Jean Asselborn au sujet de la politique étrangère européenne, du secret bancaire et de la social-démocratie

Raimund Löw: Herr Minister wir leben in einer Zeit heftiger internationaler Spannungen. Der Außenministerrat der EU wird sich am Montag mit einigen dieser Spannungen beschäftigen, zum Beispiel dem Iran, der Krise in Zentralamerika. Passiert eigentlich das was sich die Bürger ja dringend wünschen, dass nämlich das Gewicht Europas auf internationaler Ebene größer wird?

Jean Asselborn: Herr Löw ich glaube wir sind ja in der Europäischen Union nicht nur 500 Millionen Menschen, wir sind auch 25% des Weltwirtschaftsozialproduktes. Die Zeiten sind auch vorüber, glaube ich, als man uns betrachtet hat als einen außenpolitischen Zwerg. Sehen Sie nur ein Beispiel das ist die Georgienkrise, genau vor einem Jahr. Nicht die UNO, nicht die OSZE oder irgendeine andere Organisation hat Frieden geschlossen sondern es war die Europäische Union. Das hat uns Selbstbewusstsein gegeben und ich bin überzeugt, dass eben auch durch die Werte die wir zu verteidigen haben in der Welt, vieles von uns erwartet wird. Auch in der Vergangenheit, im Libanon, waren wir die ersten die Truppen dahin geschickt haben. Das war eigentlich das Gerüst, um Frieden zwischen Israel und Libanon zu bewerkstelligen. Wir sind in 11 Auslandseinsätzen, sei es im Kaukasus, sei es auf dem Balkan, sei es in Afghanistan, sei es in Afrika, im Nahen Osten.

Raimund Löw: Den zukünftigen Reformvertrag?

Jean Asselborn: Mit dem zukünftigen Reformvertrag, dem Lissabonvertrag, könnten wir eine noch größere Rolle spielen.

Raimund Löw: Das sind alles Bereiche in denen die Europäer präsent sind, aber in denen sie nicht bestimmend sind, in denen sie vielleicht in Einzelfragen gehört werden, aber ansonsten nicht wirklich von Gewicht sind. Wenn man sich etwa die Auseinandersetzung mit dem Iran ansieht oder auch natürlich die Beziehung zu Russland, da kommt es letztlich immer auf Amerika an.

Jean Asselborn: Sehen Sie: ich bin nicht ganz mit Ihnen einverstanden. Wer hat die Initiative ergriffen um im Iran, sagen wir mal, auf eine andere Schiene zu kommen? Es war die EU, die EU 3, Deutschland, Frankreich, England. Dann war es im Dezember 2004 die Europäische Union und heute die 5 im Weltsicherheitsrat plus Deutschland die eine Initiative ergriffen haben. Um mit dem Iran auf eine andere Schiene zu kommen, muss man sehr viel Geduld haben, aber trotzdem es war die Europäische Union, die federführend war. Es war Solana der den Vorschlag gemacht hat, im Namen der Weltgemeinschaft.

Raimund Löw: Was werden die Europäer mit der jetzigen Situation tun im Iran? Wir haben im Iran eine schwere innenpolitische Krise. Die Demonstrationen, die es rund um die Wahlen gegeben hat, halten an. Ist Ahmadinejad der Präsident der legitime Vertreter des Irans für die Europäische Union?

Jean Asselborn: Nur ein Satz Herr Löw, die Frage war ja eigentlich: ist Europa immer an zweiter Stelle? Ich bin überzeugt, dass wenn wir dieses Beispiel nehmen, dass Europa, zwar keine militärische Macht ist – darum ist Amerika ja so stark, auch außenpolitisch – dennoch eine entscheidende Rolle spielen kann, auch im ganzen Nahen Osten.

Was den Iran angeht: wenn Sie sich die ganze Region ansehen, sehen Sie wie wichtig dieses Land ist, nicht nur in der Geschichte. Aber auch diese vielen jungen Menschen, die glaube ich auch, sehen wollen, dass wir die Tür öffnen, dass dieses Regime, nicht fällt – das ist nicht unsere Aufgabe in der Europäischen Union – aber dass die Türen sich öffnen für mehr Demokratie, für mehr Werte…

Raimund Löw: Aber jetzt scheinen sich die Türen eher zu schließen.

Jean Asselborn: Ich bin mir da nicht so sicher. 85% haben an den Wahlen teilgenommen. Dass die Wahlen korrekt waren, diese Frage brauchen Sie mir, brauche ich Ihnen ja nicht zu beantworten. Aber wissen Sie: wir sind mit 22 Botschaften präsent in Teheran und viele Menschen in Teheran hoffen ja auf uns. Darum bin ich auch strikt dagegen, dass die Botschafter der Europäischen Union das Land verlassen sollen. Das würde sehr viel Hoffnung nehmen. Wir sollten diese Menschen begleiten.

Raimund Löw: Aber wie sollen die Europäer jetzt zum Beispiel mit Ahmadinejad umgehen? Er agiert ja als Präsident, ist vielleicht in den Augen eines großen Teils der eigenen Bevölkerung nicht legitim, aber er vertritt den Iran nach außen.

Jean Asselborn: Ahmadinejad wird in den nächsten Tagen, in der nächsten Woche wieder inthronisiert werden, davon bin ich überzeugt. So läuft es. Hier bei dieser Feier muss die Europäische Union gemeinsam handeln. Da müssen nicht unbedingt die Botschafter dabei sein.

Raimund Löw: Sie wären dafür diese Amtseinführung zu boykottieren in irgendeiner Weise?

Jean Asselborn: Ich bin dafür eine gemeinsame Position zu nehmen und auch dafür, dass wir hier sehr stark zeigen, dass nach diesen Wahlen, nach dem was nach den Wahlen geschehen ist, trotzdem eine gewisse Distanz zu dem Regime nicht zum Land, aber zum Regime bestehen muss.

Raimund Löw: Es gibt die Verhandlungen um das iranische Atomprogramm, die im Zentrum der Weltpolitik stehen, seit langem. Stellen sich die Europäer jetzt darauf ein, dass das viel viel schwerer wird, noch härter als diese Verhandlungen schon bisher waren?

Jean Asselborn: Es herrscht ja im Iran eine Einstimmigkeit, auch in der Bevölkerung, dass der Iran sein Zivilnuklearprogramm weiterentwickeln können muss. Das ist ja auch nicht das eigentliche Problem. Das Problem ist ja, dass im Iran während 15 Jahren im Unterbau die Anreicherung fortgetrieben wurde. Das Vertrauen der Weltgemeinschaft ist fort, nicht nur der Europäer, der Amerikaner, sondern auch die Russen und die Chinesen haben mitgemacht bei den Sanktionen in New York. Das Problem ist, dass diese ganze Anreicherungsprozeduren und Anreicherungstechnologien eigentlich nicht notwendig sind um zivile Nuklearenergie zu entwickeln und darum bin ich mir auch sicher, dass wir hier auf diesem „double-track“ wie wir das nennen, diese Zweigleisigkeit, Sanktionen weiterführen müssen und Geduld haben. Wir wissen, dass Obama ja die Hand ausgestreckt hat. Ich bin der Meinung, dass diese Hand ausgestreckt bleibt, sagen wir mal bis Ende dieses Jahres.

Raimund Löw: Und was passiert dann, wenn Ende des Jahres die Iraner nicht nachgeben? Wird der Westen wahrscheinlich verschärfte Sanktionen beschließen? Haben solche Sanktionen bis jetzt irgendetwas gebracht?

Jean Asselborn: Herr Löw ich bin nicht überzeugt, dass man sagen soll der Westen würde Sanktionen ergreifen: die Weltgemeinschaft soll Sanktionen vertiefen, wenn das notwendig ist. Für mich brauchen wir immer die Solidarität auch mit Russland und mit China in diesem Bereich, sonst verlieren wir an Stärke als Weltgemeinschaft. Darum muss man sagen, dass dieses Problem nur, sagen wir mal, mit viel energiegeprägter Diplomatie zu lösen ist. Die braucht auch sehr viel Zeit. Es gibt keine militärischen Mittel um das Nuklearproblem im Iran zu lösen. Das gibt es nicht.

Raimund Löw: Das ist ein Punkt der vor allem in Israel immer wieder diskutiert wird. In der israelischen Öffentlichkeit gibt es eine starke Strömung die sagt, wenn alle Optionen keinen Erfolg haben, dann müsste Israel auch militärisch agieren und so wie gegenüber dem Irak vor vielen Jahren das Nuklearpotential des Iran zerstören, durch einen militärischen Angriff. Wir würden die Europäer dann reagieren?

Jean Asselborn: Erstens: Die Provokationen von Ahmadinejad gegenüber Israel sind in keinem Fall zu entschuldigen. Den Holocaust, aber auch das Existenzrecht Israels darf man nicht diskutieren. Zweitens: ich verstehe die Angst Israels. Ich weiß aber und ich glaube die meisten Israelis und auch die meisten Menschen im Nahen Osten wissen, dass eine Kriegshandlung, ein militärischer Schlag, der ja dann Wochen und Monate dauern müsste, unmöglich ist. Es müsste ein richtiger Krieg entfacht werden, um im Iran dieses Potential zu zerstören. Das würde verheerende Folgen haben. Was parallel auch noch als negativ zu betrachten ist, ist ja, dass in Ägypten, in Saudi-Arabien, vielleicht noch in anderen Ländern, die Spirale der nuklearen Aufrüstung durch die Machenschaften im Iran wieder angekurbelt wird. Darum ist es so wichtig, dass, glaube ich, die Europäische Union, Amerika, die Golfstaaten alle, alle eine klare Sprache reden, eine klare Sprache, die wirklich auch auf Iran gezielt hinzeigt, und zu verstehen gibt, dass man das so nicht hinnimmt.

Raimund Löw: Herr Minister Asselborn, als Außenminister Luxemburgs sehen Sie die Möglichkeiten Europas realistisch, aber gleichzeitig optimistisch. Wie könnte Europa in dieser Irankrise besser agieren, wenn der Reformvertrag in Kraft wäre, um den es ja in diesem Herbst gehen wird, beim Referendum in Irland?

Jean Asselborn: Auch mit dem besten Vertrag können wir nicht mehr als unseren politischen Willen einbringen, um im Iran wirklich zu versuchen dieses Regime, die Verantwortlichen auf eine andere Schiene zu bringen. Sehen Sie, Solana war da, Solana ist der einzige ernst zu nehmende Gesprächspartner auf der Welt, um mit dem Regime zu diskutieren, zu verhandeln. Der Vertrag würde daran glaube ich überhaupt nichts ändern. Was wichtig ist, ist dass wir den politischen Willen behalten uns da einzubringen. Das ist die entscheidende Frage. Und sehen Sie, der neue hohe Beauftragte hat ja…

Raimund Löw: Der Außenpolitiker?

Jean Asselborn: Der außenpolitische Beauftragte – sagen wir Außenminister – hat ja zwei Mützen auf: die eine, die er jetzt hat, ist die politische. Aber die zweite ist ja die wichtigere, das sind die Mittel. Er ist Vizepräsident der Kommission, er hat also die Mittel und die Kombination zwischen beiden gibt ihm ja sehr viel mehr Stärke und ich bin auch überzeugt, dass, wenn wir diesen Vertrag einmal in Kraft haben, wir immer noch zu kämpfen haben, weil 2 europäische Länder im Weltsicherheitsrat sind und ihre Außenpolitik nicht aufgeben oder ihre Positionen, ihre Interessen aufgeben. [wird unterbrochen]

Raimund Löw: Großbritannien und Frankreich [wird unterbrochen]

Jean Asselborn: Großbritannien und Frankreich, um sich total zu ralliieren auf europäische Kompromisse.

Raimund Löw: Wären Sie dafür, dass Die EU einen gemeinsamen Sitz im Sicherheitsrat hat?

Jean Asselborn: Das ist ja das was angestrebt wird. Aber ich bin Realist, wir sind im Jahre 2009, da weiß ich nicht ob sich das bis 2020 oder 2030 ändern wird.

Raimund Löw: Ist es nicht allgemein auch die Frage einer gemeinsamen, starken gemeinsamen europäischen Außenpolitik, egal ob jetzt der Reformvertrag in Kraft ist oder nicht? Werden die großen Mitgliedsstaaten bereit sein Kompetenz abzugeben in Richtung Brüssel, in Richtung eines gemeinsamen Außenministers, in einer Zeit wo doch die EU-Skepsis sehr sehr stark ist?

Jean Asselborn: Es gibt die zwei Komponenten. Es gibt Frankreich und England. Es gibt noch etwas anderes, das ist der G8, wo auch 4 europäische Länder vertreten sind. Wir kennen ja Beispiele aus der Vergangenheit wo Versammlungen stattfinden auf Initiative der Grossen um einen G8 Gipfel oder G20 Gipfel vorzubereiten. Das ist sehr gefährlich, denn wenn wir in der Europäischen Union auch außenpolitisch zu einem de facto Direktorium kommen, dann wird es schwierig die Kohäsion zu bewahren. Dann wird es für die mittleren Länder wie Österreich, die kleinen Länder wie Luxemburg, schwer zu glauben, dass ihre Interessen um den Tisch herum, in dem Gemeinschaftlichem, vertreten werden.

In der Außenpolitik müssen wir auch mit Lissabon die Einstimmigkeit, den Konsens suchen. Da gibt es natürlich auch Fälle wo ein Land – ich nenne jetzt ein Land: Litauen oder Lettland oder Luxemburg um fair zu sein – in den Verhandlungen mit Russland oder Amerika blockieren kann. Das ist ja auch nicht immer einfach den Menschen beizubringen, wenn man über Europa redet, aber das ist der Preis der dafür bezahlt werden muss.

Raimund Löw: Herr Minister Asselborn, wie groß ist die Gefahr in der jetzigen Situation, in der EU, dass die Kleinen oder Kleineren von den Grossen überfahren werden? Da hat es ja in der Diskussion um das Bankgeheimnis sehr engagierte Stellungnahmen Ihres luxemburgischen Ministerpräsidenten Juncker gegeben, der gesagt hat, es wird über uns drüber gefahren, so kann es nicht weitergehen.

Jean Asselborn: Um diese Geschichte vom G20 noch einmal klar verständlich zu machen: wir hatten auf dem europäischen Rat im März beschlossen, dass keine Länder auf die schwarze Liste kommen würden. Und was geschah? Genau das Gegenteil. Wie geschah es? Erstens hat ein großes Land darauf gedrängt, dass diese Listen aufgestellt werden und die Kommission hat nicht das gemacht, was sie machen muss, nämlich das Gemeinschaftliche, die Interessen aller 27 Länder zu vertreten. Sie hat sich auf die Seite der Grossen geschlagen. Das ist ein sehr schlechtes Beispiel, das ja immer zitiert wird. Ich bin aber der Überzeugung, dass dieser Fall auch in verschiedenen Köpfen trotzdem nachdenklich erschienen ist.

Der Herr Sarkozy hat letzte Woche zum Beispiel wieder gesagt, dass es ist nicht an Lettland, an Litauen und an Luxemburg sei, die Europäische Union weiterzubringen, das müssten schon die Grossen machen. Das ist eine komplett falsche Einstellung. Ich sage Ihnen warum. Die großen Länder haben ja im Prinzip immer eigene Interessen zu verteidigen, während wir, die kleineren Länder, einfach dazu tendieren alles zu tun, damit die Integration der Europäischen Union voranschreitet. Wir sind de facto, geografisch gesehen kleine Länder, aber welches Land ist groß in der Europäischen Union? Kein Land ist so groß, dass es die großen Herausforderungen dieser Zeit selbst lösen kann. Und darum, kann ich Ihnen nur antworten: mir dem Vertrag kann es nur besser werden. Wir sind in einer Übergangsphase wo die Pflöcke eingeschlagen wurden, vor allem von den Grossen. Das müssen wir verhindern, um eben den europäischen Gedanken aufrecht zu erhalten und die europäische Skepsis die ja auch dann in der Bevölkerung entsteht, wieder abzuschwächen.

Raimund Löw: In der österreichischen Öffentlichkeit, in Teilen der österreichischen Öffentlichkeit ist dieses Gefühl sehr groß, dass Österreich mit seinen 8 Millionen Einwohnern eigentlich sehr wenig bewirken kann in der EU, dass man von der EU Dinge vorgesetzt bekommt und es gibt politischen Eu-Skeptizismus der wächst. Ist in Luxemburg eine ähnliche Situation?

Jean Asselborn: Nein, Luxemburg war ja von Anfang an Mitglied der EWG und dann der Europäischen Union. Wir sind auch viel kleiner noch als Österreich. Aber bei uns war ja eigentlich der Gedanke nach dem Krieg, dass unsere Zukunft nur eine europäische Zukunft sein könnte. Es gibt selbstverständlich, sagen wir mal, sozialpolitisch Skeptizismus. Wir sind mit Österreich zum Beispiel auf derselben Wellenlänge was die Erweiterung angeht. Die Luxemburger teilen die kritische Einstellung was die Erweiterung angeht, aber [wird unterbrochen]

Raimund Löw: Gegenüber der Türkei? Im Hinblick auf die Türkei ?

Jean Asselborn: Nein überhaupt, Erweiterung überhaupt. Auch was den Balkan betrifft, weil das den Menschen in einem kleinen Land dann zu schnell geht und sie das nicht assimilieren. Aber ich sage Ihnen nur die Fakten. Ich persönlich bin nicht dafür die Dinge so zu sehen. Aber wie könnte auch ein Land wie Österreich mit hohen Bergen, vielen Seen und touristischen Aktivitäten, das auch eine Wirtschaft hat die dreht, wie könnte sich so ein Land positionieren, wie könnte es sich entwickeln, wenn es nicht in einem europäischen Verbund wäre und auf sich allein gestellt wäre? Auch in Luxemburg glaube ich, gibt es selbstverständlich die Einstellung, dass früher, als wir noch alles selbst bestimmen konnten, als nicht Brüssel bestimmt hat, alles einfacher war. Aber wenn man dann mit den Menschen spricht, dann sehen sie gleich, dass uns Europa unheimlich viel gebracht hat und dass wir manchmal auch geben müssen.

Raimund Löw: Herr Minister Asselborn, Sie sind sozialdemokratischer Außenminister in einer von einem Christdemokraten geführten Kabinett, also eine große Koalition, ähnlich wie in Österreich, nur unter anderen Vorzeichen und ich möchte Sie ein bisschen fragen zur Situation der Sozialdemokratie in Europa. Wie ist es zu erklären, dass in einer Krise des Finanzkapitalismus ausgerechnet die Sozialdemokraten die größten politischen Problem haben?

Jean Asselborn: Ich bin 1997 Parteipräsident geworden und habe damals noch erlebt, wie wir von 15 Mitgliedstaaten 12 Regierungschefs stellten. Heute bei 27 Mitgliedsstaaten stellen wir noch in 5 Ländern den Premierminister und wir sind in 4 anderen Ländern in der Koalition.

Wir dürfen nicht verkennen, dass es nationale Ursachen gibt, warum die Sozialdemokratie schwächer geworden ist. In Italien ist nicht die Regierung stark, aber die Opposition schwach. In Frankreich auch. Ich glaube nicht, dass Sarkozy so stark ist, aber die französischen Sozialisten sind sehr schwach. Und dann gibt es auch zum Beispiel das Phänomen in Skandinavien, wo die Mitterechts-Regierungen sozialdemokratische Politik entwickelt haben. Sie haben recht wenn Sie sagen, dass es ja eigentlich ein Paradox ist, dass die Sozialdemokraten schwach sind, gerade jetzt in der Krise die vom wilden Liberalismus produziert wurde. Es ist erstaunlich, dass die Antwort die wir ja konstant gegeben haben, dass wir einen starken Staat brauchen, dass wir einen Staat brauchen der reguliert, der schützt, dass diese Idee nicht rübergekommen ist. Vielleicht sind Themen wie soziale Gerechtigkeit oder Chancengleichheit nicht mehr „sexy“ genug und sind schlecht vermittelt worden. Vielleicht steckt zu viel Ideologie dahinter... Wir müssen schauen, dass Sozialdemokratie trotzdem ein Garant ist für die soziale Weiterentwicklung auch in Europa. Das müssen wir wieder stärker einbringen und darauf pochen, dass wir Rahmenbedingungen schaffen um Mindestlöhne einzuführen oder um das Arbeitsrecht zu harmonisieren.

Raimund Löw: Das sind ja alles Regeln die zum Sozialstaat traditionell gehört haben, der auf nationalstaatlicher Ebene entstanden ist. Ist es vielleicht so, dass die Sozialdemokraten in ihrem Denken zu stark an dieser nationalstaatlichen Ebene geklebt sind und sich zu wenig europäisiert haben?

Jean Asselborn: Diese Frage ist nicht uninteressant. Wissen Sie für mich kommt noch etwas dazu. Was vielleicht ausschlaggebend ist: in der Sozialdemokratie ist Macht, politische Macht, die von den demokratischen Spielregeln kommt, manchmal eher negativ angesiedelt, während Macht für die Mitte, für die Rechte in Europa, eigentlich das Ziel ist um Politik umzusetzen. Und das sieht man auch in einem kleinen Land wie Luxemburg. Man spürt manchmal, dass man von der Sozialdemokratie in dieser Krisenzeit erwartet, dass sie aus der Opposition kontert und beißt und weniger, dass sie mitgestaltet. Das ist etwas wo ich mich sehr oft frage: warum haben wir jetzt wo wir die Krise zu bekämpfen haben nicht das nötige Vertrauen in die Sozialdemokratie und in uns?

Sie sind Österreicher, ein Kreisky z.B., aber auch ein Mitterand, ein Palme, ein Brand, das waren Fackelträger, das waren Ideengeber und wenn ich heute schaue, dann fehlt dieses Potential. Aber ich bin überzeugt, dass damals auch die Menschen mehr mitgerissen wurden von Ideen die selbstverständlich in dieser Zeit auch einfacher herüber zu bringen waren als das heute der Fall ist. Ich bin jetzt nicht Pessimist. Wenn ich sehe auf der Rechten, in der Mitte in Europa, ein Berlusconi kann ja auch kein Vorbild sein, um das mal so auszudrücken, was glaube ich viele Menschen auch so spüren und…

Raimund Löw: Ja aber gibt es auch so etwas wie eine sozialdemokratische Europapolitik die erkennbar ist für die Menschen?

Jean Asselborn: Ja das gibt es trotzdem. Ich glaube die Sozialdemokratie in Europa kämpft wirklich und setzt sich ein für die Werte, für die Menschenrechte, hat auch immer den Reflex, dass die Wirtschaft selbstverständlich der Sozialpolitik dienlich sein muss.

Raimund Löw: Aber immer auf nationalstaatlicher Ebene. Warum gibt es eigentlich nicht Ansätze für sozialstaatliche Regeln auf europäischer Ebene?

Jean Asselborn: Sie haben komplett recht. Ich habe das ja auch am Anfang gesagt, wir müssen klar auf den Weg bringen, dass wir diesen Rahmen schaffen, dass wir es als Sozialdemokraten fertig bringen, auch mit dem Lissabonvertrag, das umzusetzen was wir ja in unseren eigenen Ländern umgesetzt haben. Wir haben, ich sage jetzt mal das Wort, die Sozialkultur Europas, die wir ja Gott sei Dank verteidigen und auch ausgebaut haben. Ich will Ihnen nur sagen: man muss die osteuropäischen Ländern überzeugen, dass diese Sozialstandards eigentlich in ihrem Interesse sind und nicht etwas sind was ihre wirtschaftliche Entwicklung bremsen könnte.

Raimund Löw: Herr Minister Asselborn, Sie sind Außenminister und Sozialdemokrat. Ein Punkt in dem die Sozialdemokraten in Europa nicht einig sind ist die Frage der möglichen zweiten Amtszeit für den Kommissionspräsidenten Barroso. Da sind die Abgeordneten skeptisch bis ablehnend, dies sozialdemokratischen Abgeordneten, das europäische Parlament, die Regierungschef haben sich für ihn ausgesprochen. Wer wird da im Endeffekt sich durchsetzen?

Jean Asselborn: Also ich war ja dabei als die 27 Barroso vorgeschlagen haben. Jetzt nehmen wir mal den Namen Barroso weg. Ich weiß nicht ob das eine sehr gute Idee war, diesen Vorschlag zu machen zu einem Zeitpunkt als das europäische Parlament noch nicht konstituiert war. Nizza gibt dem Rat das Recht das zu tun [wird unterbrochen]

Raimund Löw: Der jetzt gültige Vertrag.

Jean Asselborn: Der jetzt gültige Vertrag. Da ist kein Zweifel daran, der Rat war also legitimiert das zu tun und auch politisch war das zu vertreten. Das Zweite ist, wissen Sie, diese Auseinandersetzung zwischen Rat und Parlament über die Kommission ist ja eigentlich ein normaler Vorgang in Europa. Jeder will Einfluss haben. Der Rat will Einfluss haben auf die Kommission und auch das Parlament will Einfluss haben. Dass es da Spannungen gibt, politisch, ist normal. Die Frage ist jetzt, welches Bild gibt Europa damit ab. Und in dieser extrem schwierigen Übergangszeit, weiß man, dass in Irland am 2. Oktober dieses Referendum stattfindet. Man weiß aber nicht wie Polen reagiert, man weiß nicht wie in der Tschechei reagieren wird. Darum glaube ich, dass man mit etwas mehr Gefühl an die Sache hätte herangehen sollen und sich vielleicht Zeit geben, das europäische Parlament hat sich ja eine Woche nach dem europäischen Rat konstituiert um dann nach der Konstitution versuchen ein Konsens zufinden.

Raimund Löw: Das heißt, die Regierungen, der Rat, hat jetzt mal ein bisschen nachgeben müssen gegenüber dem Parlament?

Jean Asselborn: Ganz klar hat der Rat nachgegeben, der Rat bleibt zwar bei seinem Vorschlag und jetzt wird das europäische Parlament eine Entscheidung zu fassen haben. Ich bin aber überzeugt, dass hier vieles mitspielt, im europäischen Parlament, nicht nur die Person Barrosos. Dieser Prozess um Koalitionen aufzubauen, spielt ja auch eine riesige Rolle. Es sind Posten die auch im europäischen Parlament zu verteilen sind. Ich bin aber überzeugt, dass das nicht das größte Problem der Europäischen Union ist. Das größte Problem ist, dass wir es fertig bringen in Irland ein Bild zu präsentieren, dass die Iren jetzt ja sagen. Dann hätten wir den größten Schritt gemach um Lissabon in Kraft zu bringen, wissend, dass vielleicht dann eine Periode kommen könnte, die bis zum 1. Januar 2010 dauert, dann muss man diese Übergangsbestimmungen definieren, was man dann mit der Kommission tut in dieser Zeit zwischen dem 1. November und dem 1. Januar 2010.

Raimund Löw: Wenn Irland für den Reformvertrag entscheidet und Tschechien und Polen, dort die Präsidenten die Unterschrift leisten, dann wird der Reformvertrag sehr rasch in Kraft treten. Da gibt es neue Positionen zu besetzen, den Ratspräsidenten, den Außenminister zu besetzen und es gibt jetzt schon die Personalspekulationen. Dort ist ja eine sehr wichtige Position der Ratspräsident, Tony Blair ist genannt worden. Wie ist aus Ihrer Sicht die Chance Tony Blairs, falls das alles gut geht, wirklich Ratspräsident zu werden?

Jean Asselborn: Ich bin nicht überzeugt, dass es gut ist für Europa wenn 50 % des Azorengipfels Europa führen würde.

Raimund Löw: Der Azorengipfel ist der Gipfel auf dem den Irakkrieg beschlossen wurde und an dem George Bush, Tony Blair und auch José Manuel Barroso damals portugiesischer Ministerpräsident beteiligt waren.

Jean Asselborn: Ich bin also nicht überzeugt, dass man da die beste Wahl treffen würde. Ich will auch sagen, nicht weil ich Luxemburger bin, dass für mich der Ratspräsident eigentlich aus einem mittleren oder kleinen Land kommen sollte, um nicht wirklich das de facto Direktorium noch mehr anzukurbeln. Im Konvent war Luxemburg nicht für diesen Ratspräsidenten. Denn wir waren eher für die turnusweise Präsidentschaft. Gut jetzt ist der Posten zu besetzen. Für mich wird es ein Paket geben wo 3, 4 Elementen Rechnung zu tragen ist. Das erste ist das Gleichgewicht Nord-Süd, Ost-West, dann Klein-Gross-Mittel und dann die politischen Familien selbstverständlich.

Raimund Löw: Ist dies Werbung des luxemburgischen Sozialdemokraten Asselborn für den luxemburgischen Christdemokraten Jean-Claude Juncker, der auch genannt wird als möglicher Ratspräsident?

Jean Asselborn: Ich glaube, dass Jean-Claude Juncker wirklich eine ganz andere Sensibilität hätte für Europa, als Tony Blair, den ich eher als Weltpolitiker als Europapolitiker sehe. Die Sensibilität von einem Mann aus Luxemburg wie Jean-Claude Juncker für den europäischen Werdegang ist viel geprägter von Integration und von Zusammenarbeit als vielleicht Kandidaten die aus einem großen Land kommen. Ich weiß, dass Tony Blair Initiativen unternimmt um sich für diesen Posten zu bewerben. Das ist jauch sein gutes Recht. Wir haben den Ratspräsidenten zu bestimmen, wir haben den Außenminister zu bestimmen und wir haben den Kommissionspräsidenten zu bestimmen. Und bei diesen 3 Posten werden all diese Komponente die ich soeben erwähnt habe, spielen und das wird noch hochinteressant werden.

Raimund Löw: Was für Signale bekommen Sie aus Paris und aus Berlin? Was die Persönlichkeit von Jean-Claude Juncker betrifft.

Jean Asselborn: Ich will jetzt nicht mit Ihnen als Manager von Jean-Claude Juncker reden. Das macht er selbst. Was ich sagen will das ist, man sollte jetzt Ruhe bewahren, auch was die Posten angeht, bevor das Resultat aus Irland bekannt ist. Das sollte man wirklich jetzt prioritär behandeln und sich nicht zu viel jetzt wieder schon in Spekulationen um Personen einlassen. Ich bin überzeugt, dass das noch sehr komplexe Gespräche und Positionierungen mit sich bringen wird. Ich hoffe wirklich, dass die europäische Union sich auch besinnt, dass der Ratspräsident nicht der Gegenpol vom Kommissionspräsident werden wird. Das ist wichtiger als der Name der darauf kommt. Wenn der Kommissionspräsident, wenn die Kommission das Sekretariat ist des Rates, dann hat die Europäische Union ihre Seele und ihre eigentliche Essenz, politisch gesehen, verloren. Das ist das schlimmere was dabei geschehen könnte: wenn die Kommission, die ja das Initiativrecht hat in der Europäischen Union, untergeordnet gegenüber dem Rat funktionieren würde. Das wird das Parlament auch nicht zulassen und das ist auch vielleicht eine der Ursachen warum das Parlament sich nicht jetzt wollte fixieren. Nicht nur weil es die Person von Barroso ist.

Raimund Löw: Herr Minister Asselborn wir sprechen jetzt die ganze Zeit natürlich unter der Hypothese, dass der Reformvertrag durchgeht, ganz kurz noch in die entgegen gesetzte Richtung gedacht. Was würde passieren wenn Irland nein sagt?

Jean Asselborn: Wenn Irland nein sagen würde bin ich so tollkühn um zu sagen, dass wir dann diesen Lissabon-Vertrag in dieser Form nicht herüber bringen können. Dann muss das geschehen was auch schon im Ansatz war, nämlich dass man nur stückweise versucht an dieser Idee trotzdem – die ja mit dem Verfassungsvertrag anfing – heran zu kommen. Sich dann wieder Jahre lang in eine Prozedur verstricken und viel Energie wieder zu verlieren über einen Vertrag in Europa, das wäre viel verlorene Zeit. Dann würden wir uns wieder vor allem um uns selbst bekümmern. Wir haben einen Auftrag und wissen Sie, in Asien, in Lateinamerika, in Mittelamerika, in Afrika hofft man sehr viel auf die Europäische Union. Die wissen nicht ob der Lissabon-Vertrag so wichtig ist oder nicht so wichtig ist. Die wissen nur, was die Europäische Union ausstrahlt als Verteidigung der Werte mit ihren Mitteln im Bereich der Kooperationshilfe. Wir sind immerhin der größte Kooperationshelfer auf der Welt. Da werden wir erwartet.

Raimund Löw: Herr Minister Asselborn wir kommen ans Ende unseres Gespräches. Versuchen wir vielleicht hier noch einmal einen größeren Bogen zu spannen. Diese große Idee der Vereinigten Staaten von Europa die ja schon im Hinterkopf war bei den Gründungsvätern der Europäischen Union, der EWG, der Vorläuferorganisation der Europäischen Union gegründet worden. Ist die verloren gegangen, diese Idee?

Jean Asselborn: Ich glaube wir brauchen in Europa nicht das zu tun was die Amerikaner gemacht haben. Das waren ganz andere geschichtliche Voraussetzungen. Eigentlich ist ja die Europäische Union der Versuch einen Spagat zu machen zwischen dem was wir nationale Aspiration nennen und eben einer Gemeinschaft die trotzdem durch die Kommission, man muss es immer wieder wiederholen, die Integration fördert. Wenn Sie jetzt schauen in Asien, in Afrika, die afrikanische Union, dort versucht man unter vielleicht schwierigeren Voraussetzungen als wir, auch eine Art Kommission einzubauen. Wir haben ja den nationalen Staaten nicht nur die Kultur, sondern auch die Souveränität gelassen und wir haben dann Kompetenzen übertragen und haben damit versucht als Gemeinschaft etwas aufzubauen was ja einmalig auf der Welt ist. Darum bin ich nicht überzeugt, Herr Löw, dass die Frage heute nach dem föderalen Europa eine vorrangige Frage ist. Die vorrangige Frage ist wie viel gemeinschaftlicher politischer Wille vorhanden ist, um große Sachen zusammen zu machen. Wissend, dass wir alleine und da sind wir wieder am Anfang von unserem Gespräch, sogar die großen Länder das nicht fertig bringen. Die Europäische Union ist ja entstanden als Friedensprojekt, um Frieden zu erhalten. Und es gibt eine Region die ist nicht weit von Österreich entfernt, im Süden auf dem Balkan wo der Friede nicht garantiert ist. Und wir haben diesen Menschen 2003 in Saloniki eine Perspektive gegeben. Die müssen wir erfüllen. Das ist eine Riesenaufgabe, 3x schlimmer oder 3x wichtiger und 3x schwieriger auch als den Euro einzuführen. Dann sollte man sich auch jetzt, sagen wir mal bis ins Jahr 2020, darauf konzentrieren das fertig zu bringen. Und dann die Nachbarschaftspolitik die wir ja für den Süden und für den Osten aufgebaut haben, dass man hier mit Ländern aus dem Kaukasus, mit der Ukraine, mit Weißrussland genau wie auch in Maghreb und anderen Ländern im Süden, dass man dort die Europäische Kooperation mit diesen Ländern, die ja wichtig ist für unsere Stabilität, weiter treibt.

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