"Eine dauernde Beleidigung der Griechen hilft nicht", Jean-Claude Juncker au sujet de l'euro, de la crise de la dette souveraine et du rétablissement de contrôles aux frontières européennes

Münchner Merkur: Herr Juncker, kann der Euro nur noch mit Geheimtreffen gerettet werden?

Jean-Claude Juncker: Es gab kein Geheimtreffen zur Euro-Rettung, weil der Euro nicht in Gefahr ist. Wir haben es nicht mit einer Euro-Krise zu tun, sondern mit einer Schuldenkrise in mehreren Euro-Mitgliedsstaaten. Das Treffen diente der Vorbereitung von G 7- und G 20-Gesprächen. Wir haben ausdrücklich nicht über einen Austritt, eine Ent- oder eine Umschuldung Griechenlands gesprochen. Ich habe den griechischen Kollegen dazugebeten, um ihm zu verdeutlichen, was unsere Erwartungshaltung ist.

Münchner Merkur: Warum haben Sie das Treffen dann nicht einfach angekündigt?

Jean-Claude Juncker: Weil es alle möglichen Wahnvorstellungen an den Finanzmärkten auslöst, wenn sich vier Finanzminister, ein Euro-Gruppen-Chef und der EZB-Präsident freitags um 17 Uhr treffen. Als das Treffen dann doch bekannt wurde, musste ich es dementieren lassen. Nicht weil ich Spaß an der ehrlichen Lüge hatte, sondern, weil die Börse in New York noch offen war. Als dann auch noch das Gerücht aufkam, Griechenland würde aus der Euro-Zone austreten, musste das in Sekundenschnelle aus der Welt geschafft werden.

Münchner Merkur: Warum wird ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone so tabuisiert?

Jean-Claude Juncker: Ich weiß sehr wohl, dass die Menschen diese Frage diskutieren. Ein Austritt hätte aber verheerende Folgen sowohl für Griechenland als auch für die gesamte Euro-Zone. Bis zum Beweis des Gegenteils also auf ewige Zeit - werde ich sagen, dass Austritt oder Rausschmiss keine gangbaren Wege sind.

Münchner Merkur: Sind Sie denn überzeugt, dass Griechenland seine Schulden wird zurückzahlen können?

Jean-Claude Juncker: Das ist eine Frage, mit der man sich intensiv beschäftigen muss. Für mich ist klar, dass Griechenland 2012 nicht zurück an die Finanzmärkte kehren kann. Für mich ist auch klar, dass Griechenland sich konsolidieren muss. Wie es weitergeht, können wir ernsthaft aber erst dann beraten, wenn der Abschlussbericht von EU-Kommission, EZB und IWF vorliegt. Griechenland muss die Haushaltsziele für 2011 erreichen, davon ist es im Moment ein Stück weit entfernt - trotz größter, bewundernswerter Anstrengungen. Griechenland wird in Sachen Privatisierung auf jeden Fall zulegen müssen, damit die dritte Tranche der 110 Milliarden Euro oder weitere Hilfen ausgezahlt werden können.

Münchner Merkur: Glauben Sie, dass Griechenland über die 110 Milliarden Euro hinaus weitere Hilfen braucht?

Jean-Claude Juncker: Ich mache meine Einschätzung derzeit vom Bericht von Kommission, EZB und IWF abhängig. Ich kann nicht gemütlich im Bayerischen Hof eine Prognose abgeben, die ich nicht mit belastbaren Zahlen unterfüttern kann.

Münchner Merkur: Warum werden die Banken nicht stärker an der Euro-Rettung beteiligt?

Jean-Claude Juncker: IWF und EZB sind entschieden dagegen, dass es eine Beteiligung der Banken geben soll. Schon die Nachricht, dass einige darüber nachdenken, hat zu einem Ansteigen der Zinsen geführt. Eine Beteiligung privater Investoren hätte gravierende Auswirkungen auf das griechische und auf andere Bankensysteme.

Münchner Merkur: Haben Sie Verständnis dafür, dass sich die deutschen Steuerzahler Sorgen um ihr Geld machen? Es heißt zwar immer, dass es sich nur um Bürgschaften handelt und noch kein Cent geflossen ist....

Jean-Claude Juncker: Wissen die deutschen Steuerzahler das überhaupt? Wenn ich die deutsche Presse lese, bekomme ich den Eindruck, wir befinden uns auf dem direkten Weg in das Armenhaus Deutschland. Nichtsdestotrotz habe ich sehr viel Verständnis dafür, dass die Menschen in den Ländern, die von sich behaupten, sich immer tugendhaft benommen zu haben, sich ernsthafte Sorgen machen um die Zukunft der gemeinsamen Währung. Ich bin aber nicht dafür, dass man pausenlos Panik macht. Ich bin dafür, dass man zur Kenntnis nimmt, dass Anpassungsprozesse stattfinden in Griechenland, Irland und Portugal. Ich bin aber dagegen, dass man in Deutschland so tut, als ob nur der deutsche Steuerzahler gefordert wäre. Käme es zu einer Inanspruchnahme der Garantien, würde der luxemburgische Steuerzahler pro Kopf mehr bezahlen als der deutsche. Das Problem ist, dass es mehr Deutsche als Luxemburger gibt. Mir wäre es auch lieber umgekehrt.

Münchner Merkur: Hat Europa aus der Krise gelernt und wird eine gemeinsame Wirtschaftsregierung einführen?

Jean-Claude Juncker: Ich habe schon 1991 als Finanzminister über die Euro-Einführung verhandelt. Damals waren drei Finanzminister dafür, dass wir neben einer unabhängigen Europäischen Zentralbank auch eine Wirtschaftsregierung brauchen.

Das waren der französische, der belgische und der luxemburgische. Die deutschen Stimmen, die nun eine Wirtschaftsregierung fordern, sind jüngeren Ursprungs. Ich begrüße aber, dass jetzt der Fokus stärker auf die Koordinierung der Wirtschaftspolitik gesetzt wird. Es ist Beschlusslage, dass kein Staat eine Wirtschaftsreform umsetzen darf, ohne vorher die Partner in der Euro-Zone konsultiert zu haben.

Münchner Merkur: Müssen die bestehenden Regelungen der einzelnen Staaten angeglichen werden?

Jean-Claude Juncker: Gemeinsame Wirtschaftspolitik heißt nicht, dass wir die Euro-Zone zu einem wirtschaftspolitischen Schmelztiegel machen, dass also alle das Gleiche tun. Koordinierung der Wirtschaftspolitik bedeutet, dass man am Wissen, was der andere vorhat, sein eigenes Tun ausrichtet.

Münchner Merkur: Nehmen wir zum Beispiel das Thema Renteneintrittsalter: Muss das nicht harmonisiert werden?

Jean-Claude Juncker: Wir haben beschlossen, dass das Renteneintrittsalter in Bezug zur Lebensdauer gebracht werden muss.

Es kann kein einheitliches Eintrittsalter geben, weil die Lebenserwartung innerhalb der Euro-Zone sehr unterschiedlich ist. Wenn wir überall das Renteneintrittsalter auf 67 heraufsetzen würden, dann hieße das, dass die Menschen in einigen Ländern drei Jahre vor dem Eintrittsalter aus dem Leben austreten. Aber das Thema zu besprechen und zu diskutieren, das ist koordinierende Wirtschaftspolitik.

Münchner Merkur: Ist die Euro-Krise...

Jean-Claude Juncker: es gibt keine Euro-Krise...

Münchner Merkur:. . . nicht eigentlich eine Europa-Krise? Zerfällt Europa nicht in Nord und Süd?

Jean-Claude Juncker: Ich wehre mich dagegen, in Nord-Süd-Kategorien zu denken. Das erweckt den Eindruck, als hätten wir hier im Norden Europas immer alles richtig gemacht. Wer weiß denn schon, dass die Verschuldung Spaniens niedriger ist als die Deutschlands?

Wir sollten nicht so lehrmeisterhaft den anderen gegenüber auftreten. Und wir sollten aufhören, die Staaten in der Südperipherie als nicht zuverlässige, uns dauernd belügende Staaten zu beschreiben. Eine dauernde Beleidigung der Griechen hilft nicht, das Griechenland-Problem zu lösen. Die Griechen wissen selbst, dass sie ihr Schicksal in den eigenen Händen halten.

Münchner Merkur: Aber es gibt doch eine Europa-Krise. Schauen Sie sich die Wiedereinführung von Grenzkontrollen durch Dänemark an.

Jean-Claude Juncker: Wir laufen Gefahr, große Errungenschaften leichtfertig und ohne Grund wieder aufzugeben. Hätten Sie mir vor zwei Jahren gesagt, dass wir heute plötzlich eine Schengen-Debatte führen, hätte ich Sie für verrückt erklärt. Wer die Reisefreiheit innerhalb Europas wieder einschränkt, der vergreift sich an dem, was im Herzen der Europäer angekommen ist. Es kann nicht sein, dass einzelne Staaten wieder Personenkontrollen einführen und die europäische Kommission bei diesem Prozess außen vor bleibt. Grenzen sind die schlimmste Erfindung, die Politiker je gemacht haben. Es ist so viel Unheil an europäischen Grenzen im 20. Jahrhundert geschehen.

Münchner Merkur: Ist das, was die Dänen vorhaben, ein Verstoß gegen die Schengen-Regeln?

Jean-Claude Juncker: Ich habe nicht im Ganzen verstanden, was die Dänen vorhaben. Wenn sich herausstellt, dass das nicht kompatibel ist mit der bestehenden Rechtslage, dann muss die Kommission auch prozessieren. Man kann ja sporadische Grenzkontrollen machen.

Münchner Merkur: Letzte Frage: Heute Abend findet der Eurovision Song Contest statt- ohne luxemburgischen Teilnehmer...

Jean-Claude Juncker: Wir haben aber schon mehrfach gewonnen.

Münchner Merkur: Ja, fünf Mal. Wünschen Sie sich manchmal so große Begeisterung für die europäische Integration wie für den Gesangswettbewerb?

Jean-Claude Juncker: Es nehmen ja nicht nur die Mitgliedsstaaten der EU an dem Wettbewerb teil, sondern das breitere Europa. Ich wünsche mir, dass das textstärkste Lied gewinnt, das auch melodisch klingt. Und ich wünsche mir nicht, dass die EU einmal so viele Mitgliedsländer haben wird wie an diesem Wettbewerb teilnehmen.

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