„Alle Qualitäten eines ehrlichen Maklers", Jean-Claude Juncker au sujet du poste de président du Conseil européen.

Luxemburger Wort: Herr Premierminister, die Postendebatte in der Europäischen Union ist bereits vor dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags in vollem Gange. Sie interessiert die Menschen im Lande und auch die internationale Presse. Interessiert Sie eigentlich auch die Postenfrage am meisten?

Jean-Claude Juncker: Nein. Denn unser Gipfel heute und morgen in Brüssel dreht sich hauptsächlich um die Klimaproblematik. Dies ist kein einfaches Thema. Ich weiß zu diesem Zeitpunkt nicht, ob es bereits diese Woche zu einer Debatte oder gar zu einer Besetzung der Ämter des ständigen Ratspräsidenten und des Hohen Vertreters, also des Außenministers, kommen wird. Ich gehe jedoch davon aus, dass wir uns am Rande des Gipfels über diese Fragen unterhalten werden.

Luxemburger Wort: Können Sie zu diesem Zeitpunkt den Luxemburgern sagen, ob Sie nach Brüssel wechseln werden?

Jean-Claude Juncker: Nein, das kann ich nicht.

Luxemburger Wort: Sind Sie denn Kandidat wie etwa "Le Monde" behauptet hat?

Jean-Claude Juncker: Nein, ich bin nicht Kandidat. Es gibt für das Amt des ständigen Ratspräsidenten keine Kandidatur. Kein europäischer Politiker hat sich bislang selbst als Kandidat erklärt. Die Benennungsprozeduren funktionieren anders. Eine solche Besetzung findet nach eingehender Beratung unter Kollegen statt.

Luxemburger Wort: Und wenn Ihre Kollegen vom Europäischen Rat Sie denn fragen würden?

Jean-Claude Juncker: Ich habe im Gegensatz zu 2004 den Luxemburger Wählern nicht versprochen, dass ich bis zum Ende der Legislaturperiode in Luxemburg bleiben würde. Ich hätte in diesem Falle also keinen Grund eine solche Bitte abzuschlagen. Aber zurzeit habe ich nicht den Eindruck, dass ich außergewöhnlich große Chancen habe.

Luxemburger Wort: Wie erklären Sie sich Ihre gegenwärtige eher schlechte Chancenlage?

Jean-Claude Juncker: Gerade in Steuerfragen gab es Konflikte mit beinahe allen Ländern der Europäischen Union. Auch das Amt des Euro-Präsidenten mit seinen finanzpolitischen Grundsätzen beinhaltet die nicht sehr erfreuliche Aufgabe, anderen Regierungen auf die Finger klopfen zu müssen. Dieses Bohren dicker Bretter führt nicht unbedingt zu einem zärtlichen Umgang.

Luxemburger Wort: Sie haben einmal gesagt, dass Sie nicht zu einem europäischen Grüßaugust bereit seien. Wie müsste das Amt des ständigen EU-Ratspräsidenten denn für Sie aussehen?

Jean-Claude Juncker: Zunächst handelt es sich nicht um den Präsidenten der Europäischen Union. Aber auch an der Spitze des Europäischen Rats bedarf es aller Qualitäten eines ehrlichen Maklers. Der ständige Ratspräsident muss der erste Diener der EU sein. Es geht also nicht um persönlichen Glorienschein oder um die Verlängerung von Egotrips.

Luxemburger Wort: Um was geht es dann?

Jean-Claude Juncker: Es geht um eine sehr verantwortliche Aufgabe. Eine Aufgabe, die voraussetzt, dass man ohne viel Aufhebens nach außen hin interne Kompromissschienen im Europäischen Rat legen kann, auf denen der europäische Zug dann fahren kann. Es ist also eine handwerkliche Arbeit, die zu leisten ist.

Luxemburger Wort: Wäre es wünschenswert, dass sich - selbst wenn es keine formale Kandidatur gibt - die Benelux-Staaten auf eine einzige Person stützen?

Jean-Claude Juncker: Diese Entscheidung wird weder bei ihrer endgültigen Festlegung noch bei ihrer Anbahnung alleine von den Benelux-Staaten bestritten. Ich glaube, dass ein regelrechter Benelux-Kandidat nicht in allen Fällen wünschenswert ist. Unsere Erwartungen haben wir ja im Benelux-Papier klar dargelegt.

Luxemburger Wort: Gibt es in der ganzen Personaldebatte eigentlich eine Trennlinie zwischen Klein und Groß oder eher zwischen europapolitischen Ausrichtungen?

Jean-Claude Juncker: Es findet eigentlich keine richtige Debatte statt. Ich hätte mir eigentlich gewünscht, dass wir uns zu unverdächtiger Zeit über die Ausgestaltung des Amts des ständigen Ratspräsidenten unterhalten hätten. Aber zu einer solchen Diskussion ist es erstaunlicherweise nie gekommen.

Luxemburger Wort: Sehen Sie dennoch eine Trennlinie?

Jean-Claude Juncker: Wir müssen uns fragen, ob ein Ratspräsident sich sehr konsequent an die Gemeinschaftsmethode oder an die intergouvernementale Methode zu halten hat. Dies ist die eigentliche Entscheidung, die eigentliche Wahl, die Wasserscheide, die hier sprudeln wird. Im Benelux-Papier sagen wir ja klar, dass der Ratspräsident ein Mann der bewährten Gemeinschaftsmethode sein muss. Neben dem Vertrag dürfen wir nicht akzeptieren, dass es Politikbereiche gibt, die von einzelnen Mitgliedstaaten bestritten werden.

Luxemburgre Wort: Wie wichtig sind denn die politischen Grundüberzeugungen bei der Amtsvergabe?

Jean-Claude Juncker: Wenn klargestellt ist, dass der Präsident die Gemeinschaftsmethode zu respektieren und zu unterstützen hat, kann jeder dieses Amt ausüben. Denn dann kann er sich nicht mehr von der Vorgabe der 27 entfernen. Deshalb ist dies eine sehr wichtige Frage für mich.

Luxemburger Wort: Doch vor der Postenvergabe steht noch die nicht weniger schwierige Frage der tschechischen Ratifizierung des Lissabon-Vertrags aus. Wird es hier beim Gipfel in Brüssel Fortschritte geben? Wird der Vertrag noch vor Jahresende in Kraft treten?

Jean-Claude Juncker: Wenn alle Verfassungsfragen in der Tschechischen Republik geklärt sind und wenn wir eine Antwort finden auf die Zusatzwünsche des tschechischen Präsidenten betreffend die sogenannten Benes-Dekrete, dann denke ich schon, dass Lissabon vor Ende des Jahres in Kraft treten wird. Ich gehe davon aus, dass wir in Brüssel eine Erklärung über die Benes-Dekrete beschlie-ßen werden.

Luxemburger Wort: Wie denken Sie eigentlich über die Vorgehensweise von Präsident Klaus?

Jean-Claude Juncker: Nimmt er nicht gewissermaßen die Union in Geiselhaft? Ich bin nicht "amused" über seine Vorgehensweise. Die von Prag aufgeworfene Benes-Frage hat sich bereits bei der Verhandlung der Grundrechtecharta gestellt. Ich bin darüber hinaus der Meinung, dass diese Frage sich gar nicht stellt. Denn die Grundrechtecharta hat keine rückwirkende Wirkung. Ich war über den Vorstoß des tschechischen Präsidenten überrascht. Aber nun müssen wir eine Lösung finden. Und wir finden auch eine Lösung.

Luxemburger Wort: Eine Lösung in Sachen Klimawandel versucht der Gipfel von Kopenhagen in fünf Wochen zu finden. Die EU-Außenminister haben durchblicken lassen, dass Europa sein Angebot von 20 auf 30 Prozent Emissionsreduzierung im Vergleich zu 1990 erhöhen könnte. Entspricht dies auch Ihrer Einschätzung?

Jean-Claude Juncker: Die Union hat sich bislang in der Klimafrage eindeutig als internationaler Schrittmacher bewährt. Bereits 2007 haben wir deutlich gemacht, dass wir bereit sind, auf 30 Prozent zu erhöhen. Wenn andere wesentliche nicht-europäische Akteure und Verschmutzer auch bereit sind, einen großen Kraftakt zu leisten. Wir müssen im Lichte der Anstrengungen anderer an den 20 Prozent festhalten oder auf 30 Prozent erhöhen. Die Anstrengungen reichen noch nicht aus. Ich könnte persönlich auch sofort mit 30 Prozent leben, aber solche Vorleistungen wären im Vorfeld einer internationalen Verhandlung nicht sehr sinnvoll.

Luxemburger Wort: Neben Europa sind vor allem Amerika, Brasilien, Indien und China gemeint. Sehen Sie hier Bewegung?

Jean-Claude Juncker: Ich sehe Bewegung. Auch bei einzelnen Schwellenländern. Aber die Bewegung reicht noch nicht aus.

Luxemburger Wort: Die Finanzminister konnten sich nicht auf eine Finanzhilfe für Schwellenländer einigen. Müsste Europa hier nicht stärker voranschreiten?

Jean-Claude Juncker: Europa muss einen wesentlichen Teil des Finanzgewichts stemmen. Europa kann ja nicht alleine die Klimakatastrophe abwenden. Wir brauchen andere Länder: Amerika, China, Brasilien und auch die Länder der Dritten Welt. Hier muss der reichere Teil der Welt mehr helfen. Dies ist im Kern auch unumstritten. Es gibt nur einige EU-Länder, die zuvor gerne Aufklärung über den internen Verteilungsschlüssel in Europa hätten.

Luxemburger Wort: Haben Sie Verständnis für diese Haltung?

Jean-Claude Juncker: Ja, denn auch in Europa gibt es Länder mit unterschiedlichen Wirtschaftsstärken und Lebensstandards. Ich habe also durchaus Verständnis für die Haltung einiger wirtschaftlich schwächerer Mitgliedstaaten. Es wäre gut, wenn die schwedische Ratspräsidentschaft schnellstmöglichst einen schlüssigen Vorschlag auf den Tisch legen würde. Ohne internen Verteilungsschlüssel kommt es zu keiner wasserdichten externen Beschlussfassung.

Luxemburger Wort:Wie hoch wird der Luxemburger Anteil sein?

Jean-Claude Juncker:Auch der Luxemburger Anteil ergibt sich aus dem internen EU- Verteilungsschlüssel. Der Anteil wird beachtlich sein. Die Vorstellung, die auch in Luxemburg manchmal grassiert, man könne den Klimawandel mit poetischer Rhetorik bekämpfen, ist eine naive Vorstellung. Die Verhinderung der Klimakatastrophe kostet Geld. Und sie wird auch den Luxemburger Steuerzahler substanziell Geld kosten.

Luxemburger Wort: Wie wollen Sie denn die Menschen mit ins Boot kriegen?

Jean-Claude Juncker: Viele Menschen - auch in Luxemburg - meinen, Klimaschutz sei zum Nulltarif zu bekommen. Dies ist nicht der Fall. Wir müssen den Menschen dies erklären. Wir dürfen die Wirtschaftskrise nicht als Vorwand nehmen, um keinen Klimaschutz zu betreiben. Auch aus Respekt vor der kommenden Generation. Wir müssen diese Frage offensiv angehen. Auch wenn die Maßnahmen nicht immer populär sind. Denn sie ist von vitalem Interesse. Außer Präsident Klaus bestreitet ja auch niemand dies.

Luxemburger Wort: Stichwort Krise: In Deutschland werden zurzeit Steuersenkungen am laufenden Band vorgeschlagen. Befürchten Sie weitere Defizite?

Jean-Claude Juncker: Wir können nicht ad infinitum Defizite anhäufen. Sonst müssen junge Menschen später die Schuldenberge abbauen. Wir brauchen also eine Politik mit Augenmaß und dürfen noch nicht aus den Konjunkturprogrammen austreten. Die Krise ist noch nicht vorbei. Wir dürfen im Gegensatz zu den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts nicht blind und konjunkturdrückend sparen. Denn dies war ein historischer Fehlgriff, den wir nicht wiederholen dürfen.

Luxemburger Wort: Wenn man sich die jüngsten Banker-Boni anschaut, haben Sie dann den Eindruck, dass aus der Krise gelernt wurde?

Jean-Claude Juncker: Staaten und Gesellschaft haben daraus gelernt. Etwa bei der Finanzmarktregelung. Die Frage der Nichtklärung der Managerboni ärgert mich. Es kann nicht sein, dass auf den Manageretagen sich auf Kosten der Allgemeinheit bedient wird. Die ist einfach ungerecht. Ich bedauere, dass hier keine Rückkehr zur Bescheidenheit stattgefunden hat. Solche Gehälter sind einfach hirnrissig. Dies ist eine perverse Verirrung des Denkens.

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