"Netanjahus Absage ist selbstherrlich und arrogant", Jean Asselborn au sujet du processus de paix israélo-palestinien

SPIEGEL ONLINE: Israels Premierminister Benjamin Netaniahu hat den Plänen von US-Präsident Barack Obama für einen palästinensischen Staat in den Grenzen von vor dem Sechs-Tage-Krieg 1967 eine Absage erteilt. Ist der Nahost-Friedensprozess damit tot?

Jean Asselborn: Netanjahus Absage an einen Frieden auf Basis der 67er-Grenzen ist selbstherrlich und arrogant. Zumal Obama ausdrücklich gesagt hat, eine Abweichung von der 67er-Grenze sei mit einem gegenseitigen Gebietstausch möglich. Netanjahu verdrängt die politische Wirklichkeit und setzt auf Stillstand. Das ist tödlich für den Friedensprozess.

SPIEGEL ONLINE: Die EU spricht ständig vom garantierten Existenzrecht Israels. Müssen Sie dann nicht Netanjahus Sorge, Israel könne sich in den Grenzen von 1967 nicht verteidigen, ernster nehmen?

Jean Asselborn: Einer meiner Amtskollegen hat zu Recht gesagt, dass die einzige Sicherheitsgarantie für Israel ein Friedensvertrag mit den Palästinensern und der arabischen Welt ist. Keine Regierung in der Europäischen Union stellt das Existenzrecht Israels in Frage. Genauso wenig tun das Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und sein Premierminister Salam Fajad. Nur die Extremisten der Hamas weigern sich bislang, Israel anzuerkennen.

SPIEGEL ONLINE: Genau mit dieser Hamas haben Abbas und Fajad kürzlich ein Versöhnungsabkommen unterzeichnet. Können Sie nicht verstehen, dass dadurch die Bedenken auf israelischer Seite größer geworden sind?

Jean Asselborn: Die Fatah-Partei von Abbas und auch Premierminister Fajad wollen Wahlen im Westjordanland und im Gaza-Streifen abhalten. Derzeit aber blockiert das die Hamas, die in Gaza gewaltsam die Macht übernommen hat. Um diese Spaltung zu überwinden, haben Fatah und Hamas ein Abkommen unterzeichnet. Es macht den Weg frei für eine Übergangsregierung, die alle palästinensischen Gruppierungen einbezieht.

SPIEGEL ONLINE: Netanjahu hat gesagt, Abbas müsse sich zwischen einem Frieden mit der Hamas und einem Frieden mit Israel entscheiden.

Jean Asselborn: Es geht nicht um ein Entweder-Oder. Die Übergangsregierung soll sich in kürzester Zeit mit den Israelis an einen Tisch setzen, um eine Zwei-Staaten-Lösung auszuhandeln. Fajad will damit verhindern, dass es im September zu einer Abstimmung in der Uno-Vollversammlung über die einseitige Ausrufung eines palästinensischen Staates kommt. Wenn Abbas einen Frieden mit Israel aushandelt und die Hamas Teil dieser Übergangsregierung ist, dann erkennt sie Israel damit implizit an.

SPIEGEL ONLINE: Sollte auch die Europäische Union Gespräche mit der Hamas führen?

Jean Asselborn: Vor vier Jahren, als es den ersten Versuch einer Versöhnung zwischen Fatah und Hamas gab, hatte ich selbst starke Bedenken. Heute frage ich mich, ob es nicht ein Fehler war, dass wir die Aussöhnung damals nicht stärker unterstützt haben. Ich kann verstehen, dass es Kraft kostet, sich mit Leuten an einen Tisch zu setzen, die nur auf Gewalt setzen. Aber die Zeit bleibt nicht stehen. Wir müssen den Versuch machen, die Hamas in einen demokratischen Prozess einzubinden und auf den Pfad des Friedens zu bringen - so wie wir es in den neunziger Jahren erfolgreich mit der Fatah geschafft haben. Dazu gehören auch informelle Gespräche mit der Hamas.

SPIEGEL ONLINE: Nicht nur Israel, sondern auch das Nahost-Quartett, zu dem die EU gehört, fordern unter anderem von der Hamas einen Gewaltverzicht.

Jean Asselborn: Davon rücken wir Europäer auch nicht ab. Aber man kann nicht nur der palästinensischen Seite Bedingungen stellen. Die Gewalt geht ja nicht nur von den Palästinensern aus. Israel hat aus dem Gaza-Streifen ein Gefängnis gemacht. Dort leben 1,7 Millionen Menschen auf einem Siebtel des Territoriums von Luxemburg. Die Grenzen zu schließen, nur bestimmte Güter ins Land zu lassen und kaum welche nach draußen, ist auch eine Form von Gewalt. Im Westjordanland bauen die Israelis weiter Siedlungen auf enteignetem Land. Das ist eine konstante Provokation.

SPIEGEL ONLINE: Wie kann die Europäische Union den Druck auf Israel erhöhen?

Jean Asselborn: Zunächst einmal muss die EU mutig und in größter Geschlossenheit Obama unterstützen. Große Teile der republikanischen Partei und dort vor allem die Tea-Party-Bewegung wollen keine Zwei-Staaten-Lösung. Das darf sich nicht auf Europa übertragen. Nur wenn wir geschlossen auftreten, können wir die Israelis vielleicht an den Verhandlungstisch zurückbringen.

SPIEGEL ONLINE: Von Geschlossenheit kann keine Rede sein. Im September soll die Uno-Vollversammlung über die Anerkennung eines palästinensischen Staates abstimmen, Bundeskanzlerin Angela Merkel hat aber bereits angedeutet, dass Deutschland dagegen stimmen würde.

Jean Asselborn: Wir sollten uns jetzt darauf konzentrieren, die Verhandlungen wieder in Gang zu bringen. Wenn die deutsche Bundeskanzlerin öffentlich ausschließt, dass sie in der Uno-Versammlung für einen Palästinenser-Staat stimmt, dann nimmt das jeglichen Druck von der israelischen Regierung. Und wenn dann noch der französische Präsident sich für eine Anerkennung ausspricht, stehen in einer wichtigen außenpolitischen Frage die beiden größten EU-Staaten gegeneinander. So werden wir nicht ernst genommen.

SPIEGEL ONLINE: Können die Europäer überhaupt Druck ausüben? Israel lässt sich doch nur von seinem wichtigsten Alliierten, den USA, beeindrucken.

Jean Asselborn: Obama sagt und tut das Richtige, doch im nächsten Jahr sind in den USA Wahlen, und da nimmt erfahrungsgemäß der Mut amerikanischer Präsidentschaftskandidaten ab, sich gegen die israelische Regierung zu stellen. Die Pro-Israel-Lobby in den USA ist sehr stark. Wir Europäer sind diesem Druck nicht in dem Maße ausgesetzt.

SPIEGEL ONLINE: Bislang sind nur israelische Wünsche nach einem Upgrade der Beziehungen zur EU auf Eis gelegt worden. Sollte die EU auch über eine Herabstufung der Beziehungen nachdenken?

Jean Asselborn: Wir wollten 2008 den Wünschen Israels nach einem Upgrade entsprechen. Wir haben das Upgrade allerdings abgängig gemacht von Fortschritten im Friedensprozess. Diese sind leider nicht eingetreten. Jetzt haben wir die Situation, dass die israelische Regierung alles macht, um neue Verhandlungen zu verhindern. Wir sollten uns daher in der EU überlegen, ob wir die Beziehungen zu Israel so weiterlaufen lassen können wie bisher. Wenn die Israelis stur bleiben und wir ihnen freie Hand lassen, könnte das zu einem neuen Krieg führen. Wir Europäer müssen ein Zeichen setzen, nicht nur mit Worten, sondern notfalls auch mit Taten. Wir müssen gegebenenfalls über politische Konsequenzen nachdenken. Das Interview führte Christoph Schult

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