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Jean-Claude Juncker, invité de l'émission "Münchner Runde"
Mitten in der Schuldenkrise sind wir nach Luxemburg gereist, um Jean-Claude Juncker zu treffen, einen der erfahrensten Europäer, und Chef der Eurogruppe. Und das was für uns Journalisten besonders wichtig ist, Mitglied des Vereins für deutliche Aussprachen.
Der Eurocrash, Herr Juncker, ist erst einmal abgesagt, dennoch, die Probleme bleiben, die Schuldenkrise bleibt, und man hat das Gefühl, es ist erst mal wieder Zeit gekauft.
Sie kennen das, Sie kennen das seit vielen Jahren, und im Bewusstsein dass die Krise bleibt, schlafen Sie jetzt ruhiger, oder ist das Problem noch genau so virulent?
Jean-Claude Juncker: Das Problem ist nicht mehr genau so virulent, weil wir sind jetzt besser aufgestellt als noch vor zwei, drei Jahren, aber ich habe auch vor zwei, drei Jahren ruhig geschlafen. Wer nicht gut schläft, soll sich mit anderen Dingen im Leben beschäftigen als mit Politik und Eurokrise.
Sigmund Gottlieb: Wir schauen uns jetzt einmal an wie Sie die letzten Jahre in diesem brutalen Amt überstanden haben.
Reportage: Mister Euro dürfte sich mittlerweile an den Ablauf gewöhnt haben, und der geht in Zeiten der Eurokrise so: Erst mit Blaulicht ankommen, die Medienleute bedienen, oder eben auch nicht, dann, umarmen, umarmen und noch einmal umarmen. Und ab in die ellenlangen Verhandlungen. Und danach, erklären, beschwichtigen, abwehren, und dabei immer gute Miene bewahren.
Klar, nicht nur wegen der Eurokrise ist Jean-Claude Juncker einer der wichtigsten Politiker Europas. Seit 17 Jahren Premierminister von Luxemburg, Vorsitzender der Eurogruppe, und das seit mehr als 7 Jahren. Er gilt als Vermittler, aber auch als gewiefter Politiker, als einer der für seine Sache kämpft, und auch scharfe Worte findet. Und nach wie vor ist Jean-Claude Juncker ein glühender Europäer.
Sigmund Gottlieb: Ja, Herr Juncker, nicht nur ein glühender Europäer, sondern wie wir es eingangs auch schon gesagt haben, zweifellos, durch die Jahre und Jahrzehnte in Ihrer Erfahrung, einer der erfahrensten Politiker Europas. Dennoch, einmal Hand aufs Herz. Ich frage mich manchmal blickt auch einer wie Sie bei der Komplexität der Themen überhaupt noch durch?
Jean-Claude Juncker: Also die Probleme, und die Problemlagen werden immer komplizierter. Man muss also schon manchmal wieder zurück in die Tiefen gehen, um sich noch einmal zu vergegenwärtigen wieso man zu einem bestimmten Zeitpunkt etwas Bestimmtes so und nicht anders beschlossen hat.
Sigmund Gottlieb: Hat man diese Zeit in diese Tiefe zu gehen, Herr Juncker?
Jean-Claude Juncker: Die Zeit muss man sich nehmen. Wer nicht in die Tiefe geht, der wird an der Oberfläche ertrinken.
Sigmund Gottlieb: Sie sprechen, oder haben einmal gesprochen vom Marktsofortismus, also alles muss blitzschnell geschehen, muss ohne tiefgreifende Überlegungen entschieden werden. Wie geht man damit um?
Jean-Claude Juncker: Also man darf der Erwartung, der Sofortismuserwartung nicht auf den Leim gehen.
Ich begegne täglich Journalisten die mir ein Mikrofon vor die Nase hängen, und ich muss sofort etwas sagen, auch zu Themen von denen ich nichts weiß. Und das [gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: Wie machen Sie das?
Jean-Claude Juncker: Ja ich beantworte [gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: Möglichst allgemein bleiben?
Jean-Claude Juncker: Nein, ich beantworte die Fragen einfach nicht, weil ich beanspruche für mich das Recht auch nachdenken zu dürfen bevor ich etwas sage. Das klingt nicht immer so, aber das ist der normale Ablauf. Zuerst denke ich und dann rede ich. Es gibt auch viele die reden und dann erst denken.
Sigmund Gottlieb: Aber das bedeutet ja dann, dass man doch möglichst allgemein bleiben muss um keine Fehler zu machen, oder?
Jean-Claude Juncker: Also es ist vornehmlich in Geldpolitik, und in Währungspolitik so, dass man ja nicht immer alles sagen darf. Ich habe ja einmal gesagt - das lief ja auch bei Jauch - wenn es ernst wird, muss man lügen. Und auch das war wieder typisch, dieser Einspieler, weil man hat die Frage nicht beantwortet, ja nicht mitgestellt, so ist das immer.
Sigmund Gottlieb: Vielleicht können wir uns an dieser Stelle einmal diesen kurzen Einspieler, der ja für viel Diskussion gesorgt hat, und auch für manches Missverständnis, einmal ganz kurz anschauen.
Reportage: "Ich bin für geheime Debatten unter einigen wenigen Verantwortlichen". Und weiter sagt Juncker: "Wenn es ernst wird, dann musst du lügen".
Sigmund Gottlieb: Ein deutlicher Satz, ein harter Satz, ein ehrlicher Satz. Wie haben Sie den gemeint, Herr Juncker?
Jean-Claude Juncker: Ich habe eine Frage beantwortet, und die Frage im Saal, ich glaube das war in Brüssel, war, wieso ich nicht dafür sorgen würde, dass die Eurogruppe-Sitzungen live und in Farbe, und sofort, und direkt, und in real time übertragen werden?
Da habe ich gesagt, das wäre brandgefährlich wegen der Menschen die uns anvertraut sind. Spekulanten, Marktteilnehmer würden so etwas mögen, aber die Sparer nicht so sehr.
Und ich habe das deutlich gemacht am Beispiel, dass wir früher, bevor es den Euro gab, als Finanzminister sehr oft übers Wochenende nach Brüssel reisen mussten um Auf- und Abwertungen vorzunehmen. Und wenn dann ein Finanzminister Freitag nachmittags gefragt wurde, findet die Sitzung statt?, mussten alle sagen, nein es findet keine Sitzung statt. Und deshalb habe ich gesagt in einem etwas rudimentären Englisch, wenn es ernst wird, muss man lügen. Also der Satz hat eine Geschichte, hat aber auch viele Folgen gehabt.
Sigmund Gottlieb: Aber noch einmal an der Stelle nachgefragt, wie viel Wahrheit kann man, muss man, soll man den Menschen vermitteln, und soll man den Märkten vermitteln? Und ich habe manchmal den Eindruck, die Märkte sind bei mancher Entscheidung oft wichtiger als die Menschen.
Jean-Claude Juncker: Wir hinken den Märkten ja sehr oft hinterher. Und die Schwierigkeit unseres Diskurses ist eigentlich die, dass man nicht zwei verschiedene Geschichten erzählen darf, eine für die Märkte, und eine für die Menschen, sondern das muss dieselbe Erzählung im objektiven Sinne des Wortes sein. Aber der Tatsachenbericht muss anders erzählt werden, weil die Märkte warten auf andere Informationen, auf andere Hintergründe. Und die Menschen, die mit ihren Sorgen da sehr oft ja in dieser Krise allein gelassen werden, die müssen Aufklärung, erklärende Aufklärung kriegen.
Und das ist verdammt schwer, immer das Richtige zum richtigen Moment dem richtigen Publikum gegenüber zu sagen, ohne dass die beiden Erzählungen miteinander in Konflikt geraten. Das dürfen sie nämlich nicht.
Sigmund Gottlieb: Herr Premierminister, wir haben ja in den letzten Wochen erfahren, dass schnelles Handeln gefragt ist, auch bei der Europäischen Zentralbank.
Woher wollen Sie wissen, dass das was vorgesehen ist, nämlich die Märkte mit Geld zu fluten um das Schlimmste zu verhindern, zwar kurzfristig dem Euro neues Leben einhaucht, aber andererseits möglicherweise unkalkulierbare Folgen hat? Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass das gut geht?
Jean-Claude Juncker: Ich nehme die Gewissheit daher, dass ich die Zentralbank-Akteure sehr gut kenne, auch sehr persönlich kenne, und weiß, dass das keine Hasardeure sind, keine Spieler sind, sondern dass die sich sehr genau überlegt haben, was sie beschlossen haben, die Beschlüsse die sie verkündet haben, auch auf den Grill genommen haben um zu überprüfen ob das Fleisch dann auch so wird wie es der Koch haben möchte.
Und ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass das, was die Europäische Zentralbank in völliger Unabhängigkeit, ohne Regierungseinwirkung, beschlossen hat, reicht um der Krise Herr zu werden. Das wird mit Sicherheit nicht reichen um der Krise Herr zu werden, weil die Staaten, vor allem die sich durch überhöhte Staatsschulden auszeichnenden Staaten, müssen ihre Hausaufgaben machen.
Und die Europäische Zentralbank wird ja auch nur dann aktiv werden, wenn die von ihren Anleihekäufen betroffenen Staaten im Vorfeld prophylaktisch aktiv dadurch geworden sind, dass sie unter die Rettungsschirme sich bewegt haben, und dass sie strikte Auflagen respektieren. Es wird hier nicht einfach Geld über die Theke geschoben, hier müssen Auflagen getroffen werden.
Sigmund Gottlieb: Okay, vertiefen wir gleich noch einmal die Frage, die sich an dieser Stelle stellt, heißt, gibt es jetzt wirklich so etwas wie einen Plan zur Eurorettung? Und das schauen wir uns einmal kurz an.
Reportage: Sie hatten bisher ein leichtes Spiel, Spekulanten die auf den Zerfall der Eurozone setzten, denn die Eurostaaten zeigten sich als zerstrittener Haufen. Wetten auf steigende Zinsen für Krisenländer gingen meist auf.
Doch jetzt hat Europa erstmals einen Plan um der Eurokrise Herr zu werden. So sieht es jedenfalls derzeit aus.
Vergangene Woche. Das Bundesverfassungsgericht winkt den ESM-Rettungsschirm durch. Damit stehen künftig 500 Milliarden Euro bereit um Schuldenländern unter die Arme zu greifen.
Zuvor hatte EZB-Chef Mario Draghi angekündigt, die Europäische Zentralbank werde Staatsanleihen von Krisenländern aufkaufen, und zwar in unbegrenzter Höhe. Das heißt, die EZB will so viel Geld drucken wie nötig um die Zinslast der Schuldenstaaten auf ein erträgliches Maß zu senken. Einzige Bedingung, Krisenländer wie Spanien, oder Italien schlüpfen zuvor unter den Euro-Rettungsschirm, und verpflichten sich zu Sparprogrammen, und wirtschaftlichen Reformen.
Die Finanzmärkte sind bisher von den neuen Plänen der Eurozone beeindruckt. Länder wie Spanien und Italien müssen bereits deutlich weniger Zinsen zahlen, wenn sie sich neues Geld leihen. Die große Hoffnung, weil die EZB eingreift, gewinnen die Schuldenstaaten wieder Spielraum. Länder wie Spanien hätten mehr Zeit um Sparprogramme, die schon jetzt auf Widerstand stoßen, umzusetzen. Zugleich könnten sie Wirtschaft und Arbeitsmarkt mit Reformen auf Vordermann bringen.
Doch kann dieser Plan aufgehen? Tatsächlich sind die Risiken enorm. So hat Italiens Ministerpräsident Mario Monti angekündigt, er würde keine neuen Sparauflagen akzeptieren, sollte Italien Finanzhilfe der Europartner brauchen.
Auch die spanische Regierung, unter Mariano Rajoy, will zwar EZB-Unterstützung, wehrt sich aber gegen neue Spar- und Reformvorgaben.
Am Ende könnte EZB-Chef Draghi in die Falle laufen, denn was ist, wenn die Schuldenstaaten sich von ihm finanzieren lassen, dann aber nicht sparen, und reformieren? Stellt er dann die Anleihenkäufe ein, und riskiert so womöglich das Ende des Euro?
Zwar heißt es bei den Finanzministern der Eurozone offiziell, Geld vom Rettungsschirm werde es nur gegen strenge Auflagen geben. Doch die Erfahrung lehrt, solche Regeln werden in Europa schnell aufgeweicht, wenn es hart auf hart kommt.
Und so bringt der gegenwärtige Plan zur Eurorettung eine neue Gefahr. Hängen die Krisenländer erst einmal am Tropf der EZB, könnte der Druck auf die Zentralbank wachsen, sie muss dann immer mehr Geld drucken um Schuldenstaaten und den Euro zu retten. Am Ende steht die Inflation. Die Zeche werden vor allem die Sparer zahlen, ihr Geld wird weniger wert.
Sigmund Gottlieb: Herr Juncker, ich dachte bisher, jeder sei für die Schulden die er macht auch selber verantwortlich. Das sieht jetzt ganz anders aus.
Jean-Claude Juncker: Wenn ich nochmals zur Welt komme, was ich der Welt nicht unbedingt wünsche, dann werde ich Filmemacher und nicht Finanzminister, dann kann ich derartige Einspielereien auch... [gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: ...in griffiger Weise formulieren.
Jean-Claude Juncker: Ja, ja, ja, also die Menschen hören ja zu, und das was Sie jetzt gezeigt haben, das braucht ja eine halbe Stunde Erklärungen, das alles wieder richtig zuzuordnen, und zu sortieren.
Aber zurück zu Ihrer Frage. Es bleibt dabei, dass keiner für die Schulden eines anderen haften kann. Das war Grundlage des Maastrichter Vertrages, das war auch deutsche Vorbedingung zur Zustimmung zum Maastrichter Vertrag, und dabei bleibt es. Und das, was die Europäische Zentralbank jetzt aus geldpolitischer Verantwortung machen muss, angekündigt hat, nämlich um sicherzustellen, dass die geldpolitischen Beschlüsse auch am Markt, in den Betrieben, bei den Menschen ankommen, ändert nichts an der fiskal-haushaltspolitischen Aufgabenstellung für die betroffenen Staaten. Man darf diese beiden Ebenen nicht miteinander vermischen.
Sigmund Gottlieb: Aber darf ich Sie noch einmal fragen Herr Juncker, diese geldpolitischen Beschlüsse, die Zahlungen an jene die es brauchen, kommen ja gar nicht bei den Menschen an, die dienen ja nur der Schuldentilgung, der Rückzahlung von Krediten. Die Menschen in Griechenland, in Spanien, Italien haben doch nichts davon.
Jean-Claude Juncker: Die Anleihekäufe die von der Europäischen Zentralbank in Aussicht gestellt wurden, dienen dazu, dass der Kreditfluss im gesamten Euroraum nicht abbricht, sondern dass die Kreditbedingungen, die geldpolitischen Bedingungen für alle Teilnehmer des Euro-Währungsgebietes die gleichen bleiben, dass die Märkte nicht wie heute feststellbar, die regionalen, nationalen Finanzmärkte, fragmentiert sind. Und es wird Aufgabe bleiben der Staaten ihre Haushalte in Ordnung zu bringen.
Und man kann ja nicht einerseits verlangen, dass Schluss gemacht werden muss mit der Schuldenmacherei, und gleichzeitig die Beschlüsse der Europäischen Zentralbank bedauern, die ja darin gipfeln, dass sie ihre Anleihekäufe abhängig macht von Programmschritten, von Strukturreformen, und von haushalts [gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: Aber wie setzen Sie jetzt durch, Herr Juncker, in der Eurogruppe, dass tatsächlich die Staaten die es nötig haben, ihre Hausaufgaben machen? Wir wissen doch, die Beispiele wurden eben auch gezeigt, Griechenland, Spanien, Italien, man kann sich das nicht schönreden, es gibt dort in allen Staaten nach wie vor große Probleme, die man ja auch mit Druck lösen muss, und nicht nur mit gutem Willen.
Jean-Claude Juncker: Also ich glaube nicht, dass die Griechen, die Spanier, und Portugiesen, und Italiener, und die Iren sich zur Zeit über mangelnden Druck beklagen würden. Sie beklagen sich allerdings auch nicht über einen zu heftigen Druck, weil jeder hat verstanden, auch auf Grund der jüngsten Euro-Geschichte, dass das was vereinbart ist, auch von jedem eingehalten werden muss, und von allen respektiert werden muss. Und wir sind in der Eurogruppe dabei, ja, Druck auszuüben, wenn wir das Gefühl haben, dass die Reformanstrengungen nachlassen.
Sigmund Gottlieb: Was hat das bisher gebracht Herr Juncker?
Jean-Claude Juncker: Es hat bisher gebracht, dass beispielsweise Griechenland, um das schlimmste Beispiel, zwischen Gänsefüsschen, zu nehmen, seine Wettbewerbsfähigkeit in den letzten beiden Jahren massiv gesteigert hat. [gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: Wo sieht man das?
Jean-Claude Juncker: Das sieht man daran, dass die Lohnstückkosten um über 12% sich nach unten entwickelt haben. Man sieht es auch an gestiegener Exportleistung Portugals, und anderer sogenannter Krisenstaaten. Es ist also nicht so, dass die Programme wirkungslos blieben. Griechenland hat sein Haushaltsdefizit massiv abgebaut. Es reicht noch nicht. Italien und Spanien haben sehr anspruchsvolle Reformprogramme vorgelegt. Die spanische Regierung hat letzte Woche, anlässlich der informellen Sitzung der Eurogruppe, zusätzliche Strukturmaßnahmen vorgeführt [gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: Aber Spanien hat 804 Milliarden Schulden. Und man hat Angst, dass die Banken- in die Staatskrise übergeführt wird.
Jean-Claude Juncker: Also es geht ja in der Tat darum, dass man die Bankenkrise loslöst von der Staatsschuldenkrise. Und um dieses zu gewährleisten stehen jetzt alle Instrumente zur Verfügung.
Aber ich möchte dem Eindruck entgegentreten als ob in Griechenland, in Spanien, in Portugal, in Irland, in Italien jetzt die dort Regierenden sich auf die faule Haut gelegt hätten. Die machen sehr erhebliche, schwierigste Reformanstrengungen. Es ist nicht so, als ob auf der Geberseite von den Nehmern nichts gegeben worden wäre.
Sigmund Gottlieb: Befürchten Sie nicht Herr Juncker, dass eben durch den Anleihenkauf, und damit durch eine, ja, Druckunterlassung, im Grunde der Reformprozess in diesen Staaten zum Stocken kommt?
Jean-Claude Juncker: Nein, ehrlich gesagt, ich fürchte das wirklich nicht. Ich führe so viele Gespräche, und nicht nur zärtliche Gespräche mit den betroffenen Premierministern, und Finanzministern, um zu wissen, dass dort in diesen Ländern sehr wohl die Botschaft angekommen ist, dass die Bereitschaft in unserem Teil Europas, helfend zur Seite zu stehen, brutal abstürzen wird, wenn diese Reformanstrengung, diese Haushaltskonsolidierungsmaßnahmen nicht getroffen werden. Das wissen die auch im Süden Europas Regierenden besser als wir das vor 4 Jahren erahnen hätten können.
Sigmund Gottlieb: Warum ist es Ihrer Meinung richtig, dass Griechenland, so wie es im Moment ja aussieht, einmal ganz unabhängig von dem Ergebnis der Troika-Untersuchung, im Oktober weiterhin am Tropf der Europäer hängen wird? Warum ist das gut?
Jean-Claude Juncker: Es ist gut, weil nur die Hilfe der Europäer, im Verbund mit der Soliditätsleistung die die Griechen erbringen müssen, insgesamt zum Ergebnis führt, dass wir die Lage in der Eurozone stabilisieren können.
Sigmund Gottlieb: Gibt es für Sie eine rote Linie, gibt es für Sie, für Jean-Claude Juncker, ein Ende der Geduld? Sie haben ja vor einiger Zeit auch schon einmal gesagt, ja, mein Gott ein Austritt Griechenlands wäre ja nicht das Ende Europas. Also gibt es für Sie irgendwo eine rote Linie, wo Sie sagen, jetzt nicht mehr prolongieren, jetzt nicht mehr zuschießen?
Jean-Claude Juncker: Ich habe gesagt, ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone wäre gestaltbar, gestaltbar heißt nicht machbar, und gestaltbar heißt nicht wünschenswert.
Wir streben aber diesen Austritt Griechenlands aus der Eurozone nicht an, weil wir die Folgen davon überhaupt nicht abschätzen können. Die Ergebnisse für die Griechen wären verheerend. Ein Zusammensacken des griechischen Bruttoinlandproduktes …[gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: Das Ergebnis für Europa?
Jean-Claude Juncker: …, eine weitere Lohnabsenkung, Fragilisierung der innenpolitischen Verhältnisse in Griechenland. Und für Europa kann man die Ansteckungsgefahr nicht ausschließen, und für den Euro hieße das insgesamt einen sehr erheblichen Reputationsschaden, der die Stärke, und den Einfluss des Euros im Weltwährungsgeschehen wesentlich schwächen würde. Europa würde insgesamt dadurch schwächer werden.
Sigmund Gottlieb: Dann haben Sie auch gesagt, Herr Juncker, den Spaniern wollen Sie nichts vorschreiben. Warum nicht?
Jean-Claude Juncker: Ich habe gesagt, [gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: So habe ich Sie verstanden.
Jean-Claude Juncker: Ja, ja, ja, deshalb ist es immer gut, wenn Sie mich falsch verstanden haben, dass Sie mich fragen wie es richtig gemeint war.
Sigmund Gottlieb: Ja, vielleicht habe ich Sie ja gar nicht falsch verstanden.
Jean-Claude Juncker: Doch, ich habe gesagt, dass ich im Detail nicht Reform für Reform den Spaniern detaillierte Schritte vorschreiben möchte, wohin sie sich zu bewegen hätten, sondern dass wir einen über Appellqualität hinausgehenden Ruf an Spanien richten, Strukturreformen in den verschiedensten Bereichen vorzulegen.
Sigmund Gottlieb: Das ist eine gute diplomatische Formel, über Appellqualität hinausgehende Rufe an Spanien.
Jean-Claude Juncker: Was spricht gegen diese geschickte Formulierung?
Sigmund Gottlieb: Nein, das ist ja mehr als nichts, aber es ist nicht alles.
Jean-Claude Juncker: Nein, doch, also ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass jetzt der Eurogruppenvorsitzende neo-romantische Gedichte am Anfang des 21. Jahrhunderts in Spanisch übersetzt nach Madrid schicken sollte. Nein, nein, wir werden die Spanier mit knallharten Forderungen konfrontieren. Aber es schickt sich nicht im Vorfeld dessen was vielleicht passieren muss, den Spaniern jetzt per Zuruf über den Pressezaun im Detail zu erläutern, was wir von ihnen erwarten. Die wissen sehr genau, weil diese Vereinbarungen sind ja schon zu einem großen Teil getroffen, an welche Reformen wir denken, und an welche Strukturreformen wir denken. Die wissen sehr genau, dass wir sehr darauf drängen werden, dass nicht nur Haushaltskonsolidierungsmaßnahmen im Einsparungssinne des Wortes getroffen werden, sondern dass auch Strukturreformen durchgeführt werden, die in sich selbst Wachstumspotenzial genug zeitigen, damit Spanien auch wieder, wie andere Länder auch, auf die Beine kommt. Wenn wir, die Bundeskanzlerin sagt sehr zu Recht, wir möchten ja die anderen nicht ärgern, und nicht quälen, aber wir lassen uns auch nicht quälen.
Sigmund Gottlieb: Aber die Bundeskanzlerin sagt auch, Herr Juncker, unsere Kraft in Deutschland ist nicht unendlich. Und das ist ja nicht falsch, denn auch Deutschland hat zwei Billionen Schulden, das sind 85% [gëtt ënnerbrach]
Jean-Claude Juncker: Auch Deutschland hat Schulden.
Sigmund Gottlieb: Das sind 85% des Bruttoinlandproduktes. Das ist die Maastricht-Grenze gerissen. Das heißt also, wir sind ja auch dabei uns zu überlasten, uns zu überdehnen.
Jean-Claude Juncker: Sie haben Recht darauf hinzuweisen, dass vor zwei Jahren Spanien weniger öffentliche Staatsverschuldung hatte als Deutschland, hat jetzt ein bisschen mehr durch die Rezession in Spanien bedingt. [gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: Wobei wir die Wirtschaftskraft der Länder natürlich unterschiedlich bewerten müssen, Spanien und Deutschland.
Jean-Claude Juncker: Das ist nicht falsch, aber rein nominal von der Kriterienumgebung des Maastrichter Vertrages und des Stabilitätspaktes her betrachtet war Spanien bis vor zwei Jahren in der Schuldenfrage etwas besser als Deutschland. Womit ich ja nicht sagen möchte, dass Deutschland jetzt eine schwächere Volkswirtschaft wäre als die spanische. Gott sei Dank nicht. Aber vor lauter Lob für Deutschland ist mir jetzt Ihre Frage entfallen.
Sigmund Gottlieb: Ja, dass sich Deutschland ja auch bei der Schuldenbelastung überdehnt.
Jean-Claude Juncker: Ja, also ich nehme das sehr ernst was die Kanzlerin, und auch der Bundesfinanzminister sagen, man darf Deutschland ja auch nicht überstrapazieren. Und andere im Übrigen auch nicht.
Ich muss noch einmal sagen, obwohl das in Bayern und in Deutschland niemanden interessiert, dass pro Kopf die Luxemburger mehr haften als die Deutschen pro Kopf haften.
Es gibt eine Grenze für, ich nenne die nicht gerne so, aber so ist es ja, für die Geberländer. Deshalb auch, ja, Sie nennen das Druck, ich nenne das überzeugende Argumente anbringen in die Richtung Krisenländer, dass man uns nicht mehr zumuten darf, als wir schaffen. Aber wir dürfen auch nicht so tun als ob wir uns selbst nichts zumuten würden, weil es geht ja auch um Gesamteuropa, und [gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: Sie sind vor einiger Zeit, Herr Juncker, mit Deutschland in einem Interview ziemlich hart ins Gericht gegangen. Sie haben gesagt, wieso erlaubt sich Deutschland eigentlich den Luxus andauernd Innenpolitik in Sachen Eurofragen zu machen.
Jean-Claude Juncker: Das habe ich in einer Münchner Zeitung gesagt.
Sigmund Gottlieb: Ja. In einer Münchner Zeitung, deshalb ist es ja nicht weniger richtig was Sie gesagt haben.
Jean-Claude Juncker: Deutschland war territorial vielleicht ein bisschen zu weit gegriffen. Ich hätte das auch [gëtt ënnerbrach
Sigmund Gottlieb: Haben Sie das auf Bayern beziehen wollen?
Jean-Claude Juncker: Ich habe da eine Woche nach einigen meiner bayrischen, ansonsten von mir sehr geschätzten Kollegen, auch einiges zum Ausdruck gebracht, nämlich dass man an Griechenland ein Beispiel statuieren sollte. Ich finde das eine Wortwahl die nicht in das Europa des 21. Jahrhunderts passt. Und das hat mich missvergnügt, denn man merkte die Absicht und wurde verstimmt.
Sigmund Gottlieb: Wobei Herr Seehofer, der Ministerpräsident, Ihnen dann geantwortet hat...[gëtt ënnerbrach]
Jean-Claude Juncker: Es wäre grenzwertig, hat er gesagt
Sigmund Gottlieb:... die Deutschen zeigen ein Höchstmaß an Solidarität, und tragen die Hauptlast der Stabilisierungspolitik für den Euro. Uns jetzt zu ermahnen, wir müssten uns mehr anstrengen, ist grenzwertig. Also heftige Kritik aus Bayern, heftige Kritik zurück. Haben Sie mit Ihrem Freund Edmund Stoiber schon darüber gesprochen?
Jean-Claude Juncker: Nein, ich habe in letzter Zeit keine Gelegenheit gehabt mit Herrn Stoiber, oder mit Horst Seehofer, oder mit meinem alten Spezi Theo Waigel darüber zu reden.
Die wissen im Übrigen auch, dass ich von Deutschland nicht größere Anstrengungen verlangt habe, sondern darauf aufmerksam gemacht habe, dass man das Richtige was man tut, nicht in einem innenpolitischen Diskurs untergehen lassen sollte.
Sigmund Gottlieb: Herr Juncker, würden Sie den folgenden Satz ohne Wenn und Aber mit einem eindeutigen Ja beantworten?
Jean-Claude Juncker: Das klingt sehr gefährlich was Sie da vorhaben.
Sigmund Gottlieb: Drum lasse ich mir auch Zeit, damit wir beide darüber nachdenken. Ich darf zitieren: „Wir dürfen in dieser Schuldenkrise nicht gegen demokratische Prinzipien, und nicht gegen geltende Verträge handeln, pacta sunt servanda.“
Jean-Claude Juncker: Dem würde ich ohne Wenn und Aber zustimmen.
Sigmund Gottlieb: Okay. Würden Sie auch folgenden Satz mit einem eindeutigen Ja beantworten? „Rettungsgeld für Staaten nur bei nachweisbaren Reformen dieser Staaten.“
Jean-Claude Juncker: Nicht bei angekündigten Reformen, sondern nach eingeleiteten Reformen. Es reicht nicht zu sagen, ich mache jenes [gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: Ja, also nachweisbar. Es muss etwas [gëtt ënnerbrach]
Jean-Claude Juncker: Es muss im Gesetzesblatt stehen, und es muss implementiert werden.
Sigmund Gottlieb: Ja. Herr Juncker, macht es Sie eigentlich nicht sehr nachdenklich, dass immer mehr Bürger in Europa der europäischen Politik, den europäischen Politikern das Vertrauen entziehen?
Jean-Claude Juncker: Das macht mich nicht nur sehr nachdenklich, das treibt mich regelrecht um.
Sigmund Gottlieb: Was ist der Grund, warum ist es so weit gekommen?
Jean-Claude Juncker: Wenn wir das Vertrauen der Menschen verlieren, dann können wir unsere Tätigkeit einstellen.
Also ich gehe nicht leichtfüßig darüber hinweg, dass viele, viele, in mehreren europäischen Ländern der europäischen Politik ihre Berechtigung, ihre Glaubwürdigkeit, ihre Legitimation absprechen. Und ich glaube, das hat auch damit zu tun, dass die in Europa politisch Handelnden von Europa sehr oft ein schiefes Bild vermitteln. [gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: Wie, wer vermittelt das Schiefe?
Jean-Claude Juncker: Die Regierungschefs und Finanzminister die dauernd den Eindruck geben als müssten sie sich gegen andere durchsetzen, als wären sie die Träger der absoluten Vernunft, und die anderen die unvernünftigsten Menschen [gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: Aber die Regierungschefs werden daheim gewählt in ihren Ländern, das ist das Problem. [gëtt ënnerbrach]
Jean-Claude Juncker: Ich habe das schon manchmal erzählt, auch Ihnen schon, glaube ich, oder auch nicht, dann eben jetzt.
Wenn ich in Brüssel an einem Gipfel teilnehme, und abends nach Luxemburg zurückkomme, wenn ich die luxemburgischen Abendnachrichten einschalte, und dort ein Interview gebe, dann haben sich schon in Deutschland, in Frankreich, in Belgien, in den Niederlanden, in Finnland, schon so viele durchgesetzt, und die Luxemburger schauen sich englische Nachrichten an, französische, belgische, niederländische, deutsche, ich kann mich nie mehr durchsetzen zu später Abendstunde, weil es haben sich schon so viele durchgesetzt.
Aber wieso gibt man dann eigentlich den Eindruck, als säßen wir in Brüssel zusammen um andere klein zu machen? Wir sind doch Bauarbeiter, die in einem großen Werk arbeiten. Das machen wir doch nicht gegen die anderen, das machen wir doch miteinander.[gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: Aber Sie können es den Menschen nicht vermitteln. Warum nicht?
Jean-Claude Juncker: Ja, das hat auch damit zu tun, dass jeder dauernd aus innenpolitischer Betrachtung heraus, das Europageschehen kommentiert. Und es wäre eigentlich ratsam, wenn man - bei allem Verständnis dafür, dass man nationale Interessen vertreten muss, das muss jeder tun - man sich darauf beschränkte nationale Interessen, europäisch sortiert in Brüssel einzuklagen, und Europa zu Hause zu erklären.
Ich sage mir manchmal selbst, weil ich halte mich auch nicht immer an diese klugen Ratschläge, wenn ich in Brüssel bin, bin ich Luxemburger, der weiß dass er in Europa unterwegs ist, und wenn ich nach Luxemburg zurückkomme, dann bin ich ein Europäer, der weiß, dass er in Luxemburg unterwegs ist.
Sigmund Gottlieb: Müssten Sie selber, wenn Sie sich selbstkritisch befragen, auch mehr Zeit darauf verwenden, ich weiß wie schwierig das ist, und ich weiß wie leicht es ist als Journalist das zu fragen, der man da nicht in der Verantwortung steht, nicht selber viel mehr erklären, sich mehr Zeit nehmen den Leuten mehr kommunizieren?
Es kann doch nicht sein, dass 500 Millionen Europäer einen solchen Prozess nur vom Logenplatz aus beobachten. Die müssen doch mitreden können, und mit, vielleicht sogar mitentscheiden, ich weiß es nicht.
Jean-Claude Juncker: Ich weiß nur, dass ich mir Zeit nehme um zu erklären, ich weiß aber inzwischen auch, dass ich mir nicht überall Zeit nehme um es dort zu erklären, wo man mich bittet es zu erklären. Beispielsweise mit Ihnen nehme ich mir gerne Zeit. Wir haben fast eine Stunde und können reden.
Als Eurogruppenchef in deutsche Talkshows zu gehen, 4 Minuten Sendezeit zu haben, und dann damit zu leben, dass Halbsätze zitiert werden, die dann um den Erdball herum getrieben werden mit manchmal verheerenden Wirkungen an den Finanzmärkten, das finde ich nicht mehr dem Ernst der Lage angebracht.
Aber wenn man mir Zeit gibt, und Zeit einräumt, das machen Sie, dann kann man auch erklären.
Im Übrigen, es wird ja auch viel erklärt. Aber weil es so viele unterschiedliche Erklärungen gibt, weil der Zentralbankpräsident "A" etwas völlig anderes sagt als der Zentralbankpräsident "B", und wo der Premierminister "A" etwas anderes erzählt, erklärt als der Premierminister "B", und die Menschen das dann zusammenbringen, entsteht das Gefühl des konzertuellen Chaos, und dann auch eine große Verunsicherung, die dadurch herbeigeführt wird, dass einige von uns, ich manchmal auch, zu viel schwätzen und nicht genug reden. Aber wir können uns ja alle noch bessern.
Sigmund Gottlieb: Also wenn man sich das anschaut, und wenn man auch einmal die deutsche Realität betrachtet, so wächst einfach der Unmut von Menschen die sagen, die finanziellen Belastungen Deutschlands für diese Eurorettung, für die Bewältigung dieser Schuldenkrise werden immer grösser.
Und dann kommen solche Geschichten dazu, die neulich auch ein hohes Regierungsmitglied in Deutschland beschrieben hat, wir sollten wegen der Eurokrise Banken in Zypern retten, wo sozusagen russische Oligarchen ihr Schwarzgeld deponiert haben. Das sind die Punkte, die die Menschen nicht mehr verstehen, zugegebenermaßen zugespitzt, aber auch ein Teil der Wirklichkeit.
Jean-Claude Juncker: Wenn dem so wäre, würde ich ja dieses Grundgefühl, dieses Gemurmel gut verstehen. Aber so ist es ja nicht, dass die zypriotischen Banken jetzt nur…[gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: Ich habe ja nicht gesagt "nur", aber es gibt solche Beispiele.
Jean-Claude Juncker: … alle Geldhallen russischer Oligarchen wären.
Aber richtig ist auch, im Bankenbereich muss die Regel gelten, dass man nach Maß der Dinge versucht, die Bankenprobleme, die in dem eigenen Wirkungsbereich entstehen, auch selbst zu lösen. Diese Vorstellung, ich darf in meinem Bankwesen machen was ich will, und irgendwo gibt es einen reichen Onkel aus Deutschland, der wird schon dafür sorgen, dass mir hier nichts Böses passiert, diese Vorstellung darf man nicht haben. Die hat im Übrigen auch niemand.
Man sollte auch nicht immer so tun, als ob alle jetzt nur darauf erpicht wären, den Deutschen das Geld aus der Tasche zu ziehen, so ist das ja nicht.
Sigmund Gottlieb: Aber Sie verstehen auch deutsche Befindlichkeiten? Sie müssen ja nicht die bayrischen jetzt genau verstehen, aber deutsche Befindlichkeiten.
Jean-Claude Juncker: Ich verstehe die deutschen Befindlichkeiten gut, und die bayrischen Befindlichkeiten speisen dieselben.
Sigmund Gottlieb: Ja. Sie haben es, glaube ich, schon angesprochen, Thema Banken, der Nukleus auch dieses Problems.
Stichwort Bankenaufsicht, da gibt es im Augenblick noch Unklarheiten, vor allem zwischen Deutschland und Frankreich. Sie sind vielleicht wieder als Vermittler gefragt, und unterwegs, wobei es mir nicht ganz klar ist, was da geschehen soll, wie viel soll auf europäischer Ebene kontrolliert werden, wie viel soll auf nationaler Ebene kontrolliert werden. Also da scheint mir noch vieles gedanklich unausgegoren. Würden Sie dem zustimmen?
Jean-Claude Juncker: Dem würde ich mit Einschränkungen zustimmen. Richtig ist, dass wir den Vorsatz haben eine Bankenunion, eine Bankenaufsicht so schnell wie möglich auf die Beine zu stellen.
Richtig ist aber auch, dass man sich dafür die notwendige Zeit nehmen sollte. Ich bin da für gründliche Vorbereitung, und nicht für die Einführung einer Bankenunion im Hauruck Verfahren. Ich bin da sehr nahe beim Bundesfinanzminister, dem Geburtstagskind von heute, meinem Freund Wolfgang Schäuble [gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: Haben Sie ihm schon gratuliert?
Jean-Claude Juncker: Das habe ich gestern Abend gemacht, und das hat ihn auch gefreut im Übrigen.
Sigmund Gottlieb: Was haben Sie ihm gewünscht? Sie haben einmal gesagt, sie Beide, Juncker und Schäuble seien die Dinosaurier der Europalandschaft. Also Dinosaurier sind entweder, haben entweder eine dicke Haut, oder sie sind schon von gestern.
Jean-Claude Juncker: Nein, Dinosaurier haben eine dicke Haut, und Veteranen laufen manchmal schneller als Senioren.
Sigmund Gottlieb: Ja.
Jean-Claude Juncker: Aber ich habe ihm alles Gute gewünscht, und uns gegenseitig dazu beglückwünscht [gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: Sollte er Ihr Nachfolger in der Eurogruppe werden?
Jean-Claude Juncker: Ich habe das schon mehrfach zum Ausdruck gebracht. Aber zurück zur Bankenunion [gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: Aber sollte er?
Jean-Claude Juncker: Ja, ja ich habe, also manchmal ändere ich meine Meinung, aber wenn es um ernste Dinge geht, eben nicht. Und ich bin der Auffassung, dass die Eurogruppe eine starke Führung braucht, womit ich nicht gesagt haben möchte, dass sie zur Zeit über eine solche verfügt.
Aber ich bin sehr nahe bei Wolfgang Schäuble, wenn er sagt, es wird nicht möglich sein, dass eine zentralgeordnete europäische Überwachungsstelle 6.000 Banken in Europa hautnah überwachen könnte [gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: Sondern nur die systemrelevanten, oder?
Jean-Claude Juncker: Ich bin der Meinung, dass man mit den systemrelevanten Banken auch [gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: Es sind 30 Banken in Europa, oder?
Jean-Claude Juncker: 27, aber wahrscheinlich auch 30 [gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: Gibt es in Luxemburg auch eine unter den 136 Luxemburger Banken?
Jean-Claude Juncker: Nein, es gibt keine systemrelevante luxemburgische Bank, also im kontinentalen Sinne des Wortes, systemrelevante Bank, aber inländisch gäbe es schon systemrelevante Banken, aber das beträfe dann die Grenzen jenseits des Großherzogtums [gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: Und was soll die nationale Kontrolle leisten können, Herr Juncker?
Jean-Claude Juncker: Ich bin Anhänger eines Systems, das darin besteht, dass aus Frankfurt her allgemeine Prinzipien zur Anwendung gebracht werden, dass überall nach den gleichen Überwachungsregeln Bankengeschäfte [gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: Was heißt das aus Frankfurt, von der EZB?
Jean-Claude Juncker: Von der EZB beispielsweise. Ich bin der Auffassung, dass die EZB die richtige Instanz wäre [gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: Aber die ist doch auch für die Geldpolitik zuständig.
Jean-Claude Juncker: Es dürfen nicht dieselben Menschen in der EZB Geldpolitik machen und Bankenaufsicht machen. Das muss man fein trennen [gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: Also nicht der Rat, der das eine tut?
Jean-Claude Juncker: Nein, nein, der Rat kann einige entsenden, und dann müssen die sich darauf konzentrieren, und beschränken.
Es darf auch hier wie bei Geld- und Fiskalpolitik nicht zu einer Vermischung zwischen Aufsicht und Geldpolitik kommen.
Aber ich bin der Auffassung, dass vor Ort die eigentliche Überprüfung der Arbeit geleistet werden muss. Ich wäre auch eher dafür, dass die Genehmigungsverfahren in nationaler Hand bleiben, wenn eine Bank gegründet wird. Darf sie das, darf sie das nicht? Wie fügt die sich ein in ein nationales Bankensystem? Aber die allgemeinen Prinzipien müssen zentral definiert werden. Und die europäische Bankenaufsichtsoberbehörde braucht auch ein Durchgriffsrecht in die nationalen Überwachungssysteme hinein, wenn die mangelhaft funktionieren, was sie ja getan haben, weil wir haben ja vor allem in Spanien festgestellt, dass trotz aller Stresstests, und aller nationalen Überwachungsmechanismen trotzdem Problemfälle sich ungelöst, explosionsartig die gesamte Eurozone umfassend, negativ alle auswirkend, plötzlich Luft verschafft hat.
Sigmund Gottlieb: In dem Zusammenhang ist ja auch die Frage im Augenblick in der Diskussion ob in der EZB noch ein Stück mehr Transparenz hergestellt werden könnte, indem man etwa die Sitzungsprotokolle des Rates veröffentlicht, wie es der finnische Notenbankpräsident ja schon einmal formuliert hat. Würde vielleicht mehr Vertrauen in der Öffentlichkeit entstehen können, oder?
Jean-Claude Juncker: Ja, die amerikanische FED kennt ja dieses System. Die Bank of England kennt dieses System auch.
Die Europäische Zentralbank ist eine junge Bank, deshalb hat sie aus guten Gründen darauf verzichtet, und hat jetzt eine Regelung wo eigentlich erst nach 30 Jahren die Protokolle veröffentlicht werden. Ich habe darüber keine abschließende Meinung.
Nur man muss allerdings den Unterschied machen zwischen nationalen Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank. Dort sitzen Vertreter aus 17 Staaten, und wenn jeder am anderen Morgen nachlesen kann was ein nationaler Zentralbanker an Einlassungen auf die anderen hat einwirken lassen, dann würde der nationale Zentralbanker zu Hause unter Druck geraten, weil man ihm dann doch vorwerfen würde, er würde sich ungenügend für die nationale Sache einsetzen. Dabei dürfen europäische Zentralbanker sich nicht für eine bestimmte Nation, oder Land einsetzen, sondern die sind der gesamten Eurozone verpflichtet.
Sigmund Gottlieb: Herr Juncker, wir reden ja viel über Zahlenkolonnen, über Euromünztürme, tagein, tagaus, über Ökonomie, über Wirtschaftskraft, aber es fehlt die große Geschichte von Europa, oder auch die vielen kleinen Geschichten über Europa. Welche Geschichte erzählen Sie den jungen Menschen über dieses Europa?
Jean-Claude Juncker: Ich erzähle ihnen eine Geschichte aus der Vergangenheit, und eine andere die die Zukunft betrifft. Die Geschichte [gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: Vergangenheit alleine wäre zu wenig.
Jean-Claude Juncker: Die Geschichte, die aus der Vergangenheit uns auch als Verpflichtung erwächst, ist diese ewige europäische Frage zwischen Krieg und Frieden. Das darf man nicht kleinschreiben.
Vor wenigen Jahren hat im Kosovo ein schrecklicher Krieg getobt. Das liegt anderthalb, zwei Stunden, Flugstunden von uns entfernt. Das kann immer wieder passieren.
Und deshalb steht man in der Pflicht, auch der Vorgängergeneration gegenüber, mit unseren Mitteln von heute Sorge dafür zu tragen, dass sich Derartiges nie wiederholt. Das ist keine alte Geschichte, das ist eine notwendige Geschichtserzählung und –erklärung.
Und dann mache ich darauf aufmerksam, und das ist ein Argument das ich von der Zukunft herleite, dass wir der kleinste Kontinent sind, und dass wir immer weniger werden. Am Anfang des 20. Jahrhunderts haben die Europäer 20% der Weltbevölkerung ausgemacht. Am Anfang dieses Jahrhunderts gab es noch 11% Europäer, Mitte dieses Jahrhunderts wird es noch 7% geben.
Sigmund Gottlieb: Ist das ein ökonomisches Argument?
Jean-Claude Juncker: Und am Ende dieses Jahrhunderts wird es noch 4% Europäer geben.
Das heißt, wenn wir immer weniger werden, wenn wir also demographisch nichts mehr darstellen, dann ist nicht der Moment gekommen, wenn wir die Wirtschaftskraft dieses Kontinents erhalten möchten, und wenn wir auch Einfluss auf die Geschicke der Welt behalten müssen, dann ist der Moment nicht gekommen um uns jetzt wieder zu renationalisieren, sondern dann ist der Moment gekommen um das, was wir bis heute geleistet haben, zu würdigen, zu erhalten, und weiter an dem Haus Europa zu bauen.
Das ist eine eminent-wirtschaftspolitische Frage, weil wenn wir den Euro aufgeben würden, und wenn wir unsere Wirtschaft, unseren gemeinsamen Binnenmarkt sich wieder in Teilsegmente zerlegen lassen würden, dann verfügten wir nicht über die Wirtschaftskraft um in der Welt mitreden zu können... [gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: Herr Juncker [gëtt ënnerbrach]
Jean-Claude Juncker:...mit China, mit Amerika, mit den USA, mit Indien, da kann auch der größte Nationalstaat in Europa es nicht mehr aufnehmen.
Sigmund Gottlieb: Ist es nicht erschreckend in welch unglaublichem Tempo, in welcher Brutalität, sage ich auch, nationale Ressentiments in Zusammenhang mit dieser Schuldenkrise wieder über Nacht da waren?
Jean-Claude Juncker: Das hat mich nicht völlig überrascht, weil ich eigentlich diesen Gedanken immer schon hatte, dass das europäische Einigungswerk eine relativ fragile Angelegenheit war. 50, 60 Jahre in der kontinentalen Geschichte, ein relativ kurzbemessener Zeitraum um davon ausgehen zu können, dass jetzt die Dinge endgültig dingfest gemacht worden sind in Europa.
Mich hat die Brachialgewalt einiger, auch einiger deutschen Zwischenzungenschläge... [gëtt ënnerbrach]
Sigmund Gottlieb: Griechenland/Deutschland.
Jean-Claude Juncker:.. und dann auch einige völlig deplatzierten griechischen Antworten darauf, von der rhetorischen Brachialgewalt ja schon beeindruckt, und auch bedrückt, mehr bedrückt als beeindruckt.
Sigmund Gottlieb: Wagen Sie eine Vorstellung, Herr Juncker, dass Sie sagen, die Krise ist ausgestanden, die Krise ist vorbei? Ihre Erfahrung in der Perspektive in die Zukunft, wann könnte das sein?
Jean-Claude Juncker: Ach wissen Sie, Marathonläufer die wissen nach den ersten 21 Kilometer, dass noch weitere 21 Kilometer folgen.
Sigmund Gottlieb: Also Halbzeit, sagen Sie?
Jean-Claude Juncker: Das hängt davon ab, ob man die erste Teilstrecke schneller läuft, oder die zweite. Ich würde einmal meinen, man wäre am Anfang etwas fitter.
Sigmund Gottlieb: Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Juncker.
Jean-Claude Juncker: Ich bedanke mich auch.
Sigmund Gottlieb: Vielen Dank!
Jean-Claude Juncker: Vielen Dank!