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"Wir haben doch nichts als den Euro", Jean-Claude Juncker au sujet de la situation actuelle en zone euro
Jean-Claude Juncker: Sie werden es. Wir leben in einer Phase des sofortigen Sofortismus. Man räumt uns ja nicht mehr das Recht ein, nachzudenken. Wir werden ständig zu Stellungnahmen gedrängt, dazu geben andere Stellungnahmen ab; und dann entfacht sich ein Reaktionsfeuer, das mit der eigentlichen Nachricht nicht mehr viel zutun hat.
SZ: Fakt ist, dass Spanien ein Problem hat; und hat die Eurogruppe eine Lösung dafür?
Jean-Claude Juncker: Wir haben sofort und gut gehandelt und dafür gesorgt, dass 100 Milliarden Euro bereitstehen, um den spanischen Bankensektor in ruhigeres Gewässer zu fahren. Unsere Absicht bleibt, das Bankenrisiko vom Staatsrisiko zu trennen. Die spanische Regierung konsolidiert und reformiert. Wir werden das Problem lösen.
SZ: Die Märkte honorieren das nicht. Warum?
Jean-Claude Juncker: Ich halte die Marktreaktion für absolut unangemessen. Das gilt auch bezüglich Italien. Man kann nicht jahrelang verlangen, dass die Länder den Haushalt in Ordnung bringen - und dann so tun, ob nichts passiert wäre.
SZ: Woran liegt's?
Jean-Claude Juncker: Ich lese ja manchmal amüsiert, dass die Politik wieder ihr Primärrecht wahrnehmen soll, zu entscheiden und zu gestalten. Das tun wir doch längst - aber Banken und andere Finanzinvestoren reagieren nicht.
SZ: Haben sie Recht? Müssen wir uns jetzt vor den Märkten auf den Bauch legen, jenen Märkten, die sich die letzten zehn Jahre lang getäuscht haben?
Jean-Claude Juncker: Nein. Ich behaupte, die Märkte reagieren nicht konsequent auf die Resultate, welche die Politik liefert. Und ich halte es nach wie vor für angebracht, dass wir eine Politik der ruhigen Hand betreiben. Wir schaden uns selbst, wenn wir auf jede irrationale Bewegung von Zinsen und Kursen reagieren.
SZ: Mittlerweile scheinen die Finanzinvestoren eher dem Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, zu vertrauen als dem der Euro-Gruppe?
Jean-Claude Juncker: Wenn Draghi spricht und die Märkte reagieren, dann passt mir das sehr gut. Die Europäische Zentralbank hat eine führende Erklärungs- und Handlungsrolle. Sie ist keiner Regierung verpflichtet. Sie handelt unabhängig. Wenn die Märkte darauf reagieren, habe ich mich nicht darüber zu beklagen. Draghi erzählt ja nichts, was die Regierungschefs nicht auch denken würden.
SZ: Aber warum überzeugt die Politik nicht?
Jean-Claude Juncker: Die Glaubwürdigkeit der EZB ist eben höher ist als die der europäischen Politik. Das liegt weniger an der Bank als an den Politikern. Wobei die Notenbank auch in der vorteilhaften Situation ist, dass sie in ihrem kleinen Direktorium nicht öffentlich berät und entscheidet. In der Euro-Gruppe dagegen sitzen 17 Regierungen und jede Menge unterschiedlicher Parteien. Sie muss also 17 national unterschiedliche Erklärungen darüber vorbringen, warum sie was entscheidet - und was diese bedeuten.
SZ: Zurück zu Spanien. Die sieben Prozent Zinsen, die Madrid für seine Staatsanleihen zahlen muss, fressen buchstäblich den Effekt der Sparprogramme wieder auf. Ein Teufelskreis...
Jean-Claude Juncker: Die Zinsen haben sich beruhigt, nachdem Mario Draghi angekündigt hat, dass die Notenbank alles tun wird, um den Euro zu retten. Und welche Maßnahmen wir ergreifen werden, entscheiden wir in den nächsten Tagen. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.
SZ: Auf dem Juni-Gipfel haben die Euro-Länder bekräftigt, notfalls Staatsanleihen durch die Euro-Rettungsfonds EFSF/ESM aufkaufen zu lassen, und zwar über die Europäische Zentralbank. Stimmt es, dass Paris darauf drängt und Berlin zögert?
Jean-Claude Juncker: Ich habe keinen Zweifel, dass wir die Beschlüsse des letzten Gipfels umsetzen. Es ist noch zu entscheiden, was genau wir wann machen werden. Das hängt von den Entwicklungen der nächsten Tage ab und davon, wie schnell wir reagieren müssen. Wir handeln zusammen mit der Europäischen Zentralbank, ohne deren Unabhängigkeit anzutasten. Wenn ich sage "wir", meine ich den Euro-Rettungsfonds EFSF, das heißt, die 17 Euro-Länder. Wir stimmen uns eng mit der Notenbank ab, und wir werden, wie Draghi sagt, Resultate sehen. Ich will nicht Erwartungen schüren. Aber ich muss sagen, wir sind an einem entscheidenden Punkt angekommen.
SZ: Also keine Sommerferien?
Jean-Claude Juncker: Die Euro-Länder sind an einem Punkt angekommen, an dem wir mit allen verfügbaren Mitteln überaus deutlich machen müssen, dass wir fest entschlossen sind, die Finanzstabilität der Währungsgemeinschaft zu gewährleisten. Niemand sollte denken, dass Politik bedeutungslos geworden ist. Wir haben uns das vorgenommen, in Europa, weil wir in der Welt auch nichts haben als den Euro. Niemand sollte an dem Willen der teilnehmenden Kräfte zweifeln, die Entschlossenheit unter Beweis zu stellen.
SZ: Mit Verlaub, bisher haben Sie die Krise nicht stoppen können. Was ist neu?
Jean-Claude Juncker: Die Welt redet nicht darüber, welche Probleme es gibt, sondern welche es geben könnte. Die Welt redet darüber, ob es die Eurozone in einigen Monaten noch gibt. Deswegen machen alle Länder und Institutionen dieser Eurozone - Europäische Zentralbank, Rat und Kommission - deutlich: Wir sind fest entschlossen, den Euro in seinem Bestand, also mit allen Ländern, und in seiner Bedeutung zu halten. Alles Geschwätz über den Austritt Griechenlands ist da nicht hilfreich.
SZ: Kann es sich die Euro-Zone erlauben, ein Land zu verlieren, jetzt, da es überall brennt?
Jean-Claude Juncker: Der Austritt Griechenlands aus der Eurozone gehört nicht zu meiner Arbeitshypothese. Ich weiß, dass es im deutschsprachigen Raum viele gibt, die obwohl nicht simplen Geistes, einfache Lösungen anstreben, weil die in der inneren republikanischen Befindlichkeit auf Wohlwollen stoßen. Aber sie irren sich fundamental. Wer denkt, dass die Probleme der Eurozone dadurch behoben würden, dass man Griechenland ausschließt oder fallen lässt, hat die eigentlichen Ursachen der Krise nicht erkannt...
SZ: ...also ist Griechenland nicht das größte Problem der Euro-Länder?
Jean-Claude Juncker: Ich will das von Griechenland provozierte Problem nicht klein reden. Griechenland steht immer noch in der Schuld, liefern zu müssen. Aber mit dem Ausschluss des Landes würden die Probleme der Euro-Zone nicht behoben. Im Gegenteil. Das Ansehen der Euro-Länder weltweit würde erheblich geschädigt, es würden enorme Folgeschäden entstehen. Nur um einen billigen innenpolitischen Diskurs zu unterstützen, sollte man den Austritt nicht mal als Hypothese behandeln.
SZ: Draghi will den Euro mit allen Mitteln verteidigen. Also ist er jetzt sicher?
Jean-Claude Juncker: Ich stelle fest, dass die Glaubwürdigkeit der Notenbank so hoch ist, dass die Äußerung ihres Präsidenten positiv wirkt. Ob es reicht, weiß ich nicht. Aber warum sollte nicht? Warum sollte ich in der Betrachtung der Dinge den Finanzmärkten mehr Kompetenz zubilligen als der Europäischen Zentralbank. Die Finanzmärkte haben zehn Jahre griechische Finanzlage besser bewertet als die deutsche. Nehmen Sie die Bewertungs-Agenturen...
SZ: ...Sie meinen, die Rating-Agenturen.
Jean-Claude Juncker: ...nein, Bewertung. Die Agenturen haben sich pausenlos geirrt. Sie haben Monate vor der Lehmann Pleite noch die höchsten Bonitätswerte für deren Produkte verteilt. Dass diese Agenturen von Publizisten überhaupt noch ernst genommen werden...
SZ: ...kommen wir zurück zum Sommer.
Jean-Claude Juncker: Wir müssen die Dinge im Sommer in der richtigen Bahn halten. Vor allem im September werden wir zielorientiert über Griechenland und Zypern reden, wenn wir den Troika-Bericht haben.
SZ: Hat Griechenland bis September Zeit?
Jean-Claude Juncker: Ich wundere mich immer wieder, dass man vor allem in der Bundesrepublik stets mahnt, wir müssen den Troika-Bericht abwarten. Aber schon bevor er da ist, erklärt man was drin steht. Das ist Innenpolitik. Wieso eigentlich erlaubt sich Deutschland den Luxus, andauernd Innenpolitik in Sachen Eurofragen zu machen? Warum behandelt Deutschland die Euro-Zone wie eine Filiale? Wenn das alle 17 Regierungen machten, was bliebe dann übrig von dem was uns gemeinsam ist. Warum ist das so?
SZ: Sie kennen Kanzlerin Merkel besser...
Jean-Claude Juncker: Ich rede nicht von Frau Merkel. Auch nicht mal von der gesamten Regierung.
SZ: ...aber von einzelnen Regierungsmitglieden...
Jean-Claude Juncker: ...da werde ich keine Namen nennen. Wir sollten aber alle stärker auf unsere Worte achten. Zum Beispiel: In Deutschland gibt es die höchstverbreitete Meinung, der französische Präsident Hollande wäre ein Zauderer, ein haushaltspolitischer Verweigerer, einer, der nicht sparen will. Das stimmt alles nicht. Genauso wenig ist Frau Merke! eine Euroindividualistin, wie es in Frankreich heißt. Die einfachen Bilder bereichern vielleicht die innenpolitische Kulisse, sie sind aber falsch. Wir sollten mehr Ernsthaftigkeit an den Tag legen.
SZ: Welche Botschaft geben Sie ihrem Nachfolger im Chefsessel der Euro-Gruppe mit?
Jean-Claude Juncker: Der Chef der Eurogruppe sollte den Job hauptamtlich betreiben. Das werden einige Finanzminister nicht so sehen, weil sie verlangen, dass der Eurogruppenchef in der nationalen Politik geerdet sein soll. Auch einige Herren in Brüssel können sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass es neben ihnen noch andere Präsidenten gibt, weil sie Schattenwirkungen befürchten. Aber die Erfahrung zeigt, dass wir einen europäischen Finanzminister brauchen. Es muss eine prominente Persönlichkeit sein, die durchaus nationale Haushaltspläne stoppen kann.
SZ: Aber wer kontrolliert den Kontrolleur?
Jean-Claude Juncker: Das wirft in der Tat ein echtes Demokratieproblem auf. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es sich die französische Nationalversammlung gefallen ließe, wenn ein Haushaltsgesetz von einer zentralen Stelle in Brüssel korrigiert würde. Oder der Bundestag? Wir brauchen also eine demokratische Legitimationsprozedur. Darüber muss man länger nachdenken. Im Kern geht es um die Hoheitsrechte der nationalen Parlamente. Dieses Thema ist unterbeleuchtet, weil niemand die Antwort kennt.
SZ: Einfacher scheint es, ihren Nachfolger zu nennen. Das wird Herr Schäuble sein?
Jean-Claude Juncker: Wolfgang Schäuble erscheint mir als einer, der alle Eigenschaften hat, dieses Amt auszufüllen. Er ist nicht der einzige. Aber er wird das ohne Probleme können.
SZ: Und die Idee der Rotation in diesem Amt?
Jean-Claude Juncker: Ich kann mir Rotationskriterien vorstellen, aber es reicht nicht, wenn das Luxemburg, Deutschland und Frankreich ausmachen. Es gibt noch 14 andere. Und es kommt sehr auf die Person an. Der Chef muss allen zuhören. Wer nicht zuhört, wird gleich auf der ersten Sitzung ausgebremst. Das ist das Recht der Slowaken, Esten, Österreicher. Denn jeder Finanzminister hat zum Euro die Beziehung, die er früher zu seiner nationalen Währung hatte. Er ist seine nationale Währung. Der Euro ist der luxemburgische Franken.
SZ: In den letzten Wochen kochen europaweit alte Ressentiments wieder hoch. Wie viel nationale Spannungen verträgt diese Euro-Zone noch?
Jean-Claude Juncker: Das ist eine hochexistenzielle Frage. Eine gemeinsame Währung verträgt keine exzessiven nationalen Reflexe. Nationale Befindlichkeiten darf man nicht überhöhen. Die Schuldenkrise zeigt, dass die Europäische Integration ein sehr fragiles Gebilde ist. Vergessen geglaubte nationale Ressentiments schwimmen sehr dicht an der Oberfläche. Mehr als 60 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg liegen sie nicht kilometerweit, sonder nur zentimetertief unter der Oberfläche. Das treibt mich besonders um. Geschichte ist abrufbare Gegenwart. Die Art und Weise, in der deutsche Medien und Provinzartisten über Griechenland herfallen, haben ich mir genauso wenig vorstellen können wie die brutale Reaktion aus Griechenland mit den Nazisymbolen. Hätte es die falschen Zungenschläge am Anfang nicht gegeben, wäre vielleicht alles nicht so gekommen.
SZ: Die Nerven liegen blank, also suchen die Regierungen innenpolitische Blitzableiter?
Jean-Claude Juncker: Ein Grieche oder ein Spanier, der den Mindestlohn verdient oder die Rente nach unten korrigiert bekommt, lebt mit einem verletzten Gerechtigkeitsgefühl. Das muss uns doch dazu bewegen, Respekt vor diesen Menschen zu haben. Ich sähe wirklich gerne, dass man in Griechenland die wirklich Reichen, die Millionäre endlich zur Kasse bittet. Es kann doch nicht sein, dass die Klein- und Kleinstverdiener die Zeche zahlen und die anderen Herrschaften auf ihren Jachten Partys feiern. Es würde jedenfalls dem Gerechtigkeitsgefühl der einfachen Menschen sehr helfen.