese Vorschläge analytisch gewürdigt werden.

Christoph Minhoff: Das war gerade die Frage, es ist das Stichwort, wenn ich als Privathaushalt überschuldet bin, und ich in der Situation bin, dass bei noch so großer Anstrengung, die Wahrscheinlichkeit, dass ich jemals aus dieser Schuldenspirale rauskomme, sehr gering ist, dann gibt es für mich drei Möglichkeiten. In Deutschland kann man dann entweder Privatinsolvenz anmelden, oder man kann die Gläubiger bitten einen Teil der Schuld zu erlassen, oder man kann versuchen irgendwie andere Umschuldungsmassnahmen vorzunehmen. Wir hören immer, es ist alternativlos, das was geschieht. Wäre es nicht doch eine Alternative zu sagen, ja in Gottes Namen, wenn wir hier einen Staat haben, dem wir Unmögliches aufbürden, den lassen wir dann lieber in die Insolvenz gehen?

Jean-Claude Juncker: Also, ich hielte das für einen Fehler, wenn andere einen Staat in Insolvenz drücken würden. Man muss ja wissen wovon man redet, wenn man durch politischen Beschluss, oder durch eine nicht in den Griff zu kriegende Gesamtlage einen Staat in Insolvenz abstürzt. Das hat es gegeben, aber ich halte dies für einen Vorgang, den wir nicht zum Normalfall sich entwickeln lassen sollten, falls sich ein Land mit grösseren Schwierigkeiten konfrontiert sieht.

In Brüssel haben wir, weil wir die Beschlusslage der Eurogruppe als europäischer Gipfel übernommen haben, ja diese Fallbeispiele durchdekliniert, und wir haben festgelegt was passiert, auch was Gläubigerbeteiligung anbelangt, was Haircut anbelangt, was Umschuldung anbelangt, im Fall wo ein Staat nicht nur illiquide, sondern regelrecht insolvent geworden ist. Und dort stehen Instrumente zur Verfügung, mit unterschiedlicher Intensität angewandt, tragen diese durchaus dazu bei, dass derartige Situationen begradigt werden könnten.

Der Vorschlag den ich gemeinsam mit dem italienischen Finanzminister gemacht habe, Euroanleihen aufzulegen, ist ein anderer Weg, um die Schuldenlast durch Absenkung der Zinsenlast auf den auf Ebene der Eurozone zusammengeführten nationalen Schuldenteil abzusenken. Und dieser Vorschlag, der sich keiner grossen Zustimmung, keiner spontanen Zustimmung erfreut, den wird man weiterhin im Auge behalten müssen, weil er hat Tugendhaftes an sich, was… [wird unterbrochen]

Christoph Minhoff: Wir wollten auch noch darüber reden.

Jean-Claude Juncker: ...nicht jedem so deutlich geworden ist.

Michael Hirz: Sie sind ja Langstreckenläufer, nehme ich an, in der Frage. Aber ich versuche jetzt keine weiteren Bilder mehr, die Sie mir ja doch zerstören. Aber die beschlossenen Massnahmen müssen ja also zur Stabilisierung des Euro, ich sage jetzt nicht zur Rettung, um nicht Ihren Widerspruch dann gleich wieder zu provozieren, aber die beschlossenen [wird unterbrochen]

Jean-Claude Juncker: Das hat mich sehr beeindruckt, das Zurechtrücken Ihrer Bildersprache.

Michael Hirz: Aber die beschlossenen Massnahmen müssen ja auch noch die Hürden nehmen der nationalen Parlamente. Rechnen Sie da eigentlich irgendwo mit grösseren Widerständen?

Jean-Claude Juncker: Die Vertragsänderung meinen Sie?

Michael Hirz: Ja.

Jean-Claude Juncker: Die muss von 27 nationalen Parlamenten ratifiziert werden. Soweit mein Kenntnisstand reicht, ist auch die Notwendigkeit nicht gegeben, weder in Irland noch sonstwo, dass eine Volksbefragung zu dem Thema stattfinden würde, weil es sich nicht um einen Kompetenzübertrag der Nationalstaaten auf die europäische Ebene handelt, sondern um ein Ermächtigungsgesetz für die Nationalstaaten, diesen Krisenmechanismus, der intergouvernemental angelegt ist, auf die Beine zu stellen. Ich gehe davon aus, dass wir diese Vertragsabänderung bis zum 1. Januar 2013 über die 27 parlamentarischen Bühnen gebracht haben werden.

Michael Hirz: Das heisst also, da rechnen Sie nicht mit Schwierigkeiten. Was auffällt, ist so eine gewisse Scheu, wenigstens gilt das für die grossen Länder, bei solch wesentlichen Fragen dann auch die Bevölkerung einzubeziehen, zum Beispiel durch Plebiszite. Wie erklären Sie sich das? Da ist so eine gewisse Zurückhaltung zu spüren. Ist das eine Sorge davor, dass die Politik sich da verselbstständigt hat, und eigentlich eine Politik betreibt, gerade im Hinblick auf Europa, auch auf den Euro, die von der Bevölkerung so in der Mehrheit nicht mitgetragen wird?

Jean-Claude Juncker: In Ihrer Frage stecken und verstecken sich mehrere Fragen. In Deutschland ist ja die historische Erklärung bekannt, wieso und weshalb man sich schwer tut, oder es sich jedenfalls gut überlegt bevor man zu Volksplebisziten schreitet. Ich halte die Erklärung im Übrigen für eine langsam verwelkende, weil man wird nicht immer darauf abstellen können um Volksbefragungen nicht zulassen zu wollen. Aber das ist eine Frage, die die Deutschen betrifft, nicht uns und andere.

Also, es geht ja jetzt konkret darum, dass Artikel 136, der nur die Eurostaaten betrifft, abgeändert werden soll, und wir uns im Rahmen dieses Artikels einen Krisenmechanismus an die Hand geben können. Ob dies eine derartig dramatische Frage wäre, dass sie Volksbefragung unterworfen werden müsste, wage ich zu bezweifeln, weil es ja die Zustimmung der nationalen Parlamente braucht um die Vertragabsänderung vorzunehmen, und weil es den einstimmigen Beschluss der Euromitglieder braucht, um diesen Stabilitäts- und Krisenmechanismus wirken zu lassen, einspringen zu lassen. Insofern scheinen mir diese Entscheidungsabläufe parlamentarisch, demokratisch zur Genüge abgedeckt zu sein.

Michael Hirz: Ja aber vielleicht doch noch einmal dazu. Vielleicht hat es ja auch damit zu tun, dass der Euro ein politisches Projekt war, wie Europa auch teilweise ein politisches Projekt war, eher der Eliten als der Mehrheit der Bevölkerung. Und die Vertrauensbildung hat ja auch gerade im Hinblick auf den Euro eigentlich nicht wirklich funktioniert. Man hat am Anfang gesagt, man hat eine rigide Stabilitätspolitik, die man beherzigt. Es ist dauernd gegen die Stabilitätskriterien verstossen worden in den 10 Jahren, in denen wir jetzt den Euro haben, ohne dass ein einziges Mal Strafzahlungen fällig geworden sind. Das ist ja auch keine Vertrauensbildung, die da stattgefunden hat.

Jean-Claude Juncker: Also, ich wäre da in meinem Urteil etwas abgewogener als Sie mir jetzt den Eindruck gegeben haben sein zu wollen. Weil es gibt Länder, die haben den Stabilitätspakt nie verletzt. Sie reden mit dem Ministerpräsidenten eines Landes, das noch nie gegen den Maastrichter Vertrag verstossen hat [wird unterbrochen]

Michael Hirz: Darum reden wir ja auch besonders gerne mit Ihnen, weil sie so ein Musterbild sind.

Jean-Claude Juncker: Deshalb wundert mich ja auch sehr, dass ich jetzt in der überregionalen deutschen Presse, und in Teilen der parlamentarischen Landschaft in Berlin behandelt werde, als jemand der jetzt endgültig aus dem Stabilitätslager ausgebrochen wäre. Ich würde mich um mehrere Mitbrüder in meiner kleinen Zelle freuen. Also wenn es ein Land gibt, das intensivst für stabile Verhältnisse plädiert, dann ist es Luxemburg, weil kleine Länder brauchen die Stabilität, die eigene Stabilität und die Stabilität der sie umgebenden grösseren Länder in einem besonderen Masse.

Michael Hirz: Aber dann sind Sie ja der einzige Musterknabe.

Jean-Claude Juncker: Ja, das wollte ich ja von Ihnen hören.

Michael Hirz: Endlich einmal eine Vorlage die funktioniert.

Jean-Claude Juncker: Der Stabilitätspakt wurde auch nicht von allen dauernd verletzt. Deutschland und Frankreich haben 2003 einen Sündenfall begangen, der nicht bestraft wurde. Und wir haben den Stabilitätspakt geändert, reformiert im März 2005 unter meinem Vorsitz, weil Luxemburg im Vorsitz der Europäischen Union war, indem wir versucht haben, dem Stabilitätspakt einen Bypass der Art zu geben, dass wenn es zu Konjunktureinbrüchen kommt, und wenn wir in Rezession sind, dass man dann vorübergehend die 3% Marke bei der Defizitbildung, und die 60% Marke bei der Schuldenbildung verlassen kann. Hätten wir dies nicht getan, weil ich dauernd höre, auch in parlamentarischen Debatten in Deutschland, der Stabilitätspakt wurde ja aufgeweicht. Hätten wir dies nicht getan, würden jetzt alle Länder, mit Ausnahme Luxemburgs, Strafe zahlen. Mitten in der Konjunkturkrise, mitten in der Rezession, hätte die strengste aller denkbaren Auslegung der Haushaltsregelung dazu geführt, dass die Finanzprobleme, und die Defizitprobleme, und die Schuldenprobleme aller Länder, mit der einen Ausnahme die Sie zurecht erwähnt haben, wesentlich schwieriger wäre.

Was hat der Euro gebracht? Und ich mache der Politik, ergo auch mir selbst, den Vorwurf, dass wir unfähig sind, die Vorteile des Euros immer wieder zu erklären. Was hat er gebracht? Er hat uns maximale Stabilität gebracht. Man muss den deutschen Freunden sagen, dass der Euro in den 10 Jahren seines Bestehens stabiler war als die Deutsche Mark dies historisch war. Seit über 10 Jahren haben wir Inflationsstände unter 2% in der Eurozone. 1,97% Inflation seit 10 Jahren. Das heisst, die interne Geldwertstabilität ist bemerkenswert gross gewesen. Der Euro ist ja auch nicht fragil geworden. Wechselkurse sind immer volatil.

Wir leben in einem System floatender Währungen, aber der Euro ist doch bei all dem Gerede über Eurokrise, bei all der Spekulation ob die Eurozone noch in ihrem Erhalt gesichert wäre, bei allen Mutmassungen darüber ob man die Zone nicht in zwei, drei, vier, fünf Teile legen sollte, bei allen Verdächtigungen darüber, dass es einige Länder gäbe die am liebsten dem Euroraum entschlüpfen würden, und dass es andere Länder geben würde, die man eigentlich rausschmeissen müsste, ist es doch in hohem Masse erstaunlich, dass der Euro, von dem man sagt, er wäre in Krise, heute die stabilste Währung weltweit ist. Und unsere Fundamentaldaten, davon redet man ja nie, sind ja auch wesentlich besser, als die der Amerikaner.

Michael Hirz: Hätten wir die Stabilitätskriterien so gar nicht gebraucht, war das viel zu streng gedacht, und dann eben locker umgesetzt und gedacht es geht eigentlich auch so?

Jean-Claude Juncker: Als jemand, der ein Mal im Monat mit den Kollegen Finanzminister in der Eurogruppe zusammensitzt, weiss ich, dass wenn es diese Regel nicht gäbe, wenn es dieses sich gegenseitig Beobachten nicht gäbe, wenn es dieses sich auf die Finger klopfen lassen müssen, nicht gäbe, dann hätten wir Haushaltslagen und Schuldenstände in der Eurozone, die wesentlich höher wären, als das, was wir jetzt haben. Die Eurogruppensitzungen werden ja nicht direkt im Fernsehen übertragen. Ich bin ja nicht Geissler in Stuttgart, sondern Juncker in Brüssel, wenn ich die Eurogruppe leite.

Christoph Minhoff: Ist das ein Angebot?

Jean-Claude Juncker: Nein, nein, also bitte nicht!

Da geht es zur Sache, und es geht jetzt stärker zur Sache als vor der Krise, weil dort alle begriffen haben, dass man jemanden, der aus der Reihe tanzt, nicht aus der Reihe tanzen lassen darf.

Wir haben eine einheitliche Geldpolitik, und eine dezentralisierte Wirtschaftspolitik, die unter Koordinationszwang steht. Wir haben aber keine zentrale Regierung. Auch wenn man eine Wirtschaftsregierung hat, oder hätte, wäre das ja nichts anderes als dass man zusätzliche Regeln kriegen würden, kriegen wir auch. Aber wer keine Regierung hat, wer aber eine unabhängige Währungsbehörde hat, der muss sich ein Regelwerk an die Hand geben, das einzuhalten ist. Und dieses Regelwerk ersetzt eigentlich diese europäische Regierung, die es nicht gibt.

Christoph Minhoff: Die Sorge ist ja, dass, oder das ist die Sorge, die es in Deutschland gibt, dass eben genau bestimmte Regeln immer nicht eingehalten werden, und man schaut da gerne auch auf andere, selten auf sich selber. Eine große Sorge ist beispielsweise auch gewesen im Zusammenhang mit dem Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank, weil man in Deutschland die Befürchtung hat, das ist im Grunde auch nichts anderes, als wenn man Geld druckt, letztendlich eine Vermehrung von Kapital, das eigentlich nicht vorhanden ist. Ist das eine völlig falsche Beschreibung?

Jean-Claude Juncker: Zu den Regeln der Ordnung, die es innerhalb der Währungsunion geben muss, gehört auch, dass Finanzminister, und vor allem der Chef der Eurogruppe, sich öffentlich nicht zu den Entscheidungen der unabhängig wirkenden Zentralbank äussert. Und das ist mir ernsthaft gemeint. Wenn jeder Finanzminister jetzt die Politik der Europäischen Zentralbank, die diese in völliger Unabhängigkeit festlegt, divergierend kommentiert, dann tut dies weder der Europäischen Zentralbank, noch dem Bild, das die Eurozone weltweit gibt, gut.

Unter dieser Vorbemerkung würde ich gerne sagen wollen, dass das was die Europäische Zentralbank tut, in meinen Augen, wäre ich Zentralbanker, das einzig Richtige ist, was man zurzeit tun kann. Und diese relativ beschränkten Ankäufe, 73 Milliarden Euro bis heute, stehen ja in keinem Vergleich zu dem was die amerikanische Zentralbank beispielsweise tut, die wirklich echt Geld druckt, das tut die Europäische Zentralbank nicht, weil auch der EZB-Präsident Trichet glaubhaft zum Ausdruck bringt, dass diese Liquidität dem Markt wieder durch adäquate Kanäle entzogen würde. Aber ich halte die Politik der Europäischen Zentralbank in dieser kritischen Phase der europäischen Einigung, und in diesem Moment der weltweit spürbaren Konjunkturverwerfungen für eine in hohem Maße begrüssenswerte.

Michael Hirz: Sie sind ja Chef der Eurogruppe, ich habe das ja ganz am Anfang schon einmal erwähnt. Sie haben immer eine bedeutende Rolle gespielt als Vorsitzender dieser Eurogruppe. Jetzt gibt es ja in letzter Zeit so einen Schulterschluss, einen fast überraschenden Schulterschluss zwischen Deutschland und Frankreich, auch in der Frage der Wahrung des Euro, auch in der Frage der Eurobonds. Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Rolle da gemindert worden ist von den Akteuren in Paris und in Berlin?

Jean-Claude Juncker: Es ist ja nicht zum ersten Mal, dass es zu einem deutsch-französischen Schulterschluss in Sachen Euro und Eurostabilitätspakt kommt. Beiden haben ja auch gemeinsam 2003 straffrei gegen den Stabilitätspakt verstossen, insofern [wird unterbrochen]

Michael Hirz: Aus nationalem, aus egoistischem Interesse?

Jean-Claude Juncker: Insofern ist das traditionell schon gut begründet. Dass Deutschland und Frankreich auch in Eurofragen immer wieder versuchen zusammenzufinden, ist etwas was ich sehr begrüße.

Die Tatsache, dass die deutsch-französische Freundschaft zu einem Teil der Staatsraison, sowohl in Paris, als auch in Berlin geworden ist, ist ein Vorgang über den man sich ja nicht beklagen sollte. Daraus einen absoluten Führungsanspruch abzuleiten, wäre auch nicht statthaft, und findet in der Form eigentlich auch nicht statt, obwohl manche Zungenschläge manchmal vermuten lassen, dass nach einer deutsch-französischen Einigung eigentlich alle anderen zur Kenntnis zu nehmen hätten, sie hätten sich mit geeinigt. So ist es nicht, und so ist es auch noch nie gewesen.

Nein, ich fühle mich dadurch nicht bedroht. Ich fände es auch ziemlich beeindruckend, wenn jetzt der luxemburgische Premierminister sagen würde, ich fühle mich von Frau Merkel und Herr Sarkozy bedroht, weil sie einer Meinung sind. Europa geht es schlechter, wenn die beiden nicht einer Meinung sind. Das sind sie schon öfter gewesen, dann hatten andere dafür sorgen müssen, dass sie wieder zusammengefunden haben, und [wird unterbrochen]

Michael Hirz: Aber das Krisenmanagement war ja eigentlich nicht schlecht, wenn Sie das übernommen haben. Jetzt haben sich die beiden Grossen verbündet. Was heisst das denn dann für die Kleineren, selbst wenn es sich so um Musterknaben handelt wie Luxemburg?

Jean-Claude Juncker: Wir sind nicht Musterknaben, wir sind erdgebundene Menschen. Das reicht um durch die Irrungen und Wirrungen der Zeit zu kommen.

Deutsche und Franzosen wissen, dass es immer wieder notwendig ist, dass sie unterschiedliche Standpunkte, die sie ja auch offen austragen, und dadurch sehr oft zu Verstimmungen führen, auch an den Finanzmärkten, diese begradigen müssen, damit wir in Europa zu einhelligen Beschlüssen kommen. Aber die deutsch-französischen Vorschläge, auch die, die in Deauville gemacht wurden, die haben ja so in der Form nicht Eingang gefunden in die Beschlussmasse, die wir in der Eurozone und in der Europäischen Union vorliegen haben. Insofern sind diese deutsch-französischen Anstösse wertvoll, aber sie sind nicht mit Kadavergehorsam von den andern umzusetzen. Das möchte auch die Bundeskanzlerin erklärtermassen nicht.

Christoph Minhoff: Wie sehen Sie denn die Rolle der Bundeskanzlerin in diesem Europa, in Europa einer Krise? Ist sie Ihnen zu wenig visionär, wie das in Deutschland beschrieben wird, dass es in Europa kritisiert würde, dass Deutschland sozusagen zu sehr auf nationale Interessen schaut, und zu wenig auf die Vision Europa?

Jean-Claude Juncker: Grundsätzlich ist es so, wenn man einen zu intensiven Blick auf die innenpolitische Agenda wirft, dann verblättert man sich im europäischen Logbuch, und findet sich im europäischen Atlas nicht richtig zurecht. Dies gilt nicht nur für Deutschland, dies gilt für alle. Es ist nicht unstatthaft in Europa, und auch im Währungseuropa nationale Interessen, gutbegründete nationale Interessen auch offensiv, im Widerstreit mit den Meinungen anderer Staaten zu vertreten. Wieso sollte man dies verbieten? Wir leben in einer Demokratie. Und so wie im deutschen Parlament über den richtigen Weg bei der Haushaltskonsolidierung gestritten wird, so muss auch zwischen den Regierungen in der Eurozone über die richtigen Wege gestritten werden können, ohne dass dies immer eine überdramatische Aussendarstellung kriegt.

Christoph Minhoff: Es brennen deutsche Fahnen in Griechenland, es wird den Deutschen vorgeworfen, sie würden sich zu schulmeisterisch aufführen, sie wollten nur ihre Interessen durchsetzen, und dabei das, was früher deutsche Europapolitik vielleicht ausgezeichnet hat, lieber fünfe gerade sein lassen, aber dafür Europa nach vorne bringen.

Jean-Claude Juncker: Ja, also, weil ich das ja alles erlebt habe, auch Helmut Kohl hat deutsche Interesse manchmal sehr breitbeinig vertreten. Er hat aber auch manchmal, trotz deutscher Interessenlage, europäischen Lösungen zugestimmt, in der Hoffnung, dass er die Deutschen später davon überzeugen würde, dass dies auch im deutschen Interesse gewesen wäre.

Nein, ich mache da Frau Merkel keine besonderen Vorwürfe, darf mir dann aber auch das Recht anmassen, mit Frau Merkel, mit Herrn Sarkozy, mit anderen Regierungschefs über den richtigen Weg zu streiten, ohne dass man mir dann jetzt, und ohne dass man mir erklärt, ich wäre jetzt auf der schiefen Bahn, ich würde jetzt deutsche Interessen zur Disposition stellen, ich hätte gerne, dass die Deutschen für den Rest der Eurozone alle Schulden übernehmen würden. Zur Demokratie gehört auch der Verzicht auf vereinfachte Darstellungen des komplizierten Denkens anderer.

Michael Hirz: Gut, aber zum Schluss, einfach weil die Zeit auch drängt, trotzdem irgendwie die Bitte auf eine komplizierte kurze Frage, eine kurze Antwort zu geben. In 10 Jahren, wenn Sie einmal nach vorne kucken, wo steht dann Europa, und wo steht der Euro? Gibt es den Euro noch, und was ist mit Europa?

Jean-Claude Juncker: Es wird den Euro immer noch geben, und es werden mehr Länder in der Eurozone anzutreffen sein, als dies heute der Fall ist. Und der Euro wird so stabil geblieben sein, wie die Deutsche Mark war.

Europa selbst wird in 10 Jahren festgefügter sein, als es heute ist.

Ich bin absolut davon überzeugt, dass zu den Lehren, die wir nach der Krise ruhigen Blutes, heiter und gelassen ziehen werden, auch gehört, dass alle gemerkt haben werden, dass es, obwohl es grössere Länder gibt als andere, kein Land in Europa gross genug ist, um alleine, auf sich selbst gestellt, solo und im Alleingang sich mit den Konsequenzen derartig gravierender Vorgänge auseinanderzusetzen, wie die, die wir zurzeit durchleben.

Und es wird sich die Erkenntnis durchgesetzt haben, dass wir Europäer zusammenrücken müssen, und zusammenstehen müssen, aus der einfachen Tatsache abgeleitet, und dies demographischer Natur, dass wir am Anfang des 20. Jahrhunderts weltweit 20% Europäer antrafen, dass es noch 11% Europäer am Anfang des 21. Jahrhunderts gab, dass es 2050 noch 7% Europäer geben wird, und am 1. Januar 2100 noch genau 4% Europäer in einer Welt, die 9 – 10 Milliarden Menschen zählen wird.

Und wer da denkt, wir könnten jetzt in klein klein machen, und wir könnten uns zurück entwickeln in kleine Räume, um so den Chinesen und den Indern, vor denen ich keine Angst habe, entgegen treten zu können, und mit denen einen edlen Wettbewerb der besseren Lösungen durchzufechten, der irrt sich fundamental. Die Europäer werden immer weniger, deshalb müssen wir immer dichter zusammen stehen.

Christoph Minhoff: Ein optimistischer Blick in die Zukunft. Vielen Dank Herr Premierminister…

Jean-Claude Juncker: Ich bedanke mich.

Christoph Minhoff: ...dass Sie uns die Zeit gegeben haben, und Ihnen danke ich fürs Zuschauen, bleiben sie bei Phoenix, Wiederschauen.

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