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Jean-Claude Juncker au sujet de l'avenir de l'euro
Liebe Gäste.
Herzlich Willkommen zur vierten Ausgabe von "Der Montag an der Spitze", heute wieder an der Kehrwieder Spitze hier bei uns in der Körber Stiftung. Ich freue mich, dass auch diese Veranstaltung einen solchen Anklang gefunden hat, und als mittlerweile älterer Profi für Veranstaltungen, wir waren etwas in Sorge, dass bei einem Brückentag, den nicht jeder immer gleich realisiert wenn er sich anmeldet, doch die heiligen Hallen gut gefüllt sind. Ich freue mich über Ihre Treue.
Meine Damen und Herren, Helmut Schmidt, ein Mann der klaren Worte, hat auf einer unserer letzten Veranstaltungen in Berlin auf die Frage "Sagen Sie mal, lieber Herr Schmidt, wer eigentlich in Europa hat das Zeug aus der Krise zu führen?" lediglich zwei Namen genannt. Der eine war Mario Monti, aus Italien, und der andere Jean-Claude Juncker.
Meine Damen und Herren, begrüßen Sie herzlich mit mir unseren heutigen Gast, Jean-Claude Juncker.
Das Thema das heute Britta Sandberg und Georg Mascolo, die beiden Streiter vom Spiegel, mit unserem Gast erörtern werden heißt: "Was wird aus dem Euro?"
Bevor ich hier weitere Eulen nach Athen trage, haben die Akteure das Wort.
Herzlichen Glückwunsch, dass wir uns alle hier heute zu diesem so aktuellen Thema treffen. Danke
Georg Mascolo: Ja, meine Damen, meine Herren, herzlich Willkommen auch im Namen meiner Kollegin Britta Sandberg und dem meinen Namen.
Als ich mich im vergangenen Jahr mit Jean-Claude Juncker darauf geeinigt habe, dass er Gast in dieser Gesprächsreihe sein würde, und er legte Wert darauf der erste ausländische Gast dieser Gesprächsreihe zu sein [wird unterbrochen
Jean-Claude Juncker: Nein, Sie legten Wert darauf.
Georg Mascolo: Ich legte Wert darauf? Schon beginnt es mit den Dissensen, also das kann ja interessant werden.
Schien es ja zeitweilig so, und es hat viele solcher Stimmen gegeben, als sei möglicherweise das Schlimmste schon überstanden, wenn wir an die Eurokrise denken.
Ich glaube, wir haben alle in den vergangenen Wochen und Monaten gelernt, dass das nicht der Fall ist. Und es hat mich, wenn es um heute Abend geht, an einen legendären Satz erinnert, Herr Juncker, den Sie einmal zum Spiegel gesagt haben: "Wenn es wirklich ernst wird, muss man lügen."So dass ich Sie gerne fragen wollte [wird unterbrochen]
Jean-Claude Juncker: Ja, ich hab dem Spiegel das ja gesagt
Georg Mascolo: Der Satz stand im Spiegel, so dass ich gerne damit beginnen würde Sie zu fragen, wie ernst steht es eigentlich um den Euro? So ernst, dass wir heute Abend ein offenes Wort führen müssen, oder so dass wir heute besonders vorsichtig sein müssen?
Jean-Claude Juncker: Wenn ich heute nur offene Worte sagen würde, brächte mir das spontanen Beifall hier im Saale ein, und für 6 Monate Ärger.
Georg Mascolo: Gut. Dann einigen wir uns auf die Mitte, mit 3 Monaten Ärger sollten Sie heute ruhig den Raum verlassen und wir wollen das Beste dafür tun. Britta, und ich würde dich bitten zu beginnen.
Britta Sandberg: Die Lage ist ja immer noch ernst, das ist Ihren Worten zu entnehmen. Der Vorfall auf den sich das Zitat bezog ist ja ein Jahr Herr, im Mai 2011. Wenn die Lage durchgehend ernst war, seitdem, haben Sie denn schon mal wieder gelogen?
Jean-Claude Juncker: Also, ich dachte, ich bin hier protestantisch abgesichert und nicht als Katholik tätig. Katholiken können bekanntlich ja zur Beichte gehen, insofern [wird unterbrochen]
Britta Sandberg: Das kann man beim Spiegel aber auch immer.
Jean-Claude Juncker: Ja, man kriegt aber auch die dem entsprechende Busse.
Ich habe einmal gesagt, das stimmt einfach, dass wenn es ernst wird, dass man dann auch lügen muss. Und das habe ich im Zusammenhang mit einer Währungskrise aus dem Jahre 1993 gesagt, weil damals habe ich, gemeinsam mit 12 anderen Finanzministern, lügen müssen. Weil freitagabends das Gerücht entstand, am Sonntag würde eine Sitzung stattfinden wo die Mark aufgewertet wird, und der Franken abgewertet würde. Und das Gerücht wurde um 14 Uhr gestreut. Es war kein Gerücht sondern Tatsache.
Hätten wir gesagt, ja das stimmt, dann hätten ja noch einige Leute sehr viel Geld verdient.
Dann habe ich einmal eine Sitzung dementiert, die stattgefunden hat, weil die auch um 16 Uhr bekannt wurde und da hätten auch viele Leute viel Geld verdient.
Und dann hat man dieses Zitat, das sich auf 1993 bezog zusammengepackt mit dem Dementi vom 6. Mai 2011. Und indem man zwei Zitate zusammenpackt, entsteht einen neue Story. Aber wem erkläre ich das?
Britta Sandberg: Das zeigt aber natürlich, in welchem verminten Gelände, in welchem nervösen Umfeld Sie täglich agieren.
Wir haben jetzt in 6 Tagen Wahlen in Frankreich. Wenn kein Wunder passiert, werden die wahrscheinlich von François Hollande gewonnen, von dem Mann also der gesagt hat, er möchte den Fiskalvertrag um einen Wachstumspakt erweitern; der gesagt hat in der vergangenen Woche, Deutschland könne nicht allein die Geschicke Europas bestimmen. Steuern wir, wenn es denn so wird, dass François Hollande der neue und zukünftige französische Präsident ist, auf eine deutsch-französische oder sogar europäische Krise zu?
Jean-Claude Juncker: Also, was François Hollande meint mit der Neuverhandlung des sogenannten Fiskalpaktes oder Vertrages weiß ich nicht. Wenn man in Luxemburg wohnt, wohnt man ja nahe an der französischen Grenze, im Übrigen auch nahe an der belgischen und an der deutschen Grenze. Und ich kenne die französischen Befindlichkeiten einigermaßen gut, und das Thema Wachstum spielt in Frankreich eine breitere und tiefere Rolle als eigentlich in der deutschen öffentlichen und nicht öffentlichen Debatte.
Es ist Ansicht aller, dass der Fiskalpakt, den man so oder so sehen kann, ergänzt werden muss durch das Zusammentragen einer genügenden Dichte an Wachtumsimpuls-gebenden Maßnahmen, dass man sich also in den nächsten Monaten auf einen Wachstumsimpulmaßnahmenkatalog einigen muss. Dies ist nicht erst bekannt seit Herr Hollande mit diesem Feldgeschrei angefangen hat.
Insofern beeindruckt mich das eigentlich weniger und erinnert mich an einen Vorgang aus dem Jahre 1997, als Präsident Chirac die französische Nationalversammlung wider Erwarten plötzlich über Nacht auflöste, und es zu Neuwahlen kam, und der spätere sozialistische Premierminister Jospin auch verlangt hat im Wahlkampf, dass über den Stabilitäts- und Wachstumspakt – wir haben also schon einen Wachstumspakt – neu verhandelt werden müsse. Darüber ist es nicht zu dramatischem Streit gekommen, sondern wir haben den ersten europäischen Beschäftigungsgipfel im November 1997 organisiert. Ich habe das deshalb in Erinnerung, sonst hat niemand es in Erinnerung, weil ich den Vorsitz führen musste. Und ich denke mir, dass auch demnächst [undeutlich] Initiativen auch das Weltgeschehen nicht nachhaltig beeindrucken werden.
Britta Sandberg: Das heißt, Sie halten es für Wahlkampfmanöver und –geschrei?
Jean-Claude Juncker: Nein, es ist ein echtes Thema, ich sage nur, es ist kein neues Thema. Aber es ist ein echtes Thema, dass man nicht denken sollte, aus der Verschuldungskrise einiger Eurostaaten nur durch Konsolidierungsmaßnahmen sich hinausbewegen zu können. Wir brauchen auch Wachstum in diesen Ländern. Und in der Eurozone insgesamt. Aber das kann nicht auf Kosten der notwendigen Haushaltskonsolidierung geschehen. Haushaltskonsolidierung muss sein, die ist optionslos.
Britta Sandberg: Das hört sich jetzt ein bisschen so an, als ob Hollande etwas fordern würde was eigentlich sowieso alle wollen. Es ist aber in weiten Teilen, oder vor allem im Norden Europas, anders aufgenommen worden.
Jean-Claude Juncker: Ich würde das so nicht formulieren, dem aber nicht widersprechen, wenn es sich wiederholt.
Britta Sandberg: Wenn er dann jetzt Präsident sein sollte, er wird ja dann erst später dazu gekürt, aber die Wahlen so ausgehen sollten am kommenden Sonntag, Sie werden dann mit ihm reden, haben Sie angekündigt, oder war das etwas was man nur lesen konnte, und Sie nicht so gesagt haben?
Jean-Claude Juncker: Ich habe gesagt – und wieso dass das Eindruck schürt, vermag ich mir selbst nicht zu erklären – dass ich nach der französischen Wahl, egal wer Präsident der Republik sein wird, mit dem Wahlsieger über das Thema reden werde. Wieso dass sich das bis in die überregionale deutsche Presse hinüberrettet ist mir schleierhaft. Man redet ja miteinander in Europa, also auch – das ziemt sich so – mit dem nächsten französischen Staatspräsidenten. Ich habe mit beiden übrigens schon darüber geredet, ohne zu wissen wer es sein wird.
Georg Mascolo: Nur habe ich noch nicht verstanden, wie diese beiden Ziele zusammen gehen sollen?
Die Vorstellung der Bundeskanzlerin, um es einmal ganz kurz zu machen, ist, dass nur bedingungsloses Sparen innerhalb Europas dazu führt aus der Schuldenkrise herauszukommen. Und das ist ein Kurs der nicht nur bei François Hollande, sondern auch in Teilen der italienischen Politik, in Spanien, in Portugal, in vielen andern Ländern umstritten ist, weil die sagen so lange wir kein Wachstum haben, sparen wir uns im Grunde immer tiefer hinein in eine Rezession.
Also, wie funktioniert das Modell? Immer stärkere Sparprogramme, vor allem für Länder des europäischen Südens, und gleichzeitig wachstumsstimulierende Maßnahmen?
Jean-Claude Juncker: So stelle ich mir das vor und so wird es auch kommen.
Ich möchte deutlich machen, dass das Thema nicht ist, Konsolidierung oder Wachstum. Das Thema ist, wie erreiche ich Wachstum obschon ich Konsolidieren muss, und wie kann ich konsolidieren ohne Wachstumskräfte zu neutralisieren? Und da wird man sich auf einen Kurs einigen müssen. Und der Kurs ist dabei beschritten zu werden, dass an den Haushaltskonsolidierungsprogrammen, von denen nicht Abstand genommen werden kann, dass man wachstumsimpulsgebende Maßnahmen zusammen bündeln muss.
Und da verfügen wir in der Europäischen Union, in der Eurozone im besonderen, über Instrumente, über Wege, Möglichkeiten um dies zu tun. Es ist ja so, dass in Brüssel Strukturmittel nicht abgerufen werden, die aber bereitstehen und die auch für Griechenland beispielsweise reserviert sind, die nur von Griechenland nicht abgerufen werden können, weil Griechenland über die dem entsprechenden Programme nicht verfügt, oder weil in anderen Teilen Europas die Kofinanzierungsregelungen so sind, dass der betroffene nationale Haushalt zu sehr in Anspruch genommen würde, und seine Restmöglichkeiten eigentlich übersteigen würde.
Es gibt Möglichkeiten, die Mittel der Europäischen Investitionsbank so zu stärken, via Kapitalerhöhung, dass man doch das notwendige Investitionsvolumen zusammenbringt um effiziente Wachstumsprogramme zu entwickeln.
Wobei mir der Weg über eine Kapitalerhöhung in der Europäischen Investitionsbank angemessener erschiene, weil die Hebelwirkung unendlich grösser ist, wenn man über die Europäische Investitionsbank Wachstumsprogramme organisieren würde, als wenn man sie nur mit einfachen Haushaltsmitteln fördern würde.
Wenn wir das Kapital der Europäischen Investitionsbank um 10 Milliarden anheben, wird die Darlehenskapazität der Bank sich auf 60 Milliarden erhöhen, und das Investitionsvolumen das dadurch losgetreten werden kann, wird sich auf 180 Milliarden belaufen. Es gibt also Möglichkeiten um das Geld in die Hand zu kriegen, dass man braucht.
Das ist auch nicht das eigentliche Problem. Das eigentliche Problem ist, was man mit dem Geld tut. Und um Autobahnen neben Autobahnen zu bauen, und Kathedralen neben Kathedralen zu errichten, das macht ja wenig Sinn. Man muss also dieses Geld gezielt in Forschung, in Ausbildung, in den Ausbau mittelständischer Infrastruktur, in Ländern wo es eigentlich keine mittelständische Infrastruktur gibt, zielorientiert leiten. Ansonsten ist es Geld das man, einfach nur weil jetzt das Thema Wachstum ist, in die Hand nimmt um es sofort wieder zu versenken.
Georg Mascolo: Selbst wenn man diese Mittel nimmt, und wenn sie auch neie beträchtliche Summe sein mögen habe ich Schwierigkeiten mir vorzustellen wie es gehen soll, dass das Programm für Europa, für die Staaten Europas im Grunde ist: beschränkt euch, gebt weniger Geld aus. Und gleichzeitig in ausreichendem Masse genügend Geld zur Verfügung stehen soll für große Wachstumsmaßnamen. Aber um den Bogen noch einmal weiter zu schlagen [wird unterborchen]
Jean-Claude Juncker: Ja, ich würde gerne einfügen, dass man, wenn man über das Thema Wachstum redet, ja nicht nur über die Mobilisierung von Geld reden soll. Zu Wachstum gehört ja auch, dass man dort wo sie unterbeleuchtet blieben bis jetzt, die notwendigen Strukturreformen angeht. Es gibt in den Bereich der Strukturreformen vielfältige Maßnahmen die man treffen kann um Wachstum zu stimulieren.
Es geht ja nicht nur um Geld, es geht ja auch um geldlose Politik, Reformen am Arbeitsmarkt, das Aufbrechen geschlossener Berufszweige, die Verbesserung staatlicher administrativer Strukturen – ist vor allem ein griechisches Thema. All dies sind Elemente die Teile einer Wachstumsstrategie sein müssen. Es geht nicht nur um Geld.
Britta Sandberg: Ist das nicht auch Teils des Problems, beziehungsweise des Missverständnisses, dass wenn die Deutschen oder auch Draghi Über Wachstum – jetzt gibt es ja die Wachstumsagenda, die die Frau Merkel ins Spiel bringt, es gibt Wachstumsinitiativen, also man merkt ja, sprachlich nähert man sich schon so ein bisschen bestimmten Dingen an, die vorher nicht so präsent waren – ist nicht das Missverständnis, dass die Deutschen unter Wachstumsinitiativen andere Dinge verstehen als zum Beispiel die Franzosen? Die deutschen Arbeitsmarktreformen, Strukturreformen, wie sie gerade gesagt haben, und die Franzosen oft einfach Konjunkturmaßnamen wie sie sie immer betrieben haben, indem man Geld auf den Markt bringt?
Jean-Claude Juncker: Ich möchte Ihr einfaches Frankreichbild jetzt nicht zerstören, aber so einfach, glaube ich, sehen die Franzosen das auch nicht. Und so einfach wie die deutsche Position im Ausland beschrieben wird, ist sie ja auch nicht. Also, wer so tut als ob Frau Merkel von nichts anderem umgetrieben würde als von einem absoluten Sparwillen, daher der Ausdruck „deutsches Spardiktat“, und als ob die Franzosen jetzt nichts anderes im Sinne hätten als grenzenlos Geld auszugeben; wenn die Gefechtslage so einfach wäre, dann wäre sie übersichtlicher, sie ist aber nicht so einfach.
Britta Sandberg: Das Programm von Hollande sieht nach Geld ausgeben erst mal aus.
Jean-Claude Juncker: Nein, also ich bin ja nicht der zukünftige Sprecher des Elyséepalastes.
Britta Sandberg: Der ist ja noch gar nicht da.
Jean-Claude Juncker: Ja eben, aber ich glaube nicht, dass man die Vorhaben von Hollande einfach damit abtun kann, dass er jetzt wilden Keynesianismus in die französische Finanzpolitik und Haushaltspolitik wieder einziehen lassen würde. Auch Hollande erklärt, das er bis 2017 das französische Haushaltsdefizit unter 3% absenken möchte, erklärt, dass er die Staatsschulden absenken möchte, die unter dem Mandat von Nicolas Sarkozy sehr erheblich gestiegen sind. Und insofern sind die Unterschiede zwischen beiden Kandidaten nicht so groß wie beide gerne hätten, dass die Franzosen denken.
Georg Mascolo: Aber wir erleben gerade in diesen Tagen wieder, dass die wirtschaftlichen Unterschiede innerhalb Europas einfach ungeheuer groß sind. Mit der sehr erfolgreichen deutschen Volkswirtschaft, und verschiedenen anderen Volkswirtschaften im europäischen Norden, kann der Süden kaum Schritt halten. Muss die Politik sich nicht an einem Punkt jetzt mal ehrlich machen, Herr Juncker, und sagen, wenn wir den Euro als gemeinsame Währung erhalten wollen, dann brauchen wir einen dauerhaften Transfermechanismus?
Jean-Claude Juncker: In Ihrer Frage sind 3 Fragen versteckt.
Georg Mascolo: Dann nehme ich die Antworten auf alle drei.
Jean-Claude Juncker: Tatsache ist, dass die makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone ausgeprägt sind. Sie sind im Übrigen nicht ausgeprägter als in der amerikanischen Währungszone, aber sie sind ausgeprägt.
Die Schuldenkrise, die wir in einigen Eurostaaten haben, ist nicht so sehr eine Haushaltskrise, sondern ist eigentlich die in Haushaltszahlen gekleidete Folge der Tatsache, dass einige Euroländer seit Beitritt zur Eurozone ihre Wettbewerbsfähigkeit haben verflachen lassen, und im Gesamtzusammenhang Wettbewerbsfähigkeit im Leistungskatalog gegenüber den führenden Ländern in der Eurozone abgerutscht sind.
Die Lohnentwicklung in Portugal, in Irland, in Spanien, in Italien und vor allem in Griechenland, ist eine völlig andere als in Deutschland, und in anderen Ländern. Die Produktivitätsverbesserung hat in keinerlei Weise Schritt gehalten mit dem Lohnanstieg.
Dies hat in die Lage geführt in der wir uns heute befinden. Es ist eine Haupturache, eine Haupterklärungsursache der Gesamtlage in der wir uns befinden.
Dies konnte passieren, weil wir das Thema Koordinierung der Wirtschaftspolitik nicht sehr ernst genommen haben oder jedenfalls nicht ernst genug. Seit Vertragsabschluss Maastricht Dezember 1991, Februar 1992, wird dieses Thema ungern von den Regierungen behandelt. Übrigens vor allem nicht sehr gerne von den in Deutschland Regierenden behandelt, weil das Thema Wirtschaftsregierung – das ja auch in den letzten Monaten Hochsaison gehabt hat, das stand ja auch auf der Agenda als der Vertrag zur Verhandlung anstand.
Und es gab 4 Menschen am Tisch, ich habe die Verhandlungen damals geführt, als junger Finanzminister, die das Konzept der Wirtschaftsregierung in das Vertragswerk einbauen wollten. Das war der damalige Kommissionspräsident Jacques Delors, der französische Finanzminister Bérégovoy der belgische Finanzminister Maystadt, späterer Europäischer Investitionsbank-Präsident und ich selbst. Das ist an am schroffen Widerstand Deutschlands und der Niederlande gescheitert.
Wenn man also jetzt so leger mit dem Thema Wirtschaftsregierung umspringt, auch in Goethes Sprache, dann werde ich von einem andauernden Staunen befallen.
Und innerhalb der Koordinierung der Wirtschaftspolitik, in der wir nicht weit genug zu Potte gekommen sind, hätte man das Thema Wettbewerbsüberwachung konzentrierter angehen müssen.
Das haben wir in der Eurogruppe auch über 3-4 Jahre versucht, da war es aber eigentlich schon zu spät um den Zug wieder auf die Gleise zu bringen. Er wird sich aber jetzt auf die Gleise bringen müssen.
Und wenn man über Wachstumsimpulse redet, dann spielt das Thema Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit selbstverständlich eine imminente Rolle. Es ist nicht ein Signum reüssierter Koordinierung der Wirtschaftspolitik, dass Deutschland, was ich nicht kritisiere, seine Wettbewerbsfähigkeit so massiv zu steigern wusste, und im selben Zeitraum andere in Sachen Wettbewerbsfähigkeit massiv abgerüstet haben.
Als der Euro auf den Weg geschickt wurde, war die Leistungsbilanz Deutschlands überhaupt nicht so beeindruckend wie sie heute ist. Vor 15 Jahren erschien Frankreich als ein deutlich wettbewerbsfähigeres Land als die Bundesrepublik.
Aber es gibt in anderen Gesellschaften, das ist auch ein Eurothema, dieses Maß an Konsens nicht, den es zwischen der deutschen Politik und den deutschen Tarifparteien gibt. Die deutsche Tariflandschaft ist mit anderen Tariflandschaften, vor allem im Süden Europas, in keinerlei Weise vergleichbar. In Italien, in Frankreich, auch in anderen Ländern, und nicht nur im Süden, wäre es nicht möglich gewesen, dass die Arbeitnehmerschaft über 10 Jahre einer realen Lohnrückgangentwicklung tatenlos und mit Zustimmung beider Tarifparteien zugesehen hätte.
Um diese, auch sozialkulturellen Unterschiede auszutarieren, hätte es einen langen Koordinierungsvorlauf, seit dem Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages, bedurft. Und dass wir das nicht gemacht haben, jedenfalls nicht mit der gebotenen Intensität, das ließe ich mir zum Vorwurf machen, falls Sie ihn formulieren sollten.
Georg Mascolo: Nun sind wir ja wo wir sind, und die Fehler die gemacht worden sind, bei der Einführung des Euros, sind vielfältig beschrieben. Und ich glaube, wir müssen sie heute Abend nicht noch einmal thematisieren.
Jean-Claude Juncker: Ich mach das aber so gerne, wenn ich in Deutschland rede.
Georg Mascolo: So wenig wie Sie der Sprecher des Elysees sind, bin ich der Sprecher des Kanzleramtes, ich nehme auch an, dass das Kanzleramt sich das verbitten würde. Aber die Frage ist, wenn wir denn wissen, und ich behaupte wir wissen es, dass das alte Vertragswerk des Euros in Teilen eine Illusion gewesen ist und nicht gut genug für die Herausforderung einer gemeinsamen Währung, so stellt sich doch die Frage, wie ehrlich gehen wir jetzt mit den vor uns liegenden Herausforderungen um?
Ich kann mich erinnern an viele imaginäre rote Linien die gezogen worden sind, von europäischen Regierungschefs, auch von der Kanzlerin. Es fing an mit, das Ganze wird keinen Cent kosten. Dann würde es irgendwie hier und da mal eine Garantie geben müssen, und wir erleben ja [wird unterbrochen]
Jean-Claude Juncker: Das haben aber nicht alle gesagt.
Georg Mascolo: Es haben nicht alle gedacht, ich glaube das auch.
Jean-Claude Juncker: Gesagt haben es nicht alle.
Georg Mascolo: Es haben auch nicht alle gesagt.
Und heute, so ist zumindestens mein Eindruck, hört kaum noch jemand hin, wenn es ein weiteres Versprechen gibt – es heißt, es wird kein neues Rettungspaket geben, es wird kein aufgestocktes Rettungspaket mehr geben – weil wir alle wissen, dass wenn wir den Euro denn verteidigen wollen, es gar keine andere Möglichkeit gibt, als viel Geld in die Hand zu nehmen.
Nur ist es richtig, frage ich Sie, dass immer wieder mit einzelnen Rettungspaketen zu tun? Oder wäre es nicht ehrlicher, den einen Schritt weiter zu gehen und zu sagen, wir Deutschen leben ja, wenn man so will in einer Transferunion, wir haben das mit dem Länderfinanzausgleich, wir haben es erlebt im Zuge der deutschen Einheit – braucht nicht auch Europa, damit es funktionieren kann, die europäische Währung funktionieren kann, einen solchen dauerhaften Transfermechanismus? Und traut sich nur niemand es den Menschen zu sagen?
Jean-Claude Juncker: Sie kommen zu dem letzten Teil Ihrer vorherigen Frage zurück, die ich nicht beantwortet habe. Weil da ging es schon [wird unterbrochen]
Georg Mascolo: Ich fand Sie noch nicht ausreichend beantwortet.
Jean-Claude Juncker: Bitte?
Georg Mascolo: Ich fand sie noch nicht [wird unterbrochen]
Jean-Claude Juncker: Ja eben, ich geb das ja gerne zu, deshalb haben Sie Recht, dass Sie nochmal auf das Thema Transferunion zurückkommen. Auch diese Vokabel "Transferunion", die wird sehr unterschiedlich bewertet, von der Fragestellung her und von Ihrer Beantwortung her, in den verschiedenen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union.
Die Europäische Union so wie wir sie heute haben, ist das, ja oder nein, eine Transferunion? Das ist heute schon eine Transferunion. Wer über einen Kohäsionsfonds verfügt, wer über Strukturfonds verfügt, wer europäische Agrarpolitik zentral organisiert und zentral finanziert, im europäischen Kontext organisiert, der muss nolens volens zu Transferleistungen bereit sein. Es gibt Nettozahler, es gibt Nettoempfänger.
Wieso käme eigentlich dieses Distinguo zwischen Nettozahlern und Nettoempfängern auf, wenn es nicht heute schon Transferunion gäbe zwischen Nettozahlern und Nettoempfängern. Insofern wäre das Auftauchen in der Folge der Währungsunion, einer breiteren Transferunion, nicht ein in sich Hineinstürzen in ein Abenteuer mit unbekanntem Ausgang, sondern eigentlich die Fortsetzung einer Politik, die es seit Einführen der gemeinsamen Agrarpolitik in Europa gibt.
Georg Mascolo: Mit Ausnahme der Schulden, die von einer solchen Transferunion innerhalb Europas immer ausdrücklich im Lissabon Vertrag ausgenommen waren.
Jean-Claude Juncker: Die europäischen Verträge haben so viele Väter, dass ich nicht die Mutter der Verträge sein möchte. Aber ich bin immer bei den Vätern dabei gewesen.
Und richtig ist, dass wir die no bail out-Klausel haben, schon im Maastrichter Vertrag, Artikel 125 des Lissabonner Vertrags, und gegen die wurde bislang ja auch nicht verstoßen. Obwohl einige, permanent schüttelfrostgefährdete Ordnungspolitiker das so sehen mögen.
Das was wir jetzt tun ist nicht ein Verstoß gegen die no bail out-Regel, sondern das sich langsam entwickeln Lassen einer Logik, die grundarchitektonisch angelegt ist.
Ihre Frage war, ob man das einfach zugeben sollte. Ich habe kein Problem das einfach zuzugeben, dass es Transferelemente in Europa immer gab, und dass es sie, bei mangelnder Koordinierung der Wirtschaftspolitik, immer wieder wird geben können.
Und ansonsten, was wir in Sachen Griechenland gemacht haben, war ja das Reagieren auf die Nichtexistenz eines Instrumentes um derartigen verzwickten Lagen begegnen zu können. Wir hatten kein Instrument, und haben deshalb bilaterale Kredite an Griechenland vergeben. Dann haben wir den Europäischen Stabilitätsfonds gegründet, und jetzt den permanenten, den dauerhaften Europäischen Stabilitéitsmechanismus, der ja eine permanente Antwort auf möglicherweise auftauchende Notsituationen ist.
Insofern sind wir nicht mehr in der Lage, dass wir dauernd neue Rettungsschirme erfinden müssen, wir haben jetzt einen endgültigen Rettungsschirm, der auch mit genügend Geldmitteln versehen ist um größeren Herausforderungen, nicht allen Herausforderungen, aber größeren Herausforderungen begegnen zu können.
Hinzu kommt, Vertrag hin oder Vertrag her, dass, auch wenn ein Vertrag nicht alles hergibt was er hergeben sollte, dieser Vertrag zu perfekten Ergebnissen führen kann, wenn der politische Wille derer die in umsetzen müssen auch perfekt ist. Und auch ein perfekter Vertrag wird keine perfekten Ergebnisse zeitigen, wenn der politische Wille derer die ihn anwenden nicht perfekt ist.
Insofern hat das alles nicht nur mit Verträgen zu tun, sondern auch mit politischem Willen zu tun. Und da gibt es zwei Lager in Europa: es gibt diejenigen die es vorziehen im Zweifelsfalle die innenpolitische Karte zu spielen, und es gibt diejenigen die bei der Betrachtung dieser innenpolitischen Zockerei zum Ergebnis kommen, ja, wir brauchen hier eine europäische Linie. Das ist die eigentliche Demarkationslinie in Europa.
Britta Sandberg: Was haben Sie in dem Zusammenhang vermisst, von Seiten der deutschen Kanzlerin, in den vergangenen zwei, drei Jahren? Wir haben ganz viele kleine Schritte, Sparpaket nach Sparpaket gesehen. Haben Sie eine große europapolitische Rede, ein politisches Bekenntnis zu Europa, losgelöst von diesen jeweiligen Schritten von ihr erwartet, was sie nicht gesehen haben?
Jean-Claude Juncker: Also wissen Sie, auch wenn ich eine Flugreise hinter mir habe, lege ich die üblichen Vorsichtsregeln nicht zur Seite. Was ich Frau Merkel diesbezüglich zu sagen hatte, ist ihr von mir gesagt worden. Und wenn ich es ihr über die Medien hätte mitteilen wollen, dann hätte ich es so gemacht. Ich habe den andern Weg vorgezogen.
Britta Sandberg: Aber jetzt weiß sie es schon.
Jean-Claude Juncker: Bitte?
Britta Sandberg: Jetzt weiß sie es ja schon.
Jean-Claude Juncker: Ja, aber Sie nicht.
Britta Sandberg: Genau das ist ja mein Problem.
Jean-Claude Juncker: Nein, nein, wissen Sie, ich ärgere mich über vieles, Frau Merkel ja auch öfters, wie ich höre über mich, was auch in Ordnung ist. Wir leben in einer Demokratie. Ich weiß auch nicht, wieso man in Europa sofort von Krise redet wenn zwei oder drei Regierungen nicht einer Meinung sind. Es redet ja niemand von dem Untergang der Bundesrepublik Deutschland, wenn Regierung und Opposition nicht in dieselbe Richtung ticken. Oder wenn in einer Partei querfeldein debattiert wird.
Wissen Sie, in der Eurogruppe, da sitzen 17 Länder, 17 Regierungen und 60 politische Parteien. Die Vorstellung, dass sich wie ein deus ex machina über Nacht Lösungen ergeben, völlig losgelöst von Kontroversen und losgelöst von innenpolitischen Debatten, die es in den 17 Ländern gibt – es ist ja nicht nur so, dass nur in Deutschland kontrovers mit dem Thema umgegangen würde. In 17 Staaten wird intensiv darüber debattiert.
Und um diese 17 Regierungen, die 60 Parteien vertreten, davon einige Minderheitsregierungen, in eine Marschrichtung zu bringen, das braucht Zeit. Und deshalb muss man ja auch der Bundesrepublik Deutschland und der Kanzlerin der Republik das Recht einräumen, dass sie auch nicht sofort auf jeden Zug aufspringt. Dass sie versucht die Weichen zu stellen, dass andere versuchen dass der Zug dann nicht entgleist, das geht ja alles in Ordnung, aber die deutsche Kanzlerin hat doch so viel Recht, ihre Bedenken vorzubringen und dafür zu sorgen, dass sie ihr Parlament und ihre öffentliche Meinung mit auf den Weg bringt, wie andere. Auch andere haben Nein gesagt zu ursprünglichen Griechenlandplänen und sind bei ihrem Nein geblieben.
Britta Sandberg: Ich meinte ja auch gar nicht [wird unterbrochen]
Jean-Claude Juncker: Deutschland ist nicht bei seinem Nein geblieben, weil Deutschland ja auch über die Gabe des Zuhörens verfügt.
Britt Sandberg: Ich meinte ja nicht nur das Zögern, sondern auch gar nicht den kontroversen, sondern den vielleicht fehlenden offenen Umgang auch mit den deutschen Steuerzahlern und Wählern, denen man vielleicht diese ganzen Maßnahmen, die ergriffen wurden, die ganzen zwei Jahre die hinter uns liegen leichter verständlich machen kann wenn man sich auch politisch eindeutiger noch zu Europa positioniert?
Jean-Claude Juncker: Ja. Ich habe gesagt, die Demarkationslinie läuft zwischen den Fronten wo einerseits diejenigen stehen die im Zweifel die europäische Karte ziehen, und das Lager derer die der innenpolitischen Beweisführung eigentlich das Vorrecht einräumen. Nun haben wir in Luxemburg eine besondere Situation, weil die Luxemburger, davon sind sie nicht abzubringen, sich ja regelmäßig von den elektronischen öffentlich-rechtlichen Medien beeinflussen lassen, den deutschen. In Luxemburg schaut man ARD und ZDF.
Georg Mascolo: Ich dachte RTL.
Jean-Claude Juncker: Es ist mir lieber, es wird ARD und ZDF sich zur Brust gezogen. Und französisches Fernsehen und belgisches und niederländisches und englisches. Aber sehr oft deutsches.
Ich bin in der glücklichen Lage, dass alle Luxemburger denken, Deutschland zahlt für alle anderen mit. Tatsache aber ist, pro Steuerzahlerkopf zahlt jeder Luxemburger mehr als der Durchschnittsdeutsche. Das beeindruckt in Deutschland niemanden, in Luxemburg alle.
Und weil ich das weiß und nur im deutschen Fernsehen erzähle um die Deutschen zu beruhigen, habe ich immer Ärger zu Hause nach jeder Fernsehsendung, wenn ich in Luxemburg wieder auftauche. Weil ich habe den Luxemburgern das auch in Raten mitgeteilt. Weil ja die Glaubwürdigkeit des deutschen Fernsehens wahrscheinlich höher ist als die des eigenen Premierministers. Deshalb habe ich es auf diesen Wettlauf nicht ankommen lassen.
Also, in Deutschland so zu tun, und das ist auch doch Teil des Problems, als ob Deutschland das einzige tugendhafte Land der Währungsunion wäre, und als ob Deutschland die Zeche für alle anderen zahlen müsste, ist in hohem Masse beleidigend für die anderen, verstehen Sie? In hohem Masse beleidigend, nicht korrekt und nicht adäquat.
Von den 17 Euroländern haben 7 Länder weniger Schulden als Deutschland. Und von den 27 EU Ländern haben 17 Länder weniger Schuldenstände als Deutschland. Ist komischerweise in einem Land in dem pausenlos über die Frage debattiert wird, wieso müssen wir für ganz Europa zahlen nie ein Thema, ist aber für alle anderen Betroffenen ein Thema. Die sagen, wir sind doch nicht die kleinen Sünderlein die das tugendhafte Deutschland umzingeln.
Luxemburg hat 19% Staatsschuld und ein Haushaltsdefizit von 0,6%. Wieso müssen wir uns jeden Tag anhören lassen, dass wir alles falsch machen würden und die Deutschen die alleinigen wären die alles richtig machen? Man sollte sich das mal überlegen, dass das zu sehr heftigen Ressentiments führen kann.
Nun gibt es, ich kann es ja auch nicht ändern, mehr Deutsche als Luxemburger. Woraus sich ergibt, dass die Gesamtsumme höher ist, die Deutschland zahlen muss. Aber es wird uns in diesem Jahrhundert nicht gelingen als Luxemburger die Deutschen noch demographisch zu überholen.
Georg Mascolo: Lassen Sie uns noch mal einen Blick nach vorne werfen.
Es gibt wenig Europäer, die so viele Erfahrung haben mit den Schwierigkeiten einen Konsens zu finden wie Sie. Sie waren, glaube ich, als Staatssekretär vor 30 Jahren an den ersten europäischen Verhandlungen beteiligt. Sie sitzen im Europäischen Rat seit 1995.
Damals, wenn ich mir anschaue wie viele Mitgliedsstaaten oder um Ihr Bild aufzugreifen, wie viele Regierungen auch, wie viele Koalitionspartner haben damals eine Rolle gespielt, ist dieses Europa ja vergleichsweise übersichtlich gewesen. Es war ein sehr viel kleineres und homogeneres Europa verglichen mit dem heutigen.
Das worüber wir heute reden, so glaube ich, ist der Versuch, in der Krise des Euros, in der Krise der Währungsunion das zu vollenden was damals nicht gelingen konnte, nämlich einen politischen Überbau für diese Währung zu schaffen, mit gemeinsamen Regierungselementen, möglicherweise mit einem gemeinsamen Europäischen Parlament, mindestens aber mit einer Form von Wirtschaftsregierung.
Damals, so glaube ich, ist dieses Projekt aufgegeben worden weil man gesehen hat, dass der politische Konsens schon damals in diesem kleineren Europa dafür nicht gereicht hat.
Warum kann ich optimistisch sein, Herr Juncker, dass in diesen Zeiten, in denen mein Eindruck ist, dass der Streit eher zugenommen hat, es einen solchen politischen Konsens geben wird, dass es eine Offenheit der Politik geben wird, die Herausforderungen zu beschreiten vor denen man steht, wenn man die gemeinsame Währung erhalten will?
Ich will offen sagen, dass das was ich in den vergangenen zwei Jahren erlebt habe, mir zumindestens nicht allzu optimistisch macht, weil ich es genau so sehe wie Sie: die innenpolitische Komponente ist im Zweifel die wichtigste, und die Bereitschaft, beinah überall von Politikern, offen einzugestehen was die Alternativen sind, wenn man dieses Europa und die gemeinsame Währung erhalten will, glaube ich nicht sonderlich ausgeprägt ist. Habe ich mit Ihnen heute hier einen Gast der da offener spricht?
Jean-Claude Juncker: Sie sollten nicht optimistisch sein, zuversichtlich reichte schon.
Ich möchte dazu ein paar Dinge sagen, weil ich in Grundelementen Ihnen ja zustimme.
Ich habe vor 30 Jahren in Europa angefangen, da hatten wir 10 Mitgliedsstaaten, wir haben jetzt 27. Damals waren die Fortschritte mit 10 Mitgliedsstaaten, dann später 12, 15 und dann eben 25 und 27, viel langsamer als in den beiden letzten Jahren waren. Noch nie in den letzten 30 Jahren, das kann ich geographisch überblicken, wurde in so kurzer Zeit so viel und so intensiv und so folgeträchtig entschieden, wie dies in den beiden letzen Jahren passiert ist.
Wer hätte denn vor 2 Jahren gedacht, dass wir ein echtes Griechenland, dann ein zweites Griechenlandprogramm machen, dass wir einen Neuvertrag machen um einen einen dauerhaften europäischen Stabilitätsmechanismus uns an die Hand geben zu können? Das hat der Lissabonner Vertrag nicht zugelassen.
Wir haben den Europäischen Finanzstabilitätsfonds gegründet. Wir haben unser Verhältnis zum Internationalen Währungsfonds neu sortieren müssen. Wir haben uns im ewigen Wettbewerb der [undeutlich] mit der Europäischen Zentralbank, ohne deren Unabhängigkeit zu tangieren, klären müssen. Wir haben jetzt einen zweiten neuen Vertrag auf den parlamentarischen Weg geschickt. Wenn Herr Hollande Recht behält, werde wir auch diesen Vertrag abändern, aber ich glaube nicht, dass das in vollem Umfang passieren wird.
Das heißt, in zwei Jahren ist unwahrscheinlich viel passiert, was man angesichts der Komplexität der Entscheidungsfindungswege in der Europäischen Union in der Dichte für nicht möglich gehalten hätte.
Wieso sage ich das? Ich sage das deshalb, und deshalb sage ich, Sie sollten zuversichtlich sein, wenn auch die Kraft zum Optimismus nicht reicht: wenn Probleme gelöst werden müssen, die alle tangieren, die einen intensiver als die anderen, dann werden sie gelöst.
Und deshalb behaupte ich auch, dass am Ende des Tages, wenn wir dieser Krise entwachsen sind, das wird noch längere Zeit dauern, die Geschichtsschreibenden eines Tages feststellen werden, dass wir, angesichts der Tatsache dass wir uns im Epizentrum einer globalen Herausforderung befinden, unwahrscheinlich schnell und unwahrscheinlich klug reagiert haben, auch wenn es heute nicht so aussieht.
Und das Gesamteuropäische Thema ist für mich auch manchmal unübersichtlich, das muss ich hier einfach zu Protokoll geben, weil ich ja auch sehr oft nicht weiß wie es eigentlich weitergehen soll. um diese auseinanderstrebenden Kräfte wieder auf ein stark strukturiertes europäisches Zentrum zuzuführen.
Weil wir in einer Zeit leben, das ist das Unglück und das Glück meiner Generation, die unwahrscheinlich komplizierter und vielschichtiger von der Themenlage und von der Beantwortung der selben her ist, als jede andere Zeit vorher.enkt zwar, es wäre noch nie so schlimm gewesen, aber man kann trotzdem an einigen Eckdaten festmachen, dass es so ist. Weil nach dem Wandel in Ost- und Mitteleuropa ist eine neue Zeit angebrochen. Wir haben den Euro auf den Weg gebracht, nicht wegen der deutschen Einheit, das ist Legendenbildung, die in Gesamteuropa immer wieder aufgetischt wird. Der Weg zum Euro hat vor dem Fall der Berliner Mauer angefangen, das war auch vor dem Fall der Mauer politisch gewollt. Aber dann fiel die Berliner Mauer und wir haben Europa nach Ost- und Mitteleuropa erweitert, manchmal zu schnell.
Aber ging es denn langsamer? Man konnte ja nicht sagen, wir haben euch jeden Sonntag gesagt verjagt die Kommunisten und kehrt zurück nach Europa, und als die Menschen das dann getan hatten, hätten wir dann sagen sollen, das war ein guter Versuch, aber jetzt haben wir keine Zeit uns mit euch zu beschäftigen?
Was ich sagen möchte ist, wir haben unsere Währungshoheit aufgegeben, was für die Menschen, besonders in Deutschland, wegen der Inflationserfahrung und, und, und, eine besondere Anstrengung war. Für andere auch, aber in keinerlei Weise mit der Anstrengung der Deutschen vergleichbar.
Wir haben Europa erweitert. Wir bräuchten eine vertiefte Integration um den Euro wirklich sattelfest zu machen, wir kriegen diese vertiefte gesamteuropäische Integration aber nicht hin, weil die historischen Erfahrungen der 27 Mitglieder der Europäischen Union völlig verschiedenartig sind, völlig verschiedenartig sind. Es sind Länder dabei die seit Jahrzehnten nicht unabhängig waren, ich rede von den drei baltischen Staaten. Länder dabei, die ihre Eigenständigkeit erst wiederentdeckt haben, die ihre volle Autonomie entdeckt haben, wie ein Wunder das plötzlich über sie hereinbrach, obwohl sie es selbst bewirkt haben, und die dann sofort ihre wiedergewonnene Souveränität, die sie nie hatten, in großen Teilen aufgeben mussten, weil sie Mitglied dieser Europäischen Union werden wollten.
Also eine rasante Folge von Kulturschocks, die wir alten Europäer, im Sinn der Europäischen Union des Wortes, sehr oft nicht nachvollziehen können.
Wir müssen unser Verhältnis zu Russland neu ordnen. Ordnen Sie mal das Verhältnis zu Russland mit 3 baltischen Premierministern uum den Tisch herum, die ja beweisen können, dass sie bis Anfang der 1990er Jahre von der Sowjetunion besetzt waren. Das heißt es ist alles viel komplexer geworden.
Und diese 3 Kreise krieg ich auch nicht zusammen. Integration vertiefen, Erweiterung gestalten und dann demokratische Entscheidungsprozesse in 27 Ländern so zu gestalten, dass jedes Land sich noch voll souverän in diesem Europa, wo immer mehr Entscheidungen im Zentrum getroffen werden müssen, immer weniger Entscheidungen im eigenen Land getroffen werden, obwohl diese Staaten ja neue Staaten und neue Demokratien sind – wie das zu erklären ist, das bleibt mir ein Rätsel.
Manchmal kommt eine Sphinx mir vor, als wäre sie ein offenes Buch gegen Europa. Und wir Juristen, wenn wir nicht mehr weiter wissen reden wir ja Latein, und deshalb sage ich, Europa bleibt eine Konstruktion sui generis, aber wie sie genau aussieht kann ich Ihnen nicht sagen. Ich weiß nur, dass wir Europa brauchen, und dass wir mehr Europa brauchen, weil sonst alles noch viel schlimmer wird.
Georg Mascolo: Es gibt die alte Theorie, dass Europa dann wächst, den nächsten Schritt geht, wenn es vor besonderen Herausforderungen steht. oder in einer tiefen Krise steckt. Nun könnte man ja optimistisch sagen, derzeit steckt es in einer solchen Krise, dass womöglich Dine möglich sind, die andernfalls nicht zu erreichen gewesen wären?
Jean-Claude Juncker: Das sehe ich auch so. Die Dinge die passiert sind, die Entscheidungen die getroffen worden sind, die wären ja vor 5-6 Jahren nicht denkbar gewesen.
Stellen Sie sich mal vor, wir hätten 1991, als wir den Maastrichter Vertrag aushandelten, sofort vorgesehen, dass, wenn ein Land plötzlich aus eigenem Verschulden, oder wegen einer sich international zuspitzenden Gesamtlage außer Tritt gerät, das wir dann diesem Land sofort zur Seite springen möchten. Das hätten wir nie geschafft. Ich wäre auch dagegen gewesen. Ehrlich gesagt, weil ich hätte mir gesagt, also wenn wir die Möglichkeit vorsehen, dann wird sie auch eines Tages genutzt werden.
Aber wir haben die Möglichkeit schaffen müssen, weil aus dem Fehlverhalten Einiger, aus der Impaktbildung, die sich aus der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise für ganz Europa und für die klammen Staaten im besonderen ergab, haben wir diese Lösungen aus dem Boden stampfen müssen. Das ist nie mit gehobener Staatskunst vereinbart. Aber wir haben es tun müssen ansonsten mehr als 2 oder 3 oder 4 oder 5 europäische Länder wirklich in einer Sackgasse gesteckt hätten.
Und deshalb sage ich mir, ok, wir sind zwar nicht perfekt, wir haben uns vieles nicht vorstellen können, aber wir sind dabei diese Krise zu lösen.
Und dieses ewige Thema, ob wir die Krise so lösen, dass nur Europa die Zeche zahlt für die die des Fehlverhaltens schuldig geworden sind, oder ob wir das solidarisch machen, indem diejenigen die es können das ihre tun und diejenigen die nicht solide waren, eine Resoliditätsleistung über den Weg der Haushaltskonsolidierung bringen müssen, dieses Thema ist meiner Ansicht nach ausgegessen.
Wir sind der Meinung, dass wir solidarisch sein müssen in Europa. Wir können das nur tun, wenn die Länder die Hilfe empfangen Soliditätsbeweise zu Haufe bieten. Das tun die doch, obwohl nicht immer so wie ich das gerne hätte. Aber man kann ja nicht abstreiten, dass die Griechen sich nicht nur redlich bemühen, sondern ernsthaft bemühen.
Schauen Sie sich mal das irische Drama an. Ein Land das vor 3 Jahren noch als europäisches Musterland galt, mit Haushaltsüberschüssen. 2007 betrug das Haushaltsdefizit in der gesamten Eurozone 0,7%. Und der Schuldenstand 65%. Erst nach der Krise hat sich das alles wieder dramatisch nach oben verschoben. Irland hatte Haushaltsüberschüsse. 10 Euroländer hatten Haushaltsüberschüsse 2007. Das hat sich alles in sein regelrechtes Gegenteil verkehrt.
Also, wer so tut, als ob es keine Konsolidierungs- und Konvergenzanstrengungen gegeben hätte vor der Krise, der wird der Wirklichkeit auch nicht gerecht.
Und deshalb lohnt es sich, wieder auf den Pfad der Tugend zurückzufinden und denen zu helfen die sich helfen lassen möchten, und die sich selbst bemühen.
Irland kommt wieder aus der misslichen Lage heraus, in die es sich wegen der Immobilienblase und der Bankenkrise hineinbewegt hat.
Spanien führt doch massivste Sparprogramme zurzeit durch, um die Konsequenzen der Immobilienblase überwinden zu können, aus der sich die Bankenproblematik in Spanien ergeben hat.
Portugal ist auf dem guten Weg.
Es ist ja nicht so als ob alles schief gehen würde. Hätten wir den jetzt nicht bereitgestanden als es um Griechenland ging, als es um Irland ging, als es um Spanien, als es um Portugal ging, was wäre denn dann besser geworden? Es wäre alles schlimmer geworden.
Dass wir dann hier Argumentationsschwierigkeiten mit unseren respektiven öffentlichen Meinungen hatten, das räume ich ja gerne ein, das habe ich auch massiv erlebt. Ja, dann habe ich es eben erlebt. Und man muss den Menschen erklären, Irland, Portugal und Griechenland, die kommen aus dieser Lange heraus. Das wird in Griechenland deutlich schwieriger sein, weil Griechenland eben kein Staat im nordeuropäischen Sinne des Wortes ist.
Das ist ja ein anderes europäisches ewiges Thema, das wir jetzt erst in vollem Umfang entdecken. Wir wissen ja übereinander nicht genug Bescheid, wenn wir ehrlich sind. Wir leben schon so lange in diesem europäischen Haus, und trotzdem begegnen wir uns wie Flurnachbarn in einer Großstadt. Wir wissen überhaupt nicht wer da neben uns in diesem europäischen Haus wohnt und entdecken dann plötzlich, dass Griechenland als Staat nicht richtig funktioniert hat, dass dort Steuern auch deshalb mangelhaft erhoben werden, weil die Bereitschaft Steuern zu zahlen sehr unterentwickelt ist in diesem Staat, dass Griechenland kein Grundbuch hat, spätes Erbe des ottomanischen Reiches, und, und, und.
Was wissen wir Drei, Sie wissen das bestimmt, was wissen wir denn über die Lebensverhältnisse in Nordlappland und in Südsizilien?
Britta Sandberg: Lappland weiß ich auch nicht.
Jean-Claude Juncker: Und Sizilien?
Britta Sandberg: Auch nicht.
Jean-Claude Juncker: Und Luxemburg?
Britta Sandberg: Das kenn ich ja.
Jean-Claude Juncker: Aber wir bilden uns ein, den Kontinent so normieren zu können, dass jede Regel auf jeden Landstrich in Europa passt. Und davon müssen wir auch Abstand nehmen. Wir machen Europa kaputt mit Vereinheitlichung. Europa ist kein Schmelztiegel. Wir müssen differenziert und sensibler mit den Befindlichkeiten der Menschen in Europa umgehen.
Georg Mascolo: Nun haben wir ja theoretisch immer noch europäische Verträge in denen steht, wir stehen eigentlich nicht füreinander ein, die no bail out-Klausel gilt eigentlich noch.
Wenn Sie sagen, dass wir jetzt in der Krise gelernt haben, dass wir, für wen auch immer der in dieser Währungsunion in Not gerät, einstehen müssen, dann ist es dann auch nur ehrlich, jetzt und für die Zukunft, wenn man dann Europa so erhalten will – ich glaube anderer Meinung kann man gar nicht sein – ist es doch richtig, muss doch ein Regelwerk geschaffen werden in dem man sagt, und wenn es einen weiteren Fall Griechenland, Portugal, Spanien, wen auch immer, geben wird, dann leben wir in Zukunft in einem Europa in dem diejenigen die stark sind, oder in der Situation stärker sind, eintreten müssen für diejenigen die schwächer sind.
Jean-Claude Juncker: Das würde ich so nicht sehen wollen. Es immer wieder so tun ist etwas anderes als es immer so sehen müssen.
Wenn wir in die europäischen Verträge das Prinzip einschreiben, dass jeder für die Schulden des anderen haftet, dann geht ein Haftungswirbel los, den ich nicht erleben möchte.
Wenn ein Land selbstverschuldet oder durch objektive Gründe bedingt in eine Lage hineinkommt wo es Hilfe braucht, dann muss der Weg zum Erhalten dieser Hilfe ein sehr komplizierter sein. Dann muss der Weg aus der selbstverschuldeten oder erlittenen Schuldenkrise in die ein Land hineingeraten ist, immer mit Auflagen verbunden sein. Eine neutrale Transferunion in dem Sinne, jemand hat ein Problem und er kriegt unser Geld, kann es nicht geben, dann bricht die Zustimmung der sogenannten stärkeren Länder – ich mag den Ausdruck nicht sehr, aber wir wissen was wir meinen – dann bricht die Zustimmung zu dem Gesamtkonstrukt Europa.
Es kann nicht sein, dass sich bei den Menschen in unseren Breitengraden die Meinung einnistet, und das ist in Deutschland ja zum Teil passiert, wir zahlen weil die andern nicht vernünftig sind. Und wenn man dieses Prinzip der Unvernunft und der Unverantwortlichkeit in einen Vertrag machen würde, dann würden in einigen Ländern Europas auch massiv unverantwortliche Politiken gemacht werden.
Wieso werden denn jetzt Konsolidierungsprogramme gemacht, und Sparprogramme, in Ländern die nicht wussten was sparen ist? Die werden nur gemacht um in den Genuss der europäischen Solidarität treten zu können. Und deshalb gehen für mich beide Dinge zusammen. Die Solidarität der einen muss immer in Kombination gelesen und verstanden werden mit der Soliditätsanstreungung der anderen.
Und deshalb bin ich nicht dagegen, um Ihnen wieder ein bisschen entgegen zu kommen, dass man weiß, dass das so sein kann, aber wenn man in den Vertrag schreibt, dass es so sein muss, dass es eine Solidaritätspflicht gibt, ohne Gegenleistung derer die Solidaritätsinstrumente genießen, dann gehen wir einen schweren Weg. Und das wäre auch nicht im Interesse der Länder die jetzt unsere Solidarität genießen, weil man kann nicht jahrhunderteland Solidaritätsübungen veranstalten, wenn nicht auf der anderen Seite, auf der Nehmerseite wenn ich so sagen darf, kräftige Anstrengungen unternommen werden um der Solidarität die man momentan genießt würdig zu sein.
Britta Sandberg: Sie haben vorhin gesagt, wir haben in den vergangenen Monaten und Jahren jede Menge Entscheidungen aus dem Boden stampfen müssen. Jetzt wissen Sie, kennen Sie die Situation ja besser als am Anfang. Jetzt wissen Sie, es gibt diese Krise und sie wird noch weitergehen und länger weitergehen wie Sie vorhin gesagt haben.
Ist nicht die Erwartung jetzt da, dass Europa, bei allen Unterschiedlichkeiten die es gibt, eine gemeinsame Strategie, einen Plan entwickelt zur Bewältigung dieser Krise, der ja auch weitsichtiger ist als Entscheidungen die Sie wie damals aus dem Boden gestampft haben, und die von Monant zu Monat getroffen werden?
Jean-Claude Juncker: Ich halte die Antwort die wir auf die Krise gegeben haben nicht für perfekt, würde mich aber gegen den Eindruck wehren wollen, dass sie total ungenügend wäre. Weil, wir haben ja diese Instrumente geschaffen, und nicht nur vorübergehende sondern permanente dauerhafte Instrumente.
Wir haben das Vertragswerk so abgeändert, falls es dann zur Ratifizierung kommt, dass derartiges in der Form sich nicht wird wiederholen können. Wir haben ja diesen Vertrag über den Fiskalpakt jetzt abgeschlossen, der so notwendig auch nicht war, weil wir auch über das Sekundärrecht vieles hätten regeln können, was jetzt geregelt wurde und auch vieles im Sekundärrecht schon anzutreffen ist. Und das sind aber Wegmarken die zeigen, welche Umwege in Zukunft nicht mehr gemacht werden können.
Wenn wir das jetzt ergänzen um einen Katalog Wachstumsimpuls-gebender Maßnahmen, und wenn wir das in Zusammenhang bringen mit dem was wir im G20 und G7 mit unseren Partnern und dem Internationalen Währungsfonds vereinbart haben, dann haben wir diese schlüssige Antwort, die wir dann immer anpassen müssen.
Hinzu kommt aber, ich sage das in Deutschland nicht gerne, weil ich dann immer sofort mit den Hunden zur Stadt hinaus gejagt werde, wir bräuchten auch Euroanleihen. Eurobonds, wie das im Neudeutschen heißt.
Wir haben jetzt den Fiskalpakt, der genaue, strikte Regeln der Haushaltsführung vorschreibt. Und wir haben eine gemeinsame Währung, wir haben einen Kanon haushaltspolitscher Reglungen gegen die nicht mehr verstoßen werden kann. Und es macht Sinn, dass wir in Europa uns einen Anleihemarkt zurechtlegen, der vom Volumen eher dem amerikanischen in etwa gleichgeht. 80% des amerikanischen Bondmarktes kriegten wir zusammen wenn wir dies täten. Das würde, weil es auch dort Bedingungen und Konditionalität gibt, vieles einfacher machen.
Da sind wir noch nicht so weit, das dauert noch sehr lange bevor wir da sind aber, ich bin völlig davon überzeugt, dass, wenn wir es ernst meinen in Zukunft, wenn wir den notwendigen Zukunftsernst aufbringen, dass wir dies dann auch unter strikten Bedingungen werden leisten müssen.
Britta Sandberg: Sie haben das ja schon mal vorgeschlagen und dann zurückgezogen.
Jean-Claude Juncker: Ich hab es nie zurückgezogen. Es wurde mir zurückgezogen.
Britta Sandberg: Es wurde Ihnen zurückgezogen, und dann haben Sie gesagt, es ist vielleicht noch nicht die Zeit dafür. Wann ist denn Ihrer Meinung nach die Zeit dafür gekommen?
Jean-Claude Juncker: Noch nicht.
Britta Sandberg: Und präziser wollen Sie jetzt nicht werden?
Georg Mascolo: Das geht nicht.
Jean-Claude Juncker: Also ich habe – bitte?
Georg Mascolo: Das geht nicht, dass Sie nicht präziser werden wollen.
Jean-Claude Juncker: Ich habe gelesen, dass einer der Elyseepostualanten, der Hollande, gesagt hat, das müsse kommen. Und das hat Herr Sarkozy auch gesagt bevor er Präsident der Republik wurde. So schnell wird es kommen.
Georg Mascolo: Dann tasten wir uns doch mal ran: was sind denn die politischen Voraussetzungen die es geben muss? Dass solche gemeinsamen europäischen Anleihen zur Aufnahme neuer Schulden oder zur Abdeckung alter möglich ist?
Jean-Claude Juncker: Wenn dieser Fiskalvertrag in Gänze von allen ratifiziert sein wird, wenn alle sich an diese Vertragsregelung dann auch halten; wenn wir weitere Souveränitätsübertragungen in Richtung Europäische Union vollzogen haben werden, dann wird dies die logische Schlussfolgerung sein.
Wobei man wissen muss, dass der Grundgedanke bei Eurobonds ja nicht der ist, dass alle europäischen Staaten gemeinsame Schulden aufnehmen und wir diese gemeinsamen Schulden mit Gemeinschaftszinsen bedienen. Das war nie der Vorschlag, er wurde nur in Deutschland so karikaturhaft dargestellt. Dat war nicht der Vorschlag. Es ging immer nur darum, einen Teil der Schulden mit Gemeinschaftszinsen zu bedienen, und nicht alle.
Aber ich halte dies, deshalb wundere ich mich, dass ich darüber so plaudere, überhaupt für kein aktuelles Thema. Ich wollte nur ablenken, ich weiß nur nicht mehr von was.
Britta Sandberg: Wir finden das aber sehr interessant.
Georg Mascolo: Ihre Position war, dass die Eurobonds dann beispielsweise möglich sind, um zum Ausgang des Gespräches zurückzukommen, wenn beispielsweise alle europäischen Staaten an den Fiskalpakt halten.
Jean-Claude Juncker: Ja.
Georg Mascolo: Und ihre Beschreibung dieses jetzt neu entstehenden Europas ist vor allem eins in dem sich alle an die Regeln halten. Ich würde die These wagen und sagen, die Regeln in Europa waren eigentlich schon immer ziemlich gut. Die Regeln von Maastricht waren auch erstklassig. Es hat sich nur leider nie jemand daran gehalten.
Jean-Claude Juncker: Das ist ja falsch. Also Deutschland und Frankreich [wird unterbrochen]
Georg Mascolo: Also, an die Maastricht-Kriterien haben Deutschland und Frankreich sich nicht gehalten. Und die Liste ließe sich noch fortsetzen. Luxemburg war niemals zu tadeln. Luxemburg [wird unterbrochen]
Jean-Claude Juncker: Luxemburg hat sich immer dran gehalten. Luxemburg hat die Kriterien erfüllt, bevor es die Kriterien gab. Das ist so.
Britta Sandberg: Aber Sie haben der Aufweichung der Maastricht-Kriterien damals zugestimmt, Sie haben Sie nicht verhindert.
Jean-Claude Juncker: Was habe ich?
Britta Sandberg: Als Deutschland und Frankreich die Maastricht-Kriterien nicht eingehalten haben.
Jean-Claude Juncker: Ja, damit war ich einverstanden.
Britta Sandberg: Ok.
Georg Mascolo: Also ich formuliere meine Frage neu: in Europa haben sich mit Ausnahme der Luxemburger immer wieder viele Staaten nicht vollständig an die Regeln gehalten [wird unterbrochen]
Jean-Claude Juncker: Wir wissen nicht genug übereinander.
Georg Mascolo: Genau. Was macht mich also in der Zukunft optimistisch, dass, mit Ausnahme von Luxemburg, alle anderen die Regeln ebenfalls befolgen werden?
Jean-Claude Juncker: Also, dass Sie sich so redlich Mühe geben Luxemburg jetzt zur Wachstumslokomotive in Europa zu machen, das ehrt Sie ja, aber das wird nicht passieren.
Ich glaube, der Umgang mit diesen Konvergenzkriterien, mit den Stabilitätsregeln wird auch deshalb ein anderer sein, weil in vielen öffentlichen Meinungen das Gefühl vorherrschend das ist, dass man stärker darauf achten muss. Es hat ja niemand sich um diese Konvergenzkriterien gekümmert in den letzten Jahren. Auch die Finanzmärkte haben das ja nicht gemacht.
Wenn ich das Rad zurückdrehen darf bis im Mai 1991, wo wir am Maastrichter Vertrag gearbeitet haben, da war eigentlich die Vorstellung die, dass wenn ein Land aus der Spur gerät, sich nicht an die Stabilitätsregeln hält, dann wird es sofort eine Sanktion der Finanzmärkte geben. Die Finanzmärkte merken das, dass ein Land dabei ist sich hoffnungslos zu verschulden und werden dann die Zinsbremse ziehen.
Das haben die Finanzmärkte aber nicht gemacht. Während langen, langen Jahren haben die Finanzmärkte eigentlich Griechenland behandelt bei der Festlegung der sozialen Zinsen wie die Bundesrepublik Deutschland.
Ich gebe ja zu, dass die Politik alle möglichen Fehler gemacht hat. Wir waren aber nicht alleine fehlerhaft tätig in all den Jahren. Auch die Europäische Zentralbank hätte nicht alle Papiere, alle Securities annehmen müssen – Artikel 21.4 der Statuten der Europäischen Zentralbank. Auch da hätte man etwas intensiver hinschauen können.
Insofern, um nur die Politik in Haft zu nehmen, das stört mich nicht, weil ich bin das gewohnt, aber der tatsächliche Ablauf der Ereignisse ist ein vielschichtiger und nuancierterer.
Ich bin aber der Meinung, dass, nachdem das Thema jetzt zu einem Thema auch in der öffentlichen Meinung wurde – Fiskalpakt, Konditionalität, Auflagen, einzuhaltende Regelungen – werden Regierungen sich nicht ohne weiteres davon entfernen können, weil es ja auch jetzt einen anderen Sanktionsmechanismus gibt als den, den wir zur Verfügung hatten als wir den ersten europäischen Stabilitätspakt schnürten. Die Sanktionen erfolgen jetzt automatischer, jedenfalls fast automatisch. Das war im früheren Vertrag nicht der Fall.
Früher war es so, dass wenn die Kommission vorschlug, ein Land mit Sanktionen zu belegen, oder auch nur einen blauen Brief zu schreiben, dann konnte der Rat der Finanzminister das mit einer blockierenden Minderheit ablehnen. Es hat also gereicht, dass zwei oder drei große und ein kleiner Staat sagten: "Kommission, das darfst du nicht".
Jetzt muss man mit qualifizierter Mehrheit ablehnen. Das nennt man die umgekehrte qualifizierte Mehrheit. Deshalb haben die Kommissionsvorschläge in Richtung Sanktionen viel mehr Aussicht auf Erfolg.
Das war ein hartes Stück Arbeit, den Sanktionsmechanismus und die Regeln der qualifizierten Mehrheit umzudrehen, weil ich weiß nicht ob Ihnen der Strandspaziergang in Deauville noch in Erinnerung ist. Dort haben Deutschland und Frankreich genau dies verhindern wollen. Das haben die kleineren Länder auf Grund der Stärke ihrer Argumente dann letztendlich im Fiskalpakt, den Deutschland so sehr inspirierten und durchgesetzt hat, veranlasst.
Britta Sandberg: Halten Sie diesen Sanktionsautomatismus jetzt für ausreichend?
Jean-Claude Juncker: Ja. Sie sehen ich bin auch der kurzen Antwort mächtig.
Georg Mascolo: Da sehe ich mich zum Wiederspruch veranlasst.
Vor nicht allzu langer Zeit fiel mir ein altes Manuskript in die Hände, als mein verstorbener Herausgeber Rudolf Augstein mit dem damaligen Finanzstaatssekretär Horst Köhler ein langes Spiegelgespräch zur Einführung des Euro geführt hat, dem späteren Bundespräsidenten. Und ich schicke Ihnen gerne eine Kopie, weil ganz vieles von dem was damals besprochen worden ist – bekanntlich haben viele in Deutschland große Sorgen gehabt, also auch andere europäische Nationen, als es um die Aufgabe ihrer eigenen Währung geht – und das was damals beschrieben worden ist, warum in diesem System niemals etwas schiefgehen kann, erinnert mich irgendwie an vieles von dem was jetzt beschrieben wird.
Ich glaube, dass in einem System in dem letztlich die Politik herrscht, auch klar ist, dass Regeln, egal wie gut sie sind wenn sie zu Papier gebracht werden, im Zweifel auch gebrochen werden können. Und ich glaube nicht, dass Regeln zu verfassen sind, wo man dauerhaft sicher sein kann, dass politische Mehrheiten sie nicht auch wieder außer Kraft setzen.
Jean-Claude Juncker: Ja, und das halte ich für Demokratie.
Georg Mascolo: Gut, dann [wird unterbrochen]
Jean-Claude Juncker: Weil, man muss ja auf das sich anbahnende Demokratiedefizit sehr achten. Das treibt mich um. Ich bin einer der Wenigen die das umtreibt.
Zum Beispiel in der Causa Griechenland, da schicken wir die Troika nach Athen. Die setzt sich zusammen aus Vertretern der Europäischen Zentralbank. Die sind nicht gewählt. Die müssen von Gewählten ernannt werden, und dann vergessen sie von wem sie ernannt wurden. Das müssen sie auch, weil sie unabhängig sind, das ist ein hohes Gut im europäischen Vertragswerk. Dort sind Vertreter der Europäischen Kommission, nicht gewählt. Kommissare werden nicht direkt vom Volk gewählt, sondern werden von Regierungen ernannt, und sind keinerlei Weisungen unterworfen, dürfen also überhaupt nicht in der Hauptstadt nachfragen – das machen auch die Kommissare der kleinen Länder regelmäßig nicht – was sie in Brüssel zu tun hätten. Und es sind Vertreter des Internationalen Währungsfonds, nicht gewählt.
Und die entwerfen in Programm für Griechenland, und das diskutieren wir in der Eurogruppe manchmal kontrovers, manchmal auch nicht. Wo ist denn die demokratische Substanz auf Dauer gewährleistet?
Deshalb komme ich zu dem Thema zurück das ich eingeführt habe, in der Missachtung einer von ihnen zielorientierten Frage, indem ich umgebogen habe. Wir machen Erweiterung, wir machen Vertiefung und wo bleibt der Demokratiegehalt in dem Ganzen auf Dauer gesichert? Das sehe ich alles nicht, und das macht mir große Sorge.
Wenn die Menschen plötzlich das Gefühl haben, hier passieren dauernd Dinge die von nicht gewählten Institutionen entschieden werden, und die gewählten Institutionen, Regierungen gehen dann in ihre Parlamente, mit diesem Paket an Entscheidungen, und legen das auf den Tisch des Hauses – das geht 2, 3 Mal gut, weil wir uns jetzt selbst intensiv noch drum bekümmert haben.
Aber wenn sich das plötzlich verselbstständigt, dann sehe ich zwar die europäische Demokratie nicht in Gefahr, hätte nur gerne, dass man auch mal in der Politik darüber redet, wer eigentlich in den Augen der Menschen entscheidet. Welche Institutionen und welche Organe? Wie viel Demokratiegehalt gibt es noch in all den Institutionen die da am Werken sind? Wissen alle Parlamentarier was da passiert? Wissen alle Minister was da passiert?
Georg Mascolo: Die Antwort ist einfach, sie wissen es nicht.
Jean-Claude Juncker: Ja.
Georg Mascolo: Und üblicherweise ist das Argument, um Himmels Willen, macht die Sachen nicht so kompliziert, es muss schnell gehen, 17 Parlamente sind beteiligt, 27 Parlamente sind beteiligt. In Wahrheit glaube ich, regiert in Europa mittlerweile die doppelte Exekutive: die Kommission und der Rat. Und die parlamentarische Kontrolle ist [wird unterbrochen]
Jean-Claude Juncker: Wenn ich mich zur Selbstkritik so massiv hinreißen lasse, wie ich dies jetzt tue, dann sollten sie einem derartigen Outing mit mehr Gefühl und Respekt begegnen als Sie das jetzt tun, und mir nicht erklären, dass es eigentlich alles noch schlimmer ist. Es ist schon schlimm genug. Was ich sagen möchte ist, [wird unterbrochen]
Georg Mascolo: Aber wann ist Luxemburg mehr gehuldigt worden als heue, lieber Herr Premierminister?
Jean-Claude Juncker: Mehr ist immer drin, einmal geht noch rein.
Was ich sagen möchte ist, dass ich mir Sorgen mache um die parlamentarische [undeutlich] des Gesamteurovorgangs.
Ich wünschte mir, ich weiß aber, dass dies immer auf Ablehnung stößt, dass wir dem Europaparlament, zusammengesetzt aus gewählten Abgeordneten der Euroländer, mehr Mitspracherecht geben, weil mir die parlamentarische Ebene bei dem Gesamtunterfangen fehlt.
Ich hätte gerne, dass unsere Systeme parlamentarische Zustimmung finden, weil das Volk das Parlament wählt und Parlamente gefragt werden müssen. Und wir haben nicht auf allen Ebenen der europäischen Beschlussfassung, auch im Zusammenhang mit Euro, Deutschland ist eine Ausnahme, weil dort die parlamentarische Schiene wirklich gefahren wird, wir haben eine ungenügende parlamentarische Kontrolle. Und deshalb sollen die Europaparlamentarier aus den Euroländern in einer getrennten Organisationstruktur über Eurodinge mit entscheiden könne. Weil sonst taucht der Verdacht auf, dass hier alles neben dem Volk geschieht, weil es für das Volk geschieht.
Ich habe lieber, man macht mit dem Volk etwas für das Volk, als etwas für das Volk neben dem Volk.
Britta Sandberg: Sie werden den Vorsitz der Eurogruppe Ende Juni abgeben. Sie haben mal gesagt, man gibt dauernd und kriegt dafür nichts. Ist das einer der Gründe?
Jean-Claude Juncker: Och, nein, das war eine prepubertäre [wird unterbrochen]
Britta Sandberg: Aha, schon lange her.
Jean-Claude Juncker: Ich bin jetzt ein postpubertärer Großhäuptling und ertrage Schläge inzwischen besser. Nein, nein, nein, das ist nur keine vergnügungssteuerpflichtige Angelegenheit. Ich mache das seit 7 Jahren. Ich lese dauernd, dass es so viele gibt die es besser machen können. Sie sollen es jetzt tun.
Britta Sandberg: Ist das auch ein bisschen Verbitterung über deutsch-französische Einmischungen?
Jean-Claude Juncker: Ja.
Britta Sandberg: Das heißt, Sie haben nicht mal das Gefühl gehabt, dass die Rolle die Sie eigentlich haben, Sie die noch ausüben konnten?
Jean-Claude Juncker: So schnell kann man mich nicht zur Seite rücken, aber es wäre einfacher gewesen wenn die Zuneigung der beiden pausenlos spontaner gewesen wäre.
Britta Sandberg: Sie gehen also mit ein bisschen [wird unterbrochen]
Georg Mascolo: Aber das haben Sie nie als persönliche Auseinandersetzung gesehen, sondern sie beklagen dass die beiden Großen keine Rücksicht auf die Kleinen nehmen.
Jean-Claude Juncker: Ich beklage es, und ichbeklage es auch nicht.
Ich beklage, dass die beiden Großen dauernd so tun als ob sie das ganze alleine im stillen Kämmerlein regeln würden, das tun sie nicht, können sie auch nicht. Und ich beklage mich auch nicht darüber, dass Deutsche und Franzosen einen Führungsanspruch in Europa erheben, weil täten sie dies nicht, sondern lehnten sich bequem in ihrem Sessel zurück, dann würden die andern es nicht schaffen.
Aber ich habe nicht sehr gerne, dass man immer so tut als ob nur 2 ganz alleine, ganz, ganz alleine vereinsamt in ihrer Berghütte darüber entscheiden würden wie die Dinge in Europa gehen.
So ist das nicht, ich kann Ihnen Beispiele zu Haufe nennen, aber ich hab ja dann immer nur Verdruss, also lass ich das sein – deshalb hätte ich Ihre Frage überhaupt nicht beantworten sollen – viele Beispiele nennen, wo eigentlich genau das Gegenteil dessen gemacht wurde was Deutsche und Franzosen vorgeschlagen haben, sie aber nachher quietschfidel erklären, sie hätten das Ganze Zeug gemacht. So war es nicht, [wird unterbrochen]
Georg Mascolo: Sie haben ja vorhin schon mal den Strandspaziergang von Deauville erwähnt, der ja ein schönes Beispiel dafür ist, weil sowohl die Position die die Kanzlerin als auch Sarkozy durchgesetzt hat, wenn ich mich richtig erinnere, jeweils wechselseitig später die Positionen gewesen sind von denen sie gesagt hätten, das hätte man besser gelassen.
Jean-Claude Juncker: Es wird in Deauville entschieden, Privatgläubigerbeteiligung muss immer sein. Jetzt wurde entschieden, Privatgläubigerbeteiligung hat es nur im Falle Griechenland gegeben, und kann es nie mehr geben. Es wurde in Deauville entschieden, ein Land das die Stabilitätsregeln so oder so verletzt, dem muss man die Stimmrechte entziehen. Om welchem Vertrag steht das denn? Vielleicht ist es das was Herr Hollande ändern möchte. Weil die ursprüngliche Position von Sarkozy nicht im Vertrag steht.
Georg Mascolo: Nun gibt es einen Kandidaten für Ihre Nachfolge, den deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble.
Jean-Claude Juncker: Ja, der hat meine volle Unterstützung. Weil ich A) mit Wolfgang Schäuele ein exzellentes persönliches Verhältnis habe und B) er weiß wovon er redet, wenn er über Euroangelegenheiten redet und C) das auch mit nicht nur mit Verstand sondern auch mit Herzblut machen möchte, weil er ist der Europäer am Kabinettstisch in Berlin.
Georg Mascolo: Wenn er denn die geeignete Person ist, ist er als Finanzminister Deutschlands, des Landes das ohnehin eine so große Rolle spielt, in alldem die richtige Besetzung? Wäre es nicht besser jemanden, möglicherweise aus einem kleineren Land zu nehmen?
Jean-Claude Juncker: Das hatten wir schon mal.
Georg Mascolo: Hat er nicht eine doppelte Rolle? Kommt er in Schwierigkeiten, was diese doppelte Rolle angeht? Er muss natürlich der Vermittler sein, der Ausgleichende. Er ist gleichzeitig aber auch der Finanzminister eines Landes über das laut und halblaut viele andere europäische Regierungen sich beklagen und sagen, die Deutschen geben doch schon ohnehin den Takt vor, und das auch noch in die falsche Richtung.
Jean-Claude Juncker: Also, der Eurogruppenvorsitzende muss viel zuhören können und auch viele Worte in seinem Herzen behalten. Der darf nicht jedem sagen was der andere gesagt hat oder denkt. Er muss das nur so zusammenbringen, dass sich daraus eine, wenn och holprige Politik aus einem Guss ergibt. Und das ist eine Doppelbelastung, auch wenn man Premierminister in einem kleinen Land ist, die rein zeitlich nicht zu stemmen ist. Und das muss jeder sich überlegen. Der Tabellenstand ist der, dass ich für Schäuble bin und Schäuble für mich.
Britta Sandberg: Die SZ hat mal gesagt, Sie sind das Langzeitgedächtnis der von Europa, und wenn Sie gehen, verschwindet dieses Langzeitgedächtnis. Was sind denn die Dinge aus Ihrem Langzeitgedächtnis, die sie Ihrem Nachfolger unbedingt ans Herz legen?
Jean-Claude Juncker: Dass er zuhören muss. Zuhören ist wichtig. Alles wissen über die andern. Nicht in der Sitzung entdecken was auf Zypern los ist, sondern 2 Wochen vorher mit den Zyprioten so geredet haben, dass es keine zypriotische Überraschung gibt, oder eine slowenische oder eine slowakische. Es gibt nicht nur zwei in Europa. Und das ist zum Beispiel eine Fähigkeit, die Wolfgang Schäuble hat, weil er ein spontanes Verständnis für andere hat und auch ein echtes Interesse. Insofern wäre er eine Idealbesetzung
Britta Sandberg: Glauben Sie, dass es irgendwann mal das Amt eine direkt gewählten europäischen Präsidenten geben wird?
Jean-Claude Juncker: Ich hielte das für notwendig, wünschte mir das auch, aber ich wüsste heute nicht genau wie man dann einen derartigen Unglücklichen wählen würde. Weil zum Beispiel haben Sie 500.000 Luxemburger mit Wahlrecht und 82 Millionen Deutsche. Da hat ein Deutscher ja keine Chance. Insofern muss man ja die Gewichtung so austarieren, dass da auch ja kleiner Gestalten groß werden.
Britta Sandberg: Würde Sie das reizen?
Jean-Claude Juncker: Bitte?
Britta Sandberg: Würde Sie das reizen? Sie haben gesagt, Sie sind jetzt in einem postpubertären Zustand und hätten dann hätten Sie ja noch Zeit, [wird unterbrochen]
Jean-Claude Juncker: Ja, also ich denke mir, dass man [wird unterbrochen
Georg Mascolo: Herr Juncker, wenn es ernst wird, darf man lügen.
Jean-Claude Juncker: Mein lieber, um europäischer Präsident zu werden braucht man eine Reife nach der ich erst greife.
Georg Mascolo: Ich glaube es ist hohe Zeit, zumindestens noch einige Fragen aus dem Publikum zuzulassen, deswegen bis hierhin vielen Dank.
Sie müssen aufgrund des Nachtflugverbots, von dem ich von Ihnen vorhin gelernt habe, dass es in Luxemburg eigentlich noch strenger ist als in Hamburg uns relativ frühzeitig verlassen, so dass ich darum bitten würde, dass wir es heute Abend bei 3 Wortmeldungen belassen, und frage wer den Anfang machen mag.
Wortmeldung 1: mich würde interessieren, wie Sie die augenblickliche Situation sehen, dass zum Beispiel Staaten wie Großbritannien, für die ich große Sympathie habe, scheinbar außen vor sind. Wir haben jetzt nur über die Schuldenkrise geredet, aber wie kann man auch Staaten wie Großbritannien wieder mehr in diesen europäischen Verband integrieren? Die Kluft zu überwinden, Entschuldigung, ich habe es ein bisschen groß formuliert. Danke.
Jean-Claude Juncker: Nein ich bin auch ein ausgesprochener Freund der Briten, und halte Europa auch nicht für komplett, wenn Großbritannien nicht die ihm zustehende Rolle in Europa spielt. Dies setzt voraus, dass Großbritannien die Rolle auch spielen möchte. Und die Verantwortung und die Last derer tragen möchte, die alle Politiken der Europäischen Union vollumfänglich mitgestalten.
Wer aber von sich selbst aus, nicht gezwungen sondern proprio motu, sagt, ich hätte gerne im Vertrag das Recht diese europäische Währung nie einzuführen, was ich akzeptiere, weil es eine souveräne Entscheidung des britischen Volkes oder des britischen Parlamentes jedenfalls ist, der darf nicht für sich das Recht beanspruchen dann in Euroangelegenheiten so mitzureden als ob er auch Mitbesitzer dieser europäischen Währung wäre.
Mich stört an vielen Reaktionen der angelsächsischen Welt, auch in Nordamerika, aber die sind ja nicht Teil der Europäischen Union, dass sehr oft in hochsensiblen Momenten der terminlichen Abläufe der letzten 3 Jahre eher Unangenehmes in Sachen Euro gesagt wurde als Hilfreiches angeboten worden wäre.
Ich habe dem britischen Kollegen Premierminister und Schatzkanzler schon dreimal gesagt, wenn wir so über das Pfund reden würden wie ihr pfundigen Kerle über den Euro redet, dann wäret ihr nicht sehr froh. Wenn wir jeden Tag erklären würden, dass die Staatsschuld in Großbritannien höher ist als im Rest Europas, dass das Haushaltsdefizit höher ist als im Rest Europas, und dass wir deshalb nicht verstehen wieso der Euro angegriffen wird und nicht das Pfund; wenn wir die Finanzmärkte darauf aufmerksam machen würden, dass wir ja eigentlich schöner daher kommen als das britische Pfund, dann wären die Briten auch nicht zufrieden.
Im Übrigen gehört es für mich, weil ich die Briten aus vielerlei Gründen mag, eigentlich zur Ambition Großbritanniens, nicht über eine Regionalwährung zu verfügen, sondern an einer großen kontinentalen Währung mitzuarbeiten.
Ansonsten glaube ich, dass das ein frommer Wunsch bleiben wird. Es täte aber der Währungsunion gut, wenn Großbritannien dabei wäre, weil ich dieses britische common sense, dieses down to earth sehr genieße. Die Briten reden über Europa weniger hochtrabend als ich das tue. Aber das ist nur um die Briten zu ersetzen.
Wortmeldung 2: Eine Ihrer wichtigsten Aussagen heute Abend fand ich, dass wir unsere Nachbarn zu wenig kennen. Was heißt Nachbarn, also die andern europäischen Mentalitäten. Ich selbst habe 11 Jahre insgesamt in andern europäischen Ländern gelebt, lebe seit 5 Jahren in Spanien, und lerne also ein bisschen kennen wie andere Länder funktionieren und denken.
Wie wollen Sie erreichen, dass wir alle, aber insbesondere auch die Politiker, die führenden Politiker, nun besser kennenlernen wie die einzelnen Mentalitäten oder wie die einzelnen Gesellschaften funktionieren? Beispiel, in Ländern wie Spanien oder Südeuropa im Allgemeinen, wo die kurzfristige Denke vorherrscht, wie will man denn da erreichen, dass nachhaltiges Handeln tatsächlich möglich ist
Jean-Claude Juncker: Also, ich konnte bis jetzt nicht feststellen, dass in Ländern die nachhaltig handeln nicht manchmal kurzfristig gedacht wird. Insofern hat es da schon eine Vermengung zwischen südlichem Ambiente und nordeuropäischem Temperament gegeben.
Meine Bemerkung zielt auch nicht so sehr auf Politiker, obwohl es dort im besonderen Masse verfänglich ist, weil man durch Unkenntnis brilliert. Es geht eigentlich um die Menschen in Europa, dass die sich besser kennen lernen müssen. Es geht darum, dass man überall in Europa dafür sorgt, dass man 3 oder 4 Sprachen redet, weil wer die Sprache des anderen beherrscht, der interessiert sich auch für sein Innenleben, für das was dieses Volk, oder die dieser Sprache Kundigen umtreibt. Was ja auch noch nicht immer dasselbe ist, weil Österreich und Deutschland unterscheiden sich ja in Teilen ihres Wesens sehr pointiert.
Sprachunterricht ist wichtig. Mich ärgert, dass, das merkt man jetzt auch im französischen Wahlkampf, das Wort Grenze plötzlich wieder in den Bereich der europäischen Normalität zurückversetzt wird. Im französischen Wahlkampf sagt man, Schutz der Grenze muss sein, wir müssen uns wehren – das hat man auch in Dänemark erlebt.
Ich weiß nicht, was das alles soll? Wenn wir die Grenzen wieder hochziehen, dann werden wir uns nie kennenlernen. Die Grenzen sind die Schlimmste Erfindung die Politiker je gemacht haben. Und Gott weiß, dass sie sehr erfinderisch sind, wenn es um derartige Dinge geht.
Dass wir in Europa keine Grenzen mehr haben, dafür werden wir in der ganzen Welt bewundert. Und jetzt fangen wir an, die wir mit der Lebensleistung derer, die dafür gesorgt haben, dass diese Grenzen endgültig verschwinden können, jetzt fangen wir wieder an darüber zu reden, dass wir jetzt wieder Grenzen einziehen, dass wir uns abschirmen. Wir sind auf dem falschen Weg.
Also ich weiß ja, dass man Europa nicht mehr remotivieren kann mit dem ewigen Thema Krieg und Frieden, obwohl das für mich kein Thema ist das man einfach zur Seite stellen sollte. Wir sind da nicht so immun wie wir denken, überhaupt nicht immun. Kosovo, das war vor 15 Jahren, das war nicht im 19. Jahrhundert und nicht am anderen Ende der Welt, sondern anderthalb Stunden von hier. Da wurde gemordet, gefoltert, vergewaltigt. Das war mitten in Europa. Das Thema ist schon ein Thema das man nicht aus den Augen verlieren sollte.
Aber man kann die Jüngeren damit ja nicht begeisterten, weil sie denken das wäre normal. So wie sie auch denken, der Grenzwegfall wäre normal. Die werden sich dann wundern wenn einige sich da wieder durchsetzen.
Aber am Anfang des 20. Jahrhunderts hat es 20% Europäer weltweit gegeben und am Anfang dieses Jahrhunderts waren wir noch 11%. Und 2050 wird es noch 7% Europäer geben. Und am Ende des Jahrhunderts werden wir noch 4% Europäer von 10 Milliarden Menschen sein. Wieso wir jetzt denken, jetzt wäre de Moment gekommen wo wir uns wieder rekategorisieren dürfen in nationale Ligen, wo wir den Nationalstaat wieder aufleben lassen sollten, in der Meinung, dass der Nationalstaat besser mir den Problemen der Zeit und er Zukunft zurecht käme als dieser organisierte Kontinent, bleibt mir völlig schleierhaft.
Allein die demographische Entwicklung zwingt uns dazu mehr Europa zu wollen, nicht wieder in die alten Fehler zurückzufallen.
Und wenn wir nicht in die alten Fehler zurückfallen möchten, dann müssen wir uns mehr für das Schicksal, für die Art und Weise des Wachsens und Werdens unserer direkten Nachbarn in Europa interessieren.
Deshalb sage ich, auch für mich kommt nur mehr Europa in Frage. Fragen Sie mich nicht was das jetzt im Detail heißt. Ich weiß nur wenn wir es zurückdrehen, dann geht es schief.
Georg Mascolo: Und bitte.
Wortmeldung 3: Ich hab eine kurze Nachfrage zur Transferunion. Dieser Begriff der wirkt mir immer etwas [wird unterbrochen]
Jean-Claude Juncker: Ich kann Sie leider nicht sehen, kommen Sie mal ans Licht.
Wortmeldung 3: Der Begriff der Transferunion wird ja immer etwa homöopathisch benutzt. Das erste Mal, dass ich dazu etwas gefunden habe, das war ein Berater beim Herrn Schäuble, ja nun nicht gerade als Eurotorpedo bekannt. Und wenn man das liest, dann steht hier: "Ein Ausgleichsmechanismus der die bestehenden je-Kopf-Unterschiede in den Einnahmen der öffentlichen Haushalte in Europa auch nur zur Hälfte ausgleicht wird auf 445 Milliarden Euro jährlich beziffert."
Deutschland ist ja üblicherweise mit 28% dabei, das ist also so was Ähnliches wie 130 Milliarden. Zur Erinnerung an die Transferzahlenden in diesem Raum, der Soli, die 5,5%, machen ungefähr 11 bis 12 Milliarden jährlich. Das heißt, wir reden von einem Soli von 60%, 65%, 70%.
Halten Sie das mittelfristig für vermittelbar?
Jean-Claude Juncker: Das halte ich weder für vermittelbar noch für nötig
Ich plädiere nicht dafür, dass man die totale Transferunion, die TTU, in Europa einführen sollte. Ich rede davon, dass man in bestimmten Politikbereichen Transferleistungen ins Auge fassen sollte, so wie wir das schon tun.
Aber die Zahl des Schäuble-Beraters, oder von Wolfgang Schäuble selbst, ich weiß das nicht, das ist die Vorstellung, dass man den Totalausgleich, den kontinentalen Totalausgleich über Transferzahlungen aus stärkeren Staaten in Richtung schwächere Staaten organisieren würde. Der wäre in allen Fällen dagegen, dass man das tut. Ich bin auch zur Hälfte dagegen und jetzt können Sie ganz ruhig schlafen.
Georg Mascolo: Meine Damen meine Herren, so gut wie pünktlich kommen wir zum Ende. Für heute Ihnen allen vielen Dank, vor allem vielen Dank an unseren Gast, Premierminister Jean-Claude Juncker. Eine Frage habe ich noch [wird unterbrochen]
Jean-Claude Juncker: Wenn es ernst wird soll man lügen.
Georg Mascolo: ... über die ich mit Helmut Schmidt keine Antwort gefunden habe: stimmt es eigentlich, dass Sie beim Europäischen Rat, wenn es richtig spät wird, heimlich rauchen gehen?
Jean-Claude Juncker: Nein das stimmt nicht. Ich rauche nicht heimlich.
Georg Mascolo: Im Saal? Vielen Dank Jean-Claude Juncker, vielen Dank Ihnen allen.