"Il n'existe pas de gouvernence optimale", Interview de fin d'année avec le Premier ministre Jean-Claude Juncker

Dans l’interview de fin d’année accordée au "Lëtzebuerger Journal" du 22 décembre 2010, le Premier ministre Jean-Claude Juncker jette son regard en arrière sur les principaux événements de l’année écoulée 2010. Tout en soulignant qu’il croit "à la force des idées justes", Jean-Claude Juncker y défend sa proposition des euro-obligations pour aborder ensuite l’atmosphère qui a régné en 2010 au sein de la coalition gouvernante. "On a besoin de se rassembler de nouveau à trois autour d’une table", estime-t-il en revenant sur l’échec de la Tripartite et les négociations avec les partenaires sociaux. Jean-Claude Juncker s’exprime également sur la réforme du système des soins de santé, la réforme programmée des pensions, le chômage et les résultats de l’étude Pisa.


Lëtzebuerger Journal: Finanzkrise, Schuldenkrise in Europa, knappe Staatsfinanzen, Krach in der Koalition, schwieriger Sozialdialog... Sie haben ein anstrengendes Jahr hinter sich. Wie geht es Ihnen, Herr Staatsminister?

Jean-Claude Juncker: Mir geht es den Umständen entsprechend gut. Ich schaue dem neuen Jahr heiter und gelassen entgegen.

Lëtzebuerger Journal: Und wie geht es Ihnen als Chef der Eurogruppe? Die letzten Wochen waren ja bestimmt nicht leicht für Sie, zumal was die Kritik aus Deutschland und Frankreich anbelangt.

Jean-Claude Juncker: Ich fühle mich nicht von Kritik erdrückt, aber ich fühle mich in einzelnen Optionen, die ich als notwendig ansehe, nicht von jedem in dem Maße unterstützt, dass es bei mir Zufriedenheit auslösen würde. Ansonsten stelle ich fest, dass die Zustimmung für verschiedene meiner Ideen in der internationalen Finanzpresse zunimmt.

"Ich glaube an die Kraft der richtigen Ideen"

Lëtzebuerger Journal: Sie meinten vor kurzem auf einer öffentlichen Veranstaltung, Europa müsse mehr mit dem Herz gelebt werden. Ist diese Überzeugung dabei zu verschwinden?

Jean-Claude Juncker: (holt zu einer langen Antwort aus, die wir hier nur verkürzt wiedergeben können): Das, was früher ganz groß geschrieben wurde nämlich die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten untereinander, die Bereitschaft, keinen allein zu lassen und dafür tagtäglich dynamisierende Integrationsschritte zu setzen, das ist verloren gegangen. Ich halte das aber für eine relativ normale Entwicklung und kann die jungen Leute nicht ausschimpfen, dass sie nicht jeden Tag darüber froh sind, im Frieden zu leben. Manchmal wäre es aber gut, wenn junge Leute ihre Freizeit ungestört ihren Großeltern schenken und sich von diesen erzählen lassen würden, dass es in Europa auch anders zugehen kann.

Lëtzebuerger Journal: Apropos Solidarität. Ihre Idee der Eurobonds stieß bekanntlich auf heftige Kritik. Sind Sie trotzdem zuversichtlich, dass diese Idee sich irgendwann einmal durchsetzen wird?

Jean-Claude Juncker: Eigentlich glaube ich ja an die Kraft der richtigen Ideen (und der Staatsminister und Eurogruppen-Chef erklärte noch einmal "en détail" seine diesbezüglichen Vorschläge). Die Idee der Eurobonds braucht aber ihre Zeit, und ich habe nicht vor, die nächsten sechs Monate über sonst nichts als über Euro-Anleihen zu sprechen, muss man doch nicht zuletzt auch aufpassen, die sowieso schon sehr nervösen Finanzmärkte nicht noch nervöser zu machen.

Lëtzebuerger Journal: Wo wir schon einmal bei der Nervosität sind......Die gab es in den vergangenen Monaten ja auch innerhalb der Regierungskoalition. Wie stabil ist diese überhaupt noch, zumal Sie ja selbst schon einmal davon gesprochen haben, dass in letzter Zeit hierzulande nur suboptimal regiert worden sei?

Jean-Claude Juncker: Wir haben in der ersten Jahreshälfte suboptimal regiert, weil wir es durch individuelle Aktionen Einzelner fertig gebracht haben, ein Bild der nicht totalen Geschlossenheit abzugeben. Das gefällt mir nicht, ist in einer reifen Demokratie aber wahrscheinlich nicht zu verhindern. Allerdings gehört zum Ministeramt auch die Solidarpflicht, an die ich mich immer sklavisch halte, trotz einer immer wieder niederzukämpfenden Versuchungslust, das Gegenteil zu machen.

Lëtzebuerger Journal: Wer ist denn in der Regierung ausgeschert, und wie bitte, Herr Juncker, sieht optimales Regieren aus?

Jean-Claude Juncker: Optimales Regieren gibt es nicht. Ehrlich gesagt kenne ich in dieser Krise kein Land, das optimal regiert wäre. Dass es dann im parlamentarischen Raum hin und wieder Solostimmen gibt, ist eigentlich nicht zu kritisieren, weil die Regierung das Parlament nicht zu kritisieren hat. Wichtig ist für mich, dass eine Regierung und eine Koalition es fertig bringen, im Moment des parlamentarischen Votums geschlossen zu handeln. Wenn ich noch vor drei Monaten jemandem gesagt hätte, die Koalition würde geschlossen den Staatshaushalt, das Spar- und Steuerpaket sowie die Gesundheitsreform verabschieden, hätte ich wahrscheinlich nur ein müdes Lächeln geerntet. Dann will ich aber auch noch sagen - ohne kritisch oder abschätzend zu sein -, dass heute Leute in Regierung und Parlament sitzen, die keine Krisenerfahrung haben. Als ich heute vor 28 Jahren Regierungsverantwortung übernommen habe, befand sich das Land mitten in der Stahlkrise...

"Wir müssen uns wieder zu dritt an einen Tisch setzen"

Lëtzebuerger Journal: Gilt diese Feststellung nicht auch für Teile des Patronats und der Gewerkschaften ?

Jean-Claude Juncker: Ich bin betrübt, dass es monatelang nicht möglich war, die Sozialpartner auf den gleichen analytischen Nenner zu bringen. Dies nicht etwa, weil die Regierung schlecht vorbereitet gewesen wäre, sondern weil es einfach nicht möglich war, zu dritt zu einer Einigung zu kommen. Da die Erhaltung des so genannten Luxemburger Modells aber von essenzieller Bedeutung ist, habe ich als Staatsminister die Entscheidung getroffen, die Tripartite durch zwei Bipartites zu ersetzen. Wohlwissend, dass die Einigung mit den Gewerkschaften in der Indexfrage auf den energischen Widerstand der Patronatsorganisationen stoßen würde, und ebenso wohlwissend, dass das anzustrebende Bipartite-Abkommen mit den Patronatsvertretem zu diversen Kommentaren Anlass geben würde. Hätte man die jetzigen Resultate alle in der Tripartite erzielt, dann würde jeder sagen, Respekt. Jetzt, wo das Gesamtresultat, das sich zeigen lassen kann und den sozialen Frieden im Land sicher gestellt hat, anders zustande kam, wird aber nur geschaut, wer gewonnen hat, die Gewerkschaften, das Patronat oder die Regierung. In der Vergangenheit hatte ich schon globale Tripartiteresultate zu vertreten, die in der Substanz weniger gut waren als dieses, das sich der Addition zweier Bipartites verdankt.

Lëtzebuerger Journal: Sie wollen aber trotzdem wieder zum Dreiermodell zurück?

Jean-Claude Juncker: Ich möchte wieder zu unseren alten Arbeitsmethoden zurückfinden, weil die jetzigen doch .allzu zeitaufwendig und energiezehrend sind. Wir müssen uns wieder zu dritt an einen Tisch setzen können, allerdings zu weniger Leuten bzw. mit denjenigen, die wirklich die allerletzte Verantwortung in ihren jeweiligen Organisationen tragen. Auch müssen wir uns im Zusammenhang mit der Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit und der Inflation zu dritt auf Parameter einigen, was im Laufe des ersten Semesters 2011 geschehen wird.

"Den Kuchen nicht zu oft aus dem Ofen holen"

Lëtzebuerger Journal: Läuft das über Einzelgespräche mit den Sozialpartnern oder soll der Wirtschafts- und Sozialrat.....

Jean-Claude Juncker: (unterbricht den Fragesteller): ... ich will, dass der Wirtschafts- und Sozialrat wieder zu der Konsensfabrik wird, die er bislang oft gewesen ist. Neben der notwendigen Neuerfindung dieses Gremiums kommt es der Regierung aber vor allem darauf an, in direkten Gesprächen mit beiden Sozialpartnern zu gemeinsamen Vereinbarungen kommen. Es ist doch erstaunlich, dass das Luxemburger Modell, gerade in einem Moment, wo die Krise schärfer ist als je zuvor in der Vergangenheit, ein bisschen ins Wackeln gekommen ist, was, wie ich ja schon erwähnt habe, u.a. auch darauf zurückzuführen ist, dass die krisenerprobten Männer und Frauen nicht zahlreich sind. Auch benötigen politische Entscheidungen eine gewisse Gärungsdauer - der Teig sollte dann auch nicht aus dem Ofen herausgeholt werden, um nachzusehen, wie es dem Kuchen geht. Den Ofen allzuoft öffnen, tut dem Kuchen nicht gut.

Lëtzebuerger Journal: Kommen wir zum Index. Bleibt das ein Thema, obwohl die ISAF doch klar gemacht hat, dass sie hierüber nicht mehr diskutieren will? Sollte der Ölpreis demnächst kräftig anziehen, muss die Indexfrage ja wieder zur Sprache kommen.

Jean-Claude Juncker: Meine Einschätzung, dass die Ölpreise stark ansteigen, ist inzwischen bestätigt worden, was in einem Land mit einer automatischen Indexierung natürlich wettbewerbsschädliche Konsequenzen hat, so besonders für den industriellen Teil unserer Wirtschaft. Im Abkommen mit den Gewerkschaften ist indes festgehalten, dass die nächste Indextranehe frühestens zum 1. Oktober 2011 ausbezahlt wird; sollte zwischen dem 1 . Oktober 201 1 und dem 1. Oktober 2012 eine weitere Indextranehe erfallen, müssen sich die Sozialpartner aber noch einmal zusammensetzen. Insofern findet im nächsten Jahr keine große Indexdiskussion statt, da für 2011 eine Indexlösung und für 2012 eine Indexmethode gefunden wurden. Das ändert aber nichts daran, dass ich nicht ungern sehen würde, wenn sich immer mal wieder mit einer Reihe von meinen Vorschlägen beschäftigt würde, darunter demjenigen, die Erdölprodukte aus dem Indexwarenkorb zu entfernen. Dieses Thema darf nicht tabuisiert werden, es kommt aber hier mit Sicherheit zu keiner abschließenden Meinungsbildung der Regierung in den Jahren 2011 oder 2012.

Lëtzebuerger Journal: Und wie steht es mit der viel zitierten Rentenmauer? Wie soll die Reform unseres Pensionssystems, die ja im Frühjahr auf der Tagesordnung steht, aussehen?

Jean-Claude Juncker: Erst einmal stelle ich hier mit einem fast gequälten Lächeln fest, dass ich Vorjahren, als ich angefangen habe, über die Rentenmauer und den 700.000-Einwohnerstaat zu reden, heftigem Spott und geharnischter Kritik ausgesetzt war, was heute nicht mehr der Fall ist. Unser Pensionssystem muss jedenfalls auf Dauer gesichert werden, wozu - und ich zitiere hier den Sozialminister - an einer "Reihe von Schrauben" gedreht werden muss. Entweder muss hier noch mehr beim normalen Staat gespart werden, oder aber man versucht, das Profil der Pensionsleistungen mittel- und langfristig zu ändern. Es gibt keine dritte Wahl. Ich bin aber überzeugt, dass uns der Sozialminister hier zielführende Vorschläge unterbreiten wird.

Lëtzebuerger Journal: Stichwort "Gesundheitsreform". Können Sie die diesbezügliche Aufregung nachvollziehen und würden Sie die Gesundheitsreform als Strukturreform bezeichnen?

Jean-Claude Juncker: Ich bin 1982, wie schon erwähnt, in die Regierung gekommen, und mein erstes Dossier als junger Staatssekretär im Sozialministerium war die Krankenkassenreform. Da habe ich gelernt, wie das ist, mit Ärzten, Apothekern und Gewerkschaftssekretären streiten zu müssen. Ich war auch 1991,1992 und 1993 bei der Krankenkassenreform dabei, wo sich die ganze Soziallandschaft gegen die Regierung gestellt hat. Ich halte Reformen im Gesundheitsbereich für periodisch nötig, da Zahlen und Gewohnheiten den Ereignissen angepasst werden müssen. Die jetzige Reform liegt richtig und ist ausgewogen, aber ich nehme mal an, dass eine andere Antwort das "Journal" überrascht hätte.

Lëtzebuerger Journal: Kommen wir zur geplanten Einführung eines Bewertungssystems im öffentlichen Dienst, wo die CGFP bekanntlich damit gedroht hat, alle verfügbaren Mittel einzusetzen, um das zu verhindern.

Jean-Claude Juncker: Diese Auseinandersetzung kommt ja erst, macht mich aber unfroh, weil ich eine Situation nicht mag, die sich langsam in eine Gefechtslage zwischen der Regierung und der öffentlichen Funktion fehlzuentwickeln droht. Zwei Sachen sollten hier allerdings gut verstanden werden: erstens, dass es die Notwendigkeit gibt, die Anfangsgehälter beim Staat nach unten abzusenken; und zweitens, dass die Einführung eines Bewertungssystems keine abstruse Idee ist. In anderen Ländern gibt es ein solches System ebenfalls. Auch kenne ich unendlich viele Beamte, die sehr viel arbeiten, aber absolut keine Anerkennung zu dem Mehr an Arbeit, das sie gegenüber dem Minus an Arbeit, was andere aufzuweisen haben, bekommen. Den Hinweis, dass es im Staatsbeamtenstatut genügend Sanktionsmöglichkeiten gibt, höre ich indes schon 20 Jahre. Ich will aber keinen Sozialkonflikt in der öffentlichen Funktion herbeiführen. Es ist aber eine komische Sache, dass es immer mehr Gruppen in unserer Gesellschaft gibt, die der Meinung sind, ein Argument würde darin bestehen, darauf zu pochen, über etwas nicht diskutieren zu wollen. Das sind die Gleichen, die dauernd nach mehr Dialog rufen. Dialogverweigerung ist in einer Demokratie nicht zielfördernd.

Lëtzebuerger Journal: Wie wollen Sie den weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindern?

Jean-Claude Juncker: Wir reformieren das Arbeitsamt und wollen mehr in die Weiterbildung investieren. Auch sind wir im Gespräch mit dem Patronat, mehr Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahmen im Rahmen der Privatbetriebe zu ermöglichen. Erwähnt werden sollte auch noch die Neuregelung der Arbeitszeitorganisation.

Lëtzebuerger Journal: Was sagen Sie zu den jüngsten Resultaten der Pisa-Studie?

Jean-Claude Juncker: Ich nehme diese Ergebnisse grundsätzlich sehr ernst, mache hierzu aber drei Bemerkungen. So ist Luxemburg das einzige Land, wo die Schüler nicht in ihrer Muttersprache getestet werden, sondern in zwei Fremdsprachen. Auch hat Luxemburg eine unheimlich hohe Immigrationsrate. Schließlich hat in den letzten Jahren nicht eine einzige Reform diejenigen Kinder erreicht, die beim Pisa-Test geprüft wurden, da diese Reformen bei diesem Test noch nicht in Kraft waren.

Lëtzebuerger Journal: Die Zeit läuft uns davon. Was hat Sie 2010 am meisten enttäuscht, und was hat Sie in diesem Jahr glücklich gemacht?

Jean-Claude Juncker: In der Politik gibt es nichts, was mich glücklich macht. Traurig machte mich indes, dass wir hierzulande immer noch glauben, dass wir die Probleme unserer direkten Nachbarländer weniger ernst als andere nehmen müssten. Der abgegriffene Slogan, dass wir keine Insel sind, ist noch nie so wahr wie jetzt gewesen. Aber wir haben eine spezielle Methode, um mit diesen Problemen umzugehen, wenn wir gute Momente haben. 2010 hatten wir aber nicht nur gute Momente.

Lëtzebuerger Journal: Ihre persönlichen Vorsätze?

Jean-Claude Juncker: (denkt lange nach) Ehe endgültige Entscheidungen getroffen werden, es besser zu vertragen, wegen sich anbahnenden Zwischenentscheidungen beschimpft zu werden.

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