Interview mit Xaver Bettel im Tageblatt

"Mit Putin rede ich nur, wenn Selenskyj mich darum bittet"

Interview: Tageblatt (Armand Back)

Tageblatt: Herr Bettel, wir erreichen Sie gerade über Telefon in der Ukraine, wo Sie heute (gestern, Anm. der Red.) für viele überraschend die Hauptstadt Kiew sowie die verwüsteten Ortschaften Butscha, Borodjanka und Irpin besuchen. Werden Sie auch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj treffen und was wollen Sie ihm sagen?

Xavier Bettel: Ich werde selbstverständlich den ukrainischen Präsidenten Selenskyj noch sprechen. Ebenso wie den Parlamentspräsidenten und den Premierminister. Heute Morgen habe ich die Vertreterin des Außenministeriums gesehen, die wir auch schon in Luxemburg empfangen haben. Was ich Selenskyj sagen werde, ist das, was ich immer sage: Die EU-Kommission sollte uns ihre Empfehlung geben - die haben wir jetzt und der werden wir folgen. Wir teilen die Einschätzung der EU-Kommission zu hundert Prozent. Demnach werde ich Selenskyj sagen können, dass er in Luxemburg einen Alliierten hat, der beim EU-Gipfel am Donnerstag die Eröffnung von EU-Beitrittsgesprächen mit der Ukraine unterstützen wird.

Tageblatt: Plant Luxemburg daneben noch weitere Hilfen für die Ukraine?

Xavier Bettel: Ich kann nichts Konkretes sagen, da nicht alles ausgereift ist und noch Gespräche auf Ressort-ministerebene bevorstehen. Aber wir werden weiter helfen. Dabei wird es unter anderem um die Bereiche von Wohnmöglichkeiten und die Entfernung von Landminen gehen.

Tageblatt: Fordern Sie weiterhin ein gewisses "Augenmaß" bei den Sanktionen? Kann Luxemburg die Ukraine nicht noch stärker unterstützen?

Xavier Bettel: Die Sanktionen werden im Rahmen von multilateralen Instanzen entschieden. Wir haben diese immer mitgetragen und nie gebremst. Falls neue Sanktionen ausgesprochen werden, stehen wir auch diesen nicht im Weg.

Tageblatt: Hat sich Ihre Sicht auf die Ukraine und den ganzen Konflikt nach dem heutigen Besuch in Butscha und Borodjanka noch einmal verändert?

Xavier Bettel: Das sind Märtyrer-Städte. Es ist schrecklich, die ganze Zerstörung und diese zerbrochenen Leben zu sehen. Die Emotionen lassen sich über das TV schlecht ganz greifen. Anders ist es, wenn man das alles mit eigenen Augen sieht. Die Gespräche, die ich hier mit Einwohnern hatte, die Augen, in die ich dabei geschaut habe, waren sehr bewegende Momente für mich. Ich werde in meiner Rede zu Nationalfeiertag in der Philharmonie auch auf den einen oder anderen Punkt eingehen. Die Eindrücke sind jetzt noch frisch, aber sie werden mich auch nicht so schnell wieder verlassen. Für mich war das eine Lektion an Demut und an Mut des ukrainischen Volkes, die mich tief beeindruckt hat.

Tageblatt: Der österreichische Kanzler Karl Nehammer reiste nach seinem Kiew-Besuch im April anschließend nach Moskau zum russischen Präsidenten Wladimir Putin. Haben Sie das auch vor?

Xavier Bettel: Das habe ich nicht vor - außer Wolodymyr Selenskyj bittet mich darum. Auch die Telefongespräche, die ich nach Kriegsbeginn mit Putin führte, sind auf Wunsch von Selenskyj zustande gekommen. Wenn Selenskyj mich mit einer Mission beauftragt, egal, wie diese aussieht, werde ich schauen, wie ich helfen kann, um schneller zum Frieden zu finden. Aber auf Eigeninitiative mache ich das nicht. Ich habe bereits in der Chamber gesagt, dass nach den Gräueltaten von Butscha eine Dialogbereitschaft mit Russland für mich nicht mehr vorhanden war. Was dort geschehen ist, ist nicht zu tolerieren. Demnach: Gespräche von mir mit Putin wird es nur geben, wenn mich die Ukrainer darum bitten.

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