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"Wir müssen in Athen mit anpacken". Jean-Claude Juncker au sujet de la situation de la Grèce
Jean-Claude Juncker: Man sollte dem zweiten Paket seine Bedeutung nicht dadurch nehmen, dass man schon über ein drittes nachdenkt. Dennoch: Wir sollten ein drittes Paket nicht ausschließen, wenn auch eines von schmalerem Umfang. Das hat Wolfgang Schäuble gesagt, und ich pflichte ihm bei.
DIE WELT: Warum wird es überhaupt ein drittes Paket geben?
Jean-Claude Juncker: Das hat wesentlich damit zu tun, dass der Internationale Währungsfonds nur dann beim zweiten Programm Hilfe leistet, wenn die Euro-Zone auch darüber hinaus zur Unterstützung Griechenlands bereitsteht. Der IWF legt zu recht großen Wert auf die Schuldentragfähigkeit.
DIE WELT: Bedeutet das, dass Athen kein erträgliches Schuldenmaß erreichen kann?
Jean-Claude Juncker: Nein. Wir sagen nur prinzipiell, dass die Euro-Zone ihren selbst auferlegten Verpflichtungen nachkommt. Man kann nicht millimetergenau voraussagen, wie sich die Dinge entwickeln. Schon für 2012 weiß niemand exakt, wie sich die Wachstumskurve entwickelt. Und wir bilden uns ein, wir könnten sie bis 2020 berechnen. Da bin ich von uns selbst schon sehr beeindruckt.
DIE WELT: Griechenland kann mit den Milliarden seinen Schuldendienst leisten. Kann das Land damit auch gesunden?
Jean-Claude Juncker: In den Maßnahmen, die die griechische Regierung prioritär anzugehen versprochen hat, findet man wichtige Strukturreformen, die einen Wachstumsimpuls geben können und müssen. Es ist ja nicht so, dass die griechische Regierung nur sparen muss. Sie ist in beidem gefragt: Konsolidierung und Wachstum.
DIE WELT: Wie optimistisch sind Sie da?
Jean-Claude Juncker: Mein gefestigter Eindruck, und vor Wochen war er weniger gefestigt, ist, dass die politischen Parteien in Athen verstanden haben, dass jetzt Reformeifer gefragt ist. Sozialisten und Konservative haben sich diesem Ziel in quasi endgültiger Form verschrieben. Um sicherzugehen, dass das so ist, werde ich am Donnerstagmorgen Herrn Samaras treffen.
DIE WELT: Was passiert nach der Wahl im April?
Jean-Claude Juncker: Ich habe großen Wert auf schriftliche Garantien von beiden großen Parteien gelegt. Ich fand es unvernünftig, dies auch von den extremen Parteien links wie rechts zu verlangen. Die hätte nur Folge gehabt, dass diese Parteien Wahlkampf damit machen, wir hätten ihnen Macht über das Programm gegeben. Das schien mir zu gewagt.
DIE WELT: Europa hat sein Versprechen der Solidarität gehalten. Sind Sie von den Griechen enttäuscht worden?
Jean-Claude Juncker: Man kann nicht so tun, als ob während des ersten Programms die Griechen in der Hängematte herumgeschnurrt hätten. Dennoch ist das alles nicht ausreichend gewesen, einiges kam zu spät, so dass mir die Geduld mit unseren griechischen Freunden langsam ausging, und nicht nur mir. Die Euro-Gruppe hat sich in Ungeduldige und gar nicht mehr Geduldige aufgesplittet. Das hat die griechische Regierung beeindruckt.
DIE WELT: Dass Sie sie auch strenger überwachen wollen, hat die griechischen Freunde weniger beeindruckt.
Jean-Claude Juncker: Wir brauchen eine Überwachung oder pädagogische Begleitung, ohne das griechische Volk beleidigen zu wollen. Auch wir müssen Mehrheiten in unseren Parlamenten garantieren. Das geht nur, wenn Griechenland konstant liefert.
DIE WELT: Gab es einen Augenblick, in dem Sie die Geduld fast verloren hätten?
Jean-Claude Juncker: Es geht nicht darum, die eigene Ungeduld zu zügeln, und ich bin auch keiner, der im Sandkasten sitzt und sagt, ihr dürft nicht mehr mitspielen. Ich habe unterwegs Zweifel gehabt und mich sehr angestrengt, sie zu beseitigen. Aber mich operativ nie mit der Frage beschäftigt, die Sie umtreibt, Griechenland aus der Euro-Zone ausscheiden zu lassen.
DIE WELT: Warum nicht?
Jean-Claude Juncker: Ich stoße dabei an die Grenze, hinter der meine Angst beginnt. Ich habe ein relativ genaues Bild, was das für Griechenland und die Griechen bedeuten würde, sehe aber nicht, was es für die Euro-Zone und die Weltwirtschaft bedeuten würde. Insofern möchte ich mir zu eigen machen, was Angela Merkel am Montag im Bundestag sagte: Dass sie Risiken eingehen muss, aber keine Abenteuer eingehen darf. Wer in dieser Krise gar keine Risiken eingeht, geht das größte Risiko ein. Aber wir dürfen uns nicht kopfüber in ein riesiges Abenteuer stürzen.
DIE WELT: Weil sonst Portugal als nächstes wackeln könnte?
Jean-Claude Juncker: Zwischen Griechenland und Portugal gibt es doch sehr erhebliche Unterschiede. Die Regierung in Lissabon verfügt über eine satte Mehrheit, und ich habe aus meinen Gesprächen mit der Regierung die feste Überzeugung gewonnen, dass sie fest entschlossen ist, die Hausaufgaben auch zu erledigen. Hinzu kommt, dass die Staatsverfasstheit Portugals eine völlig andere ist als die in Griechenland. Der portugiesische Staat ist ein Staat, der funktioniert, und hat eine Verwaltung, die funktioniert. Das kann man von Griechenland noch nicht im selben Umfang sagen.
DIE WELT: Griechenland hat nicht nur keine Verwaltung, sondern auch keine Industrie. Wer soll von Ihren Konjunkturimpulsen eigentlich profitieren?
Jean-Claude Juncker: Die griechische Wirtschaftsinfrastruktur ist der unseren in keiner Weise vergleichbar, und die Verflechtung des griechischen Außenhandels mit den Handelssträngen in der Euro-Zone ist eine sehr schmale. Wenn wir über das notwendigerweise herbeizuführende Wirtschaftswachstum reden, müssen wr uns tatsächlich auf eine breitere Herangehensweise verständigen.
DIE WELT: Das heißt?
Jean-Claude Juncker: Die Euroländer müssen Griechenlands Wirtschaft infrastrukturell aufrüsten, zum Beispiel durch einen besseren Einsatz europäischer Strukturförderungsmittel. Das hat Athen bisher nicht vermocht, deshalb müssen wir bei der Umsetzung der Reformen in Griechenland selbst mit anpacken. Das gilt auch für die Wettbewerbsfähigkeit. Aber das alles darf nicht bloß Stückwerk bleiben. Ich wäre sehr dafür, dass ein EU-Kommissar mit dem Aufbau der griechischen Wirtschaftsstruktur beauftragt wird.
DIE WELT: Ein Sparkommissar?
Jean-Claude Juncker: Kein Sparkommissar, wie ehedem vorgeschlagen, sondern ein Aufbaukommissar, der alle Kompetenzen der EU-Kommission Griechenland betreffend bündelt. Irgendjemand muss Hilfestellung bieten, muss die griechische Wirtschaftspolitik denken und vorausdenken. Es wird nicht reichen, dass wir uns einmal im Monat als Euro-Finanzminister damit beschäftigen.
DIE WELT: Wer käme da in Frage? Wirtschaftskommissar Olli Rehn?
Jean-Claude Juncker: Ich bin ja nicht Kommissionspräsident, sondern nur Premierminister eines kleinen Landes. Aber man sollte Olli Rehn nicht in seiner Zuständigkeit beschneiden. Mir wäre es lieb, wenn neben ihm, in engster Abstimmung, ein Kommissar sich der Aufbauarbeit in Griechenland widmen würde. Das ist ein ernst gemeinter Vorschlag, in brennender Sorge.
DIE WELT: Der Sparzwang und die Kontrollen der Defizitländer führen zu immer schärferen sozialen Unruhen. Besorgt Sie das?
Jean-Claude Juncker: Viele Menschen, vor allem die jungen, finden sich in der Politik, wie sie heute in Europa gemacht wird, nicht wieder. Aus dieser sozialen Krise kann sich sehr schnell eine Systemkrise entwickeln. Ich betrachte das mit größter Sorge, habe aber keine wirkliche Antwort darauf. Was wir trotzdem auf jeden Fall tun müssen: deutlich zu machen, dass nicht die soziale Marktwirtschaft gescheitert ist, sondern der Umgang mit ihr.
DIE WELT: Wenn Sie keine Lösung haben, vielleicht eine Erklärung?
Jean-Claude Juncker: Wir haben einer Politik des leichten Geldes das Wort gepredigt und den Eindruck geschaffen, dass das Geld für die Menschen arbeitet und sie es nicht mehr selbst tun müssen. Das hat zu einer gnadenlosen Geldgier geführt, die sozial nicht mehr abgefedert war. Unsere Wirtschaftsordnung hat sich immer weniger an Gemeinwohl orientiert. Das ist der Keim für eine systematische Krise. Ob in Spanien oder in Griechenland, man muss die Krise aus der Lebenssituation der Menschen heraus verstehen. Die Griechen, auch viele Spanier haben den Eindruck, dass nur auf Kosten der kleinen Leute gespart würde, von denen es in Europa sehr viele gibt, besonders viele in den beiden betroffenen Ländern.
DIE WELT: Das ist kein falscher Eindruck, oder?
Jean-Claude Juncker: Ich habe bis heute nicht begriffen, warum es im Fall Griechenlands nicht gelingen will, die reichen Griechen stärker zu belasten, obwohl sie unendlich viel mehr tun könnten als die Leute mit kleinem Einkommen. Wir müssen Athen klarmachen, dass wir darauf bestehen, die Reichen in die Pflicht zu nehmen.
DIE WELT: Sie diagnostizieren zu großen nationalen Egoismus.
Jean-Claude Juncker: Europa krankt daran, dass wir übereinander nicht genug wissen. Wir interessieren uns nicht in dem Maße füreinander, um über dieses Teilwissen hinauszukommen, wenn man in einer Währungsunion auf Gedeih und Verderb zusammenlebt. Wir haben es in den ersten zwölf Jahren der Währungsunion nicht verstanden, kollektiv und solidarisch die Gesamtlogik dieser Union in unsere Verhaltensweisen zu integrieren. Stättdessen wird immer noch mit Ressentiments Innenpolitik gemacht, in einer Schärfe, die ich nicht vorausgesehen habe. Diese Entwicklung macht mich sehr besorgt.
DIE WELT: Besorgt Sie der Graben zwischen der Euro-Zone und dem Rest der EU?
Jean-Claude Juncker: Bei allen Divergenzen sehe ich da doch, dass wir uns aufeinander zubewegen. Die meisten Euro-Staaten haben deutlich gemacht, dass wir keinen Putsch gegen die anderen planen. Aber es wäre um die Stimmung besser gestellt, wenn sich die Briten nicht so zieren würden, aus gesamteuropäischem Geist ihren Beitrag zu leisten, anstatt auf Forderungen wie die der G 20 zu verweisen.
DIE WELT: Die G 20 wollen auch eine höhere Brandmauer.
Jean-Claude Juncker: Wir sollten abwarten, wie sich die Beteiligung der privaten Gläubiger in Griechenland sortiert. Um den 10. März herum wissen wir da mehr. Dann können wir uns der Frage einer Aufstockung des ESM zuwenden. Wir müssen so schnell wie möglich eine Entscheidung treffen, aber wir sollten das auch nicht überstürzen. Bei allem Verständnis für die Aufgeregtheit anderer in der Welt: Wir müssen uns nicht vorschreiben lassen, wie hoch unsere Schutzwälle gebaut werden.
DIE WELT: Wir fragen Sie: Wie hoch werden sie gebaut?
Jean-Claude Juncker: Bis Ende März werden wir eine Entscheidung haben, dass wir ESM und EFSF parallel auf der Strecke behalten. Damit stünden dann beide Instrumente und bis zu 750 Milliarden Euro zur Verfügung. Und wir werden wohl früher schon eine Entscheidung darüber treffen, dass die Bareinzahlungen der Staaten nicht auf fünf Etappen verteilt werden, sondern auf zwei. Das begrüße ich.
DIE WELT: Wie lautet die magische Zahl für die Schutzmauer?
Jean-Claude Juncker: Ich habe als Euro-Gruppenchef gelernt, manchmal den Mund zu halten - auch wenn das mit meinem Naturell schwer zu vereinbaren ist. Aber ich werde den Spekulanten nicht die Zahl liefern, auf die sie begierig warten.
DIE WELT: Die Finanzindustrie freut sich auf die Geldspritze der Europäischen Zentralbank, die am Mittwoch gesetzt wird. Fürchten Sie Inflationsgefahr?
Jean-Claude Juncker: Ich bin nicht sicher, dass die Maßnahmen der EZB die Inflation anheizen. Die EZB versteht es sehr gut, dieses Geld dem Geldfluss in Etappen wieder zu entziehen.
DIE WELT: Herr Juncker, Ende Juni läuft Ihr Mandat als Chef der Euro-Gruppe aus. Wird es denn künftig eine hauptamtliche Aufgabe?
Jean-Claude Juncker: Ich bin der Meinung, dass es angebracht wäre, diesen Posten als hauptamtlichen Akteur anzulegen, weil er immer zeitaufwendiger wird. Wäre das der Fall, stünde ich dafür aber nicht mehr zur Verfügung.
DIE WELT: Und wenn nicht?
Jean-Claude Juncker: Es liegt jedenfalls nicht im Spektrum meiner Ambitionen, auf diesem Posten weiterzumachen.