"Deutschland ist nicht die „lahme Ente" in Europa", Jean-Claude Juncker au sujet de la loi d'accompagnement requise pour ratifier le traité de Lisbonne

DIE WELT: Herr Ministerpräsident, welche Auswirkung werden Karlsruhes Urteil und das Begleitgesetz auf die Entwicklung der EU haben?

Jean-Claude Juncker: Ich bin sehr beruhigt. Die Bundestagsfraktionen haben mit der jetzigen Form des Begleitgesetzes die Gefahr im Regelfall zu umschiffen verstanden, der deutschen Bundesregierung in Brüssel Fesseln anzulegen. Berlins Bewegungsmöglichkeiten werden nicht eingeschränkt, und damit erwächst aus dem Begleitgesetz auch keine Gefahr für die Weiterführung der europäischen Integration. Der Bundestag konnte sich nicht dem gesunden Menschenverstand entziehen

DIE WELT: Sie waren im Vorfeld aber alles andere als glücklich über die Vorgänge in Karlsruhe und Berlin?

Jean-Claude Juncker: Nachdem ich mir den Urteilsspruch und das 14-Punkte-Programm der CSU für das Begleitgesetz angesehen habe, hatte ich große Befürchtungen, dass Deutschland bei einer entsprechenden Umsetzung zur lahmen Ente Europas werden könnte.

DIE WELT: Mithin sehen Sie also auch eine Niederlage der CSU?

Jean-Claude Juncker: Das kann ich von hier aus nicht beantworten. Die Vorstellung, dass man sich von deutscher Seite bei zu vielen Integrationsschritten millimetergenau an Karlsruhe orientiert, hielte ich für eine unmögliche Art, in Europa Politik zu gestalten. Es gilt wie in allen Lebensfragen, dass erst einmal der Praxistest gemacht werden muss. Es steht uns ein Elchtest ins Haus, wie gut der deutsche Wagen zukünftig auf der europäischen Autobahn fährt.

DIE WELT: Haben sich die nationalen Parlamente bisher zu wenig mit Europa auseinandergesetzt?

Jean-Claude Juncker: Mit dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags müssen sie das. Die Tagesordnung der Parlamente wird in Zukunft in Behandlung nationaler und europäischer Vorgänge unterteilt. Das wird nicht nur in Deutschland passieren, sondern überall. Zum Beispiel haben wir in Luxemburg eine Vereinbarung mit dem Parlament getroffen, dass das Parlament bei der Anwendung der Brückenklausel (die laut Vertrag von Lissabon Beschlüsse des Europäischen Rates ermöglicht, bei denen statt der Einstimmigkeit ein Mehrheitsprinzip gilt; d. Red.) in allen Fällen im Nachhinein zustimmen muss. Aber eben nicht im Vorfeld, das Votum des Parlaments kommt im Nachhinein.

DIE WELT: Welches Signal geht nun an die Iren, die am 2. Oktober erneut über Lissabon abstimmen?

Jean-Claude Juncker: Wenn der Bundestag letztlich für das Begleitgesetz in der jetzigen Form stimmt und es keine weitere Verzögerung gibt, hätte das zweifellos einen positiven Effekt auf die Iren. Das würde das Votum erleichtern.

DIE WELT: War man auf EU-Regierungsebene irritiert über das Urteil der Karlsruher Richter?

Jean-Claude Juncker: Europaweit herrscht höchster Respekt vor dem Verfassungsgericht. Allerdings stimmen einige Passagen des Urteils bedenklich, etwa der Passus, der dem EU-Parlament mangelnde demokratische Legitimation vorwirft. Ein Luxemburger Abgeordneter vertritt viel weniger Menschen als ein deutscher. Aber das stört uns nicht. Auch der US-Senat setzt sich nicht entsprechend der Bevölkerungsgröße der Bundesstaaten zusammen. Genau das ist jedoch das Besondere der EU, weil man von Beginn der Integration an darauf geachtet hat, dass kleinere Länder nicht plattgemacht werden.

DIE WELT: Karlsruhe hat die Rolle des EuGH als letzte Instanz bei EU-Kompetenzstreitigkeiten infrage gestellt. Könnte dies zu zunehmenden Konflikten mit Brüssel führen?

Jean-Claude Juncker: Da kann ich dem Verfassungsgericht nicht folgen. Ich halte es für bedenklich, wenn man die Autorität des EuGHs untergräbt und einer nationalen Gerichtsbarkeit eine übergeordnete Rolle gibt. Dies könnte zu einer schwierigen Lage führen. Ich bin Premierminister und nicht Richter in Karlsruhe. Ich wünschte mir nur, dass das Karlsruher Gericht nicht in einen überzogenen Wettbewerb mit dem EuGH eintritt.

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