Jean Asselborn au sujet de la situation en Libye

Tobias Armbrüster: Herr Asselborn, zahlreiche Staaten in der EU haben sich für Sanktionen gegen Libyen ausgesprochen, darunter auch die deutsche. Warum passiert nichts?

Jean Asselborn: Ich glaube, dass Ihre Frage sehr berechtigt ist, aber lassen Sie mich vielleicht sagen, mit welchem Phänomen wir es aus meiner Sicht hier zu tun haben. Was in Libyen geschieht, ist meines Erachtens Völkermord in höchster Potenz.

Jeder auf der Welt hat dieses Spektakel gestern gesehen. Ein Mann, der verstört ist, der krank ist, hat da geredet. Er ist aber auch sehr gefährlich. Er hat einen Aufruf zum Bürgerkrieg gemacht, er hat die Libyer gegeneinander aufgehetzt, Gewalt anzuwenden. Wir wissen, dass Zehntausende Söldner in diesem Land sind, dass Scharfschützen eingesetzt werden, die einfach die Menschen niederschießen. Das ist sehr, sehr schlimm und ich glaube, das Wort "Sanktionen" gegen ein solches Phänomen ist ein zu schwaches Wort.

Das Wichtigste ist, glaube ich, dass wir jetzt alles tun in der internationalen Gemeinschaft, dass dieses Massaker aufhört. Wir haben, glaube ich, die Pflicht als internationale Gemeinschaft, dass hier Einhalt geboten wird. Le devoir d’ingérance, wie die Franzosen sagen. Wir müssen uns darauf vorbereiten, glaube ich, dass, wenn das nicht aufhört, ein UNO-Mandat zu Stande kommt, um die Menschen in Libyen vor diesen Massakern zu schützen.

Tobias Armbrüster: Wie könnte so ein UNO-Mandat genau aussehen?

Jean Asselborn: Es ist ja schon gestern Nacht, auch mit Hilfe der Deutschen, im Sicherheitsrat ganz klar eine Erklärung zu Stande gekommen, dass dieses Massaker aufhören muss.

Ich könnte mir auch vorstellen, dass zum Beispiel die UNO sehr schnell beschließt, dass alle Flüge nach Libyen kontrolliert werden, damit nicht weitere Söldner hier in dieses Land eingeflogen werden. Wie Sie das richtig gesagt haben, die Armee spielt auch in Libyen eine Schlüsselrolle – aber hier scheint es, nicht wie in Tunesien und in Ägypten, eine Verbrüderung mit dem Volk zu geben. Aber es muss verhindert werden, dass diese Söldner ins Land hineinkommen. Das könnte ein zweiter Punkt sein.

Dann ein dritter Punkt: die Arabische Liga hat, glaube ich, Verantwortung übernommen. Gestern haben die Botschafter der Arabischen Liga beschlossen, Libyen jetzt zu diesem Zeitpunkt auszuschließen aus der Liga. Wenn es nicht anders geht, muss auch vor Ort, wie gesagt, die fundamentalste Menschlichkeit gewährleistet werden können.

Tobias Armbrüster: Sollten wir uns möglicherweise darauf einrichten, dass auch ausländische Truppen, UNO-Truppen nach Libyen entsandt werden?

Jean Asselborn: Ich glaube, das ist Sache der UNO. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Welt – nachdem man gestern diesen Leader gesehen hat – dass die Welt da zuschauen kann, wie Hunderte, vielleicht morgen Tausende Menschen ganz einfach abgeschlachtet werden. Da muss Einhalt geboten werden mit den Mitteln, die, glaube ich, nur die internationale Völkergemeinschaft, die UNO, der Sicherheitsrat zur Verfügung hat.

Tobias Armbrüster: Wir haben jetzt schon wieder viel über die UNO und die große globale internationale Politik gesprochen. Ich möchte noch einmal zurückkommen auf die Europäische Union. Warum waren deren Stimmen in den vergangenen Tagen so schwach? Wer blockiert da?

Jean Asselborn: Ich glaube nicht, dass blockiert wird. Wir haben am Montag in Brüssel eine [wird unterbrochen]

Tobias Armbrüster: Wir haben, wenn ich Sie da unterbrechen darf, Herr Asselborn, immer wieder gehört, dass gerade die Mittelmeer-Länder, gerade Italien, Schwierigkeiten damit haben, deutliche Worte zu finden gegen Libyen. Stimmt das?

Jean Asselborn: Ich wollte jetzt eben darauf antworten.

Wir haben in unserer Debatte natürlich Kenntnis genommen von, zum Beispiel, den Schwierigkeiten, die ein Land wie Italien oder Malta, oder vielleicht auch andere im Süden haben könnten mit dem Flüchtlingsstrom.

Aber ich bin ja in der Sache ganz Ihrer Meinung, dass man wirtschaftliche Interessen, die man in diesem Land haben könnte, vor allem, sagen wir mal, ja das Öl und Gas, dass das nicht in die Wagschale gelegt werden kann, um eben Beziehungen mit einem Land, mit einem Tyrannen aufrecht zu erhalten, wo Bürger rücksichtslos abgeschossen werden. Da gebe ich Ihnen komplett Recht.

Darum ist das in der EU, glaube ich, auch nur eine Frage von Stunden, dass wir ein Einreiseverbot verhängen, dass wir auch die Bankkonten von Libyern einfrieren, die da unverantwortlich handeln und Teil des Gaddafi-Clan sind, und dass wir auch, glaube ich, in der Europäischen Union ganz klar mit dem Süden, mit den Ländern der Mitte und aus dem Norden sehr, sehr schnell ein Einvernehmen finden, dass wir zeigen, dass wir hier zu reagieren wissen.

Es ist ja etwas anders als in Tunesien und in Ägypten. Ich hoffe, dass hier in dieser Übergangsphase in diesen beiden Ländern, dass wir da schon einen Schritt vorwärts sind. Eben in der Vorbereitung von fairen Wahlen, in der Vorbereitung einer demokratischen Gesellschaftsordnung, die in den beiden Ländern möglich ist, glaube ich, dass wir uns da aktiv einbringen können. In Libyen geht es jetzt wirklich darum, diesen Schritt fertigzubringen. Das Volk allein in Libyen, so wie es aussieht, ist nicht dazu im Stande. Wir haben ja auch fast keine Bilder aus diesem Land. Diese Grausamkeiten werden uns ja nur sporadisch berichtet. Wir sehen sie zwar, aber wir sehen nicht den gleichen Aufbruch, der in Tunesien und in Ägypten über die Fernsehkanäle kam.

Wir sehen hier nur das absolut Unmenschliche, was sich da zuträgt. Ich glaube, auch für uns als Europäische Union: wenn wir jetzt mit Sanktionen operieren gegenüber den Machthabern, ohne dabei das Volk zu treffen, das scheint mir nicht das allerwichtigste zu sein. Wichtig ist natürlich auch die Rückkehr der vielen Menschen, die in Libyen zurzeit sich aufhalten.

Tobias Armbrüster: Ja, Herr Asselborn. Viele Politiker auch hier bei uns in Deutschland sagen in dieser Situation, wir müssen jetzt unsere Grenzen stärker abschotten, weil wir in den nächsten Tagen und Wochen große Flüchtlingsströme erwarten können, vor allem aus Libyen, auch wenn tatsächlich das Regime dort fallen sollte. Ist das das richtige Vorgehen, jetzt die Grenzen weiter dicht zu machen?

Jean Asselborn: Die Grenzen, glaube ich, von Libyen zurzeit sind dicht, denn das ist absolutes Chaos.

Tobias Armbrüster: Aber Gaddafi hat ja schon gedroht: "Ich schicke die Flüchtlinge, wenn ihr wollt, übers Meer."

Jean Asselborn: Also Gaddafi ist, glaube ich, ein Subjekt, dem man nicht zu viel mehr glauben darf von dem, was er da sagt.

Aber das Problem ist ja zum Beispiel auch: Ich bin im Moment in der Türkei. 25.000 Türken sind zurzeit in Libyen. Es sind viele europäische Länder, die auch noch Menschen in Libyen vor Ort haben, die dort arbeiten. Diese müssen zurück, das ist ja auch eine Priorität, die darf man ja nicht vergessen.

Und das andere, was alles danach kommt und wie es aussehen wird, wenn sich die Lage in Libyen beruhigt, da müssen wir zusammen schauen, was da zu tun ist. Libyen hat 4.000 Kilometer Grenzen mit den afrikanischen Ländern und sehr viele Menschen aus Afrika sind in Libyen gelandet, und wurden auch zum Teil als Söldner eingestellt. Das war eine der Bedingungen von Gaddafi. Er hat ja davon profitiert.

Wir müssen ja sagen, dass wir in der Europäischen Union selbstverständlich in keinem Land das Problem Afrikas lösen können. Was wir aber tun müssen, das ist, als Europäische Union wie auch in der NATO, uns viel weniger mit militärischen Aufrüstungen zu beschäftigen, sondern dieses Geld und diese Energie die wir haben, nehmen, damit wir den Menschen in Afrika eine andere Zukunft in ihrem Lande bieten können.

Das ist, glaube ich, das fundamentale Problem. Wir müssen uns mehr in Sachen Erreichen der Millenniums-Ziele einsetzen.

Tobias Armbrüster: Heißt das denn auch, dass wir zumindest kurzzeitig in Europa bereit sein müssen, auch zusätzliche Flüchtlinge auch in großer Zahl aufzunehmen?

Jean Asselborn: Also ich glaube, die Europäische Union müsste auch fähig sein, in einem gewissen Maße selbstverständlich Menschlichkeit, aktive Menschlichkeit zu zeigen.

Allerdings wäre es ein großer Fehler, wenn wir den Menschen in Afrika vorspielen würden, sie hätten ein besseres Leben in Europa und dass wir das alles hier bewältigen könnten und ihnen dazu die Garantie geben, dass sie vielleicht, wie ihre Väter vorher, in Frankreich aus Marokko, aus Tunesien, aus Algerien kommend ihre Zukunft aufbauen können. Das ist leider, glaube ich, nicht mehr so einfach.

Darum: ich glaube wir tun viel, viel zu wenig um diesen Menschen in ihren Ländern eine Perspektive zu geben, ihnen die Würde zu geben, damit sie dort leben können. Daran müsste auch die Europäische Union viel stärker arbeiten.

Tobias Armbrüster: Hier bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk war das Jean Asselborn, der Außenminister von Luxemburg. Ich danke Ihnen vielmals für das Gespräch, Herr Asselborn.

Jean Asselborn: Bitte, Herr Armbrüster!

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