Jean-Claude Juncker, invité de l'émission "Unter den Linden-Spezial"

Michael Hirz: Gelegentlich hat man den Eindruck, dass Europas Währungspolitiker unter die Homöopathen gegangen sind. Das Prinzip der Homöopathie ist es, Gleiches mit Gleichem zu behandeln. Und die Regierungen der Eurozone doktern jetzt ähnlich an der europäischen Gemeinschaftswährung herum. Auch sie bekämpfen Gleiches mit Gleichem, sie bekämpfen Schulden mit immer neuen Schulden. Bislang ist ein dauerhafter Heilungserfolg bei der Krisenbewältigung ebenso wenig nachweisbar wie bei der Homöopathie. Aber vielleicht hilft hier wie dort der Glauben daran. Und damit herzlich willkommen bei "Unter den Linden - Spezial".

Und unser Gast ist heute niemand Geringeres als der Vorsitzende der Eurogruppe, der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker, den ich sehr herzlich begrüße. In überaus bewegten Tagen, wo es um Sein oder nicht-Sein der Gemeinschaftswährung Euro geht, steht er meinem Kollegen Christoph Minhoff und mir Rede und Antwort.

Christoph Minhoff: Wollen wir gleich anfangen: die EZB hatte heute ihre letzte Sitzung unter Herrn Trichet. Die EZB, mittlerweile fast ein politisches Instrument. Das war eigentlich nicht immer so geplant.

Jean-Claude Juncker: Ich glaube nicht, dass die EZB ein politisches Instrument ist, sonst wäre sie ein Instrument in jemandes Händen. Das ist sie nicht. Es ist eine unabhängige Zentralbank, so war sie angedacht, so hat sie sich auch benommen. Wäre sie politisch hätte ich dort mitzubestimmen. Ich hab an der Sitzung teilgenommen, habe aber nicht bestimmend daran teilgenommen.

Christoph Minhoff: Ok. Aber um ein zweites Wort einzuführen, manche glauben, die EZB verkommt immer mehr zu einer eigenen Bad Bank, die böse Anleihen, schlechte Anleihen, Staatsanleihen aufkaufen muss, um überhaupt noch das gesamte Eurosystem am Leben zu erhalten. Auch diese Analyse ist falsch?

Jean-Claude Juncker: Allein schon an der Tatsache, dass ich Ihnen jetzt sagen muss, dass ich die Politik der EZB nicht kommentiere können Sie erkennen, dass die EZB eine unabhängige Zentralbank ist und nicht das Instrument in den Händen der Regierungen. Ansonsten macht die EZB das was sie macht richtig. Ich kommentiere immer nur die EZB wenn sie etwas richtig macht. Wenn sie etwas falsch macht, dann schweigt des Sängers Höflichkeit.

Michael Hirz: Nachfolger von Jean-Claude Trichet ist ein Italiener, Mario Draghi. Nun ist Italien ja selbst Gegenstand größerer Überlegungen, nicht nur der EZB, sondern auch der Regierungschefs der Eurozone. Ist das eine gute Wahl, einen Präsidenten für die EZB, die ja für die Währungsstabilität zuständig ist, zu nehmen aus einem Weichwährungsland, oder aus einem Land mit einer Weichwährungstradition?

Jean-Claude Juncker: Also, als Herr Trichet Präsident der Europäischen Zentralbank wurde, kam er auch aus einem ähnlich zu beschreibenden Land. Wenn aber jemand Präsident der Europäischen Zentralbank wird, dann gibt er die nationale Fahne am Eingangstor in Frankfurt ab. Die EZB-Präsidenten werden auf Grund, laut Vertrag, ihrer persönlichen Eigenschaften gewählt und nicht auf Grund ihrer nationalen Fahne. Herr Draghi, ab dem Tag wo er in Frankfurt einzieht, wird die längste Zeit Italiener gewesen sein.

Michael Hirz: Gut, dann beruhigen Sie also unser Publikum im Hinblick auf den künftigen EZB-Präsidenten.

Jean-Claude Juncker: Ich bin völlig überzeugt, dass Herr Draghi, den ich seit 25 Jahren kenne, mindestens, ist ein ausgewiesener Stabilitätspolitiker. Er hat eine weltweite Reputation als jemand der es sehr ernst nimmt mit der haushaltspolitischen Orthodoxie, mit der finanzpolitisch anzustrebenden Stabilität. Herr Draghi ist nicht eine Tuttifrutti-Mischung aus Süditalien der 1950er Jahre. Das ist eine manchmal deutsche Beschreibung die man ihm zubringt. Diese Stempel passen nicht.

Michael Hirz: Wie gesagt, über Herrn Draghi haben wir ja gesprochen, aber nun ist er ja nur das Gesicht der Europäischen Zentralbank. Entscheidend und wichtig ist ja das Direktorium und ist der Rat der Europäischen Zentralbank. Da allerdings stellen die Länder die Mehrheit, die eben dem Süden der Eurozone angehören. Die Länder die auch im Augenblick, aus deutscher Sicht zumindest, und ich tippe mal auch aus Luxemburger Sicht, eher zu den problematischen Regionen oder problematischen Ländern gehören.

Jean-Claude Juncker: Für die anderen Mitglieder des EZB-Direktoriums gilt die gleiche Regel wie die die für den EZB-Präsidenten gilt. Wer Mitglied des EZB-Direktoriums ist, wird das wegen der persönlichen Eigenschaften die ihn auszeichnen. Und er hat europäischen Sachen, der Unabhängigkeit der Zentralbank zu dienen, und nicht seiner früheren Regierung oder dem Land aus dem er ursprünglich kommt. Ansonsten ist es ja von den Deutschen zu verantworten, dass so viele Südländer, was ich nicht bedauere [wird unterbrochen]

Michael Hirz: [undeutlich]

Jean-Claude Juncker: Nein, die haben nicht auf mich gehört sonst wäre nämlich ein Luxemburger Vizepräsident der Europäischen Zentralbank.

Michael Hirz: Das wäre dann Herr Mersch gewesen.

Jean-Claude Juncker: Genau, den hatte ich vorgeschlagen.

Michael Hirz: Der ja häufig auch in Minderheitsposition gemeinsam mit dem deutschen Kollegen, auch zum Beispiel in Fragen Ankauf der Staatsanleihen durch die EZB, sich befunden hat.

Jean-Claude Juncker: Das weiß ich nicht so genau, weil er von mir ja keine Weisungen beziehen darf.

Michael Hirz: Aber Sie, wie ich, sind ja Zeitungsleser und Konsumenten von Nachrichten

Jean-Claude Juncker: Ja, aber im Gegensatz zu Ihnen glaube ich nicht alles was in der Zeitung steht.

Christoph Minhoff: Tun wir vielleicht besser alle nicht.

Jean-Claude Juncker: Fernsehen ist doch so wie Sie von den Währungspolitikern gesagt haben, jeden Tag das Gleiche. Das ist auch mit Fernsehprogramm so. Jeden Tag das Gleiche, nur jeden Tag ein bisschen anders. So ist das, die große Gemeinsamkeit [undeutlich]

Michael Hirz: Mit Ihnen haben wir ja jetzt ein ganz neues Kapitel aufgeschlagen, von daher sind wir froh, dass [wird unterbrochen]

Jean-Claude Juncker: Ja sie reden dauernd mir über Europäische Zentralbank, die vertrete ich nicht hier.

Christoph Minhoff: Genau. Dann kommen wir jetzt zu etwas anderem, zum EFSF, alleine der Begriff ist immer schon äußerst kompliziert. In Deutschland [wird unterbrochen]

Jean-Claude Juncker: Sagen Sie doch einfach Rettungsschirm.

Christoph Minhoff: Rettungsschirm. Dann nehme ich den Begriff Rettungsschirm. Ja, es gibt so viele Rettungsschirme, dass man ein bisschen [wird unterbrochen]

Jean-Claude Juncker: Nein.

Christoph Minhoff: vorsichtig sein muss welcher grade gemeint ist. Aber ich versuche es mal so. In Deutschland war es eine sehr heftige Diskussion, eine äußerst kontroverse innenpolitische Diskussion, bei der deutlich wurde wie sehr europäische Entscheidungen dann am Ende auch von einzelnen Interessen abhängen. Wie passt das zusammen? Passt eine solche Politik überhaupt für Europa, wo am Ende eine kleinere Partei, eine Regierung in schwierigen Zeiten am Ende darüber entscheiden kann, ist das das richtige Instrument?

Jean-Claude Juncker: Es ist zurzeit das einzige Instrument über das wir verfügen. Mir wäre es viel lieber gewesen, der Rettungsschirm, so wie er jetzt in Aufstellung kommt, wäre ein gemeinschaftliches Instrument gewesen, geworden, ein communautaires Instrument, wie wir in der europäischen Fachsprache sagen, die niemand versteht.

Und mir wäre es lieber gewesen, wenn wir nicht an jeder Ecke und eigentlich überall immer einstimmig beschließen müssen. Das nimmt diesem Instrument und auch den europäischen Regierungen, die Reaktivitätskraft weg, der es eigentlich dringend bedarf, damit wir den Märkten auf den Vorsprung kommen und nicht immer den Märkten nachhinken. Jetzt werden wir versuchen dieses Instrument mit der Geschwindigkeit zu führen, die es substantiell hätte wenn es diese erschwerenden, den [undeutlich] umrahmenden, strikten Einstimmigkeitsregeln nicht gäbe.

Aber ich muss auch hinzufügen, ich habe ja die deutsche Debatte intensiv verfolgt, wie auch die in den andern 16 Staaten, man darf sich nicht darüber beklagen, dass in parlamentarisch verfassten Demokratien, wenn es um das Hoheitsrecht der Parlamente geht, nämlich das Budgetrecht, und wenn Abgeordnete vor ihren Wählern, vor ihrer nationaler Öffentlichkeit geradestehen müssen für das was im europäischen, und im konkreten Falle auch im deutschen Lande passiert, dass man sich Zeit nimmt darüber zu debattieren. Finanzmärkte verstehen das nie. Die Menschen die schnelles Geld machen, ohne sich immer irrsinnig viel dafür anstrengen zu müssen, die verstehen nicht, dass andere sich etwas schwerer tun wenn sie Geld ausgeben. Die Abgeordneten, die Minister, Premierminister geben ja nicht ihr eigenes Geld aus, obwohl wir bis jetzt kein Geld ausgegeben haben, aber virtuell, wir sind ja dem Steuerzahler verpflichtet und den Bürgern in unseren Ländern. Die, die in kurzen Hosen in New-York unter ihren Klimaanlagen vor den Computern sitzen und innerhalb von 3 Minuten über Millionen Arbeitsplätze entscheiden, die haben die Sorge nicht. Ich hab schon die Sorge, dass die Menschen verstehen was wir machen.

Christoph Minhoff: Ich weiß, dass Politiker ganz generell was-wäre-wenn Fragen nicht gerne mögen.

Jean-Claude Juncker: Nein, ich mag die überhaupt nicht.

Christoph Minhoff: Ich weiß, deshalb stelle ich trotzdem nochmal eine, und zwar, es droht möglicherweise doch noch, dass die Aufstockung des EFSF möglicherweise an dem Votum der Slowakei scheitern wird. Ein solches was-wäre-wenn würde dann bedeuten?

Jean-Claude Juncker: Wenn der Esel eine Katze wäre, würde der Esel den ganzen Tag über in der Baumkrone sitzen. Er ist aber keine Katze und die Slowakei wird zustimmen.

Christoph Minhoff: Das ist eine interessante Prognose. Finnland hat sich eigene Sicherheiten geben lassen, auch ein Punkt der wahrscheinlich auch in Deutschland, zumindest in der innenpolitischen Debatte dazu führt, dass man sagt, ja gut, welche zusätzlichen Sicherheiten können wir noch bekommen um einer solchen Ausweitung zuzustimmen? Natürlich haben wir jetzt zugestimmt, aber gibt es weitere Sicherheiten?

Jean-Claude Juncker: Ich war über das was ich für Finnland habe in Vorschlag bringen müssen nicht sehr begeistert, im Übrigen auch nicht sehr stolz darauf. Aber das war halt eine Zusatzbedingung die Finnland formuliert hat und die auch von den Staats- und Regierungschefs am 21. Juli als solche anerkannt wurde. Der Vorschlag den wir den Finnen gemacht haben, und der auch von den Ministern der Eurogruppe am letzen Montag in Luxemburg so akzeptiert wurde, ist so, dass et für andere AA- Staaten und für andere Staaten der Eurozone absolut zu kostspielig ist. Es wird in Deutschland niemand auf die Idee kommen ein ähnliches Verfahren für Deutschland zu reklamieren, wie das was wir Finnland eingeräumt haben.

Christoph Minhoff: Das heißt, ihr zahlt höhere Zinsen und kriegt dafür ein [undeutlich] Ausstiegsrecht?

Jean-Claude Juncker: Nein, man muss – das ist jetzt etwas technisch kompliziert – aber wenn es zu dem endgültigen Rettungsschirm, beim ESM, beim Europäischen Stabilitätsmechanismus, ab Juli 2013, kommt, dann müssen 80 Milliarden sofort von den Eurostaaten eingezahlt werden, abrufbares Kapital in einer bestimmten Höhe muss zur Verfügung gestellt werden, was aber keinen direkten Geldfluss mit sich bringt.

Die 16 nicht-finnischen Euromitgliedstaaten können diese insgesamt 80 Milliarden Euro Kapital in 5 Tranchen über 5 Jahre einbezahlen, während Finnland dies in einem Wurf sofort bei Startbeginn des Europäischen Stabilitätsmechanismus tun muss. Außerdem wird Finnland nicht an den Gewinnen des endgültigen Europäischen Rettungsschirms beteiligt werden, weil er wird nämlich Gewinn machen.

Christoph Minhoff: Das sind 2 Prophezeiungen die man gerne hört.

Jean-Claude Juncker: Wenn es nicht so kommt, laden Sie mich bitte so schnell nicht wieder ein.

Michael Hirz: Nun hat gerade die Finanzministerkonferenz beschlossen, die Rettung von Griechenland, die anstand, nämlich die 8 Milliarden Euro, die nächste Tranche für die Rettung Griechenlands, erst mal zu strecken. Die wird also nicht im Oktober ausgezahlt sondern erst im November.

Auf der andern Seite zielen ja alle Rettungsmaßnahmen die angekündigt oder schon eingeleitet sind im Augenblick darauf, Vertrauen der Märkte zu gewinnen. Ist denn diese Verschiebung der Auszahlung der nächsten Griechenlandtranche Ende November, ist das ein Beitrag gewesen zur Beruhigung der Märkte?

Jean-Claude Juncker: Wahrscheinlich nicht, aber es wäre auch kein Beitrag zur Beruhigung der Bürger, wenn wir uns nicht an die Regeln hielten die wir festgelegt haben, bevor es zur Ausbezahlung einer weiteren Tranche, nämlich der 6. Tranche, an Griechenland kommt. Wir müssen ja überprüfen, ob seit dem Auszahlen der 5. Tranche, bis hin zum Moment des Ausbezahlung der 6. Tranche unsere griechischen Freunde genau das getan haben was von ihnen verlangt wurde und was sie auch akzeptiert haben.

Und wir müssen Klarheit über die Tragfähigkeit der griechischen Schulden haben. Die Troika, das ist eine Arbeitsgruppe bestehend aus Europäischer Zentralbank, Kommission und Internationalem Währungsfonds, ist zurzeit noch dabei dies in Griechenland zu überprüfen. Diese Berichte liegen uns nicht vor. Es wurde auch dem deutschen Bundestag versprochen, und nicht nur dem luxemburgischen Parlament, auch dem deutschen Bundestag, dass man nur auf Grund dieser dann vorzulegenden Berichte sachkundig und fachkundig entscheiden kann. Diese Berichte liegen nicht vor, die werden uns wahrscheinlich erst am 24. Oktober vorgelegt.

Dritte Information heute, das weiß noch niemand, aber sie senden zu spät, bis dahin wird jeder das wissen [wird unterbrochen]

Michael Hirz: Das geht ganz schnell

Jean-Claude Juncker: Ja, ich kenne Sie. Wenn diese Berichte vorliegen werden wir entscheiden, wie ich denke positiv entscheiden, und diese 8 Milliarden-Tranche, aus Geldmitteln der Eurozone und des Internationalen Währungsfonds zu besticken, nach Athen überweisen, weil ich doch guter Hoffnung bin, dass durch den Druck der jetzt in den letzten Wochen und auch dieser Tage noch ausgeübt wird, und durch das pädagogische Sich-Herantasten an einige Widerborstigkeiten die es noch in Griechenland gibt, es doch so sein wird, dass Griechenland die Bedingungen erfüllen wird. Aber wenn wir jetzt entschieden hätten ohne diese Berichte, das wäre auch nicht vertrauensbildend gewesen.

Michael Hirz: Aber es ist nicht nur Psychologie was da abläuft, und nicht nur Symbolpolitik, sondern es wird dann ernsthaft Konsequenzen haben, wenn eben bis zu dem Stichtag die Troika feststellt, Griechenland erfüllt die Voraussetzungen nicht. Das heißt, dann gäbe es diese 8 Milliarden für Griechenland nicht aus den Ländern.

Jean-Claude Juncker: Dann gäbe es sie nicht, aber so wird es nicht kommen, weil Griechenland alle Bedingungen erfüllt haben wird bevor dieser Beschluss ansteht. Ich erinnere an die Katze und an den Esel.

Michael Hirz: Ja

Jean-Claude Juncker: Aber wir machen ja keine Sendung über Tierkunde hier, sondern wir [wird unterbrochen]

Michael Hirz: Wobei Sie die Tiere ja eingeführt haben, aber das ist ein schönes Bild. Trotzdem, Sie gehen fest davon aus, Griechenland wird die Bedingungen erfüllen. Sie müssen das vermutlich auch in Ihrer Funktion, weil natürlich jedes Wort von Ihnen dann auch von den Märkten [wird unterbrochen]

Jean-Claude Juncker: A muss ich das und B wird das so sein.

Michael Hirz: Gut. Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt, hierzulande immer noch oder vielleicht mehr denn je ein hochgeachteter Mann mit einer besonderen Expertise auf dem Feld der Wirtschafts- und Finanzpolitik [wird unterbrochen]

Jean-Claude Juncker: Zu Recht hochgeachtet.

Michael Hirz: hat gesagt, es wäre schrecklich wenn Griechenland pleitegeht, aber es wäre nicht der größte anzunehmende Unfall. Dann wäre es eben so.

Jean-Claude Juncker: Also im Moment [wird unterbrochen]

Michael Hirz: Sie haben ihn ja eben ja selbst gerade nochmal gelobt als einen weisen Mann.

Jean-Claude Juncker: Ja. Ich lobe ihn auch deshalb als weisen Mann, weil er manchmal zu meiner Person lobende Worte findet. Und Menschen die mich loben sind mir spontan sympathisch. Ich habe ihn auch vor ein paar Wochen in Hamburg bei ihm zu Hause besucht und wir hatten einen Gedankenaustausch geführt, währenddessen er mich im Übrigen wieder sehr beeindruckt hat.

Aber trotzdem, und bei aller Hochachtung für den Altbundeskanzler, die griechische Staatspleite ist im Moment der größte anzunehmende Unfall, weil dies nicht nur eine verheerende, die Eurozone betreffende Dominowirkung hätte, sondern das gesamte internationale weltweite Finanzsystem wirklich ins Wackeln brächte. Die Eurozone würde Derartiges überleben, aber der Preis der dafür zu zahlen wäre, wäre so hoch, dass ich niemanden zu diesen Überlegungskünsten auffordern möchte.

Christoph Minhoff: Was heute ein wenig den Anschein hat ist, dass man sich immer mehr aber schon mit einem Schuldenschnitt anfreundet. Es gibt einige Äußerungen, auch der deutschen Bundeskanzlerin, die sagt, na ja, mal schauen ob die Entwicklung bisher so ist wie unsere Beschlusslage eigentlich ist. Und es gibt immer mehr, es wird eigentlich fast vorweggenommen und gesagt, ohne einen Schuldenschnitt wird es nicht gehen. Wird der kommen?

Jean-Claude Juncker: Die Frau Bundeskanzlerin hat auch gesagt, dass im Moment nicht daran gedacht wird.

Christoph Minhoff: Ja, das kennen wir so ein bisschen. Im Moment nicht dran denken ist [wird unterbrochen]

Jean-Claude Juncker: Da steckt ja vieles drin in dem Satz. Ich bin in Berlin und ich zitiere den Bundeskanzler.

Christoph Minhoff: Ja, das heißt eben auch im Moment.

Jean-Claude Juncker: Im Moment heißt im Moment.

Christoph Minhoff: Dann frage ich anders: gibt es aus Ihrer Sicht tatsächlich eine realistische Chance, dass Griechenland unter den Bedingungen wie sie im Moment sind, und unter den Voraussetzungen die Griechenland hat, tatsächlich ohne einen Schuldenschnitt die Krise bewältigen kann?

Jean-Claude Juncker: Ich kann das aus heutiger Sicht so apodiktisch nicht sagen. Wenn Griechenland sich an alle Auflagen hält, zu denen es sich selbst auch verpflichtet hat – wir sind ja hier nicht ein Diktatursystem wo die einen verlangen und die anderen Bringpflicht haben, aber wir sind trotzdem [wird unterbrochen]

Michel Hirz: Viele Griechen sehen das anders.

Jean-Claude Juncker: Ich verstehe das ja auch. Wissen Sie, wenn Sie ein Grieche wären, der 800 Euro Rente im Monat hat, dem man die Rente fast halbiert hat, dann wären Sie auch nicht so ruhig wenn es um dieses Thema geht.

Ich stelle mir immer die Frage, ich sitze da in Luxemburg, es ist ein reiches Land, und ich verfüge gemeinsam mit meinen Kollegen darüber. So, Renten 40% runter, Löhne 20% runter – man muss sich mal fragen wie das auf diese Durchschnittsgriechen wirkt. Es sind ja nicht die griechischen Arbeitslosen, die Kleinstverdiener in Griechenland die Lehman Brothers in Konkurs getrieben haben und das ganze Finanzsystem auf den Kopf gestellt haben. Es sind doch eigentlich die Reichen dieser Welt, die das alles zu verantworten haben. Und mir wäre es schon lieb, wenn man auch mal daran denkt, wie man dann die eigentlichen Verursacher dieser Krise auch zur Kasse bitten könnte.

Christoph Minhoff: Aber ist das [undeutlich] Schuldenschnitt [wird unterbrochen]

Jean-Claude Juncker: Es entsteht nämlich eine große Gerechtigkeitslücke. Viele Menschen finden sich in einem System nicht mehr zurecht, wo sie denken, dass die Falschen bezahlen und die eigentlich Verantwortlichen nicht zur Kasse gebeten werden. Und wer das übersieht, der geht am Lebensgefühl und der Befindlichkeit vieler Menschen, auch vieler Griechen vorbei. Ich wollte das mal gesagt haben.

Zurück zu Ihrer Frage. Wir werden jetzt, falls die Bedingungen stimmen, diese 6. Tranche von 8 Milliarden ausbezahlen, und dann muss man angesichts der Erkenntnisse die man gewonnen hat auf Grund der Troika-Berichte, die Tragfähigkeit der griechischen Staatsschulden betreffend, überlegen müssen ob wir auf dieser Programmschiene so wie angedacht weiterfahren, oder ob man sich anderes überlegen muss um die griechische Schuldentragfähigkeit tragfähig zu machen. Das kann ich aus heutiger Sicht nicht abschließend beantworten.

Christoph Minhoff: Italien ist gerade herabgestuft worden von der Ratingagentur Moody‘s. Es heißt immer, wir müssen versuchen Dominoeffekte – Sie haben es gerade auch gesagt – zu verhindern. Wir müssen schauen, dass hier noch eine Firewall errichtet wird. Aber ist dafür nicht am Ende die Beschlusslage überhaupt ausreichend? Eigentlich doch nicht. Wenn es tatsächlich auch noch mal zu weiteren Auswirkungen kommt, dann wird es nicht ausreichen, was man beschlossen hat.

Jean-Claude Juncker: Käme es zum GAU, dann reicht natürlich die inhaltliche Ausstattung, und die finanzielle Ausstattung des Schirmes nicht, das weiß jeder. Ich bin trotzdem der Meinung, dass wir jetzt nicht den Fehler begehen sollten, dem Rettungsschirm, dem EFSF, zusätzliche Geldmittel zuzuführen. Wir sind jetzt dabei – in Deutschland ist dies geschehen, es stehen noch 2 Zustimmungen des slowakischen und des niederländischen Parlamentes aus – es waren schwierige Ratifizierungsprozesse, das braucht man in Berlin ja nicht besonders auszuführen, und niemand ist ja so verrückt, dass er sich jetzt wieder mit Zusatzfinanzausstattungen an die nationalen Parlamente wenden würde. Das würde im absoluten parlamentarischen Chaos endigen, weil dem, der einen derartigen Schritt geht, dem die angekündigte Legitimationsbasis fehlen würde. Was man aber tun kann [wird unterbrochen]

Christoph Minhoff: Also das war’s.

Jean-Claude Juncker: Nein das war es nicht, das wär’s wenn es um die finanzielle Bestückung geht. Aber was wir jetzt überlegen müssen ist, wie wir die dem Rettungsschirm zugeführten, ihn bereichernden neuen zusätzlichen Instrumente so effizient wie möglich gestalten kann. Da wurde ja Einiges in Bewegung gebracht, anlässlich des Europäischen Rates vom 21. Juli. Und wir sind jetzt dabei in der Eurogruppe und in den angeschlossenen Sendeanstalten darüber zu beratschlagen wie man dies dann gewährleisten kann, ohne dass die parlamentarischen Beschlüsse unterlaufen würden. Also man redet über tugendhafte Hebelwirkung.

Michael Hirz: Wir haben ja alle noch gut in Erinnerung den Schrecken und die Auswirkungen, die die Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008 ausgelöst hat. Damals gab es den Willen und auch den Schwur aus der Politik, wir gehen da jetzt noch mal richtig rein, wir helfen, aber wir ziehen auch Konsequenzen daraus, dass sich das niemals wiederholt. Dann wurden Stresstests für Banken eingeführt, von denen man heute auch sich fragt, wie sinnvoll die sind, weil grade im Augenblick diese belgische Bank Dexia irgendwie in Schieflage geraten ist, die ja vor 2 Monaten oder 3 Monaten noch den Stresstest bestanden hat.

Aber egal, was ist denn da eigentlich versäumt worden an Maßnahmen, nach 2008, und welche Lehren sind gezogen worden aus der Krise von 2008, dass wir heute auf einmal wieder kurz davor stehen, dass aus der Schuldenkrise auch eine Bankenkrise wird?

Jean-Claude Juncker: Ich glaube, es sind schon die richtigen Lehren gezogen worden, es wurden nur nicht alle Maßnahmen, die es beim guten Verständnis der zu ziehenden Lehren es zu treffen galt, umgesetzt.

Wir haben in Europa einiges in Sachen Finanzregulierung auf den Weg gebracht, Ratingagenturen, Derivate und Ähnliches. Wir tun uns aber sehr schwer damit uns mit unseren Ansichten auf der internationalen Bühne durchzusetzen. Der G20 war ja groß angekündigt worden als das alle Probleme absolvierende und resolvierende Instrumentarium. Die Europäer können sich aber nicht adäquat durchsetzen. Ich nehme mal das Beispiel [wird unterbrochen]

Michael Hirz: Entschuldigung, Sie vermitteln den Eindruck, dass die Europäer da an einem Strang ziehen. Ist das tatsächlich so? Ist die EU da irgendwie [wird unterbrochen]?

Jean-Claude Juncker: Die Europäer ziehen schon an einem Strang, aber jeder zieht an einem anderen Faden des Strangs. Insofern muss das Seil gut aufpassen, dass es nicht in Teile zerlegt wird.

Wir haben konsequentes Mainstream-Vorgehen in vielen Bereichen der Finanzregulierung feststellen können, ich rede jetzt von der Eurogruppe und auch von der EU 27. Andere G20-Partner tun sich etwas schwerer, und auf der Ebene der 27, wenn ich das Beispiel Transaktionssteuer zum Beispiel anführe: die Briten sind nicht damit einverstanden, die Schweden sind nicht damit einverstanden, die Niederländer tun sich schwer damit, die Tschechen tun sich schwer damit.

So, dann wird es natürlich lustig wenn dann die Obermuftis der Eurozone nach Cannes demnächst im November zum G20-Gipfel reisen und sagen, wir Europäer hätten gerne dieses und jenes, wenn wir insgesamt selbst nicht zu einer einmütigen Beschlussfassung fähig sind.

Das sind hochkomplizierte Fragen. Und es ist natürlich schnell ein Parteitagsbeschluss herbeigeführt, dass die Transaktionssteuer kommt. Ich bin auch nachdrücklich dafür. Aber zwischen einem Zweizeiler auf einem Parteitag und einem ausgefuchsten Gesetzeswerk, da liegen doch Welten. Und um diese Welten zu durchschreiten braucht es Zeit.

Michael Hirz: Nun gab es ja Kritik, auch nach der Krise von 2008, an den amerikanischen Ratingagenturen, weil man sagte, da gibt es auch Interessenskonflikte, die eigentlich nicht hinnehmbar sind. Antwort könnte eine europäische Ratingagentur sein, also eine Agentur die eben die Bonität von Banken und Anleihen und so weiter von Staaten bewertet.

Jetzt lässt sich der EU-Präsident Barroso vernehmen, eine europäische Ratingagentur macht eigentlich gar keinen Sinn und die wollen wir nicht. Ist das auch ihre Meinung? Sollen wir uns weiter verlassen auf Moody‘s und Standard and Poor‘s, also amerikanische Ratingagenturen mit denkbaren Interessenskonflikten?

Jean-Claude Juncker: Die amerikanischen Ratingagenturen haben nicht alles falsch gemacht. Wenn eine Ratingagentur zum Ergebnis kommt, dass Griechenland in großen Problemen steckt. und dass in Italien die Haushaltsführung nicht 100%ig ist und die politische Führung nicht alle Garantien dafür abgibt, dass zügig durchregiert wird in Italien, dann kommentiere ich das nicht, gebe aber zu Protokoll, dass ich sehr wohl verstehe, dass Ratingagenturen zu bedenklichen Urteilsabgaben in den beiden Fällen kommen. Und das würde eine europäische Ratingagentur ja nicht anders tun. Aber die Ratingagenturen sind co-substantiell, kontradiktorisch zusammengefügt, indem sie ihre eigenen Kunden beraten. Und das halte ich für ein Unding. Da arbeiten [wird unterbrochen]

Michael Hirz: [undeutlich] europäische Ratingagentur mit einem entsprechenden [undeutlich]

Jean-Claude Juncker: Wir arbeiten in Europa daran, dass dies nicht mehr geht.

Ich habe mich vor 2 Jahren, glaube ich war das, für eine europäische Ratingagentur ausgesprochen, hätte die gerne in der direkten Nähe der Europäischen Zentralbank angesiedelt, was die Europäische Zentralbank wiederum nicht wollte, wegen ihrer Unabhängigkeit die dadurch in Verruf kommen könnte. Ich bin immer noch der Meinung, dass man eine europäische Ratingagentur braucht. Man sollte auch auf die chinesische Ratingagentur hören. Es ist nicht alles falsch, was die neuen Kapitalisten in Peking über derartiges denken.

Michael Hirz: Aber trotzdem, wenn Sie sagen, wir haben diese Erfahrung von 2008-2009, wir haben jetzt die Situation wie wir sie haben, unübersichtlich und schwierig, zumindest da werden Sie ja vermutlich nicht widersprechen – dann fragt man sich doch, hätte die Zeit noch anders genutzt werden können? Und wenn sie rückschauen und die Situation heute sehen: was hätte gemacht werden können um zu verhindern, dass wir das erleben was wir im Augenblick erleben an Schwierigkeiten?

Jean-Claude Juncker: Wenn Finanzregulierungsmaßnahmen getroffen werden, die via Gesetz in allen Nationalstaaten der Eurozone, der Europäischen Union, oder überhaupt weltweit durchgesetzt werden müssen, dann braucht das Zeit. Demokratien sind komplizierte Veranstaltungen, so dass wir ohnehin nichts parat gehabt hätten zum jetzigen Augenblick.

Aber generell gilt – und ich bemängele das sehr, und ich habe auch selbst da Mitschuld eigentlich, wenn ich mir das so recht überlege – jetzt überlege ich mir schon, ob ich das sagen soll, was ich sagen wollte. Wir [wird unterbrochen]

Christoph Minhoff: Wir sind ja ganz unter uns.

Jean-Claude Juncker: Wir sind nicht schnell genug, wir sind nicht reaktionsschnell genug.

Objektiv ist es so, dass wir den Finanzmärkten nachlaufen, anstatt dass wir den Finanzmärkten auf dem Vorsprung kommen müssen. Und das hat auch mit der komplizierten Governance – heißt das ja wohl im Neudeutschen – der Eurozone und überhaupt der Europäischen Union zu tun, weil wir institutionell nicht so aufgestellt sind wie wir es eigentlich sein müssten.

Michael Hirz: Aber ist das nicht auch ein Misstrauensvotum gegenüber demokratisch legitimierter Politik in Europa, wo man tatsächlich bei einzelnen wichtigen Schritten die nationalen Parlamente fragen muss, zu Recht ja, die auch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler und wir verpflichten? Und ist da nicht eben ein System wie zum Beispiel China, um einmal ein nicht-demokratisches System zu nennen, im Vorteil, weil es viel schneller reagieren kann?

Und da gibt es ja zwei Möglichkeiten, entweder [wird unterbrochen]

Jean-Claude Juncker: Ja was machen wir denn jetzt?

Michael Hirz: Entweder man versucht, ja das wollen wir ja gerne von Ihnen hören, weil Sie sind Chef der Eurogruppe.

Jean-Claude Juncker: Ach so. Zu dessen Aufgabengebiet gehört es nicht. die Demokratie in Europa abzuschaffen und die Diktatur [wird unterbrochen]

Christoph Minhoff: Ja, aber dann muss die Demokratie eine Antwort geben.

Jean-Claude Juncker: Ich bin a) dagegen, dass wir uns von den Finanzmärkten, die oft Recht haben, pausenlos ein X für ein U vormachen lassen. Auch Finanzmärkte können [wird unterbrochen]

Christoph Minhoff: Also müssen die gezähmt werden.

Jean-Claude Juncker: Ja, auch Finanzmärkte können sich irren, müssen deshalb gezähmt werden.

Und Finanzmärkte müssen zur Kenntnis nehmen, wie wir auch, dass Demokratien sich eben langsamer bewegen als die Schnellschussspezialisten auf den Finanzmärkten. Ich kann es nicht ändern, ich will es auch nicht ändern. Finanzmärkte haben einen anderen Zeithorizont vor Augen als Demokratien, parlamentarisch verfasste Systeme, die auf Volkslegitimität beruhen. Und das kann man nicht ändern.

Die Chinesen werden immer schneller sein mit ihrer Art der postkapitalistischen nicht-Demokratie, als wir Europäer. Und im Übrigen sind wir noch schneller als die Amerikaner. Wir werden ja massiv mit Vorwürfen aus Washington und New York [wird unterbrochen]

Christoph Minhoff: Besonders bemerkenswert, wie ich finde, aus den USA, diese Vorwürfe.

Jean-Claude Juncker: Ja, ich habe mich darüber länger unterhalten mit dem amerikanischen Finanzminister, mit Tim Geithner, und bei allem Verständnis dafür, dass die Dinge in Europa sich nicht schnell bewegen, finde ich doch den Weg von Helsinki bis nach Palermo etwas weiter, als der vom Weißen Haus bis zum Kapitol, und das dauert genau so lange.

Christoph Minhoff: Eine Antwort die ja denkbar wäre auf diesen strukturellen Nachteil wäre ja tatsächlich eine europäische Institution zu schaffen, die sich mit diesen Fragen befasst. Aber auch da gibt es sofort ein großes Geschrei, und man sagt, wie soll die aussehen, was könnte es sein? Das Stichwort Finanzregierung. Sie haben schon hoffnungsfrohe Prognosen heute Abend gegeben, geben Sie doch noch eine. Wird das funktionieren, oder wird das nicht funktionieren?

Jean-Claude Juncker: Es müsste funktionieren können, wenn es richtig gemacht würde.

Christoph Minhoff: Aber?

Jean-Claude Juncker: Aber – ich bin dafür, dass es eine europäische Zentralstelle gibt, die ohne viel Widerspruch und über alle Einsprüche hinweg auch in nationale Haushalte eingreifen kann, wenn sich da falsche Türme auf der falschen Bilanzseite auftürmen.

Aber ich gebe trotzdem zu bedenken, dass man sehr genau auf die Befindlichkeiten der Regierungen, der Parlamente und auch der Menschen achten muss. Herr Trichet hat zum Beispiel einen europäischen Finanzminister vorgeschlagen, also diese Institution, ohne sie eigentlich so zu beschreiben, so dass man spontan verstehen würde worum es da geht.

Aber denken Sie ernsthaft, das französische Parlament, das Parlament der Grande Nation, würde es sich gefallen lassen, dass ein in Frankreich kaum bekannter europäischer Finanzminister, den von der Assemblée nationale und vom Senat verabschiedeten Haushalt in den Papierkorb werfen würde, und dann einen einfachen Eilbrief nach Paris schicken würde, wie der Haushalt gemacht werden wird?

Michael Hirz: In Deutschland ginge das aus Verfassungsgründen gar nicht.

Jean-Claude Juncker: Ja, und man muss in Deutschland manchmal sagen, dass Deutschland nicht das einzige Land der Europäischen Union ist, das über eine Verfassung verfügt. [wird unterbrochen]

Michael Hirz: Das stimmt.

Jean-Claude Juncker: Das haben die anderen, mit Ausnahme der Briten, auch.

Christoph Minhoff: Nichts desto trotz wird es ohne einen Mechanismus der schneller reagieren kann, und der auch, eine Antwort ist auf das, was andere Global Players leisten können, nicht gehen. Also, wie könnte es denn aussehen, ohne Verlust von Souveränität, Abtretung von Souveränität, aber auf der anderen Seite irgendeine Art von schnellerer Koordination, die dazu führt, dass man handeln kann?

Jean-Claude Juncker: Die Antwort auf die Frage ist eigentlich schnell formuliert. Europa ist kein Staat, und wird auch, wie ich hoffe, nie ein Staat werden. Weil ich bin gegen dieses Konzept der Vereinigten Staaten von Europa, das wird nie funktionieren. Und Europa ist auch nicht auf dem Weg zur Verstaatlichung.

Wer aber kein Staat ist, trotzdem aber eine einheitliche Währung hat; wer keine zentrale Regierung hat, sondern wie jetzt 17 Regierungen, aber eine Währung, der hat nur eine Wahl. Der muss sich ein strenges Regelwerk geben, das Staat und Regierung ersetzen kann, aber nur dann ersetzen wird, wenn sich alle, ohne aufzumucken, an dieses Regelwerk, das sie ja selbst verabschiedet haben halten.

Und deshalb war ich sehr dafür, dass wir den Europäischen Wachstums- und Stabilitätspakt noch einmal überprüfen und die Sanktionen, die den treffen, der wiederholtes Fehlverhalten auffällt, automatischer machen. Das hat einiges an Überredungskunst in Paris und in Berlin gebraucht.

Christoph Minhoff: Aber das ist, glaube ich, einer der Schwachpunkte in der Glaubwürdigkeit dieses Instruments. Sanktionen machen ja nur dann Sinn, wenn man sie tatsächlich am Ende auch durchsetzen kann, oder wenn sie überhaupt irgendjemanden treffen können. Sie können jemanden hoch bestrafen, wenn er nichts mehr hat, wird das ziemlich ins Leere laufen. Also, ist nicht dieser Mechanismus der Sanktionen schon mit einem Denkfehler behaftet?

Jean-Claude Juncker: Wie Sie bin ich der Meinung, dass moralische Sanktionen die wenigsten Menschen im Mark erschüttern.

Christoph Minhoff: Ja, das ist wohl wahr.

Jean-Claude Juncker: Sondern, dass nur zeigen und zahlen gilt. Das wird der überholte Stabilitätspakt besser gewährleisten als seine Vorgänger.

Es wird in Deutschland im Übrigen immer gesagt, auch in öffentlicher Bundestagsrede, und nicht von den am wenigsten talentierten Rednern im Plenum, der Pakt wäre 68 Mal gebrochen worden. Das stimmt einfach nicht. Der Pakt, so wie er war, wurde nicht 68 Mal gebrochen, und dort wo man versucht hat trotz Paktbruches sich aus der Verantwortung zu schlängeln, wäre selbst bei Feststellung Deutschland und Frankreich hätten den Pakt gebrochen, nicht sofort zur Zahlung von Sanktionsgeldern gekommen.

Aber das was wir jetzt als Pakt auf dem Tisch liegen haben wird es ermöglichen, dass relativ schnell, nicht nur Tacheles geredet wird, sondern dass auch die Folterinstrumente auf den Tisch kommen, und zwar wird derjenige für den sie gedacht sind dann auch auf dem Tisch liegen.

Christoph Minhoff: Das klingt alles sehr beruhigend, das ist ja auch, glaube ich, wahrscheinlich das Sinnvollste was man im Moment tun kann.

Jean-Claude Juncker: Sie lassen mich aber nie richtig den Versuch zur Gänze unter Beweis stellen, weil immer wenn ich “beruhigen�? sage, sagen Sie, Sie müssen ja beruhigen.

Christoph Minhoff: Ja, das ist wohl wahr, weil [wird unterbrochen]

Jean-Claude Juncker: Dann sage ich Ihnen auch, Sie müssen ja versuchen mich da aus dem Konzept zu bringen, das wird Ihnen aber in dieser Sendung nicht mehr gelingen.

Christoph Minhoff: Einen letzten Versuch starte ich noch.

Ist die Zahl richtig, dass es eigentlich reicht, wenn 1% der Bankkunden nicht mehr Vertrauen haben, dass ihre Gelder auf der Bank sicher sind, um eine Bank zu sprengen? Und ist vielleicht das einer der Gründe warum man versucht, obwohl viele Dinge sicher scheinen, diese trotzdem noch klein zu reden?

Jean-Claude Juncker: Mir ist nicht bekannt, dass es nur 1% an Bankkunden bräuchte, die ihr Geld von der Bank abheben würden, um eine Bank ins Schwanken zu bringen.

Christoph Minhoff: Egal welches Prozent das ist.

Jean-Claude Juncker: Ja, und auch egal welche Bank.

Christoph Minhoff: In Belgien ist es gerade schwierig.

Jean-Claude Juncker: Ja, ich glaube aber nicht, dass das damit zu tun hat, dass Bankkunden ihrer Bank untreu geworden wären. [wird unterbrochen]

Christoph Minhoff: Noch nicht.

Jean-Claude Juncker: Jedenfalls ist es so, wenn eine Bank das Vertrauen ihrer Kunden verliert, dann wird es diese Bank die längste Zeit gegeben haben. Deshalb ist es auch irrsinnig gefährlich, über eine Bank, vor allem über eine Bank die in momentanen, vorübergehenden Schwierigkeiten steckt, böse Gerüchte zu verbreiten, weil dies hat dann nicht nur Wirkung für diese Bank, sondern zerstört das Interbanken-Vertrauen in einem Maße, dass letztendlich der zahlende Sachse die Kunden fast aller Banken sein werden.

Ich bin allerdings der Meinung, dass es gute Gründe gibt sich intensiv, und das tun wir auch zur Zeit, mit der Frage zu beschäftigen, wie wir etwas finanzschwächere europäische Banken rekapitalisieren könnten. Und das wird so passieren müssen, dass diese Banken, die etwas schwächer auf der Brust sind, sich an die Finanzmärkte, ans Privatkapital wenden müssen. Und wenn dies nicht reicht, müssen die Staaten, auf deren Territorium sich diese Banken befinden, einspringen, oder aber ein neues Instrument des Rettungsschirmes nutzen, der ja vorsieht, dass der Rettungsschirm Darlehen an Regierungen geben kann, damit mit diesen Darlehen diese Banken rekapitalisiert werden.

Michael Hirz: Die Krise die wir im Augenblick erleben, und – toi, toi, toi – es kommt so wie Sie vorhersagen, vermutlich auch vorhersagen müssen in Ihrer Funktion, sie geht glimpflich ab [wird unterbrochen]

Jean-Claude Juncker: Und Sie müssen ja auch sagen, dass Sie denken, dass ich das sagen müsste. Also, wenn ich in der Lage wäre, in der Sie denken, dass ich mich befinde, dann befinden Sie sich in genau derselben Lage.

Michael Hirz: Aber das ist doch genau der Punkt. Sie haben es ja eben selbst geschildert. In dem Augenblick wo eben zum Beispiel eine Bank die schwächelt denn auch als solche bezeichnet würde, und das von verantwortungsvollen Politikern, hat man die Chance, dass daraus ein Domino-Effekt wird. Und das ist keine Chance, das ist eher ein Risiko.

Jean-Claude Juncker: Man muss ja daran denken – wenn man etwas sagt, und wenn man den Mund aufmacht, und auch aufgefordert wird endlich einmal etwas zu sagen, darf man nichts sagen was den Menschen schadet, verstehen Sie?

Michael Hirz: Das ist ja unser Vorteil als Journalisten, dass wir das gefahrloser tun können als Sie [wird unterbrochen]

Jean-Claude Juncker: Und Sie sollten auch den Menschen nicht schaden wollen.

Michael Hirz: Das tun wir auch nicht, aber wir sind auch nicht die Akteure.

Vorausgesetzt, diese Krise ist irgendwann vorbei. Wird man dann sagen, das war eine weitere Etappe auf dem Weg zu einem geeinten Europa? Nicht zu dem Superstaat, den haben Sie eben abgelehnt. Ich glaube auch, wie Sie, den wird es vermutlich, zumindest zu unseren Lebzeiten, nicht geben. Aber werden wir einen weiteren Schritt in Richtung Vertiefung und Vereinheitlichung in Europa erleben? Oder ist das was wir jetzt im Augenblick erleben möglicherweise ein Wendepunkt? Weil wir ja auch sehen, dass zum Beispiel in der Krise im Augenblick sehr viel gespielt wird zwischen den nationalen Regierungen, auch an EU-Kommission und an anderen Einrichtungen vorbei. Also, sehr viel läuft zwischen Paris und Brüssel. Das ist zumindest unser Eindruck.

Jean-Claude Juncker: Weil Angst und Ängstlichkeit schlechte Ratgeber sind. Und weil Angst und Ängstlichkeit Menschen wieder in ihre nationalen Bequemlichkeiten zurückwirft, weil man sich dort auskennt, habe ich immer die Sorge, dass Krisen wie diese zu Renationalisierung, zuerst der Befindlichkeiten und dann der angewandten Regeln, führen.

Meine Hoffnung ist allerdings, und mein Glaube im Übrigen auch, dass alle in Europa verstehen werden, dass kein Land, und sei es auch das größte, groß genug ist um alleine mit der Tatsache fertig zu werden, dass die Länder Europas im Epizentrum einer globalen Krise und Herausforderung stehen.

Und dann denke ich mir, werden auch viele Menschen, die dies eigentlich im Moment ablehnen, weil sie unter europäischer Solidaritätspflicht mehr leiden, als dass sie daran Genuss hätten, verstehen, dass Zusammenstehen in Europa gilt. Und nicht Deutschland, Frankreich, Luxemburg, um nur die Großen zu nennen, sich auf ein Spiel einlassen, wo wir dann alleine den Chinesen, den Indern, oder wem auch immer, gegenüberstehen würden.

Ich glaube, die Menschen werden verstehen, dass wir so betrachtet mehr Europa brauchen. Und sie werden eines Tages auch die mögen, die auch in einem Moment wo viele denken, weniger Europa wäre besser, dafür gesorgt haben, dass es mehr Europa geben wird.

Und die Frage mag ich sehr, weil wie die beantwortet wird, das werden wir erst in 15 Jahren wissen.

Christoph Minhoff: Vielen Dank, dass Sie da waren. Wir hoffen, dass all die Prognosen eintreten. Und ich finde, Sie haben doch sehr viel mehr gesagt, als Sie vielleicht sagen wollten am Anfang. Vielen Dank auch dafür.

Membre du gouvernement

Organisation

Ministère d'État

Date de l'événement

06.10.2011

Type(s)

gouv:tags_type_event/interview