Jean-Claude Juncker, Discours à l'occasion du Management Center Innsbruck, Autriche

Herr Präsident des Landtages, lieber Freund,
Herr Präsident,
Lieber Herr Stock,
Meine sehr verehrten Damen und Herren.

Ich muss zuerst mit einem fulguranten Dementi beginnen. Dem Euro geht es überhaupt nicht schlecht. Und ich bitte das zur Kenntnis zu nehmen.

Aber ich komme darauf im Detail zurück.

Ich bin, meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr gerne heute Morgen nach Innsbruck gekommen, weil ich Tirol erst gegen Ende August verlassen habe und länger als die Zeitspanne zwischen Ende August und Anfang Oktober lässt sich eine derartige Sehnsucht nicht widerstandslos mit sich herumtragen.

Und wenn ich mich mit der Frage zu beschäftigen habe, „Europa, Euro, wohin geht die Reise?“, dann bin ich fast versucht, auch aus Anbiederungsgründen, an den Saal zu sagen, der Weg geht über Tirol. Weil ich an Tirol die besondere Art der Bodenständigkeit mag, diese no-nonsense policy approach, wie das im Neudeutschen heißt. Diese Heimatnähe, die vieles über die Menschen aussagt, und auch zeigt, dass man Europäer, gute Europäer sein kann, ohne die Heimlichkeit der direkten Nähe aufgeben zu müssen. Das zeigt die Tiroler Art und Weise Europa zu leben, dass man pragmatischer Europäer sein kann, ohne von der Verstaatlichung Europas in Richtung die Vereinigten Staaten von Europa sich zu verrennen.

Ich mag die Offenheit der Tiroler. Fremdenverkehr ist zuerst die Annahme des Fremden, die Annahme dessen der anders ist, und das schaffen die Tiroler zur Perfektion. Und das ist eigentlich eine Art und Weise wie Europa auch zu denken ist, zu erleben ist, zu gestalten ist, ja, zu träumen ist.

Ich soll hier über den Weg Europas und des Euros in die Zukunft referieren. Da gibt es zwei Möglichkeiten, mehrere, dies zu tun. Man kann dies sehr ernsthaft tun, indem man sich zu akademischem Diskurs emporschwingt. Das mag ich nicht so sehr, obwohl ich das kann. Wenn es erwünscht wird, kann ich einige Kostproben dessen vorlegen. Oder man macht eine ernste Plauderei über europäische Dinge. Ich möchte mit Menschen ins Gespräch kommen.

Wir haben keine Krise des Euros. Dies eine journalistische Vereinfachung eines ernsten Vorganges. Der Euro ist nicht in Krise, die interne Stabilität des Euros ist gesichert. Die externe Stabilität des Euros steht nicht zur Disposition. Der Euro ist trotz aller Krise und Krisen, anormal stabil geblieben, gehört zu den stabilsten Währungen der Welt. Insofern haben wir es nun wirklich nicht mit einer Eurokrise zu tun, sondern mit einer Schuldenkrise in einigen Ländern der Eurozone.

Im Übrigen sollte man nicht denken, dass Europa sich jetzt re-substantivieren würde auf den Euro. Die Europäische Union, das europäische Integrationswerk, das Miteinander in die Zukunft gehen wollen der Europäer geht weit über die Bedeutung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, und weit über die eigentliche Bedeutung des Euros hinaus.

Dass wir jetzt denken, Euro und Europa wäre gleichzusetzen, nach dem Motto der deutschen Bundeskanzlerin, „wenn der Euro verschwindet wird auch die Europäische Union ins Wanken kommen“, hat damit zu tun, dass wir uns mit dem was wir in Europa erreicht haben kaum noch auseinandersetzen. Wir Europäer sind nicht stolz auf das was wir als Europäer erreicht haben. Die ganze Welt bewundert uns für das was wir als Europäer nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Beine gestellt haben. Nur wir Europäer haben keinen richtigen Gefallen daran.

Wissen Sie wieso ich gerne reise, weite Reisen mache, weit über Tirol hinaus? Obwohl ich immer gern in Tirol zwischenlanden würde. Das ist der Tatsache zu verdanken, dass man sich so richtig als Europäer fühlt, wenn man in Asien, in Afrika, sonst wo aus dem Flugzeug steigt und man wird nicht nur als derjenige der man ist, als luxemburgischer Premierminister, begrüßt, sondern auch als Europäer. Die ganze Welt schaut mit bewundernden Augen auf das was die Europäer nach dem Zweiten Weltkrieg zustande gebracht haben. Nur wir Europäer, sind wir wieder in Europa zurück, werden sofort in das abgrundtiefe Gefühl versenkt, dass wir alles falsch gemacht haben und alles weiterhin falsch machen.

Dabei – weil wir auf das Erreichte nicht mehr stolz sind – vergessen wir sehr schnell, dass das was wir in Europa zustande gebracht haben, so nicht zu erwarten war. Nach diesem furchtbaren Zweiten Weltkrieg, und der war noch furchtbarer als der Erste Weltkrieg, standen die Zeichen in Europa nicht auf Versöhnung, nicht auf Miteinander, sondern auf das Fortführen des Gegeneinanders. Die Zeichen waren auf das perpetuum mobile des Konfliktes ausgerichtet.

Die Menschen, die Frauen und Männer die von den Frontabschnitten und aus den Konzentrationslagern in ihre zerstörten Städte und Dörfer zurückgekehrt sind, die hätten jeden Grund gehabt die Hände in den Schoss zu legen und Gottes Wasser über Gottes Land laufen zu lassen.

Diese Generation jedoch, die Kriegsgeneration, die Generation meiner Eltern, die Generation der Großeltern vieler hier im Saale Versammelten, haben aus diesem ewigen Nachkriegssatz „Nie wieder Krieg!“ nicht nur ein Gebet gemacht, sondern ein politisches Programm heranwachsen lassen, das bis heute wirkt.

Und nun weiß ich sehr wohl, dass diejenigen die mit der Gnade der späten Geburt versehen sind, die also in den 1960er, 1970er Jahren und 1980er Jahren geboren worden sind, mit diesem Thema Krieg und Frieden, mit dieser dramatischen europäischen Frage, ob wir unsere Konflikte friedlich beilegen, in einem geordneten Politiksystem, oder mit Waffengewalt, dass jüngere Menschen damit nicht sehr viel anfangen können. Trotzdem gilt auch für Jüngere, dass dieses Thema ein europäisches Thema bleibt.

Wir haben weder Langzeit- noch Kurzzeitgedächtnis. Und die wenigsten von uns erinnern sich noch daran, dass vor 14-15 Jahren in Kosovo, mitten in Europa, gemordet, gefoltert, vergewaltigt wurde. Die alten Dämone, die schlafen nur. Und man muss wissen, in Europa sind die Dinge so, dass die alten Konflikte sehr schnell wieder aufbrechen können. Und deshalb bleibt das Thema Krieg und Frieden ein ewiges europäisches Thema.

Meine große Sorge ist, dass das Thema Krieg und Frieden zur Begründung der europäischen Integration nicht mehr ausreicht. Das war eine Begründung, eine existentielle Begründung für die Generation meines Vaters, die Soldaten im Kriege waren. Meine Generation ist eine Zwischengeneration. Eine Generation zwischen der Generation derer die direkte Kriegserfahrung gehabt haben und der Generation derer die nicht mal mehr Großväter haben, die über ihre Kriegserlebnisse erzählen können. Und deshalb entschwindet und verschwindet diese dramatische Frage Europas aus dem Bewusstsein der Nachgeborenen. Und deshalb muss man immer wieder sagen, es geht in Europa darum sicherzustellen, dass vom europäischen Boden nie mehr Krieg ausgeht.

Und deshalb bin ich eigentlich stolz auf das Werk derer, die nach dem Krieg die europäischen Geschicke resolut in die Hand genommen haben und uns ein Erbe hinterlassen haben, das wir, wie ich finde, nicht angemessen pflegen.

Krieg und Frieden, das Thema ist nicht erledigt, aber wir wussten uns tugendhaft mit dem Thema zu beschäftigen. Wir haben, darauf sind wir auch nicht stolz, trotz aller Widersprüche und aller Widersprüchlichkeit, unserer respektiven, sich differenzierenden nationalen Befindlichkeiten, auch den größten Binnenmarkt der Welt zustande gebracht, Grenzen abgeschafft, Handelshemmnisse planiert. Wir leben heute so als ob es keine Binnenwirtschaft mehr gäbe sondern nur noch eine europäische Wirtschaft.

Dass man Grenzen abschafft war nicht zu erwarten, nach dem Krieg in Europa. Und bis weit in die 1980er Jahre auch noch eine Wunschvorstellung einiger, wie es schien, Verrücktgewordener. Dabei sind Grenzen eigentlich die schlechteste Erfindung die Politiker je gemacht haben. Politiker sind ja zu manchen schlimmen Erfindungen fähig, aber die Erfindung der Grenze war der eigentliche Sündenfall vor dem Gebot des notwendigen Zusammenrückens der Menschheit. Es gibt keine Grenze mehr in Europa.

Manchmal denke ich mir, wenn die Menschen so verdrießlich und fast verbittert über Europa reden, man müsste so in einem globalen kontinentalen Testversuch wieder die Grenzen für 6 Monate einführen. Ich habe das erlebt, als 13-14jähriger Tirol-Tourist. Wie lange es brauchte um über den Brenner nach, ich sage nicht gern nach Italien, nach Südtirol zu kommen. Versuchen Sie das mal. Setzen Sie sich mal wieder ins Auto und wappnen Sie sich mit Geduld und versuchen Sie eine innereuropäische Grenze zu überwinden.

Den Tirolern sagt das wahrscheinlich etwas, wenn man davor warnt, den Luxemburgern auch. Wissen Sie, in Luxemburg ist man immer schnell an irgendeiner Grenze. Man ist relativ schnell in Frankreich, relativ schnell in Deutschland, relativ schnell in Belgien. Luxemburg ist ja von kleinen Republiken und von einem kleinen Königreich umgeben und deshalb ist man relativ schnell an der Landesgrenze. Und ich möchte dies nicht mehr erleben.

Das Trennende der Landesgrenzen wurde in Europa überwunden. Wenn wir jetzt auch noch das Trennende in den Köpfen überwinden könnten, dann wäre es um unser aller Wohl besser bestellt.

Wir erfreuen uns auch nicht daran, dass wir zum ersten Mal in der Weltgeschichte, und ich darf sagen, ich war dabei, eine richtige Währungsunion auf die Beine gestellt haben. Wir haben heute 17, am Anfang 11, nationale europäische Währungen zu einer internationalen, zu einer europäischen einheitlichen Währung fusioniert und sind damit den Zwängen nationaler Währungs- und strikt nationaler Wirtschaftspolitik eigentlich entflohen.

Ich war 20 Jahre Finanzminister, von 1989 bis 2009 und bin alle 2 Monate nach Brüssel gefahren, übers Wochenende, zu geheimen und deshalb auch dementierten Sitzungen der europäischen Finanzminister, wo wir versuchten, weil sich das Wettbewerbsgefälle zwischen den Mitgliedstaaten des europäischen Währungssystems zu Ungunsten eines Landes verändert hatte, Auf- und Abwertungen so vorzunehmen, dass wieder auf Dauer europäische Gleichgewichtsbildung entstehen könnte. Dann wurde über Nacht die Deutsche Mark aufgewertet, der Französische Franc abgewertet, die Lire abgewertet, Peseta und Pesos abgewertet. Und Montag morgens erwachten die bayrischen Bauern und konnten ihr Produkte nicht mehr nach Italien ausführen, weil das Währungsgefälle sich inzwischen so verschoben hatte, dass die bayrischen Agrarprodukte irrsinnig teurer wurden als die von den italienischen Freunden produzierten. Gleiches galt ab dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union auch für Ihre Republik.

Das war das zweimonatige Treffen verfeindeter Vertreter nationaler Wirtschaftsinteressen. Einer hat sich auf Kosten des anderen gesundet, hat auf- und abgewertet, je nachdem wie die nationale Gefühls- und Wirtschaftslage es eigentlich erforderte. Es war auf Dauer nicht so miteinander gemeinsam in einem Wirtschaftsraum – damals hatten wir den Binnenmarkt schon – zu leben. Insofern war die Schaffung einer einheitlichen Währung ein Gebot der Stunde und ein Gebot der Zukunft.

Stellen Sie sich eine Sekunde vor, wir hätten angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise die seit 2007 überall ihr Unwesen treibt, noch das europäische Währungssystem, und weil wir 17 Mitgliedsstaaten in der Eurozone haben, 17 nationale Währungen zu verwalten gehabt. Es wäre der Kampf aller gegen alle gewesen und wir wären alle eigentlich unglücklicher geworden, weil logischerweise wäre das passiert was auch in den Vorjahren passiert ist: die etwas orthodoxer geführten Volkswirtschaften des Nordens – Österreich, Beneluxraum, Deutschland, Teile Skandinaviens – hätten permanent aufgewertet und die etwas schwächeren Volkswirtschaften Südeuropas hätten ihre Währung nach unten gleiten lassen. Wir hätten mehr Arbeitslosigkeit heute, wir hätten weniger Währungsstabilität, wir hätten totale Unsicherheit, null Voraussicht dessen was in den nächsten Jahren kommt, erhöhte Transaktionskosten zwischen unseren Unterwirtschaftsräumen. Das heißt, in der Summe hätten wir mehr Arbeitslose, hätten wir mehr Inflation, hätten wir mehr Haushaltsdefizit und Haushaltslücken zu schließen als dies heute der Fall ist.

Dadurch dass wir uns ab 1991, startend im Jahr 1988, konsequent auf den Weg der Einführung des Euros gemacht haben, und danach versucht haben dieses Eurogebilde, das imperfekt ist – die Währungsunion ist kein optimales Währungsgebiet – unsere Geschäfte anständig zu führen, haben wir einige Erfolge eingefahren, von denen heute niemand mehr spricht. Von denen aber alle sprächen, hätten wir den Euro nicht eingeführt.

Die Inflation – man redet ja auch jetzt wieder von Inflationsgefahr, die ich nicht sehe – hat sich in den Jahren der Vorbereitung zum Euro-Eintritt und in den Jahren der Euro-Existenz wesentlich abgesenkt. Seit Euroeinführung 1999 bis 2010 hatten wir eine durchschnittliche Inflation in der Währungszone von 1,97%, also unter dem von der Europäischen Zentralbank festgelegten, akzeptablen Inflationskorridor von nahezu, aber nicht über 2% Jahresinflation. Weniger Inflation als zur Zeiten der Deutschen Mark, und auch weniger Inflation im historischen Rückschritt als zu Zeiten des Österreichischen Schillings.

Wer denkt denn noch heute daran, dass wir in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts – diese Periode ist in meine aktive Zeit gefallen – einen durchschnittlichen Inflationssatz von 10% hatten? Und in den 1990er Jahren noch eine durchschnittliche Inflation von nahezu 4%. Wer denkt denn heute noch daran, jetzt da wir 1,50% Zins zahlen müssen, mit, wie ich denke abnehmender Tendenz, angesichts der sich anbahnenden schwächelnden Konjunktur? Wer denkt noch daran, dass wir in den 1980er Jahren, da war ich schon ein richtiger Minister, dass wir dann 12% Zinssätze zahlen mussten?

Als ich mein Haus kaufte, das war 1983 der Fall, musste ich 12% Zinsen zahlen. In den 1990er Jahren mussten die europäische Wirtschaft, die Handelstreibenden, die Tiroler Handwerker, die Tiroler Geschäftsleute, der Tiroler Tourismus, die Tiroler Industrie, die ja nicht unwesentlich zur Gestaltung dieses Landes beiträgt, 9% Zinsen zahlen. Jetzt 1,50% mit, wie ich denke, ohne mich ins Geschäft der Europäischen Zentralbank einmischen zu wollen, abnehmender Tendenz.

Haushaltsdefizite die man heute beklagt, und sehr zu recht beklagt, die betrugen 0,7% im Jahre 2007, im Durchschnitt der Eurozone, als die Finanzkrise mit der Subprime-Krise in den Vereinigten Staaten von Amerika losgetreten wurde. In den 1980er und 1990er Jahren waren das über 10%, bis sich das Haushaltsdefizit in der Summe auf etwas über 3% in der gesamten Europäischen Union Ende der 1990er Jahre abgesenkt hatte. Heute haben wir 6% Haushaltsdefizit. Viel zu hoch.

Und die Schuldenstände haben sich auch auf Grund der Konjunkturprogramme, die zur Schließung der durch die Schwäche der privaten Nachfrage entstandenen Lücke durch Staatshaushalte aufgelegt werden mussten, nach oben bewegt, aber trotzdem sind die Schuldenstände in der Europäischen Union, vornehmlich in der Eurozone, in keinerlei Weise vergleichbar mit den Haushaltsdefiziten in den Vereinigten Staaten von Amerika oder in Japan. Und unsere Schuldenstände sind auch wesentlich niedriger als das was Herr Bush und Herr Obama in geistigem Schulterschluss in den letzten 10 Jahren zustande gebracht haben.

Deshalb wehre ich mich auch mit einiger Inbrunst gegen Zurechtweisungen aus Washington. Es weiß zwar niemand es, aber wir sind wesentlich besser als die Amerikaner. Die einzigen die es wissen sind die Amerikaner und deshalb tun sie so als wüssten sie es nicht. Und deshalb glauben wir, weil die Amerikaner nicht zugeben, dass sie schlechter sind als wir, wir wären schlechter als die Amerikaner. Genau das Gegenteil ist der Fall.

Wir haben es jetzt mit einer schwierigen, nicht Eurokrise, sondern Schuldenkrise im Euroraum zu tun. Stichwort Griechenland. Und wenn ich sage Stichwort Griechenland, möchte ich darauf hinweisen, dass ja 3 Staaten der Eurozone sich in Anpassungsprogrammen der Eurozone befinden: das sind Irland, Portugal und Griechenland.

Man spricht aber nur über Griechenland. Wieso spricht man nur über Griechenland? Weil die Dinge in Irland und in Portugal täglich besser gehen. Irland ist auf einem guten Wege seine durch die Immobilien- und Bankenkrise verursachte Absenkung seiner Wettbewerbsfähigkeit wieder wettzumachen. Irland hat ein Drittel seines Wettbewerbsfähigkeitsverlustes innerhalb von 8-9 Monaten wieder aufgearbeitet.

Portugal befindet sich auf einem schwierigen, aber erfolgversprechenden Weg, was wiederum zeigt, dass, wenn nationale Solidität, also Bringleistung, in Kombination mit europäischer Solidarität, also Zurverfügungstellung von überbrückenden Krücken, damit Länder wieder auf die Beine kommen, richtig zusammengefügt werden, dass dann der Erfolg auch am Ende des Tunnels sichtbar wird.

In Griechenland sind wir weit davon entfernt, am Ende des Tunnels Licht zu sehen. Nicht weil kein griechischer Tunnel wieder ins Freie führen würde, sondern weil der Weg durch den Tunnel noch nicht mit dem Tempo und mit der inhaltlichen Verve zurückgelegt wurde, wie dies eigentlich hätte wünschenswert erscheinen müssen.

Griechenland hat in den Jahren seiner Zugehörigkeit zum Euroraum 25% bis 50% seiner Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt, je nach Sektor. Das griechische Problem ist nicht nur ein Haushaltsproblem. Es ist ein selbstgemachtes, hausgemachtes Wettbewerbsfähigkeits-herabsenkendes Gesamtkonstrukt, das Griechenland in diese ausweglos erscheinende Lage geführt hat. Deshalb geht es bei der Bekämpfung der griechischen Krise, die zur Verschuldungskrise des Euros, aber nicht zu einer Eurokrise, geführt hat, auch darum die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands wesentlich zu stützen. Und in der Beziehung müssen alle möglichen europäischen Wege beschritten werden, die beschritten werden können, damit Griechenland wieder auf den Wachstumspfad zurück kommt.

So wahr es ist, dass man Schulden nicht durch pausenlos erneuerte Schulden bekämpfen kann; so wahr es ist, dass man Haushaltsdefizite nicht durch sich auftürmende neue Haushaltsdefizite vertreibt; so wahr ist es auch, dass eine Volkswirtschaft die nicht wächst, auf Dauer nicht dazu wird beitragen können, dass die Haushaltslücken und die Schuldenberge abgetragen werden können.

Deshalb braucht Griechenland nicht nur Haushaltskonsolidierung, die ist unverzichtbar, absolut alternativlos, sondern Griechenland braucht auch, mit europäischer Hilfe, das Zustandekommen zukunftsorientierter Wachstumsprogramme, die die griechische Wirtschaft wieder in Fahrt bringen.

Und dazu müssen wir unseren Beitrag leisten. Den werden wir auch dadurch leisten, dass wir im Vorfeld zu diesem Gesamtunterfangen dafür Sorge tragen werden müssen, dass die nächste Hilfstranche für Griechenland Ende Oktober, Anfang November wird ausbezahlt werden können, auf Grund eines Berichtes der sogenannten Troika – EZB, Kommission, Internationaler Währungsfonds – der uns wird beweisen müssen, dass zwischen der 5. im Mai ausbezahlten Tranche, und der 6. Ende Oktober, Anfang November auszubezahlenden Tranche, Griechenland wirklich das getan hat, was es versprochen hatte.

Hat es aber nicht in vollem Umfang, deshalb debattieren und diskutieren wir ja zur Zeit mit Griechenland, damit hier Vollzug gemeldet werden kann. Eingedenk der Tatsache, dass die Rezession in Griechenland wesentlich ausgeprägter war im Jahr 2011, nämlich 5,5%, statt der im Juni noch angedachten, von uns auch angedachten 3,8%. Und wir brauchen den Beweis dafür, dass die Tragfähigkeit der griechischen Schulden garantiert ist.

Wenn wir nicht davon ausgehen können, durch ein Mixtum compositum von allen möglichen Hilfestellungen und Eigenanstrengung, dass die Griechen auf Dauer ihre Schulden werden zurückbezahlen können, werden wir nicht einfach weitermachen können mit ständigen neuen Kredit- und Bürgschaftsprogrammen für Griechenland.

Es stehen uns also diesbezüglich einige spannende Tage bevor. Wobei ich hier sehr dafür plädieren möchte, dass man nicht weiter macht, vor allem in deutschsprachigen Ländern, die Griechen pausenlos schlecht zu reden. Das ist kein Hilfsprogramm für Griechenland, den Griechen dauernd zu erklären, sie wären faul, sie würden weniger arbeiten als alle anderen. Die Arbeitszeit in Griechenland ist länger als die Arbeitszeit in Deutschland. Die Staatsverschuldung in Spanien ist übrigens niedriger als die in Deutschland.

Man sollte also ein bisschen aufpassen, wenn man sich zu komparativen Exzessen emporschwingt, die der Analyse der tatsächlich herrschenden Tatsache nicht integral gerecht werden.

Die Griechen haben unsere Unterstützung verdient, aber die Griechen müssen auch wissen, dass es so nicht weiter geht. Ich sage dies nicht despektierlich, sondern mit warmem Gefühl im Herzen. Griechenland muss ein richtiger Staat werden. Wir müssen Griechenland helfen so zu funktionieren wie ein Staat. Und Griechenland funktioniert nicht so wie die Staaten von denen wir denken, dass sie die Staaten wären, die adäquat funktionieren würden.

Griechenland hat kein Grundbuch. Grundbuch braucht man, wenn man wissen möchte was wem gehört. Weil sonst gehört allen alles, und niemandem nichts. Griechenland hat eine fast kommunistische Volkswirtschaft, in dem Sinne, dass vieles was sich in unseren Volkswirtschaften – sofern es noch solche nationalen Versionen der Volkswirtschaften gibt – in Privatbesitz befindet, immer noch in Staatsbesitz ist. Und vieles was in Staatsbesitz liegt, funktioniert schlecht und wirft keine Gewinne ab.

Ich bin nun ein energischer Gegner dieser Privatisierungseuphorie, die über die letzten 20 Jahre in Europa allenthalben feststellbar war. Ich bin ein ausgesprochener Gegner dieser primitiven Deregulierung, wo man dachte, dass alles was es an Regeln gibt eigentlich von Überfluss wäre. Die Krise in der wir sind, und in der wir stecken, ist sonst nichts als dieser neoliberale Wahn, der darin bestand zu denken, Menschen die gegen Arbeit und Gehalt arbeiten, bräuchten keine Rechte um sich sicher zu fühlen im Leben. Ich bin ein ausgesprochener Gegner dieser wilden Deregulierung des Arbeitsrechtes. Menschen brauchen die Sicherheit des Arbeitsrechtes um zurecht zu kommen im Leben.

Wenn mein Vater, der Stahlarbeiter war, alle 6 Monate hätte bangen müssen ob sein Arbeitsvertrag noch verlängert wird oder nicht, dann hätte ich nicht zur Universität nach Straßburg gehen, und dort Rechtsanwalt werden können. Man sollte ein bisschen mehr auf die kleinen Leute aufpassen, weil die kleinen Leute nicht blöder als die anderen sind.

Und deshalb, angesichts dieses Deregulierungswahnes, dem viele aufgesessen sind, konnte es auch zu dieser Finanz- und Wirtschaftskrise kommen. Weil wir haben eigentlich die Kardinaltugenden der sozialen Markwirtschaft schleichend verlassen. Marktwirtschaft ist die Effizienz des Marktes, und nicht Markt pur. Der Markt produziert keine Solidarität. Solidarität entsteht nur durch die Effizienz des Marktes, und durch den normativen Zugriff der Politik, und der durch Wahlen legitimierten Politik, und der Tarifparteien. So entsteht Solidarität. Der Markt selbst, der Markt alleine hat kein Geschäftsziel, das sich soziale Solidarität nennen würde.

Und weil wir diese Regeln alle über Bord geworfen haben, und weil es uns eigentlich auch gut ging mit dieser Abschaffung der Regeln, weil diese Deregulierung nicht jeden in seinem Alltag erreichte, haben wir dem einfach nolens volens, eigentlich mehr volens als nolens, zugesehen. Und das hat uns in die Katastrophe geführt, weil wir die Kardinaltugenden der sozialen Marktwirtschaft nicht beachteten. Und die Kardinaltugenden sind Markteffizienz, gerechte Umverteilung und das Haftungsprinzip.

Das Haftungsprinzip besagt, dass derjenige der etwas Negatives verursacht, auch für die Folgen der Behebung des durch sein Fehlverhalten eingetretenen Negativums haften muss. Haften denn jetzt diejenigen, die die Krise verursacht haben? Nein sie haften nicht dafür. Und deshalb sind wir mit diesem Finanzregulierungsunternehmen in Europa und weltweit noch überhaupt nicht am Ende angelangt.

Es braucht mehr Regulierung, mehr Einschränkung der freien Marktwirtschaft, und mehr Umdenken in Richtung sozial verfasste Marktwirtschaft, sonst wird diese Krise, die wir zurzeit durchschreiten, nicht nur eine Finanz- und Wirtschaftskrise bleiben, sie wird sich in eine soziale Krise verwandeln. Und aus dieser sozialen Krise wird eine Systemkrise erwachsen, in der Gestalt, dass sich die Menschen sich in der Art und Weise wie wir Wirtschaft in Europa, und in der so genannten freien Welt betreiben, nicht mehr zurecht finden. Die Menschen finden, dass es nicht gerecht zugeht, und Aufgabe der Politik ist es dafür zu sorgen, dass diese Gerechtigkeitslücke geschlossen wird.

Und deshalb bin ich auch sehr dafür, dass wir in Europa, wenn der Rest der Welt das nicht will, diese Finanztransaktionssteuer einführen. Es ist nicht normal, dass wenn ich ein Pfund Butter kaufe, ich Mehrwertsteuer bezahlen muss. Wenn ich aber massive Transaktionen im Finanzbereich vornehme, dass dort kein Cent Steuer entfällt. Das ist keine normale Welt. Auch Finanztransaktionen gehören besteuert.

Wenn wir dies in Europa einigermaßen auf die Bahn kriegen, dann wird es uns auch gelingen die Menschen wieder näher an das europäische Projekt, an das für alle identitätstiftende Gesamtunternehmen heranzuführen.

Und deshalb brauchen wir, um diese Systemkrise zu verhindern, um das Dahinplätschern der Wirtschafts- und Finanzkrise zu vermeiden, innerhalb weniger Wochen eine globale Antwort auf die Wirtschafts- und Finanzkrise, die den Euroraum erfasst hat. Der Euroraum steht im Epizentrum einer globalen Herausforderung, und er muss sich dieser globalen Herausforderung, die wir nicht verdient haben, die Tatsache dass wir Epizentrum der Krise geworden sind, mit klarem Kurs beantworten.

Und deshalb wird auch ein Europäischer Rat, der die Staats- und Regierungschefs der Eurozone zusammen führt, in den nächsten Tagen stattfinden. Er wird wahrscheinlich nicht wie geplant nächste Woche stattfinden, sondern einige Tage später, damit man alle Teile die es braucht um diese comprehensive answer, diese globale Antwort auf die Epizentrums-Herausforderung zu formulieren, zusammentragen kann.

Und dies beinhaltet eine Überprüfung der Governance-Regeln in der Eurozone. Dort braucht es mehr Ernsthaftigkeit bei der Bekämpfung der Haushaltsdefizite. Die Rekonsolidierung der öffentlichen Finanzen ist unausweichlich notwendig, wird nicht einfach sein. Aber die Vorstellung, dass man weiterhin Schulden macht, ich habe das schon gesagt, um Schulden zu bekämpfen, ist ein Irrweg auf den wir die Europäer nicht geleiten sollten.

Deshalb müssen die überprüften Regeln des Stabilitätspakts mit der letzten Konsequenz auch jetzt angewandt werden. Und es darf nicht so sein, dass größere Staaten sich alle Freiheiten der Welt im Umgang mit den europäischen Stabilitätsregeln nehmen. Der Stabilitätspakt gilt nicht nur für Kleine und Mittlere, er gilt auch und vornehmlich für die Großen.

Zu dieser Antwort gehört ein Nachdenken über Schritte, die nach dem Ausbezahlen der nächsten Tranche an Griechenland – die 8 Milliarden die Ende Oktober, Anfang November ausbezahlt werden – werden folgen müssen. Es wird nicht reichen, dass man, nur weil das gut klingt, und weil das den Menschen einleuchtet, sagt, jetzt muss ein Schuldenschnitt passieren. Wer jetzt über Nacht einen unvorbereiteten Schuldenschnitt machen würde, der würde andere Länder auf die ähnlich verlaufende schiefe Bahn schicken, wie die auf der die Griechen sich befinden. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass eine Einhegung auf andere Staaten überspringender Gesamtkonsequenzen vorausgeplant wird, und dann können wir uns über derartige, massivere Schritte unterhalten.

Wer jetzt einfach mit dem Schlachtruf “Griechenland muss umschulden�? durch die Lande zieht, der verbreitet giftiges Gas. Wer sagt, Griechenland muss aus dem Euro austreten, tut Ähnliches, weil ein Austritt aus dem Euroraum hätte verheerende Folgen für die Verbleibenden zur Folge, und im Übrigen auch für große Teile der internationalen Finanz- und sonstigen Wirtschaft. Und deshalb bin ich ein Gegner einfacher Methoden, weil ich ein Gegner einfacher Parolen bin.

Ich bin dafür, dass man in kleinem Kreise, dort wo es dunkel ist, über Auswege nachdenkt, und dann diese Wege beschreitet, wenn diese Wege beschreitbar erscheinen, und nicht mehr verschneit und verregnet sind.

Haushaltskonsolidierung ist notwendig, weil wir in den letzten drei Jahren die Konsolidierungsgewinne der letzten 20 Jahren Rückeroberung budgetärer Orthodoxie zu beklagen haben. Wir müssen schnell wieder in gangbare Bahnen zurückfinden, damit die nächsten Generationen nicht die Schulden derer bezahlen müssen, die aus Unvernunft und Unverstand heute diese Schulden angehäuft haben.

Wir brauchen eine Roadmap, einen Fahrplan für Bankenrekapitalisierung in Europa. Wobei es schon mein Wunsch wäre, aber dies ist Sache jeder einzelnen, nationalen Regierung, dass man nicht einfach nur Banken Geld gibt, sondern dass man diejenigen, die für das Geldgeben geradestehen müssen auch an Gewinnen der Banken und an den Entscheidungsgremien der Banken beteiligt.

Wir haben in Luxemburg im Jahre 2008 zwei Banken retten müssen. In einer Bank sind wir der wichtigste Aktionär geworden, und in der anderen Bank lassen wir uns die Garantien fleißig verzinsen.

Einfach Geld so über die Theke schieben ist, denke ich, der falsche Weg, und ist auch ein Weg, der von den Menschen nicht ein weiteres Mal mitbeschritten werden wird. Deshalb muss die Politik wissen, dass sie hier unter intensiver Beobachtung derer steht, die sie in Regierungsämter entsandt haben.

Wirtschaftspolitik muss enger verzahnt werden, enger koordiniert werden. Dies gilt für alle Teile der Wirtschaftspolitik, dies gilt auch für große Teile der Sozialpolitik, wenn auch nicht für den Teil der Sozialpolitik, den ich im Bereich der sozialen Ordnung ansiedeln möchte. Gemeinsame Rentensysteme wird es in Europa nicht geben, aber gemeinsame Grundregeln für die Ausgestaltung der Rentensysteme muss es geben.

So bin ich auch der Meinung bin, dass wir in Europa, weil das Soziale unterentwickelt ist, auch einen Mindestsockel an Arbeitnehmerrechten brauchen, in der Gestalt, dass es Mindestregelung gibt für große Teile des Arbeitsrechtes, und auch für große Teile der Lohnpolitik, ohne dass die Tarifpolitik in ihrer Autonomie berührt wird.

Ich bin sehr dezidiert der Meinung, dass, wenn wir in Europa fast alles regeln, wir dann auch in Europa gesetzliche Mindestlöhne in allen Ländern der Währungszone brauchen, anstatt dass einige, die sich diesem absoluten sozialen Must nicht anschließen, sich eigentlich wettbewerbsmäßig dissoziieren können von dem tugendhafteren Teil der Euroländer.

Und zu einer besseren Governance gehört auch, nach außen hin, dass wir Schluss machen, aber das ist wirklich Zukunftsmusik, mit dieser unmöglichen Gemengelage, die darin besteht, dass wir in Washington, dort wo die internationalen Finanzinstitutionen sitzen und wo wir als Länder vertreten sind, uns präsentieren als ob es den Euro nicht gäbe. Wir müssen beim Internationalen Währungsfonds einen einheitlichen Sitz für die Eurogruppe, für die Eurozone haben. Wenn wir mit einer Stimme reden sollen, dann sollten wir uns auch einheitlich vor der Weltöffentlichkeit präsentieren.

Das versteht ja niemand, dass die Franzosen, die Deutschen, die Italiener, wer auch immer, ihren eigenen Sitz im Internationalen Währungsfonds haben, im Vorstand, wo entschieden wird, gemeinsam mit der Eurozone, über die Hilfeprogramme an Griechenland und andere. Es ist ja lustig, wenn wir den Amerikanern sagen, ihr müsst uns betrachten als ob es nur einen Europäer gäbe, und dann sitzen 8 Europäer im Board des Internationalen Währungsfonds, und erzählen jeder seine eigene Geschichte, je nach Laune und Befindlichkeit derer, die wir national nach Washington entsandt haben.

Im Prinzip ist auch immer jeder dafür. Und zwar immer dann, wenn er nichts zu sagen hat. Ich habe Finanzminister zuhauf erlebt, die waren immer für den einheitlichen Sitz, bevor sie Finanzminister wurden. Und waren auch wieder für den einheitlichen Sitz, wenn sie es nicht mehr waren. Aber in der Zwischenzeit, wo sie es hätten tun können, da leuchtete ihnen das weniger ein als vorher und nachher. Es gibt sogar welche die sitzen im Elysee-Palast in Paris, die haben anlässlich ihres Wahlkampfes auch dafür plädiert. Man wird überprüfen können, ob sie bald wieder der Meinung sind.

Ich hätte gerne, dass wir uns international etwas ernsthafter, seriöser aufstellen. Und schließe auch im Übrigen nicht aus, dass wir über den Weg, siehe Umweg, von Vertragsänderung zu einer stärkeren Koordinierung der Wirtschaftspolitik in der europäischen Währungszone kämen. Ich bin nicht a priori dagegen, dass wir die Vertragsänderungen versuchen auf den Weg zu bringen, die wir brauchen um die Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten der Eurozone enger zu verzahnen, wobei ich dann schon dafür wäre, dass man nicht weiter machen würde mit dieser pausenlosen Anwendung so genannter intergouvernementaler Methode in der Europäischen Union, oder in der Eurozone.

Ich bin ein großer Anhänger der sogenannten ‚communautären‘ Methode: die Kommission schlägt vor, der Rat und das Europäische Parlament, in Mitentscheidungsverfahren, treffen die Entscheidung.

Ich bin etwas allergisch gegen intergouvernementale Methoden, die wir jetzt bei allen Rettungsprogrammen, bei allen Rettungsschirmen uns zu Hand gelegt haben, weil dies das Gleichgewicht der Entscheidungsfindung, und der Entscheidungswege sehr penibel und nachhaltig stört. Weil wir sehr schnell, man kann das auch beobachten, wieder zu dieser unglückseligen Aufteilung der Einflusssphären zwischen großen und kleinen Ländern kommt. Da bin ich allergisch dagegen.

Obwohl Luxemburg ein Großherzogtum ist, weiß ich, dass Luxemburg kleiner als Großbritannien ist. Insofern bin ich dafür, dass wir wieder zu dem Prinzip der gleichberechtigten Würde und der gleichen Rechte aller Beteiligten in der Europäischen Union, und dies gilt auch und explizit für die Eurozone, zurückfinden.

Politik ist eigentlich das Miteinander von Geographie, Geschichte und Demographie. Und wer nur Demographie überbetont, um daraus bestimmte Vorherrschaftsrechte für sich abzuleiten, weil er grösser ist, der befindet sich auf einem, wie ich finde, falschen Weg. Demographie ist sehr relativ. Es gibt in der Europäischen Union keine großen Länder mehr, auch wenn einige denken, sie wären es. Wer jetzt denkt die Rückkehr zum Nationalstaat wäre der Ausweg aus der Krise, der irrt sich fundamental.

Und Demographie ist hart. Wenn ich den chinesischen Premierminister treffe – Wen heißt der Mann, ich bin mit dem befreundet, und den treffe ich zwei Mal im Jahr – dann nehme ich den immer an der Schulter, und sage, wenn ich bedenke, dass du und ich, dass wir beide hier ein Drittel der Menschheit repräsentieren, dann wird die Relativität des demographischen Arguments für jedermann ersichtlich. Und auch wenn die Bundeskanzlerin Herr Wen an der Schulter fasst und sagt, wir beide repräsentieren einen Drittel der Menschheit, dann sagt der nicht eher Ja, und nicht eher Nein, als wenn ich ihm das sage. Und das hat damit zu tun, dass es mehr Chinesen als Deutsche und Luxemburger gibt.

Und dessen sollten wir eingedenk sein bei all dem was wir tun, weil wir ein kleiner Kontinent sind. Die einzigen die es nicht wissen, das sind wir Europäer. Es hat 20% Europäer am Anfang des 20. Jahrhunderts gegen. Anfang dieses Jahrhunderts hat es noch 11% gegeben, an Erdbewohnern die Europäer waren, Mitte des Jahrhunderts, 2050, werden wir noch 7% sein, und Ende des Jahrhunderts wird es noch genau 4% Europäer geben.

Wer jetzt denkt, jetzt wäre der Moment gekommen um eine Politik der bewussten Renationalisierung zu betreiben, wer jetzt denkt, jetzt müsse der Schlachtruf sein “weniger Europa�?, der irrt sich. Der Schlachtruf muss sein, die Überzeugung muss sein, die gewachsene und auch durch Taten zu beweisende Überzeugung muss sein, dass wir mehr Europa brauchen.

Und wir brauchen mehr Europa nicht nur für uns selbst, wir brauchen auch mehr Europa für die Welt. Weil, unserer Aufgabe in der Welt werden wir nicht gerecht. Wir werden schon unseren internen Aufgaben nicht genügend gerecht, aber das was draußen auf uns lauert an Gefahren, an Herausforderung, an zerbrochenen Biographien, an gebrochenen Träumen, das ist eine Herausforderung die sich wesentlich intensiver entwickeln wird, als das was wir zurzeit intern erleben.

Solange jeden Tag 30.000 Kinder den brutalsten aller Tode, nämlich den Hungertod sterben, können die Europäer nicht von sich behaupten, sie hätten ihre Aufgaben in der Welt erledigt.

Wir sind der Kontinent der Selbstverständlichkeiten geworden. Wir haben Wasser, wir haben ein Dach über dem Kopf, wir haben was wir brauchen. Nicht alle haben es, weil es auch das Phänomen der Armut in Europa selbst zu betrachten gilt, das mich sehr stark besorgt, aber wir haben vieles was andere nicht haben.

Und wir werden erst dann mit unserer Aufgabe fertig sein, wenn es anderen so gut geht wie uns, und wenn wir dafür gesorgt haben, dass das was bis heute erreicht wurde verfestigt wird. Und dazu gehört, dass wir uns mit allem Ernst der vor uns liegenden Aufgaben stellen.

Ich bin nicht jemand der Euro- und Europa-Fanatiker wäre. Ich bin kein Euro-Romantiker. Ich bin ein strikter bodenständiger Zukunftsrealist.

Ich danke für das aufmerksame Zuhören.