Jean-Claude Juncker au sujet de la Grèce et de la crise de l'endettement public dans la zone euro

Asli Sevindim: Könnte es theoretisch sein, dass wir dann in zwei Tagen erfahren, dass Griechenland doch rausgefallen ist?

Jean-Claude Juncker: Nein, nein, wird nicht passieren.

Asli Sevindim: Sie schliessen das kategorisch aus?

Jean-Claude Juncker: Jedenfalls nicht vor Herbstende, und dann auch noch nicht.

Asli Sevindim: Wissen Sie Dinge die wir nicht wissen?

Jean-Claude Juncker: Ja.

Asli Sevindim: Zahlen?

Jean-Claude Juncker: Dinge.

Asli Sevindim: Dinge.

Jean-Claude Juncker: Ist doch schön! Also, wenn ich ein Kameramann wäre, würde ich nicht meine blöde Nase dauernd zeigen, sondern da einmal runterfilmen, das ist viel interessanter.

Journalist: Luxemburg, das ist die Heimat von Jean-Claude Juncker. Hier spaziert der Chef der Eurogruppe ganz ohne Personenschutz durch die Altstadt. Er nimmt sich Zeit, die er eigentlich nicht hat, und erzählt WDR-Moderatorin Asli Sevindim, wie er die bisher härteste Krise des Euro erlebt.

Asli Sevindim: Wie ist das für Sie, wenn wir jetzt hier schon seit einer Dreiviertelstunde durch die Gegend laufen und Sie sind nicht ein Mal angerufen worden? Es könnte sein, dass inzwischen, dass Griechenland ausgetreten ist aus dem Euro?

Jean-Claude Juncker: Nein, wenn Griechenland in den nächsten zwei Stunden austreten würde, dann hätte ich das vorgestern Abend gewusst. Und mein Handy habe ich aus Respekt vor Ihnen im Büro liegen lassen.

Asli Sevindim: Mit wem müssen Sie zum Beispiel an so einem Tag telefonieren, mit wem müssen Sie verhandeln?

Jean-Claude Juncker: Mit all denen die mich anrufen. Ich rufe selten an.

Asli Sevindim: Sie werden angerufen?

Jean-Claude Juncker: Ja.

Asli Sevindim: Wer hat denn heute zum Beispiel angerufen?

Jean-Claude Juncker: Der französische Staatspräsident hat angerufen, der spanische Premierminister, der griechische Premierminister, und die haben mich vom eigentlichen Arbeiten abgehalten. Aber es war hochinteressant. Aber ich habe niemandem gesagt, dass die zwei anderen auch angerufen hätten.

Asli Sevindim: Wenn Sie sich dann ankucken wo wir heute stehen, mit Bankenkrise, Eurokrise, dass teilweise darüber debattiert wird, dass ein Land aus dem Euro austritt mit, ja, Folgen die kaum einer abschätzen kann, weil wir so etwas einfach noch nicht erlebt haben – machen Sie sich da auch einmal Selbstvorwürfe?

Jean-Claude Juncker: Also, das ist nun die unmögliche Frage. Ich mache mir nicht wirklich Vorwürfe. Ich habe nur Bedenken über eigenes Tun, weil das nicht immer konsequent und sofortig genug war.

Dieses Wissen darum, dass man sich vorsichtig äussern muss, das Wissen darum, dass wenn man einen Halbsatz gesagt hat, der nur als Viertelsatz zitiert wird, und um die halbe Welt getrieben wird durch die Nachrichtenagenturen und durch andere sofortige Medien, hält uns eigentlich davon ab freundlich darum zu bitten, dass man auch manchmal nachdenken dürfen muss, bevor man etwas sagt. Man muss immer sofort etwas sagen.

Ich tue das im Übrigen nicht. Das klassiert man dann manchmal in der Rubrik des-sich-nicht-äussern-wollens. Aber so lange ich nicht weiss was ich möchte, halte ich den Mund. Es wäre gut, wenn mehr Leute in Europa den Mund öfters halten würden.

Journalist: Und damit meint er wohl auch den deutschen Wirtschaftsminister. Philipp Rösler wünschte sich im ARD-Sommerinterview Ende Juli, die Griechen mögen doch die Eurozone verlassen.

Philipp Rösler (O-Toun): Ich glaube, für viele Fachleute, für die FDP, auch für mich, hat ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone längst seinen Schrecken verloren.

Jean-Claude Juncker: Es wäre aus heutiger Sicht ein beherrschbarer Vorgang. Deshalb ist das noch nicht ein wünschenswerter Vorgang. Weil, es wäre mit erheblichen Risiken verbunden, vor allem für die einfachen Menschen in Griechenland. Jetzt kann man natürlich sagen, mir ist das ziemlich egal was mit den einfachen Griechen, den kleinen Leuten – davon gibt es viele in Griechenland – passiert. Mir ist das aber nicht egal, mir ist das nicht egal, was mit diesen Bergbauern in Griechenland passiert. Das ist Herrn Rösler vielleicht egal, mir ist das nicht egal.

Journalist: Überhaupt ist ihm der Ton im Umgang mit der Eurokrise viel zu schrill. Die faulen Griechen hier, die rechthaberischen Deutschen dort. Da brechen alte Wunden auf, meint Juncker.

Jean-Claude Juncker: Die Deutschen, viele Deutsche, auch die überregionale deutsche Presse, auch die bebilderte Presse, reden über Griechenland so als ob dies ein Volk wäre, das es nicht zu respektieren gilt. Das ist nicht so.

Die Griechen leiden echt unter den Folgen der Krise und unter den Krisenmassnamen die ergriffen werden müssen. Und die Griechen, sehr oft in ihren Bild-Zeitungen, behandeln die Kanzlerin, als ob sie so die Späterbin der Nazis wäre.

Das heisst, das was Geschichte war, und das von dem wir dachten, dass wir es definitiv begraben hätten, das kommt sehr schnell wieder hoch. Die europäische Integration bleibt eine höchst fragile Geschichte. Man muss behutsam mit europäischen Befindlichkeiten umgehen, und nicht denken Geschichte wäre Geschichte. Nein, nein, Geschichte ist präsent, und man muss da sehr sorgsam miteinander umgehen.

Man muss sich auch für andere interessieren. Was wissen wir beide denn, also ich sage das jetzt einmal arrogant: ich weiss davon ein bisschen mehr als Sie [wird unterbrochen]

Asli Sevindim: Mit Sicherheit.

Jean-Claude Juncker: Nein, aber es ist zufällig so – über die griechischen Verhältnisse mehr. Was wissen denn die Hamburger über Südgriechenland? Was wissen die? Und was wissen die Südgriechen über Lappland, und was wissen die Lappen über Sizilien? So führen wir diesen Kontinent, in dem Grundeinverständnis dass wir zusammen arbeiten müssen, aber eben nichts wissen über die Lebensumstände anderer.

Ich plädiere sehr intensiv dafür, dass wir uns mehr füreinander interessieren. Früher hat man das Liebe zwischen den Nationen genannt. Wir müssen uns wieder lieben lernen.

Journalist: Und zusammenhalten, denn sonst habe das kleine Europa keine Chance gegen aufstrebende Kolosse wie China oder Indien.

Jean-Claude Juncker: Wir sind klein, wir werden schwächer, wir werden auch demografisch schwächer, und die einzigen Losung und Lösung für die nächsten 30 Jahre wird sein, dass wir als Europäer immer mehr zusammenrücken. Nicht nur Europäer im Sinne der heutigen EU, sondern den Gesamtkontinent meinend, mit Verlängerungen.

Wir sind wenig zahlreich, wir nehmen ab, wir verlieren an Wirtschaftskraft, und wenn wir diese gemeinsame Währung nicht mehr haben werden wir politisch überhaupt keine Bedeutung mehr haben. Die Europäer sind Zwerge, die, stellt man sie auf die Leiter, nicht zu Riesen werden. Wir müssen Riesiges der Welt vor Augen führen, und das ist der Euro.

Asli Sevindim: Vor wenigen Wochen haben wir im deutschen Fernsehen eine sehr interessante, bemerkenswerte Dokumentation kucken können: "Der grosse Euroschwindel, jeder betrügt jeden." Da gibt es ein bemerkenswertes Zitat, auch von Ihnen, wo Sie sagen: "Ich ärgere mich massiv über die Griechen, denn wir sind da wirklich getäuscht worden."Im Privatleben würde man mit so jemandem kein einziges Wort mehr wechseln. Wie geht das in der Politik?

Jean-Claude Juncker: Also, ich bin auch im Privatleben etwas gnädiger im Umgang mit Anderen als Sie.

Ich habe mich nicht darüber geärgert, dass die Griechen sich da mit falschen Zahlen eingeschlichen hätten, weil das ist unsere Schuld auch, weil wir uns nicht die Instrumente an die Hand gaben um das zu kontrollieren, was die Griechen uns da vorgelegt haben. Sondern ich habe mich darüber geärgert, dass, nachdem wir gemeinsam entdeckt hatten, dass in Griechenland vieles falsch läuft, wir immer noch, trotz wiederholter Versuche, nicht mit den Griechen in ein zielorientiertes Gespräch über die Behebung dieser Zustände kamen. Und das hat mich schon geärgert.

Jounalist: Europa spreche zu selten mit einer Stimme, das kritisiert der Chef der Eurogruppe, und meint vor allem die grossen Euroländer wie Italien, Frankreich und Deutschland, die aus seiner Sicht zu oft innenpolitisch punkten wollen, als sich an gemeinsame Absprachen zu halten, und Gipfelergebnisse zu Hause als ihren Sieg verkaufen.

Asli Sevindim: Diese Form von Indiskretion, was macht das, wenn Sie sich denn das nächste Mal treffen? Also ist das denn so dass Sie sagen, schämen, ab in die Ecke, sprechen Sie nicht mehr miteinander?

Jean-Claude Juncker: Nein, nein, ich sehe das wirklich mit grösster Gelassenheit, weil ich bin ja die ganzen Sitzungen dabei, und auch in den Tagen, und Wochen, und Stunden vorher telefonisch, und auch Begegnungen mit Kollegen.

Und mich ärgert masslos, das ist aber vor allem eine Sache der etwas grösseren Staaten in Europa, dass man verzweifelt versucht den Eindruck zu vermitteln, als ob man gewonnen hätte. Man teilt ja die Gipfelteilnehmer auch ein in eine Gruppe von Verlierern und von Gewinnern, und das hat mit dem eigentlichen Sitzungsverlauf ja überhaupt nichts zu tun, wirklich überhaupt nichts zu tun.

Und ich überlasse anderen die Siege, was ja dann auch immer heisst, dass andere auch verloren haben. Aber so ist das nicht. Wir bemühen uns gemeinsam und kollektiv, und meistens auch solidarisch, Lösungen zu erarbeiten. Aber wer dann aus innenpolitischen Gründen den absoluten Drang verspürt, sich als Sieger nach der Sitzung zu präsentieren, ja, der muss in den Augen derer die dabei waren auch leben können.

Wenn sie anderen in die Augen sehen würden, könnten Sie damit nicht leben, weil jeder ja weiß, dass es so nicht war. Also, ich finde das pre-pubertär.

Asli Sevindim: Aber ist es nicht auch zum Teil wirklich Wesensinhalt auch von Politik zu wissen wer gewonnen hat, und wer verloren hat, und auch Ergebnisse sozusagen auf einen einfachen Nenner zu bringen? Also, die Eurokrise zu erklären und verständlich zu machen ist durchaus schwierig, aber [wird unterbrochen]

Jean-Claude Juncker: Politik erklären macht man manchmal mit einfachen Lösungen. Aber wer so tut als ob es in der Eurokrise darum ginge, dass die einen, weil sie besonders tugendhaft wären, die anderen überrumpelt hätten, und diejenigen die weniger tugendhaft wären die Auseinandersetzung verloren hätten, das ist eine Beschreibung der Gefechtsordnung, die so überhaupt nicht stimmt. In Europa verlieren wir gemeinsam und wir gewinnen gemeinsam.

Journalist: Als Regierungschef des zweitkleinsten Eurolandes hat Jean-Claude Juncker gelernt sich gegen grosse Nachbarn zu behaupten. Einmal in der Woche ist er in Sachen Europa unterwegs, den Rest der Zeit arbeitet er hier in Luxemburg. Ein Premierminister zum Anfassen, das mag er, das erdet Ihn, sagt er.

Jean-Claude Juncker: Sie sind Radfahrer, habe ich den Eindruck.

Mann: Ja, 73 und Radfahrer.

Jean-Claude Juncker: 73? Also bis dahin werde ich auch wieder Rad fahren.

Asli Sevindim: Wie viel von der Krise erzählen Sie eigentlich zu Hause Ihrer Frau?

Jean-Claude Juncker: Meine Frau ist ja froh, dass es deutsches, luxemburgisches und französisches Fernsehen gibt, ergo weiss sie in etwa was ich tue und treibe. Und manchmal merkt sie schon, dass ich betrübt bin, aber wir reden darüber nicht so viel. Ich habe ja keine handwerkliche Beziehung zu Hause.

Asli Sevindim: Sagt denn Ihre Frau Ihnen manchmal wie Ihr Interview war, oder Ihr Auftritt? Gibt es da so einen Austausch?

Jean-Claude Juncker: Ja, aber über derartige, negative Reaktionen möchte ich überhaupt nicht hier berichten.

Asli Sevindim: Wenn Sie dann zum Beispiel so eine lange Krisennacht haben, ein Gipfeltreffen, ich weiss nicht wer da alles dabei ist, die Regierungschefs und die Minister, und es geht dann tatsächlich so lange, welche Tricks gibt es da um wirklich auf dem Platz zu bleiben und am Ball zu bleiben, und sich eben nicht austricksen zu lassen oder über den Tisch ziehen zu lassen?

Jean-Claude Juncker: Ich habe nie den Eindruck, dass da jeder versucht jeden über den Tisch zu ziehen, so ist das nicht. Ich weiss was jeder denkt. Ich muss wissen was jeder denkt, und ich muss wissen was jeder sagt, wenn der andere etwas anderes sagt.

Asli Sevindim: Wie machen Sie das denn?

Jean-Claude Juncker: Ich arbeite 17 Stunden am Tag, dann erfährt man vieles.

Journalist: Kleine Frechheiten erlaubt sich Jean-Claude Juncker auch schon einmal bei Treffen mit anderen Spitzenpolitikern. Kürzlich hat er kritisiert, Deutschland behandele Europa als Filiale. Dafür hat er allerdings Prügel eingesteckt, bis zur Rücktrittsforderung.

Asli Sevindim: Menschen haben ja ganz unterschiedliche Strategien mit Stress umzugehen, und mit Krisen. Also der eine, der geht joggen, der andere, der verprügelt einen Sandsack. Ich würde jetzt eher dazu neigen vielleicht Berge von Schokolade zu essen. Haben Sie eine Strategie, was machen Sie, wenn Sie gestresst sind?

Jean-Claude Juncker: Ich lese. Ich habe den Vorsatz im Leben immer gehabt eine oder zwei Stunden am Tag zu lesen, und das tue ich auch, und davon lasse ich mich nicht abbringen. Und [wird unterbrochen]

Asli Sevindim: Was lesen Sie?

Jean-Claude Juncker: Ich sage nicht gerne, alles Mögliche, weil das klingt so querfeldein, aber ich lese Lyrik, ich lese gerne Rilke, das ist bekannt.

Journalist: Eine Stunde, länger sollte das Gespräch eigentlich nicht dauern. Jean-Claude Juncker überzieht um gut 40 Minuten, doch jetzt, sagt er, muss er wieder regieren.

Asli Sevindim: Ich könnte ja jetzt sagen, was gibt es denn hier zu regieren?

Jean-Claude Juncker: Ja, das denken alle, und ich manchmal auch. So, tschüss, Kamera aus, Kamera weg.

Asli Sevindim: Vielen Dank. Viel Erfolg und einen schönen Urlaub.

Membre du gouvernement

JUNCKER Jean-Claude

Organisation

Ministère d'État

Date de l'événement

06.08.2012

Type(s)

gouv:tags_type_event/interview