Interview de fin d'année avec le Premier ministre Jean-Claude Juncker (Télécran)

Dans l’interview de fin d’année parue le 29 décembre 2010 dans le magazine Télécran, Jean-Claude Juncker livre ses réflexions sur les principaux événements ayant ponctué l’actualité nationale et internationale en 2010, de la mort tragique de Lech Kaczynski survenue le 14 avril 2010, en passant par le sommet de l’OTAN du 22 novembre 2010, jusqu’à la réunion du Conseil Écofin informel du 1er octobre 2010 à Bruxelles.

Kein Nachhilfe-Bedarf

Télécran: 17. Dezember, Brüssel:

Jean-Claude Juncker: "Ich habe einen Vorschlag gemacht, den ich umfassend für richtig halte (gemeint sind europäische Anleihen, so genannte "Euro-Bonds", Anm. der Red.). Er wird nicht geteilt von den einen, von anderen aber sehr wohl. Auch von Publizisten und der Wissenschaft. Das ist eine Idee, die ich nicht jede Woche neu aufziehe. Es ist, wie es der belgische Premier gesagt hat, eine Idee, die nicht in den nächsten Wochen und Monaten ungesetzt wird, die aber ihren Weggehen und eines Tages Realität werden wird.

Wir haben übrigens keine Eurokrise, sondern eine Schuldenkrise einiger europäischer Länder. Luxemburg ist ein Land, das strikt auf Stabilität ausgerichtet ist. Unser Land ist im Übrigen auch das einzige in Europa, das die Maastricht-Kriterien erfüllt. Wir haben keinen Nachhilfe-Bedarf. Den, der die Kriterien einhält, zu verdächtigen, er würde eine unstabile Wirtschafts- und Finanzpolitik und einen Verbund mit der Südachse betreiben, zeugt von einer unbegrenzten Phantasie.

Mann mit Handschlag-Qualitäten

Télécran: 24. August, Sotchi (Russland):

Jean-Claude Juncker: Dimitri Medwedew bin ich zwei Mal begegnet. Er ist ein russischer Patriot. Ich bin allerdings auch noch keinem Russen begegnet, der das nicht gewesen wäre. Medwedew ist jemand, dessen erster Blick nach Europa also gen Westen geht, ohne dass er dabei aber die strategischen russischen Interessen auf östlicher Seite vergisst. Er ist ein liebenswerter sympathischer Mann, mit dem man gut lachen kann. Ein Mann mit Handschlag-Qualitäten. Was er sagt, das hält er auch.

Beste Zusammenarbeit

Télécran: 30. Juli, Luxemburg:

Jean-Claude Juncker: Ich habe mit Jean Asselborn ein freundschaftliches Verhältnis. Das hat aber weniger etwas mit der Politik zu tun als mit uns zweien selbst, weil wir uns auch privat sehr gut verstehen. In Bezug auf die Außenpolitik stimmt er sich in Bereichen, wo er zuständig ist, mit mir ab, und ich mich mit ihm in den Bereichen der Außenpolitik, in denen ich zuständig bin. An der Zusammenarbeit gibt's nichts zu verbessern, sie ist so, wie ich mir sie wünsche. Alles, was er sagt, ist mit mir abgestimmt - wie er es sagt, aber nicht immer. Aber das gilt umgekehrt auch für mich.

Sein Tod hat mich erschüttert

Télécran: 14. April, Luxemburg:

Jean-Claude Juncker: Ich saß gerade in einer Tripartite-Sitzung, als ich die Nachricht vom Flugzeugunglück bekam. Ich hatte zu Lech Kaczynski ein interessant gestörtes Verhältnis, weil ich mich oft mit ihm kontrovers unterhalten habe. Der tragische Tod hat mich regelrecht erschüttert, auch weil ich noch zwanzig andere Leute kannte, die in dem Flugzeug saßen. Lech Kaczynski war als Präsident ein ganz zurückhaltender Europäer, voller Misstrauen und Vorurteile, vor allen Dingen Deutschland gegenüber. Ich hatte ihm einmal in einem Gespräch erklärt, dass sich das Verhältnis zwischen Polen und Deutschland nach der Wiedervereinigung so entwickeln müsse, wie das zwischen Frankreich und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Sonst würden wir in Europa eine spannungsgeladene Situation erhalten, die schädlich für die Entwicklung der Europäischen Union sei. Ansonsten hat Polen sich gut in Europa integriert. Besonders der polnische Ministerpräsident Donald Tusk, der Karlspreisträger 2010, ist ein mutiger Europäer.

Menschlich ja, politisch nicht immer

Télécran: 29. Oktober, Brüssel:

Jean-Claude Juncker: Das Verhältnis zwischen Nicolas Sarkozy und mir ist gut. Wir sind natürlich nicht immer einer Meinung. Die auch in der europäischen Presse oft kolportierte Feindschaft zwischen Sarkozy und Juncker gibt es in der beschriebenen Form absolut nicht. Nicolas Sarkozy weiß genau, dass ich mit meiner Meinung nicht hinter dem Berg halte, wenn ich es für die europäische Entwicklung falsch finde, meine Meinung nicht zu sagen. Menschlich kommen wir sehr gut miteinander hin. Politisch nicht immer.

Der amerikanische Traum

Télécran: 22. November, Lissabon:

Jean-Claude Juncker: Gespräche mit den amerikanischen Präsidenten sind, wenn sie länger dauern, intensiv, wenn sie kurz sind, aber keineswegs oberflächlich. Ich bin immer erstaunt, dass die amerikanischen Präsidenten mehr über Luxemburg wissen, als ich glaube, dass sie wissen könnten. Barack Obama ist mir von der Art her sehr sympathisch. Vieles, was er macht, geht gegen den amerikanischen, fast reaktionären Zeitgeist. Er behauptet von mir, ich sei der europäische Regierungschef mit dem größten Humor. Wenn man mit Barack Obama spricht, hat man immer so ein bisschen das Gefühl, er sei so etwas wie der amerikanische Traum, der wahr geworden ist. Ich denke aber, dass die Widerstände in Amerika als tief konservatives Land zu groß sind, als dass er alles wird umsetzen können, was er sich vorgenommen hat."

Durchsetzungskraft gefragt

Télécran: 19. Januar, Brüssel:

Jean-Claude Juncker: Die drei auf dem Bild haben immer an einem Strang gezogen. Und das werden sie auch in Zukunft tun. Wobei ich den Eindruck habe, dass die CSV geschlossener hinter den Ministern Juncker und Frieden steht als die LSAP hinter Wirtschaftsminister Jeannot Krecke. Mir kommt es darauf an, dass sich Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht auseinanderentwickeln, dass also ein harmonischer Gleichgang erhalten bleibt. Deshalb neige ich tendenziell dazu, das Soziale stärker zu betonen als andere. Wenn ich vor drei Monaten gesagt hätte, dass die Koalitionsparteien den Haushalt sowie das Spar- und Konsolidierungsprogramm genauso wie die Gesundheitsreform einstimmig verabschieden würden, wäre ich als naiv bezeichnet worden. Man muss zwischen den Parteien moderieren und in den Parteien. Dafür ist ein Premierminister da.

Eine andere Sicht auf die Krise

Télécran: 20. Mai, Tokio:

Jean-Claude Juncker: Japan ist ein Land, das im Durchschnitt ein höheres Defizit hat als wie die Eurozone. Deshalb wundern sich die dortigen Spitzenpolitiker immer, dass in Europa von einer Eurokrise gesprochen wird. Der damalige Finanzminister und heutige Premierminister Naoto Kan, den ich seinerzeit besucht habe, zeichnet sich durch eine relativ gute Kenntnis von europäischen Befindlichkeiten und Zusammenhängen aus. Das waren sehr angenehme Gespräche. Ich habe in meiner Karriere als Premierminister 24 japanische Finanzminister kennengelernt. Es waren aber auch 14 französische und fünf deutsche Minister des gleichen Ressorts.

Freunde trotz Dauerstreit

Télécran: 6. Dezember, Brüssel:

Jean-Claude Juncker: Das menschliche Verhältnis zwischen den Finanzministern - und das gilt auch für die Regierungschefs - ist kameradschaftlich. In meinem Fall ist das ausgeprägt, weil ich in der Woche mindestens einmal mit jedem spreche. Wenn wir uns sehen, ist es so, als ob man gute Freunde wiedertrifft, auch wenn wir dauernd miteinander streiten. Aber man muss miteinander streiten können, ohne Streit zu haben.

Informationsvorsprung für den Großherzog

Télécran: 21. April, Luxemburg:

Jean-Claude Juncker: Ich hatte die Regierung in Senningen zusammengerufen, um das weitere Verfahren im Umgang mit der Wirtschafts- und Finanzkrise zu besprechen. Ich hatte die Sitzung dann unterbrochen, um dem Großherzog Bericht zu erstatten. Solche Gespräche finden eigentlich - neben unzähligen Telefonaten - regelmäßig statt, mindestens 15 bis 20 Mal im Jahr. Doch wenn der Regierungschef eine Regierungssitzung unterbricht, um das Staatsoberhaupt über deren Verlauf zu unterrichten, wissen die meisten wohl, was die Uhr geschlagen hat. Ich lege Wert darauf, den Großherzog über das, was in der Regierung oder im Land geschieht, auf dem Laufenden zu halten. Der Großherzog muss nicht nur über alle Informationen verfügen, sondern auch einen Informationsvorsprung vor anderen haben.

Perfekt funktionierende Demokratie

Télécran: 12. April, Luxemburg:

Jean-Claude Juncker: Mit den kapverdischen Inseln verbindet uns eine tiefe Freundschaft. Zum einen haben wirviele Kapverdianer hier im Land, die es nicht immer ganz einfach haben. Zum anderen haben wir eine entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit den Inseln, die sich dadurch auszeichnet, dass wir von den Kapverdianern so viel lernen wie sie von uns. Luxemburg ist das erste Geberland, auch in absoluten Zahlen. Auf verschiedenen kapverdischen Inseln wimmelt es von Hinweisen auf Luxemburg. Luxemburg ist ohne Zweifel das bekannteste europäische Land dort. Mich beeindruckt an Kap Verde, dass sich das Land recht rasch nach der Unabhängigkeit zu einer perfekt funktionierenden Demokratie entwickelt hat. Die Inseln sind übrigens wunderschön. Wer sich gern erholen und sich an schöner Landschaft satt schauen möchte, dem kann ich das Land nur empfehlen.

Motor der europäischen Integration

Télécran: 25. November 2010:

Jean-Claude Juncker: Das Foto zeigt die Übergabe des "Prix du mérite européen", eines Preises, über den ich mich gefreut habe, den ich aber nicht für den wichtigsten Preis halte, den ich dieses Jahr erhalten habe. Das war für mich der Schwarzkopf-Preis, bei dem mich 200 000 junge Europäer gewählt haben, weil sie mich als glaubwürdigen Vertreter der europäischen Integration sehen. Den "Prix du mérite européen" habe ich gerne entgegen genommen, auf den Schwarzkopf-Preis möchte ich hingegen nicht verzichten.

Rettung des Luxemburger Modells

Télécran: 10. April, Luxemburg:

Jean-Claude Juncker: Ich hatte zwischen Ende Januar und dem 15. Dezember 19 Treffen mit den Sozialpartnern. Streckenweise bin ich daran verzweifelt, dass es nicht möglich war, die Sozialpartner zur ein- und derselben Analyse der wirtschaftlichen Situation des Landes zu führen. Deshalb ist die Tripartite auch ohne Resultat auseinander gegangen. Die Tripartite haben wir dann ersetzt durch zwei Bipartiten. Legt man nun das Ergebnis dieser Bipartite-Runden mit den Gewerkschaften und den Arbeitgebern zusammen, so wäre das Verhandlungsergebnis als ein exzellentesTripartite-Abkommen durchgegangen. Das Trennen der Tripartite in Zweierrunden wird irgendwann als erfolgreicher Versuch gewertet werden, das Luxemburger Modell zu erhalten. Ich erwarte allerdings, dass wir uns in Zukunft wieder in der Dreier-Kombination sehen und nicht in getrennten Formationen.

Ein Glücksfall

Télécran: 5. März, Luxemburg:

Jean-Claude Juncker: Seit es Mitglied der Eurozone geworden ist, hat Griechenland 25 Prozent seiner Wettbewerbsfähigkeit verloren. Ich finde, dass der griechische Ministerpräsident Georgios Papandreou, den ich schon als Außenminister kannte, eine außergewöhnlich mutige Politik macht, die nicht einfach ist, weil sie gerade kleinen Leuten viele Opfer abverlangt. Leute, die mit der Krise eigentlich nichts zu tun haben. Ich halte Georgios Papandreou für einen Glücksfall für Griechenland.

Verzweiflung, aber "nie endgültig Zweifel"

Télécran: 1. Oktober, Brüssel.

Jean-Claude Juncker: Das war die Sitzung des Informellen Ecofin-Rat. Manchmal kommt einem der europäische Prozess vor, als ob er das Tempo einer Schnecke hätte, die sich im Wettstreit mit Formel 1-Wagen befindet. In China und in Indien und in vielen aufstrebenden Schwellenländern herrscht das Gefühl vor, dass die eigentliche Zukunft nicht in Europa stattfindet, sondern woanders. Das kann einen schon manchmal zum Verzweifeln bringen. Aber aus Verzweiflung entstehen bei mir in Bezug auf Europa nie endgültig Zweifel."

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