"Die arabische Revolte - Gefahr vor Europas Haustür", Gespräch zwischen Jean Asselborn und Jürgen Trittin

Michael Hirz: Ja manchmal ist die große weite Welt auch nicht so viel anders als die kleine. Da geht es wie aus heiterem Himmel plötzlich in der Nachbarschaft so richtig rund und wir fragen uns dann betroffen, warum wir nicht früher bemerkt haben, dass bei den Nachbarn irgendetwas nicht gestimmt hat. Genau so muss es wohl im Augenblick den Europäern, den europäischen Politikerinnen und Politikern gehen, wenn sie auf die arabische Welt schauen. Von der tunesischen Jasminrevolution bis zu den spektakulären Vorgängen in Ägypten, so hat man den Eindruck, sind Europäer und Amerikaner komplett überrascht worden. Und damit herzlich willkommen bei „unter den Linden“ dem Phönixgespräch aus Berlin.

Ja was sich derzeit in der arabischen Welt tut, kann schon ganz im eigenen Interesse uns überhaupt nicht kaltlassen. Aus Gründen der Menschlichkeit nicht, aber auch aus wirtschaftlichen, aus militärischen und aus geopolitischen Gründen nicht. Was müssen wir tun? Auf was müssen wir uns einstellen? Was kann die Politik tun? Darüber wollen wir heute bei unter den Linden sprechen. Und ich freue mich, dass wir einen Gast zuschalten konnten nämlich den luxemburgischen Außenminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten Jean Asselborn. Herzlich willkommen Herr Minister.

Und hier bei uns ist Jürgen Trittin. Er ist der Vorsitzenden, der Fraktionsvorsitzende der Partei Bündnis 90 die Grünen im deutschen Bundestag. Willkommen auch Sie.

Herr Asselborn, seit Anfang des Jahres schauen wir ja ganz gebannt auf die Ereignisse im Nahen Osten, im Augenblick vor allem auf Ägypten. Und man hat den Eindruck, dass die Politik davon genau so überrascht worden ist wie der Bürger. Ist dieser Eindruck richtig oder haben Sie schon seit langem geahnt und gewusst, dass sich da etwas zusammenbraut?

Jean Asselborn: Nein, ich glaube es ist wirklich ein Aufschrei. Es ist ein Aufschrei von Araberinnen und Arabern, die uns sagen wollen, dass sie auch den Willen und die Aspiration haben in ihrer Gesellschaft mit zu bestimmen. Sie wollen mehr Demokratie, eine bessere Demokratie haben. Es ist ein Signal, dass überall auf der Welt, selbstverständlich auch in den arabischen Ländern, dass die universellen Menschenrechte, wie wir sie in der UNO Charta haben, dass diese respektiert werden müssen.

Ich glaube man darf nie vergessen, wenn Sie mir diese Frage stellen Herr Hirz, dass ja eigentlich der Ursprung jener war, dass ein junger Universitätsstudent keine Chance hatte auf einen Arbeitsplatz. Um sich im Leben durchzuschlagen hat er Gemüse verkauft, ist dann aufgehalten worden von der Polizei in Tunesien und hat das Dramatischste gemacht: er hat sich verbrannt. Das war der Impuls, der eigentlich am Anfang von diesen ganzen Revolten in Tunesien stand, und die sich dann übertragen haben auf andere Länder, vor allem in letzter Zeit auf Ägypten.

Michael Hirz: Herr Trittin, aber dann fragt man sich ja doch, wenn offensichtlich ein solcher Druck sich da aufgestaut hat, warum haben wir davon ganz offensichtlich so wenig mitbekommen? Wir haben Diplomaten dort, natürlich gibt es auch journalistische Beobachter, da muss man sehr kritisch nachfragen, was haben die so im einzelnen mitbekommen. Es gibt aber auch Geheimdienste, es gibt alle möglichen Experten, die sich teilweise auch für viel Geld darum kümmern und nachschauen sollen was dort passiert. Haben die alle ihren Job nicht gemacht? Was ist da schief gelaufen?

Jürgen Trittin: Wenn Sie das so umfassend beschreiben, ich glaube zum Teil war es, weil wir, ich sage an dieser Stelle bewusst wir, ich zeige nicht auf andere an dieser Stelle, weil wir alle das nicht wissen wollten. Wir hatten einen Prozess der Europäischen Union, der Nachbarschaftspolitik gegenüber dieser Region, der war immer verbunden mit der Forderung Einhaltung guter Regierungsführung, mit Fragen von Menschenrechten. Da haben sich die Machthaber aber nie drum gekümmert. Deswegen ist das auch nie zum Leben gekommen. Warum? Weil wir parallel zu diesem richtigen Ansatz den Machthabern das Leben bezahlt haben. Selbstverständlich ist die Frau des tunesischen Präsidenten Ben Ali mit einem Airbus aus deutsch-französischer Produktion ausgeflogen worden und all diese Dinge sind mit unserer Unterstützung gelaufen. Das hat meines Erachtens einen schweren strategischen Fehler, hat dem zugrunde gelegen. Wir haben in Europa, in Deutschland, in Europa geglaubt Stabilität für diese Region und die ist wichtig. Es sind unsere Nachbarn, es geht uns um die Sicherheiten Israels. Das ist wichtiger als ne gute Regierungsführung und wir müssen heute lernen, dass dieser vermeintlich realpolitische Ansatz gar nicht so realpolitisch war. Er hat uns gar keine Stabilität gebracht.

Michael Hirz: Das heißt, sie beschreiben einen Lernprozess den auch Sie, also Sie schließen sich da mit ein, den auch Sie gemacht haben?

Jürgen Trittin: Die Grünen haben sicherlich, wenn ich die Politik meiner Fraktion zum Beispiel im Europaparlament anschaue, sehr früh und sehr nachhaltig diese Fragen mitthematisiert. Aber auch wir sind natürlich von der Dynamik dieses Prozesses überrascht worden. Ich will nur eins, Herr Asselborn hat zu Recht drauf hingewiesen, wie das angefangen hat in Tunesien. Ich finde eine Sache sollten wir nicht vergessen: es gibt ein anderes Vorbild noch. Das ist der Aufstand der Zivilgesellschaft gegen das Regime im Iran gewesen. Das ist noch gar nicht so lange her. Und das hätte uns eigentlich zeigen müssen, dass in den Gesellschaften des Nahen Ostens, auch in den nicht arabischen, Iraner würden das scharf ablehnen, dass sie Araber seien, in diesen Gesellschaften es eine ganz entwickelte Zivilgesellschaft gibt und die uns tagtäglich beweist, dass Menschenrechte keine Erfindung des Westens sind. Da sollten wir uns eigentlich richtig drüber freuen.

Michael Hirz: Das heißt aber jetzt haben wir dort einen sehr dynamischen Prozess, mit dem wir es zu tun haben. Welche Möglichkeit, das frage ich jetzt mal Herrn Asselborn, welche Möglichkeit haben denn die Europäer überhaupt dort noch steuernd einzugreifen, wenn sie schon sich, wie Herr Trittin sagt, und Sie ja vermutlich auch nicht widersprechen, wenn es auch da bestimmte Versäumnisse in der Vergangenheit zu beklagen gibt?

Jean Asselborn: Also – aus deutscher Sicht, vor allem aber aus europäischer Sicht – Luxemburg hatte 2005 die Präsidentschaft inne und der erste Schritt war immer, sie erinnern sich, Arafat war tot, Abu Masen wurde gewählt, und der erste Schritt war immer hin zu den zwei moderaten Ländern, die wir moderat genannt haben, das waren Jordanien einerseits und Ägypten andererseits. Und wir haben sehr viel Positives mit Ägypten fertiggebracht. Zum Beispiel Rafah, um Gaza zu öffnen. Wir haben auch immer die Ägypter gebraucht um den innerpalästinensischen Dialog wieder anzukurbeln. Es gelang nicht immer. Es ist bis heute nicht 100%-ig gelungen. Zudem haben wir auch immer diese, sagen wir mal, Auseinandersetzung gesehen zwischen Syrien und Ägypten. Aber wir haben in diesem moderaten Regime in Ägypten – vor allem in Sachen Nahostfriedensprozess – die außenpolitischen Aspekte geschaut und uns darauf fokussiert. Wir haben uns auf das Außenpolitische und nicht den innenpolitischen Prozess gesehen. Unsere Sorge um regionale Stabilität haben wir mit innenpolitischem Immobilismus parallel laufen lassen. Darauf haben wir uns nicht fokussiert.

Wenn Sie mich jetzt fragen, was wir machen können. Sie wissen, die Europäische Union hat eine Nachbarschaftspolitik sowohl im Süden wie auch im Osten. Man kann über den Daumen sagen, dass ungefähr 150 Millionen Euro jedes Jahr Ägypten zur Verfügung gestellt werden. Davon ist die Hälfte für Programme in Erziehungspolitik, Umweltpolitik, Gesundheitspolitik. 40% ist für Wirtschaftshilfe und dann 10% haben wir auch für Menschenrechtsprogramme ausgegeben. Das läuft von 2007 bis 2013, also diese Dauer von den Finanzperspektiven, und das sind rund 1 Milliarde. Wir haben uns also engagiert, das stimmt, aber ich glaube der Fehler den wir gemacht haben, ist der, dass wir wirklich viel zu wenig hinter der Fassade des Regimes geschaut haben: dort leben Menschen und diese Menschen leben – vor allem in Ägypten – unter sehr, sehr erbärmlichen Verhältnissen. Wir haben uns nicht genug darauf eingestellt, auch hier wirklich differenziert die interne Lage zu berücksichtigen.

Michael Hirz: Das bezieht sich auf die Vergangenheit, aber man kann ja auch aus Erfahrung lernen. Die Frage ist also, an die Europäer, welche Schlüsse zieht man daraus? Also was bedeutet das jetzt für das europäische Handeln?

Jean Asselborn: Also ich glaube, wenn man jetzt außerhalb von einem Amt eines Außenministers, der ja nicht alle Brücken kaputtschlagen kann, auch mit dem Außenminister der noch in Ägypten ist zum Beispiel, würde ich aber ganz klar sagen, und ich glaube, dass ich mit Herrn Trittin da nicht meilenweit auseinander liege, dass ich mir nicht vorstellen kann wie man unter der politischen Dominanz des Präsidenten Mubarak es fertig bringt die Reformen einzuleiten, die ja eingeleitet werden müssen in der Transitionsphase. Es ist notwendig, dass man auf Wahlen hinsteuert, diese müssen vor dem September stattfinden, wofür auch die Verfassung derart geändert werden muss und auch die Wahlgesetze so geändert werden müssen, damit auch individuelle Kandidaten sich aufstellen können und nicht nur Parteien, und damit das passive und aktive Wahlrecht für jeden Ägypter zählt. Ich kann mir also nicht vorstellen, dass das unter der Dominanz von Präsident Mubarak geschieht. Es gibt ja jetzt Anzeichen. Er selbst hat ja gesagt, dass er nicht mehr antreten will. Omar Suleiman spielt also auch eine wichtige Rolle in diesem Fall. Aber, viel mehr noch, glaube ich, dass jetzt Suleiman ja eigentlich das Politische in die Hand genommen hat.

Michael Hirz: der Stellvertreter von Mubarak.

Jean Asselborn: mit der Zivilgesellschaft und auch mit der Opposition. Dazu gehören nun mal auch die „Muslim Brothers“. Hier müssen nun diese Fundamente gelegt werden können um dann diesen Neustart, der nur durch universelle und freie Wahlen kommen kann, dann zu nehmen.

Michael Hirz: Ich warte den Applaus noch ab für Sie. Herr Trittin, Frau Merkel, die Bundeskanzlerin plädiert ja dafür auch bestimmte Dinge nicht oder bestimmte Prozesse nicht zu überstürzen. Sie setzt offensichtlich auch noch auf Strukturen so wie sie jetzt vorhanden sind. Ist das der richtige Weg? Ist Geduld da im Augenblick auch das richtige, die richtige Haltung für die Begleitung des Prozesses dort?

Jürgen Trittin: Ich glaube das was man machen muss ist aus der Uneindeutigkeit, man kann auch sagen der Doppeldeutigkeit rauszukommen. Also das was Herr Asselborn geschildert hat, zivile Hilfe und auf der anderen Seite Finanzierung des Unterdrückungsapparates. Man muss sich mal klar machen, das was wir in 10 Jahren als Nachbarschaftspolitik nach Ägypten gegeben haben, das haben die Amerikaner jedes Jahr zur Finanzierung der ägyptischen Armee ausgegeben. Das war eine Ermunterung mit einem Staat, der seit 30 Jahren im Ausnahmezustand lebt, einfach so weiter zu machen. Und aus dieser Doppeldeutigkeit da müssen wir raus und dazu gehört nach meinem Dafürhalten, dass man völlig klar als Europäer sagt, wir brauchen einen Übergang, der muss geordnet sein. Dieser Übergang muss auch ein Stück zeitliche Perspektive haben. Man kann nicht von heute auf morgen Parteien erfinden, die müssen auch ein Stück wachsen, aber dieser Übergang geht nicht unter der Dominanz des alten Regimes. Und das heisst für mich, man muss klar sein in der Frage Aufhebung des Ausnahmezustandes. Das ist eine Grundvoraussetzung um so etwas wie ein Verfassungskurs zu machen. Und man muss eine Klarheit haben, dass dieses nicht unter der Präsidentschaft von Mubarak sein kann.

Ich verstehe die Zwänge eines amtierenden Außenministers an dieser Stelle, nur eine klare Haltung in dieser Frage heißt, dass sich auch das Regime nicht mehr darauf berufen kann.

Ich komme zu einem dritten Punkt, der ganz wichtig ist für Europa. Wenn man die Situation in Ägypten anschaut, da hat man 3 große Kraftfelder: das ist das Regime, das ist die etablierte Opposition, davon ist die stärkste Kraft sind die Moslembrüder und das ist die neue Opposition, ich würde sie fast die revolutionäre nennen, die auf der Strasse sind.

Michael Hirz: Hat die eine Struktur?

Jürgen Trittin: Nein die hat noch keine Struktur. Und damit die diese Struktur hat braucht die Zeit. Aber interessant ist die mittlere Gruppe. Wir haben jahrelang in der Vorstellung gelebt, das eigentlich Schlimme das uns dann drohen könnte sind die Islamisten. Und nun stellt sich raus, unter denjenigen die da in der Opposition sind, sind die Muslimbrüder wahrscheinlich eher die gemäßigten und diejenigen die zur Mäßigung aufrufen, weil sie nämlich eine Mittelstandspartei sind. Die sind, entscheidend ist jetzt nicht als Polemik gemeint, aber um es sinnbildlich darzustellen, die sind so ei bisschen wie die CSU in Bayern. Also

Michael Hirz: Wobei sie im Augenblick bei 20% taxiert werden.

Jürgen Trittin: Ja, ich sag ja nicht, dass sie schon so stark sind. Aber was heißt das für uns? Für uns heißt das, dass wir

Michael Hirz: {unverständlich}

Jürgen Trittin: Nein noch nicht, aber das heißt doch für uns, dass wir unsere Einstellung verändern müssen, dass wir differenzieren müssen unter den islamistischen Bewegungen und Parteien, dass es auch dort solche und solche gibt, und dass wir vielleicht die Erfahrung des Sekularisierungsprozesses einer ehemals islamistischen Partei, wir der türkischen AKP, das vielleicht nicht eine türkische Ausnahme ist sondern eine Alternative ist, nicht nur, dass ein Weg von Islamismus zu Terrorismus führt, sondern auch ein Weg vom Islamismus zu einer muslimischen, aber die Werte einer Verfassung akzeptierenden Partei. Ich glaube diese Neujustierung europäischer Außenpolitik ist wichtig und da kommt der Türkei und unserer Zusammenarbeit mit der Türkei eine große Rolle zu.

Michael Hirz: Das ist schon ein Rollenmodell für die Entwicklung in Ägypten. Aber dann frage ich mal einen europäischen Außenminister, nämlich Herrn Asselborn: ist das vorstellbar, dass sich die Europäer in ihrer Gesamtheit auf eine Haltung einigen, die sagt, wir setzen jetzt zum Beispiel auf die Muslimbrüder in Ägypten, als sozusagen eine tragende Säule bei dem Übergang zu einer zivilen und demokratischen Gesellschaft?

Jürgen Trittin: Da muss ich dazwischenrufen, das habe ich nicht gesagt, ich habe gesagt, man darf sie nicht künstlich ausgrenzen. Sie müssen sich an die Verfassung halten.

Michael Hirz: Ja aber Sie haben gesagt, man muss sie deutlich einbeziehen und sie sei die stabilste Gruppe.

Jürgen Trittin: Ja.

Jean Asselborn: Also das Erste, ich kann mich jetzt nicht äußern zu der CSU und auch zu dem Gewicht der CSU in Deutschland. Ich glaube Herr Trittin hat das richtig gesagt: die Moslembrüder in Ägypten haben natürlich auch eine Strategie und eine Taktik. Wenn man sieht, was sie während 5 Jahrzehnten gesagt haben und was sie heute sagen, da sind sie lau geworden, wirklich sehr, sehr lau. Das ist natürlich eine Strategie, die man nicht verkennen darf. Ich glaube die Europäische Union muss sich in die Rolle, wenn man diese Gesichter jener Menschen, die protestiert haben, sieht, erkennt man, dass sie weder eine Anarchie, noch ein Militärregime, noch eine Autokratie, noch eine Theokratie wollen. Sie wollen mehr Mitbestimmung, sie wollen mehr Würde. Und diese Aspiration müssen die Europäer auch verfolgen. Und ich glaube wir sind ja jetzt an einem Punkt angekommen wo es, muss man sagen, mit Präsident Mubarak nicht mehr geht. Er hat das selbst eingesehen, er wird nicht mehr kandidieren, weder sein Sohn noch irgendein anderer aus seinem Clan, das steht fest. Jetzt muss das Terrain vorbereitet werden, damit Neuwahlen einen neuen Start in Ägypten garantieren können. Und das ist ja die große Frage jetzt. Die Amerikaner sehen es ja als positiv an, dass auch mit den Moslembrüdern verhandelt wird. Und wenn man gestern Abend diese kleine Runde gesehen hat, wo nicht nur Moslembrüder saßen, sondern auch viele Leute der Zivilgesellschaft, Repräsentanten der Zivilgesellschaft, diese Moslembrüder, mit denen man 5 Jahrzehnte nicht geredet hat in Ägypten. Man hat 3 Jahrzehnte mit, wie sagt man das, Ausnahmegesetzen in Ägypten regiert. Der Deckel ist jetzt auf und ich bin überzeugt, dass die Ägypter so viel Energie in sich haben und so viel Weitsicht in sich haben, dass sie alleine entscheiden können, wenn man ihnen die Gelegenheit dazu gibt, wie und mit welchem System und welchen Leuten ihr Land regiert werden soll in Zukunft.

Michael Hirz: Wenn Sie sagen der Wandel ist eigentlich mit Mubarak gar nicht mehr zu stellen, Sie sagen Mubarak muss weg, man kann es ja so auf den Punkt bringen. Wer ist denn dann die Figur die Ansprechpartner wäre? Ist das Suleiman, der ja bisher noch der Stellvertreter von Mubarak ist, sozusagen aus der gleichen Gruppierung stammt und eigentlich eine Figur des alten Teams ist? Geht das mit so jemanden?

Jean Asselborn: Also ich weiß, dass Journalisten immer Klarheit wollen, aber ich habe nicht gesagt Mubarak muss weg! Ich habe nur festgestellt, dass Mubarak ja selbst alles gemacht hat, damit er weg ist. Das ist das Erste. Das Zweite, was Sie gefragt haben: ich glaube wir sind ja jetzt in einer Phase wo man schauen muss wie sich die Lage entwickelt, zum Beispiel um El Baradei, Amre Mussa, was ja ein sehr guter Kollege von uns ist, der Generalsekretär der arabischen Liga, den wir dauernd rund um die Welt sehen. Es ist die Sache – Suleiman haben Sie vorhin angesprochen – der Ägypter, selbst das zu entscheiden. Suleiman, kann ich nur sagen, als einer der ja auch versucht hat als wir Verantwortung hatten in der Präsidentschaft und auch danach, mit ihm zu reden. Er hat sehr, sehr viel geleistet für Gaza und ich habe es schon gesagt, auch für Rafah. Er war ein Mann der ein offenes Ohr hatte. Ob er auch akzeptiert wird von diesem zentralen Platz in Kairo, ob er der Mann sein kann, der im Stande ist zu führen, das kann ich nicht beurteilen. Ich kann nur eins beurteilen: das ist, dass wir als Europäische Union – ich glaube da ist Herr Trittin auch mit mir einverstanden – vor allem die Zivilgesellschaft ermutigen müssen und sollen, damit sie an diesem Prozess teilnimmt. Und dieser Prozess muss zu einem Resultat führen. Wir haben zum Beispiel im Irak gesehen wie unwahrscheinlich schwierig es ist zwischen Sunniten und Schiiten eine Verfassung auf die Beine zu bekommen. Das hat Jahre gedauert. Das dürfte ja eigentlich in Ägypten, wo eigentlich Sunniten sind, nicht all zu schwierig sein, um das fertig zu bringen. Diese Phase hier muss die Europäische Union, das hat ja auch der europäische Gipfel gesagt, wirklich zeigen, dass wir da sind um Programme zu unterstützen und auch logistisch zur Verfügung stehen, wirtschaftlich zur Verfügung stehen. Diese Menschen müssen eine Perspektive bekommen, wo die Wirtschaft nicht da ist für 1% der Gesellschaft, sondern wo jeder teilnehmen kann, auch sozialpolitisch gesehen.

Michael Hirz: Nun muss man ja sehen und das Wort Stabilität haben Sie eingeführt eben in unser Gespräch Herr Trittin, dass Stabilität natürlich auch ein Faktor ist auf den man achten muss. Wäre möglicherweise der sofortige Rückzug von Mubarak auch etwas was so als Signal an die Verbündeten des Westens im Nahen Osten ausstrahlen könnte, mit dem Ergebnis, dass man sagt, dem Westen kann man eigentlich nicht trauen. Denn es war ja der Westen der, das haben auch Sie gesagt eben, es war ja der Westen der Mubarak mit an der Macht gehalten hat, dadurch dass es eben der Verbündete der EU und der Amerikaner war.

Jürgen Trittin: Ich glaube eher es wäre das Signal, dass der Westen zu einem geordneten Transformationsprozess steht, dass der Westen auch dazu steht, dass er mal einen Fehler gemacht hat. Das wäre die richtige Haltung.

Michael Hirz: Also wenn ich jetzt in Riad säße und ich wäre Teil der Herrscherfamilie würde ich sagen, der Westen ist mein traditioneller Verbündeter und ich sehe jetzt was mit Mubarak passiert, wäre mir auch nicht so richtig wohl in der Haut.

Jürgen Trittin: Ich glaube auch, dass das Signal bei der saudischen Königsfamilie zu Recht ankommen sollte. Wenn Sie das Justizsystem an dieser Stelle dort betrachten, das ist mit unseren Standards von Menschenrechten, von Demokratie in vielen Bereichen auch nicht vereinbar. Und dieses Regime wird sich darüber Gedanken machen müssen wie es sich transformiert. Die sind möglicherweise weiter gedanklich und wenn Sie in die Sultanate schauen, ist es ebenfalls ein weiterer Prozess. Nur dass dort man zu Recht darüber nachdenklich wird, das würde ich an dieser Stelle eher begrüßen. Die Verantwortung die jetzt stattfindet ist diesen Prozess mitzugestalten, das heißt letztendlich hat die ägyptische Opposition oder die ägyptischen Oppositionen haben zu entscheiden ob sie mit Suleiman kooperieren an dieser Stelle. Sie haben das bisher nicht abgelehnt, sie haben aber 2 Kernforderungen erhoben. Sie haben gesagt Mubarak muss zurücktreten und der Ausnahmezustand muss aufgehoben werden. Und ich finde in diesen beiden Forderungen, man kann das so gepflegt tun wie Herr Asselborn das gemacht hat, aber man muss sie in dieser Frage klar unterstützen. Man muss klar sagen, das ist für uns der Rahmen in dem sich ein geordneter Transformationsprozess bewegt. Alles andere setzt im Grunde genommen die Politik der doppelten Botschaften fort.

Michael Hirz: Jetzt gibt es ja in Ägypten im Augenblick auch noch keine Leitfigur. Sie haben zwar gesagt, es gibt El Baradei, und es gibt auch andere, die aber offensichtlich nicht wirklich getragen werden von der Mehrheit der Bevölkerung.

Braucht man für so eine Entwicklung nicht auch funktionsfähige Eliten, und braucht man nicht Leitfiguren und Ansprechpartner, die so ein gewisses Maß an Verlässlichkeit auch in die Gespräche bringen, die man dann, zum Beispiel als EU, wenn die EU sich mal geeinigt haben sollte, wie sie mit den Problemen umgeht, die man dann eben braucht?

Jean Asselborn: Ich glaube, dass wenn man die Struktur in Ägypten analysiert – und ich war öfters in diesem Land – hat man festgestellt, dass, ähnlich wie in Tunesien, 1% der Bevölkerung alles hat und noch mehr.

Und dass in Ägypten, glaube ich, fast 60% der Menschen vielleicht mit weniger als zwei Dollar am Tag leben mussten, und dass die Mittelschicht, also, wenn ich das so ausdrücken darf, äußerst klein war.

Wenn man auch jetzt liest, wie zum Beispiel die Polizei funktionierte. Das war ja ein Staat im Staat, vor allem die Geheimpolizei. Welche Vorteile diese hatte, und wie sie eigentlich über der Gesellschaft stand, sowohl materiell, wie auch, politisch! Das ist jetzt nicht so einfach – jedenfalls aus meiner Sicht und aus meiner Erfahrung mit ägyptischen Politikern – dass man jetzt sagen kann, hier ist ein Garten wo man neue Führer, also politische Führungskräfte sich herausnehmen kann.

Ich kenne von denen, die genannt werden, persönlich zwei. El Baradei ist für mich ein sehr, sehr großer Mann, mit viel, viel Mut, aber ich kann nicht mehr sagen. Ich kenne ihn nur in seinem Amt, das er ausgeübt hat in Wien, bei der IAEA.

Selbstverständlich kenne Ich, wie ich gesagt habe, Amr Moussa auch, ein Mann der vor allem im Friedensprozess aktiv mitgewirkt hat. Ich hoffe, dass wir noch ein Wort darüber reden können, über Israel. Er hat immer eine Rolle gespielt, die, glaube ich, eher positiv war.

Aber vielleicht, angenommen jeder Mensch in Ägypten hätte das aktive und das passive Wahlrecht… Historisch gesehen, und ich glaube auch von der Geschichte her, muss man so viel Vertrauen in die ägyptische Gesellschaft haben, dass hier neue Kräfte hervortreten können, damit dieses Land – das ist ja der Wunsch den wir haben – vielleicht ein Referenzland in der arabischen Welt wird. Ich hoffe, dass sie es fertig bringen, was glaube ich wir alle, wo wir behilflich sein müssen, nämlich ein Land aufzubauen, wo sie selbst bestimmen, Selbstbestimmung eigentlich das Prinzip ist.

Michael Hirz: Israel ist genau das Stichwort, das ich gerne aufgreifen würde. In Israel gibt es große Besorgnisse im Zusammenhang mit der Entwicklung, vor allen Dingen in Ägypten, weil Ägypten war ja so ein Garant dafür, und auch Mubarak als Person, ein Garant dafür, dass auch da zumindest ein funktionierender Waffenstillstand, also ein kalter Frieden eingehalten wurde.

Verstehen Sie diese Sorgen, und sind Sie sicher, dass zum Beispiel ein Prozess der ohne Figuren aus dem alten Regime abläuft, tatsächlich auch für Israel ungefährlich ist?

Denn wir haben, wenn ich das noch anfügen darf, wir haben ja zum Beispiel durchaus demokratische Wahlen gehabt im Nahen Osten, und dann kann das Ergebnis natürlich auch eine Gruppierung wie die Hamas sein, die also jetzt nicht gerade Israelfreundlich ist.

Jürgen Trittin: Ja, aber auch der Sieg der Hamas insbesondere im Gaza, ist nicht alleine aus der Stärke der Hamas zu erklären, sondern auch aus Fehlern, schlechter Regierungsführung, Korruption unter der Fatah. Also da sehen Sie teilweise fast die gleichen Ursachen.

Natürlich wird es ein Übergang nur geben, auch mit Beteiligten aus dem Regime. Aber trotzdem werden sich neue Verhältnisse, auch neue Personen schaffen.

Vor 20 Jahren hätte auch niemand über Frau Merkel daran in der DDR gedacht, dass die einmal Kanzlerin des Vereinten Deutschlands sein würde.

Ohne dass ich das alles gleichsetzen will, aber das ist so eine Entwicklung. Ich glaube, dass wir diese Entwicklung, auch gerade mit Blick auf die Sicherheit Israels, und meine Grundforderung an jede Regierung in Jordanien, in Ägypten, aber auch in jede Regierung des nahöstlichen Raumes ist, muss das Existenzrecht Israels akzeptieren, und geschlossene Verträge, das gilt für Jordanien, wie Ägypten, sind einzuhalten.

Die entscheidende Frage ist doch für uns nicht, ob wir uns zurücklehnen und sagen, werden die das wohl tun?, sondern wir müssen uns fragen, wie können wir auf die Entwicklung so Einfluss nehmen, dass die das tun? Und ich glaube, dass Kooperation mit der Zivilgesellschaft helfe beim Aufbau diese Art Ende der Doppeldeutigkeiten:

Eine der Grundvoraussetzungen ist, auch eine, wie auch immer sich zusammensetzende neue ägyptische Regierung dazu zu bewegen, in der Tradition der Nachbarschaft, der kalten, friedlichen, vielleicht auch irgendwann einmal guten Nachbarschaft mit Israel zu leben.

Michael Hirz: Die Europäische Union, das merken wir im Augenblick ja wieder besonders, weil die ist ja nicht besonders schnell bei dem Aufzeigen, oder bei dem Finden von Lösungen der Probleme, mit denen wir es im Augenblick dort zu tun haben.

Welche Instrumente hätte die Europäische Union denn im Augenblick, um dort dann noch einmal einzugreifen in diesen Prozess, und welche Instrumente müssten noch entwickelt werden?

Wir erinnern uns ja, dass vor gar nicht allzu langer Zeit der französische Präsident Sarkozy, eine Mittelmeerunion ausgerufen hat. Da gibt es, glaube ich, auch eine Generalsekretärin, deren Namen keiner kennt, weil auch diese Mittelmeerunion offensichtlich so wie ein loses Ende im Raum schwebt, und nicht so richtig eingebunden war in eine Strategie.

Muss man nicht auch Strukturen entwickeln in der EU, und die dann eben von allen getragen, dann auch den Menschen im Maghreb und im Nahen Osten helfen, und welche könnten das sein?

Jean Asselborn: Ich artikulieren mich als nicht-deutscher vielleicht etwas weniger mit der Handbremse in Sachen Israel, als Herr Trittin es gemacht hat.

Es stimmt, dass Ägypten selbstverständlich die Verträge einhalten muss. Aber ich würde es auch ein wenig umdrehen.

Vor allem nach Annapolis, welches jetzt drei Jahre her ist, und wenn man auf der Geberkonferenz zum Beispiel in Paris dabei war, und wenn man sieht, wie viel Mühe die ganze internationale Gemeinschaft sich gegeben hat, wie nahe wir an Lösungen waren, Grenzen von 1967, aufhören mit diesem Siedlungsbau, und dann auch eine echte Verhandlung über eine Zweistaatenlösung. Herr Trittin, ich … (unterbrochen)

Jürgen Trittin: Ich stimme Ihnen völlig zu.

Jean Asselborn: Ich glaube ich bin bemächtigt auch aus Luxemburger zu sagen, dass dieser Immobilismus ein großer, großer politischer Fehler war der israelischen Regierung… (unterbrochen)

Michael Hirz: Das heißt, es muss Druck der Europäer auch auf Israel geben?

Jean Asselborn: Ja klar, das ist ja das, was wir versuchen, nicht weil wir gegen Israel sind, sondern weil wir das Wohl von Israel auch im Blickpunkt haben. Und diese Politik, die Israel jetzt macht, diese Blockade, führt wirklich auf eine ganz negative Piste. Und ich sage Ihnen vielleicht ein Wort zu dem Quartett was in… (unterbrochen)

Michael Hirz: Entschuldigen Sie, dass ich Sie dann noch einmal unterbreche, aber ich wollte das jetzt nicht vorbei gehen lassen. Es passiert auch im Augenblick, also es wird eben parallel zu dem was in Richtung Ägypten passiert… (unterbrochen)

Jean Asselborn: Das wollte ich Ihnen erklären jetzt.

Michael Hirz: Wunderbar, dann freue ich mich auf die Erklärung.

Jean Asselborn: Ja, ich wollte jetzt sagen, wir waren beide, Herr Trittin, in München, wo eine Quartettsitzung war. Und auf dieser Quartettsitzung kann man vieles kritisieren. Es ist die UNO, Russland, Amerika und die Europäische Union. Daran kann man vieles kritisieren.

Aber das Ziel, was da noch einmal wiederholt wurde, das ist das Ziel, welches Präsident Obama im September 2010 in New York gesetzt hat. Wir wollen einen neuen palästinensischen Staat im September 2011 auf der UNO willkommen heißen. Dieses Ziel wurde wiederholt. Ich glaube, auch was sich zur Zeit abspielt, das weiß vielleicht nicht jeder, aber es gibt eine Resolution auf der UNO im Umlauf, die schon mehr als 120 Länder unterschrieben haben. Die Resolution sagt eigentlich weiter nichts als, erstens, Grenzen von 1967, zweitens Siedlungsstopp, drittens Verhandlungen über eine Zweistaatenlösung. Diese Resolution ist von mehr als 120 unterschrieben worden.

Die Europäische Union – und Herr Trittin wird sicher eines Tages unter uns sitzen als Außenminister, das wünsche ich ihm – der wird sehen, wie schwierig, extrem schwierig, - und nicht nur für Deutsche – diese Frage ist, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Portugal hat jetzt vor einigen Tagen unterschrieben. Es sind jetzt 7, 8 EU-Mitgliedstaaten die nachgezogen sind.

Wir wollen auf der UNO mit einer Stimme reden. In diesen Fragen, fundamentalen Fragen haben wir aber nicht immer die Möglichkeit uns richtig, sagen wir einmal, zu koordinieren. Aber auch das zeigt, dass wir den Israelis, vor allem in dieser Situation, wo wir sind, und zum Wohle des israelischen Volkes, und zum Wohle des Überlebens des israelischen Volkes, dass wir sagen müssen, hört auf mit diesem Bauen auf Gebieten, die euch nicht gehören, und setzt euch bitte alle zusammen wieder an einen Tisch, und versucht dann eine Zweistaatenlösung zu entwickeln.

Das ist ja auch eigentlich die Bedingung, um die Überlebenschance der Israelis, die ja demographisch in einem Umfeld sind, wo sie nicht gerade im Vorteil sind, um das einmal so zu sagen, in der Zukunft absichern könnte.

Es ist kruzial was jetzt geschieht in diesem Prozess. Und ich hoffe, dass dieser Prozess nicht verloren geht durch die Ereignisse, die jetzt stattfinden in verschiedenen arabischen Ländern, die sehr, sehr wichtig sind.

Und ich bin auch überzeugt, dass auch ein neues Regime, oder auch ein demokratisches Ägypten diese Verträge selbstverständlich einhalten will, so auch wird es Jordanien tun. Und die arabische Welt war nie so bereit wirklich diesen Prozess positiv zu begleiten.

Michael Hirz: Ja haben Sie denn den Eindruck, dann doch noch eine Nachfrage. Haben Sie denn den Eindruck, dass dieser Appell auf offene Ohren trifft in Israel? Gibt es da Signale, dass die israelische Regierung auch die Lage ähnlich einschätzt wie Sie, und entsprechende Konsequenzen zieht?

Jean Asselborn: Also ich bin ein sehr unwichtiger Mensch in dieser Sache. Ich kann nur das wiederholen, was wir ja auch hören von den Amerikanern, und was wir hören von allen Europäern, mit vielleicht ein, zwei, drei Ausnahmen.

Aber dieses Gespür, dass man diese Blockade aufheben muss, diese Angst, die ja auch die Amerikaner haben, dieses Unwohlsein das Länder wie Deutschland auch haben, durch alle Parteien, und Sie können vielleicht weniger frisiert reden als ich das hier tue, als nicht Deutscher.

Aber glauben Sie mir, es ist der Friedensprozess, die Zweistaatenlösung. Von den Philippinen über Indonesien bis in die arabische Welt, in die Türkei, bis nach Amerika, bis nach London, ist es ein wesentlicher Punkt, ein Schlüssel des Weltfriedens. Wenn wir den einmal knacken könnten, in einem positiven Sinne, dann wäre vieles viel einfacher. Sogar der Einfluss des Irans würde damit sehr stark beeinträchtigt werden. Aber solange dieses Problem nicht gelöst ist, glaube ich, kommt die arabische Welt nicht zur Ruhe, und kommt auch vieles, was mit der arabischen Welt zu tun hat, nicht zur Ruhe. Und wir haben da Verantwortung, und ich glaube, das ist das, was wir den Israelis sagen müssen. Und ich hoffe, dass sie eines Tages es verstehen.

Michael Hirz: Glauben Sie denn, dass es einen Schub gibt, dass es einen Schub gibt in der Beziehung auch zwischen den Israelis und den arabischen Ländern, also einen Schub hin zu einer friedlichen Koexistenz, jetzt durch diese Entwicklung, die wir im Augenblick beobachten?

Jürgen Trittin: Ich glaube erstmal hat das in Israel Erschrecken ausgelöst.

Michael Hirz: Ja, man hat ja auch den Eindruck, dass auch… (unterbrochen)

Jürgen Trittin: Israel stieß dann plötzlich auf einen ganz eigenen Widerspruch. Sie waren immer stolz darauf, die einzige wirkliche Demokratie in der Region zu sein. Jetzt erschrecken sie sich ganz fürchterlich, dass andere sich auf so den Weg zu eben dieser Demokratie gemacht haben.

Aber das was ich vorhin gesagt habe, dass die setzen auf die Despotie zum Zwecke der Stabilität, die Stabilität nicht gebracht hat. Das gilt im Prinzip auch für den Konflikt, über den wir eben hier geredet haben.

Selbstverständlich wird langfristig Sicherheit für Israel nicht im Siedlungsbau bestehen, nicht im Hochziehen von Mauern, nicht in einer Blockade gegenüber dem Gaza, sondern in einer Organisation einer guten Nachbarschaft, und einem lebensfähigen, und ich sage lebensfähig, das heißt auch wirtschaftlich entwicklungsfähigen palästinensischen Staat.

Ich glaube, dass die klügeren Köpfe in Israel das lange schon begriffen haben. Aber diese Wahrheit der eigenen Bevölkerung nahe zu bringen, der man jahrelang gesagt hat, wenn wir das beste Militär in dieser Region haben, dann sorgen wir für eure Sicherheit. Das ist ein sehr, sehr schwieriger Prozess. Und diese Konfrontation hat sich bisher keine der Regierungen in Israel wirklich getraut.

Michael Hirz: Bisher war ja Ägypten die ganz wichtige Regionalmacht im Nahen Osten. Eine weitere Kraft im Nahen Osten ist der Iran, der gerne auch eine Vormachtstellung dort haben würde. Man hört im Augenblick von dort sehr wenig. Heißt das, dass das den Iran, aus Sicht der Europäer jetzt betrachtet, das völlig kalt lässt, was da passiert, oder ist das eine taktische Zurückhaltung?

Jean Asselborn: Also, die Iraner sind ja keine Araber, es sind ja Perser.

Michael Hirz: Ja, das hatten wir eben schon festgestellt, und… (unterbrochen)

Jean Asselborn: Ich wollte Sie nicht belehren, ich will nur sagen, dass es eine kleine Differenz da gibt.

Aber was ich sagen wollte, ist eigentlich folgendes: der Iran hat – und Herr Trittin hat zum Beispiel Hamas angesprochen, Hisbollah kann man ansprechen – hat natürlich Verbündete. Und aus dem Iran sind ja schon Stimmen gekommen, die begrüßen dann einen islamischen Staat in Ägypten. Ich bin mir nicht sicher, ob das das ist, was die Menschen, die auf der Strasse waren, wollen. Aber wenn man sich die Landkarte in dieser Region anschaut, sieht man welche Wichtigkeit, auch strategisch, geopolitisch sowie auch physisch eigentlich der Iran hat. Das ist das größte Land in dieser ganzen Region.

Es ist extrem, extrem schwierig mit dem Iran. Wir fokussieren uns ja vor allem auf diese Geschichte, die nukleare Nützung der Energie, das ist eine äußerst wichtige Sache. Aber die schlimmste Sache, glaube ich, ist trotzdem wie der Iran mit den Menschenrechten umgeht. Ich weiß, dass es auch noch andere Länder gibt, wo Steinigungen stattfinden. Ich weiß auch, dass noch Leute gehängt werden in der Öffentlichkeit in anderen Ländern.

Aber der Iran, und wenn man auch, ich sage jetzt nicht, das Glück, aber wenn man einem iranischen Außenminister gegenüber sitzt, wie das mit Mottaki bei mir manchmal der Fall war, ist es extrem schwierig zu akzeptieren, dass dieses Land mit dieser Geschichte, dieses große Land, dieses junge Land, dass es da noch immer diese Theokratie gibt, die es fertig bringt alles zu unterdrücken was diese Menschen in Teheran, und in Iran eigentlich wollen.

Ich glaube nicht, dass die Iraner Speerspitze sein wollen von jenen, die nur Unruhe im Nahen Osten wollen. Sondern, der Iran könnte eine unheimlich wichtige Rolle spielen in dieser Region. Leider ist das zurzeit nicht gelungen, weder von Präsident Obama, der ja die Hand gereicht hat, noch von uns Europäern, die Angebote gemacht haben, noch von allen Kritiken in Sachen Menschenrecht. und die Holländer haben das ja erfahren letzte Woche, wie grausam dieses Regime sein kann.

Ich glaube hier wirklich müssen wir sehr, sehr viel tiefer arbeiten, um an die Zivilbevölkerung zu kommen in diesem Land, um dann vielleicht den Dreh in der Zukunft zu finden.

Michael Hirz: Also müssten dann nicht, vielleicht die letzte kurze Frage an sie beide. Müsste dann nicht die Türkei, Sie haben es eben auch am Eingang schon gesagt, als möglicher Partner und starke Regionalmacht in der Gegend, eine größere Rolle für die EU spielen? Wir sind knapp in der Zeit, jetzt bitte eine kurze Antwort.

Jürgen Trittin: Ach der Iran ist deswegen so still, weil alle Mächtigen in der Region fürchten was da an Volk sich bewegt hat. Und das lässt sie zurzeit raten stille zu sein.

Ich glaube in der Tat, dass wir mehr setzen müssen auf die positive Rolle der Türkei, dass wir an dieser Stelle ein ganz anderes Verhältnis aufbauen, wir müssen eigentlich begreifen für uns, welch strategische Bedeutung die Türkei für Europa hat, und müssen aufhören das zu innenpolitischen Wahlkampfzwecken zu instrumentalisieren.

Michael Hirz: Ein ganz kurzes letztes Wort, wir sind am Ende der Sendung, von Ihnen zum Thema Türkei und EU.

Jean Asselborn: Also wir könnten grenzüberschreitend unsere Ideen austauschen mit Herrn Trittin. Ich bin absolut auch der Meinung, dass wirklich die Türkei ein Instrument ist, wenn ich es politisch ausdrücken darf, um wirklich diese Brücke zu schlagen.

Und wenn man sieht, wie eine Gesellschaft wie in der Türkei, sich trotzdem in den letzten 7, 8 Jahren verändern konnte, dann müsste das zu Optimismus Ausschlag geben. Dieser Optimismus muss uns bewegen, dass das auch möglich ist in anderen Ländern aus der arabischen Gegend. Die Türkei ist für die Europäische Union ein strategisch, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch strategisch ein sehr, sehr wichtiger Faktor.

Und ich würde mir auch wünschen, dass wir die Menschen in Frankreich, und in Deutschland mehr überzeugen könnten nicht nur diese Frage der Differenz der Kulturen zu sehen, sondern in die Zukunft zu schauen, ins 21. Jahrhundert.

Eine Europäische Union mit der Türkei wäre ein Faktor, weltpolitisch gesehen, der zählen würde, viel mehr zählen würde wie es heute der Fall ist.

Michael Hirz: Ja, vielen Dank Herr Asselborn. Einen hier am Tisch zumindest müssen Sie nicht überzeugen, das ist Herr Trittin, was diese Geschichte angeht.

Wir sind am Ende der Sendung. Ich bedanke mich sehr für die Teilnahme meiner Gesprächspartner, aber auch für ihr Interesse.

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